Binomische Formeln/Abhängigkeit/Mathematische Argumentation/Motivation/Textabschnitt
Aus der Schule sind sicherlich die binomischen Formeln bekannt, also die Beziehungen
und
Wir stellen uns die folgenden Fragen.
- Für welche gelten diese Formeln?
- Gibt es eine Beziehung zwischen ihnen?
- Wie wichtig bzw. wie grundlegend sind sie?
- Welche Anwendungen haben diese Formeln?
- Wie intuitiv sind diese Formeln?
- Warum gelten diese Formeln, worauf beruhen sie, wie kann man sie begründen?
- Kann man die Gültigkeit der Formeln in einem bestimmten Zahlbereich auf die Gültigkeit der Formeln in einem kleineren Zahlbereich zurückführen?
Was fällt uns dazu ein?
- Vermutlich kann man sich an keine Einschränkung erinnern, die Formeln gelten für alle „Zahlen“, also für natürliche Zahlen, ganze Zahlen, rationale Zahlen, reelle Zahlen. Dennoch kann es große Unterschiede geben, wie man jeweils die Gültigkeit der Formeln beweist. Etwas sonderbar ist allerdings schon, dass man die zweite binomische Formel explizit formuliert, wenn die erste für beliebige ganze Zahlen gilt.
- Denn dann kann man ja das in der zweiten binomischen Formel als
schreiben und erhält unter Verwendung von einfachen Rechengesetzen für
- Sie kommen häufig in der Schule vor, doch welche Schlussfolgerung kann man daraus ziehen? Vielleicht sind ja eigentlich wichtigere Sachen für die Schüler und Schülerinnnen (oder die Lehrer und Lehrerinnen) zu schwierig? Keine Panik, so ist es nicht, man kann viel über die Gewichtung von Schulstoff diskutieren, aber völlig abwegig ist die Stoffauswahl nicht. Eine andere Frage ist die nach grundlegend. Wir haben gerade gesehen, dass man die zweite binomische Formel auf die erste binomische Formel zurückführen kann. Vielleicht stecken grundlegendere Sachverhalte hinter diesen Formeln? (Siehe 6.)
- Die binomischen Formeln haben eine Vielzahl von Anwendungen. Da ist zunächst die Anwendung bei der Multiplikation von natürlichen Zahlen und speziell beim Quadrieren. Beispielsweise berechnet man
oder
Weiterhin spielt es beim quadratischen Ergänzen bzw. dem Lösen quadratischer Gleichungen eine herausragende Rolle. Es verallgemeinert sich auf allgemeinere algebraische Strukturen (kommutative Halbringe) und auf höhere Potenzen, also Ausdrücke der Form , siehe die allgemeine binomische Formel.
- Die erste binomische Formel kann man sich einfach durch Flächeninhalte wie im Bild veranschaulichen.
Dies erfordert natürlich Grundkenntnisse über Flächeninhalte von Rechtecken, was letztlich mathematisch ein deutlich schwierigeres Konzept als das rein arithmetisch-algebraische Konzept der binomischen Formel ist. Es ist eine wichtige Bemerkung und ein Lernziel im Mathematikstudium, dass man das Intuitiv-anschauliche vom Logisch-mathematischen trennen und ihre jeweilige Bedeutung einordnen kann. Beides ist wichtig. Für das mathematische Argumentieren ist aber das zweite das entscheidende.
- Die binomischen Formeln
(und zwar alle drei)
sind in allen Rechenbereichen, in denen sie gelten, Spezialfälle des Distributivgesetzes und des Kommutativgesetzes für die Multiplikation. Ersteres besagt für beliebige Zahlen die Gleichheit
und letzteres besagt
Unter Verwendung dieser beiden Regeln kann man die erste binomische Formel durch (wir verwenden schon die Regel Punktrechnung vor Strichrechnung, um Klammern zu sparen)
erhalten. Es ist eine wichtige Zielsetzung des Mathematikstudiums, die Abhängigkeiten und Hierarchien zwischen mathematischen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu klären. Für die natürlichen Zahlen gelten die binomischen Formeln genauso wie das Distributivgesetz und das Kommutativgesetz. Letztere sind aber grundlegender, da man aus ihnen die binomischen Formeln ableiten kann. Ein tiefes Verständnis für die Hierarchien zwischen mathematischen Sachverhalten wird erst im begriffsorientierten axiomatischen Aufbau der Mathematik möglich.
Diese logischen Hierarchien haben auch einen großen Einfluss auf die Didaktik der Mathematik: das Distributivgesetz ist wichtiger als die binomischen Formeln und es sollte im Schulunterricht mindestens so breit behandelt werden wie diese (Schlüsse von der logischen Hierarchie auf die didaktische Gewichtung sind nie zwingend; es kann auch Gründe geben, didaktisch anders zu verfahren, und das Distributivgesetz durch die binomischen Formeln zu motivieren, etc.).
- Über die Beziehung zwischen natürlichen und ganzen Zahlen haben wir schon gesprochen. Gehen wir davon aus, dass die binomischen Formeln für die ganzen Zahlen schon bekannt sind. Wir hätten die binomischen Formeln gern für die Brüche, also für rationale Zahlen. Wir schreiben die beteiligten rationalen Zahlen als
und erhalten, unter Verwendung von grundlegenden Rechenregeln für Brüche, die Gleichheiten
also die erste binomische Formel. Der Übergang von nach ist deutlich schwieriger.