Kurs:Die Nisaner – Dresdens Ureinwohner/Ungarneinfälle

Dopsch:

Die Ungarn Als einziges der bedeutenden Steppenvölker haben sich die Ungarn bis heute in Mitteleuropa behauptet. Die große Krise, die mit der Sesshaftwerdung und dem Übergang zum Ackerbau die Ungarn ebenso erfasste wie zuvor die Hunnen und Awaren, konnte durch die Annahme des Christentums und eine enge Bindung an den römischen Papst überwunden werden. Damit fanden die Ungarn an der Wende zum zweiten Jahrtausend Aufnahme in die Gemeinschaft der christlichen Völker Europas. Der Name Ungarn ist abgeleitet von den Onoguren, zu deren Stammesverband die Ungarn einst gehörten, und bedeutet so viel wie „zehn Stämme“. Bei der Niederlassung im Karpatenbecken bestand das ungarische Volk allerdings nur mehr aus sieben Stämmen einschließlich der in Siebenbürgen angesiedelten Székler. Der zweite Name für dieses Volk, Magyaren, ist abgeleitet vom Stamm der Megyer, der seit der Alleinherrschaft Árpáds das unmittelbare Gefolge des Königs bildete. Er wurde allerdings erst in der Neuzeit, seit dem 19. Jahrhundert, für das gesamte Volk üblich. Sprachlich fallen die Ungarn in Mitteleuropa aus dem Rahmen, da sie keine indogermanische Sprache sprechen. Gemeinsam mit den Finnen, zu deren Sprache sich deutliche Parallelen finden, zählen sie zur Gruppe der finnischugrischen Sprachen. Aufgabe dieses kurzen Beitrags kann es nicht sein, einen vollständigen Überblick über die mittelalterliche Geschichte Ungarns zu bieten. Stattdessen werden die Herkunft, die Ansiedlung der Ungarn im Karpatenraum und die Christianisierung angesprochen. Herkunft und Frühgeschichte der Ungarn Die Stammesbildung (Ethnogenese) der „Altungarn“ vollzog sich in den Steppengebieten an der mittleren Wolga. Sie gehörten dort wohl zum Stammesverband der Onoguren, auf den ihr Name zurückgeht, und wurden durch das Vordringen der Pečenegen eines turkstämmigen Reitervolkes, von dort vertrieben. Auf ihrem Zug nach Westen gelangten sie nach „Etelköz“, einem Gebiet im Norden und Nordwesten des Schwarzen Meeres, das vom Dnjepr, den Karpaten und dem Donaudelta begrenzt wird. Dort standen die Ungarn unter der Herrschaft eines anderen Turkvolkes, der Chazaren, die ein mächtiges Reich mit Zentren an Wolga und Don errichtet hatten. Dieses Chazarenreich, das in der europäischen Geschichtsdarstellung viel zu wenig beachtet wird, ist vor allem durch seine Gesellschaftsstruktur von Interesse. Die zahlenmäßig geringe turkstämmige Oberschicht der Chazaren nahm nach einer Religionsdisputation, an der sich auch der Slawenlehrer Konstantin (Kyrill) beteiligte, den jüdischen Glauben an. Während der Großteil der Bevölkerung, die sich aus verschiedensten ethnischen Gruppen zusammensetzte, Naturreligionen anhing, war die Kriegerschicht der Chalizen, die aus Persien kam, muslimisch. Zum Jahr 862 bringen die Jahrbücher von St. Bertin die erste Meldung über das Auftreten der Ungarn: „Feinde, die vorher jenen Völkern unbekannt waren und Ungarn genannt werden, verwüsteten das [fränkische] Reich“. Diese Nachricht geht auf den Erzbischof Hinkmar von Reims zurück und steht in Verbindung mit jenem Kampf, den der Königssohn Karlmann im Bündnis mit dem Mährerfürsten Rastizlav 861 gegen seinen Vater, König Ludwig den Deutschen, den Herrscher des Ostfränkischen Reiches, begonnen hatte. In diesen Kämpfen riefen Karlmann oder seine mährischen Verbündeten die Ungarn zu Hilfe. Während Erzbischof Hinkmar die neuen Feinde als Ungarn (Ungri) bezeichnet, sprechen die alemannischen Jahrbücher noch von einem „Volk der Hunnen“, das die Christenheit angegriffen habe. Bereits zwei Jahre vorher war der Slawenlehrer Konstantin (Kyrill) auf seinem Weg von der Krim zu den Chazaren einer Gruppe von Ungarn begegnet, die in der Lebensbeschreibung des Heiligen als Ogri bzw. Ugri bezeichnet