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Das Identitäts-Defizit der Europäischen Union

Die gemeinsame europäische Identität ist in der Europäischen Union noch nicht so sehr verankert, wie es gewünscht wäre. Während man von den USA mittlerweile als einheitliches Land[1] spricht und sich die Bürger allgemein als "Amerikaner" bezeichnen, verweisen EU-Bürger auf sich nicht als "Europäer", sondern bezeichnen die Herkunft eher mit dem jeweiligen Nationalstaat. In den USA hingegen ist diese Identität nicht an den Bundesstaat gebunden.[2]. Dass eine gemeinsame Identität aber wichtig für ein Bestehen der europäischen Union ist, wird unlängst durch den "Brexit" klar [3]. Im fehlenden Glauben an die Notwendigkeit und die Arbeit der Union, tritt einer der längsten Mitgliedstaaten aus der EU aus.

Europäische Identität

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Flagge der europäischen Union

Als europäische Identität wird das Bewusstseins bezeichnet, dass sich die Bürger Europas allgemein als Europäer begreifen. Damit einhergehend sind eine bejahende Haltung zur gemeinsamen Identität [4] („Wir-Gefühl“) und das Zusammenleben aller Menschen und Völker Europas [5] im Sinne einer Gemeinschaft. Sie also an die Idee von Europa geknüpft. Eng mit dem Identitätsbegriff verbunden, ist der des Bewusstseins. Ein "europäisches Bewusstsein" entsteht, sobald ein europäisches Projekt realisiert wird, welches an die Idee gleichsam umsetzt. Grundsätzlich ist es jedoch schwer, beide Begriffe voneinander abzugrenzen. In Zusammenhang mit einer europäischen Identität, werden oft Verträge, die Aufhebung von Zöllen und der Euro als die Währung einer Union genannt. Alles Gemeinsamkeiten, welche zu einem Gemeinschaftsgefühl verhelfen sollen.

Zur Entstehung und Festigung einer kollektiven Identität, sind vorwiegend drei Elemente entscheidend: eine gemeinsame Geschichte [6], geteilte kulturelle Grundlagen und übereinstimmende Werte. Die Identität ist jedoch keine feste Größe, sie unterliegt ständigem Wandel und befindet sich im Austausch mit unterschiedlichen Kulturen. Zudem konkurriert sie ständig mit weiteren Identitäten, meist auf nationaler und regionaler Ebene. Das Bewusstsein einer Identität entsteht erst durch die Konfrontation mit dem Anderen. Beim Aufbau einer gemeinsamen europäischen Identität, gehört also auch der Blick nach außen dazu: Was unterscheidet die eigene mit den Identitäten der üblichen Kontinente?

Die geschichtliche Gemeinsamkeit zieht sich beispielsweise durch die griechisch-römische Antike, die Aufklärung und den christlich-jüdischen Glaubensrichtungen. Wobei die Geschichte von den Nationen zu unterschiedlich empfunden wird. Wissenschaftler erachten es hierrbeir als nützlicher, sich über gemeinsame Erinnerungen zu verständigen. Die Kultur umfasst Musik, Schrifttum und bildende Künste. Am wichtigsten für die gemeinsame Identität sind aber die Werte. Diese zeichnen sich aus durch die bürgerlichen Freiheiten: Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Hier beginnend, setzten sie sich fort im Wunsch nach Frieden, sozialer Gerechtigkeit und der Wahrung der Menschenrechte [7].[8] Diese Werte sind auch verankert in der "Erklärung zur europäischen Identität", verfasst 1973 von den damals neuen Mitgliedstaaten.