werden. Erst zwei Jahrzehnte später tauchen die Ungarn in den ältesten Salzburger Jahrbüchern wieder auf. Dort heißt es zum Jahre 881: „Ein erster Kampf mit den Ungarn bei Wien (primum bellum cum Ungaris ad Weniam); ein zweiter Kampf mit den Kabaren bei Culmite“. In dieser zu unrecht angezweifelten Nachricht, die zugleich die erste Nennung Wiens im Mittelalter enthält, wird das getrennte Vorgehen der beiden verbündeten Völker, der Ungarn und der Kabaren, beschrieben. Die turkstämmigen Kabaren hatten sich nach einer Revolte gegen die Chazaren den Ungarn angeschlossen, behielten aber ihre türkische Sprache und traten weiterhin als eigenständiges Volk unter einem eigenen Fürsten auf. Beim Krieg gegen die Bulgaren 895 war Levente, der Sohn Árpáds, das Oberhaupt der drei kabarischen Stämme. Die Ungarn unternahmen im späten 9. Jahrhundert mit den verbündeten Kabaren von Etelköz aus Plünderungszüge, die sie auf byzantinisches Gebiet aber auch ins bayerische Ostland, in das Gebiet der heutigen Länder Niederösterreich, Steiermark und Kärnten, führten. In den abendländischen Quellen werden die Ungarn als äußerst wildes Volk beschrieben und mit den biblischen Völkern Gog und Magog verglichen. Nachdem Bericht des Chronisten Regino von Prüm lebten sie nicht wie Menschen, sondern wie wilde Tiere, nährten sich von rohem Fleisch, verschlangen das Blut und die zerstückelten Herzen ihrer Gefangenen gleichsam als Heilmittel. Sie kannten kein Erbarmen und ließen sich nicht von Gottesfurcht leiten. Auch Otto von Freising und Widukind von Korvey beschreiben die abstoßende Hässlichkeit der fremden Reiter. Ihre Köpfe sind kahl geschoren, ihre Gesichtszüge abstoßend mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Die Ungarn sind klein von Gestalt, bedienen sich einer abscheulichen Sprache und erheben ein durchdringendes Kriegsgeschrei. Damit sind sie eher tierischen Ungeheuern als Menschen ähnlich. Sie gelten als äußerst grausam und habgierig und sind von ihrem Charakter her hinterhältig, meineidig und vertragsbrüchig. Freilich geht dieses immer wieder anzutreffende Klischee nicht auf die Beschreibung der Ungarn selbst zurück, sondern auf die Chronisten Ammianus Marcellinus und Jordanes, die damit die Hunnen charakterisierten. Die Anschuldigung, dass alle männlichen Kriegsgefangenen, die älter als zehn Jahre waren, sofort niedergemetzelt wurden, hat ihren Grund in der Kampftaktik der Ungarn. Ihre Kriegszüge waren auf ein überraschendes Vordringen und reiche Beute ausgerichtet. Sollte die Truppe beweglich bleiben, dann durfte man sich nicht mit Gefangenen belasten, die in entscheidenden Kämpfen noch zum Gegner überlaufen konnten. Nicht umsonst erlitten die Ungarn auf ihren Raubzügen bis 955 Niederlagen nur auf dem Rückzug, wenn sie schwer mit Beute und auch mit weiblichen Gefangenen beladen waren und damit ihre überlegene Schnelligkeit eingebüßt hatten. Der König und spätere Kaiser Arnolf (von Kärnten) bediente sich, als er 892 erneut den Kampf gegen Zwentibald I. von Mähren aufnahm, der Unterstützung einer ungarischen Truppe, die gerade auf einem Streifzug war. Die Zahlenangaben über Arnolfs ungarische Verbündete sind unterschiedlich. Angenommen wird, dass im späten 9. Jahrhundert die Ungarn insgesamt 20.000 Reiter aufbieten konnten, von denen im Jahre 899 etwa 5000 Reiter als Verbündete Arnolfs in Oberitalien kämpften und König Berengar von Italien an der Brenta besiegten. Das Bündnis mit den Ungarn verdunkelt das Andenken Kaiser Arnolfs bis heute. Bischof Liudprand von Cremona lässt ihn wegen dieses „ungeheuren Verbrechens“ einen furchtbaren Tod sterben: „Der Kaiser sei von kleinen Würmern, die man Läuse nennt, so lange gequält worden, bis er seinen Geist aufgab“. Die einhellige Verurteilung Arnolfs entspringt jedoch jener Situation, wie sie erst einige Jahrzehnte später, während der verheerenden Kriegszüge der Ungarn durch ganz Europa gegeben war. Die Ansiedlung im Karpatenbecken und die Zeit „Ungarnstürme“ Als Arnolf von Kärnten 892 sein Bündnis mit den Ungarn einging, waren diese noch in Etelköz ansässig und damit eine relativ weit entfernte Macht. Sie leisteten dem König, der sich nicht nur gegen die Mährer sondern vor allem in Italien auf seine ungarischen Verbündeten stützen konnte, wichtige Dienste. In der Zwischenzeit kam es jedoch zu einer Entwicklung, die niemand voraussehen konnte. Als das ungarische Hauptheer 895 unter der Führung Árpáds auf Anstiften der Byzantiner einen verlustreichen Kriegszug gegen die Bulgaren unternahm, erfolgte der Angriff der aus dem Osten – vielleicht im Bund mit den Bulgaren – vorrückenden Pečenegen. Er traf auf die in Etelköz zurückgebliebenen Teile des ungarischen Volkes, die mit ihren schwachen Streitkräften dem Druck nicht standhalten konnten. Die Mehrheit der Ungarn flüchtete deshalb über die Karpatenpässe nach Siebenbürgen. Árpád hingegen stieß mit dem Hauptheer über den Verecke-Paß ins Karpatenbecken vor und erreichte bei Munkatsch die Tiefebene. Damit begann die Ansiedlung der Ungarn in Siebenbürgen und im Gebiet der oberen Theiß, das zu diesem Zeitpunkt von den Awaren zum Großteil verlassen war. Gruppen von Awaren, die sich bis dahin gehalten hatten und auch archäologisch nachgewiesen werden konnten, sind damals im ungarischen Volk aufgegangen. Bis heute ist es üblich, die Niederlassung im Karpatenbecken als „Ungarische Landnahme“ zu bezeichnen. Dieser Begriff ist schon deshalb nicht ganz zutreffend, weil die Ungarn noch ihre traditionelle halbnomadische Lebensweise bevorzugten, der ein Herrschaftsgebiet mit festen Grenzen nicht entsprach. Außerdem ist der Begriff „Landnahme“, obwohl er immer noch verwendet wird, eher fragwürdig und politisch belastet. Durch die Ansiedlung im Karpatenbecken und in der ungarischen Tiefebene wurden die Ungarn zu unmittelbaren Nachbarn des Ostfränkischen Reiches und damit zu einer ernsten Bedrohung. Jene Truppen, die als Verbündete Arnolfs in Oberitalien gekämpft und König Berengar 899 an der Brenta besiegt hatten, erfuhren bei ihrer Rückkehr vom Tod des Kaisers. Deshalb betrachteten sie die beim Abschluss des Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen als hinfällig und änderten sofort ihre Pläne. Sie verwüsteten das schutzlose Pannonien, das sich von den Einfällen Zwentibalds von Mähren noch kaum erholt hatte, und töteten den mit dem Ostfränkischen Reich verbündeten Fürsten Brazlav von Siscia/Sissek. Erst damit begann jene Phase, in der die Ungarn nicht nur für Italien und das Frankenreich, sondern auch für ihre unmittelbaren Nachbarn in Bayern und Mähren zur „Geisel Gottes“, ja zur Existenzbedrohung wurden. Während orientalische Geschichtsschreiber über eine doppelte Führungsspitze der Ungarn berichten, wie sie auch bei anderen Steppenvölkern üblich war, erwähnen die alemannischen und bayerischen Quellen nur einen sakralen Großfürsten oder König, der als kende oder kündü bzw. rex oder dux bezeichnet wird. Im Verlauf der permanenten Auseinandersetzung luden die Bayern 904 die Ungarn zu einem Gastmahl und töteten dort auf hinterlistige Weise deren Kende Kurszan (Cussal). Damit erlangte Árpád, der noch von den Chazaren zum Heerführer oder Heerkönig der Ungarn eingesetzt worden war, die Alleinherrschaft. Er war der Führer des Stammes der Megyer, dessen Name wahrscheinlich auf die Magyaren, einen altugrischen Stamm, zurückging. Die von Árpád gegründete Dynastie der Arpaden herrschte bis 1301 über Ungarn. Markgraf Luitpold von Bayern, der einige militärische Erfolge bei der Abwehr der Ungarn verzeichnen konnte, stieß an der Spitze eines starken Heeres 907 bis nach Pressburg (Bratislava) in