Der Kern der europäischen Identität besteht aus drei Komponenten:

  1. Demokratie, direkt oder repräsentativ
  2. Menschenrechte und ihre universale Gültigkeit
  3. Instanz der Rechtssprechung zur Klärung von Wahrheitsfragen außerhalb des Religiösem

Daraus ergeben sich die oben genannten leitenden Werte, wie die politische Gleichheit der Bürger, die individuelle und politische Freiheit und die menschengemachte Ordnung des Zusammenlebens inklusive ihrer Gesetze. Aber auch der rationale Diskurs in der Öffentlichkeit und die Verbindlichkeit der vernunftgestützten Argumentation als Kriterium für Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit.[9]

Sichtweise der Bürger

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Die EU-weite Umfrage "Parlameter 2016" [10], liefert aufschlussreiche Ergebnisse über die Einstellungen der Bürger*innen hinsichtlich der Europäischen Union:

  • Im Zusammenhang mit den erwähnten grundlegenden Aspekten der europäischen Identität lässt sich feststellen, dass vor allem im Euro-Währungsraum deutlich weniger Befragte die Einheitswährung als wesentlichen Aspekt dieser Identität empfinden (33 %). Ein Rückgang von 6% hinsichtlich des Vorjahres 2015. [11] Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Europäische Union als Wirtschaftsgemeinschaft keine sonderlich fördernden Beiträge zu einer gemeinsamen Identität liefert.
  • 60% aller Befragten sehen die EU-Mitgliedschaft als förderlich für das eigene Land, mit einem einheitlichen Sozialsystem würden sich aber 46% stärker als Unionsbürger fühlen. [12]
  • Generell haben die Europäer den Eindruck, dass die eigene Stimme - sowohl auf einzelstaatlicher, als auch europäischer Ebene - immer weniger zählt. Die eigene Stimme wird jedoch im Nationalstaat als wichtiger erachtet (im Schnitt 53%, Rückgang -10), als auf Unionsebene (37%, -2).
  • Hinsichtlich der Entwicklung, herrscht ebenfalls ein zunehmend pessimistisches Bild. 54% empfinden in der EU eine "Entwicklung in die falsche Richtung (+13). Im eigenen Land steigt der Schnitt auf 58% (+14).

Die EU als reine Wirtschaftsgemeinschaft

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Der Althistoriker Egon Flaig definiert die Europäische Union 2014 als Wirtschaftsgemeinschaft. Das Zusammenwachsen der Länder und eine gemeinsame europäische Identität sei dadurch nicht möglich. In der Wirtschaft tritt der Mensch nicht als Bürger, sondern als Homo oeconomicus - ein Wirtschaftssubjekt - auf. Durch diese Position sind die Bürger und somit auch die einzelnen Nationen Konkurrenten.[13]

Im Gegensatz zur USA ist die EU keine Föderation, oder eine Gemeinschaft für die Zusammenarbeit von Regierungen wie die UNO. Der erste Schritt zur heutigen Union ist die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zur gemeinsamen Verwaltung von Gütern. In den 1950er Jahren änderte sich der Zusammenschluss zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Eine gezielte wirtschaftliche Verflechtung sollte zukünftige militärische Konflikte verhindern und den Wohlstand der Bürger*innen, durch einen größeren Markt, steigern. Somit steht der Wirtschaftsfaktor seit Beginn im Zentrum der Europäischen Union, nicht etwa die Einung der Völker.[14]

Um weg von einer Wirtschaftsgemeinschaft und hin zu einer gemeinsamen europäischen Nation zu kommen, benötigt es andere Ansätze. In ihrer jetzigen Fassung bleibt die Europäische Union ein Zusammenschluss aus einzelnen Nationalstaaten. Diese agieren für sich und nicht als kollektive Gemeinschaft. Um dies zu ändern, müssten die einzelnen Nationen jedoch ihre Souveränität abgeben. Mit Volksentscheiden - um allen einen Stimme zu geben - müsste anschließend über eine gemeinsame europäische Verfassung abgestimmt werden. Somit hören die Nationen auf, eine eigene zu sein und bilden zusammen eine einzige europäische Nation. Momentan erfolgt die Regelung innerhalb der EU nur mit Verträgen.[15]


Demokratiedefizit in der Europäischen Union

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Das Demokratiedefizit der Europäischen Union bezeichnet die Einschätzung, dass die Europäische Union nicht ausreichend demokratisch legitimiert sei[16]. Dies wird einerseits erklärt, durch das Fehlen eines europäischen Staatsvolkes, also ein "strukturelles Demokratiedefizit". Andererseits, wird auf ein "funktionales Demokratiedefizit" bezogen. Hierbei handelt es sich um Mängel im politischen System der Europäischen Union. Hinweise auf ein Demokratiedefizit finden sich auch in den Ergebnissen der Parlameter-Umfrage, das das Vertrauen in die Europäische Union tendenziell sinkt.