der heutigen Slowakei vor. Dort wurde der bayerische Heerbann am 4. Juli völlig vernichtet, neben dem Markgrafen fielen auch Erzbischof Theotmar von Salzburg, die Bischöfe von Freising und Säben sowie fast der gesamte bayerische Adel. Es folgte die Zeit der „Ungarnstürme“, in der die Ungarn bis 955 fast 50 Kriegszüge nach Westen unternahmen, die sie bis nach Süditalien (Apulien) und Spanien führten. Das rasche Vordringen wurde auch dadurch ermöglicht, dass Herzog Arnolf von Bayern bisweilen Verträge mit den Ungarn schloss, die ihnen einen freien Durchzug gegen die Schonung des Landes zusicherten. Verantwortlich dafür, dass sich die Raubzüge der Ungarn fast ausschließlich nach Westen und Süden richteten, waren der Niedergang des Ostfränkischen Reiches nach dem Tode Kaiser Arnolfs (899) und die Uneinigkeit der Fürsten. Beutezüge der Ungarn gegen das Byzantinische Reich, darunter 934 ein Vorstoß auf Konstantinopel, schlugen hingegen fehl. König Heinrich I. (919-1024), der Begründer der Dynastie der Ottonen, nützte einen längeren Waffenstillstand mit den Ungarn zum Bau von Burgen und zur Aufstellung einer schlagkräftigen Reitertruppe. Bei Riade an der Unstrut gelang 933 ein erster Abwehrerfolg gegen die angreifenden Ungarn, der im ganzen Reich gefeiert und auch bildlich dargestellt wurde. Trotzdem gingen die ungarischen Raubzüge weiter. Der Königssohn Liudolf entfachte 953 einen großen Aufstand gegen seinen Vater Otto den Großen (936 – 973). Als 954 erneut die Ungarn einfielen, verbündete er sich mit ihnen, musste sich aber bald darauf dem Vater unterwerfen. Während die Ungarn 955 mit einem großen Heer Augsburg belagerten, stellte sie König Otto auf dem Lechfeld zum Kampf. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erzielte der König, der selbst die heilige Lanze voran trug, einen vollständigen Sieg. Die ungarischen Heerführer Bulcsu und Lél, die Otto der Große als Räuber und Plünderer betrachtete, wurden gehenkt. Mit dieser entscheidenden Niederlage hörten die Raubzüge der Ungarn auf und auch dieses Steppenvolk geriet, von inneren Kämpfen geschwächt, in eine Existenzkrise, ähnlich wie Hunnen und Awaren in früheren Jahrhunderten. Christianisierung und Festigung des Königtums Großfürst Géza (970/72-997) sandte 973 eine Gesandtschaft an den Hof Kaiser Ottos II. und bat ihn um die Entsendung christlicher Missionare. Sein Sohn Vajk wurde auf den Namen Stephan getauft und mit der bayerischen Herzogstochter Gisela, der Schwester des späteren Kaisers Heinrich II., vermählt. Nach dem Tod des Vaters konnte sich Stephan (997 – 1038) erst in langen Kämpfen als Herrscher durchsetzen. Eine Adelspartei, die am Prinzip der Senioratsthronfolge, der Nachfolge des ältesten Vertreters der Dynastie, festhielt, wollte Stephans Onkel Koppány, den Fürsten von Somogy, als Herrscher durchsetzen. Stephan statuierte nach seinem Sieg ein grausames Exempel an diesem Gegner. Auch Ajtony, den Fürsten der „Schwarzen Ungarn“ konnte Stephan in schweren Kämpfen besiegen. Es ging dabei nicht nur um die Thronfolge, sondern auch um den Widerstand breiter Bevölkerungsschichten gegen die christliche Mission. Nachdem die Verhältnisse im Inneren konsolidiert waren, wurde Stephan zu Weihnachten 1000 (1001) zum König gekrönt. Nominell stand er unter der Oberhoheit Kaiser Ottos III., de facto war er aber völlig unabhängig. Papst Silvester II. übersandte ihm eine Krone, die sich – wenn überhaupt – in der „Stephanskrone“ in ihrer heutigen Form nur teilweise erhalten hat. Trotzdem sollte gerade die Krone für Ungarn in doppelter Hinsicht Bedeutung gewinnen: Einmal symbolisierte sie die enge Bindung an das Papsttum, mit deren Hilfe die ungarischen Könige eine Einbeziehung in das Reich und eine Unterstellung unter das Kaisertum, wie sie in Böhmen der Fall war, auf Dauer verhindern