Unterschiede im Einheitsverständnis EU und USA

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Der Europäischen Union fehlt eine Verfassung um die Nationen auch politisch zu einen. Hingegen die Gründung der USA auf der Erstellung einer gemeinsamen Verfassung, der Bill of Rights, beruht. Zwar haben die Bunesstaaten noch das Recht, gewisse von der Verfassung nicht bestimmte, Gesetze selbst zu bestimmen[17], im Wesentlichen handelt es sich aber um eine generelle Justiz.

Dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger*innen Amerikas ein engeres ist, zeigt sich auch in ihrer Sprache.Die Bezeichnung ‚United States‘ wurde zunächst noch als Plural behandelt: the United States are. Somit beschrieb sie eine Ansammlung unabhängiger Staaten. Nach dem Ende des Bürgerkriegs (1865) wurde es in den Vereinigten Staaten allerdings normal, die Bezeichnung als Singular zu behandeln, also: the United States is. Abgesehen von stilistischen Gründen in Reden und Literatur („diese Vereinigten Staaten“), ist der Singular üblich[18] Dieser Unterschied ist mehr als nur eine Freiheit der Wortwahl, sondern spiegelt den Unterschied zwischen einer Ansammlung von Staaten und einer Einheit wider.[19]

 
Ronald Reagans Wahlkampfspruch 1980

Donald Trump bestritt 2016 den Wahlkampf mit dem Slogan Make America Great Again um zu zeigen, dass er sich um die gesamten Staaten kümmert, nicht nur um einzelne Regionen innerhalb der USA. So spricht er die USA als Ganzes an, als eine Einheit. Hillary Clinton versucht ähnliches mit ihrem Wahlspruch Stronger Together.[20] Aber auch zuvor setzten viele in ihren Kampagnen auf das Einheitsgefühl als Siegesinstrument. Ronald Reagan warb 1980 beispielsweise mit Let's make America great again. Hier einen genauen Vergleich zu Europa und der EU zu ziehen, ist insofern nicht möglich, da die Europäische Union keinen einheitlichen Präsidenten als solches besitzt. Allgemein als "EU-Präsident" bezeichnet wird der Präsident des Europäischen Rates oder der Präsident der Europäischen Kommission. Für beide Positionen gibt es allerdings - im Gegensatz zur Präsidentschaft der USA - keine öffentliche Wahlen. Der Ratspräsident wird für eine Dauer von zwei Jahren direkt vom Europäischen Rat ernannt; über die fünfjährige Position des Kommissionspräsidenten bestimmen der EU-Rat und das Europäische Parlament. Das Europäische Volk hat somit keinen wirklichen Einfluss darüber, wer an der Spitze der EU steht.

Erkennbar ist aber, dass in nationalen Wahlen versucht wird, die Bürger*innen anzusprechen, indem man sich auf das Geschehen innerhalb der Staatsgrenzen konzentriert - prinzipiell egal, ob EU-nahe Partei oder nicht. Während der Bundespräsidentschaftswahl 2016 in Österreich zielten zum Beispiel sowohl Norbert Hofer als auch Alexander van der Bellen auf das Nationalgefühl ab. Van der Bellen warb mit "Heimat", im Hintergrund die Berge Tirols. Hofer mit: "Aufstehen für Österreich. Deine Heimat braucht dich jetzt." [21] Das Leben in einem gemeinsamen Europa war bei keinem der Kandidaten ein vorrangiges Thema, lediglich eines in einem gemeinsamen Österreich.

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. G. H. Emerson, The Universalist Quarterly and General Review, Vol. 28 (Jan. 1891), S. 49
  2. Artikel "Amerikas Identität" vom 1. Oktober 2004, auf https://sezession.de/7411/amerikas-identitaet.html , abgerufen am 3.7.2017
  3. Andreas Schnauder: "Österreich muss für Brexit besonders tief in die Tasche greifen". Der Standard, 26. März 2017, abgerufen am 30.7.2017
  4. Siehe hierzu auch: Kollektive Identität und das Fremde (Oswald Schwemmer)
  5. Übersicht zur Geschichte, Vielschichtigkeit und Dynamik des Europabegriffs siehe: Dominik Kremer: Der Europabegriff auf außereuropäischen Webseiten. Ein Vergleich des semantischen Kontextes ausgewählter Domains mithilfe rechnergestützter Textanalysemethoden. Dort: Kapitel 2: Sichtweisen auf Europa. Diplomarbeit im Studiengang Geografie, Bamberg 2007, Pdf-Datei im Portal uni-bamberg.de, abgerufen am 24. September 2013
  6. Anna Pollmann: "Doing Europe – Europas Suche nach einer kollektiven Identität". Artikel vom 22. Mai 2005 im Portal d-a-s-h.org des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (München), abgerufen am 20. Oktober 2012.
  7. Artikel Europäische Werte vom 20. Dezember 2011 im Portal bpb.de der Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 28.7.2017
  8. Britta Busse: Das europäische Bewusstsein in der öffentlichen Debatte. Beiträge aus Politik, Administrytion, Presse, Wissenschaft und von Bürgern. Universität Konstanz 2016, S.2 ISBN 1616-0398
  9. Der Standard Interview mit Egon Flaig vom 18.März 2015 abgerufen von http://derstandard.at/2000015939696/Historiker-Flaig-Mehr-der-Antike-verpflichtet-als-dem-Christentum am 31.7.2017
  10. Jacques Nancy: "Parlameter 2016, Refarat Beobachtung der öffentlichen Meinung". EPRS, Europäische Union 2016, http://www.europarl.europa.eu/pdf/eurobarometre/2016/parlemetre/eb86_1_parlemeter_synthesis_de.pdf.
  11. Jacques Nancy: "Parlameter 2016, Refarat Beobachtung der öffentlichen Meinung". EPRS, Europäische Union 2016, S. 38. http://www.europarl.europa.eu/pdf/eurobarometre/2016/parlemetre/eb86_1_parlemeter_synthesis_de.pdf.
  12. Jacques Nancy: "Parlameter 2016, Refarat Beobachtung der öffentlichen Meinung". EPRS, Europäische Union 2016, S. 40f. http://www.europarl.europa.eu/pdf/eurobarometre/2016/parlemetre/eb86_1_parlemeter_synthesis_de.pdf.
  13. Der Standard Interview mit Egon Flaig vom 18.März 2015 abgerufen von http://derstandard.at/2000015939696/Historiker-Flaig-Mehr-der-Antike-verpflichtet-als-dem-Christentum am 31.7.2017
  14. für eine ausführlichere Darstellung siehe Artikel zur Europäischen Union
  15. Interview mit Egon Flaig Europäische Identität: nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Deutschlandradio, Köln 2014, online: http://www.deutschlandfunkkultur.de/europaeische-identitaet-nur-eine-wirtschaftsgemeinschaft.1008.de.html?dram:article_id=283838 abgerufen am 26.7.2017
  16. Johannes Pollak: Repräsentation ohne Demokratie. Springer, Wien 2007, S. 22. ISBN 978-3-2116-9915-7
  17. siehe [|10. Artikel der Bill of Rights]
  18. Benjamin Zimmer: Life in These, Uh, This United States. University of Pennsylvania—Language Log. 24. November 2005. Abgerufen am 5. Januar 2013..
  19. G. H. Emerson, The Universalist Quarterly and General Review, Vol. 28 (Jan. 1891), S. 49, quoted in Zimmer paper above.
  20. siehe Artikel https://www.washingtonpost.com/politics/how-donald-trump-came-up-with-make-america-great-again/2017/01/17/fb6acf5e-dbf7-11e6-ad42-f3375f271c9c_story.html?utm_term=.484c9cc35521 abgerufen am 25.08.2017
  21. siehe http://www.linza.at/wp-content/uploads/2016/03/Plakatmix-770x380.jpg
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