konnten. Zum andern wurde die Stephanskrone zum Symbol der Reichseinheit. Die vielen verschiedenen ethnischen Gruppen, Stämme und Völker, die unter der Herrschaft der Arpaden vereinigt wurden, galten als „die Länder der Stephanskrone“. Deshalb genießt diese Krone in Ungarn noch heute einen besonderen Stellenwert. Zugleich mit seiner Königskrönung nahm Stephan den Aufbau einer Kirchenorganisation in Ungarn in Angriff. Es entstanden zwei Kirchenprovinzen mit den beiden Erzbistümern Gran (Esztergom) und Kalocsa. Mit der durchgreifenden Christianisierung war Ungarn endgültig in die Familie der christlichen Völker Europas aufgenommen worden. Daran vermochte auch die Schwächeperiode nach dem Tod König Stephans I. „des Heiligen“ (1038) nichts zu ändern. Da Stephans Sohn Emerich 1031 einem Jagdunfall zum Opfer gefallen war, hatte der König seinen Neffen Peter, den Sohn des venezianischen Dogen Otto Orseolo, zu seinem Nachfolger bestimmt. Die Thronkämpfe und inneren Unruhen, die nach Stephans Tod ausbrachen, führten zu heftigen Kämpfen und zu wiederholten Kriegszügen Kaiser Heinrichs III., der allerdings nur kurzzeitig (1043) eine Lehenabhängigkeit Ungarns vom Reich durchzusetzen vermochte. Diese lang andauernde Krise wurde erst durch die Könige Ladislaus I. „der Heilige“ (1077 – 1095) und dessen Neffen Koloman (1095 – 1116) überwunden. Die Angriffe der aus dem Osten nachrückenden Steppenvölker, der Pečenegen, Uzen und Kumanen, konnten abgewehrt werden. Ladislaus annektierte Slawonien und besetzte nach dem Ende der kroatischen Herrscherdynastie deren Land. Sein Nachfolger Koloman empfing 1106 die Huldigung der dalmatinischen Städte, ließ sich zum König von Kroatien krönen und setzte dort einen Banus als Statthalter ein. Seit dieser Zeit war das „dreieinige Königreich“ (regnum tripartitum) Kroatien, Dalmatien und Slawonien fest mit Ungarn verbunden. Das größte Problem Ungarns bestand in seiner heterogenen Bevölkerungsstruktur. Außer den einzelnen ungarischen Stämmen lebten auch ehemals eigenständige Völker wie Kabaren, Chalizen, Pečenegen, Székler und andere im Königreich. Sie verfolgten ihre eigenen Interessen und waren leicht zu Aufständen geneigt. Dazu kamen seit der Regierung König Gézas II. (1141–1162) auswärtige Siedler, vor allem Wallonen und Deutsche, die zur Verbesserung der Landwirtschaft und zur Förderung des Bergbaus unter besonders günstigen rechtlichen Bedingungen in Ungarn angesiedelt wurden. Nachdem König Andreas II. (1205– 1235) in der „Goldenen Bulle“ (1222) und einer Reihe weiterer Gesetze die Vorrechte des Adels, des Klerus und der Siebenbürger Sachsen garantiert hatte, kam es unter König Bela IV. (1235–1270) zur großen Krise. Die Aufnahme der Kumanen, die vor dem Ansturm der Mongolen in Ungarn Zuflucht suchten, bot den Anlass zur Eroberung Ungarns durch die Mongolen (1241). Mit der Flucht des Königs auf die Insel Trogir vor der dalmatinischen Küste schien auch das Ende des Königreichs gekommen. Literatur: Thomas von Bogyay, Lechfeld, Ende und Anfang. Geschichtliche Hintergründe, Ideeller Inhalt und Folgen der Ungarnzüge, München 1955. Thomas von Bogyay, Grundzüge der Geschichte Ungarns, Darmstadt 3 1977. Thomas von Bogyay, Stephanus Rex. Versuch einer Biographie, Wien-München 1975. Josef Déer, Die heilige Krone Ungarns, (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), Graz-Wien 1966. 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Willibald Katzinger und Gerhart Marckhgott (Red.), Bayern, Ungarn und Slawen im Donauraum (Forschungen zur Geschichte und Märkte Österreichs 4), Linz 1991. András Kubinyi und József Laszlovszky (Hg.), Alltag und materielle Kultur im mittelalterlichen Ungarn, Krems 1991. Szabolcs de Vajay, Der Eintritt des ungarischen Stämmebundes in die europäische Geschichte 862-933, Mainz 1968.