Kurs:Analysis I/Kapitel I: Das System der reellen und komplexen Zahlen/Der n-dimensionale Zahlenraum (§4)

Definition 1 Bearbeiten

Sei eine natürliche Zahl. Das kartesische Produkt
bezeichnen wir als -dimensionalen reellen Zahlenraum. Ein Punkt ist ein geordnetes -Tupel reeller Zahlen. Das ausgezeichnete Element heißt Nullelement bzw. Nullvektor. Seien weiter und , so erklären wir durch
(1)
eine Addition und durch
(2)
eine skalare Multiplikation.

Bemerkungen Bearbeiten

1. Für zwei Punkte gilt:

für .

2. Für beliebige sind und . Somit wird aufgrund der Eigenschaften von als Körper der Raum zusammen mit den Verknüpfungen (1) und (2) zu einem -dimensionalen Vektorraum über .

Definition 2 Bearbeiten

Seien zwei Vektoren, so erklären wir deren Skalarprodukt (auch inneres Produkt genannt) durch
(3)
und den Betrag bzw. die Norm (euklidische Norm oder 2-Norm) des Vektors durch
(4) .

Bemerkung Bearbeiten

Es gilt .

(Eigenschaften der Norm ||•|| in einem Vektorraum V über einem Körper K sind Nichtnegativität, Definitheit, absolute Homogenität, Subadditivität)

Definition 3 Bearbeiten

Zwei Vektoren heißen zueinander orthogonal (symbolisch: ), falls gilt.

Satz 1 Bearbeiten

Für alle gelten die folgenden Ungleichungen
(5) ,
(6) (Dreiecksungleichung),
(7) .

Beweis von (5) Bearbeiten

Seien . Mit Hilfe der Ungleichung von Cauchy-Schwarz erhalten wir:

.

Durch Wurzelziehen erhalten wir die Behauptung.

Beweis von (6) Bearbeiten

Wir berechnen

und Radizieren liefert die Behauptung.

Beweis von (7) Bearbeiten

Es gilt einerseits

also . Andererseits haben wir

also . Es folgt schließlich (7)

q.e.d.

Unter einer Punktfolge im verstehen wir – wie üblich – die Abbildung , welche wir zu abkürzen. Eine Teilfolge dieser Punktfolge

wird gegeben durch die aufsteigende Auswahl der Indices

.

Wir sprechen von einer beschränkten Punktfolge, wenn es eine Schranke so gibt, dass für alle erfüllt ist.

Definition 4 Bearbeiten

Eine Punktfolge heißt konvergent genau dann, wenn es ein gibt, so dass
(8)
gilt. Der Punkt heißt Grenzpunkt der Folge und ist eindeutig bestimmt. Wir schreiben oder .

Hilfssatz 1 Bearbeiten

Sei   mit  , eine Punktfolge und   ein Punkt. Dann gilt   genau dann, wenn   für   richtig ist.

Beweis Bearbeiten

 “: Gilt  , so folgt wegen

  für   und alle  

die Relation   für  .

 “: Gilt   für  , so haben wir

 .

Wegen der Ungleichung

 
  für alle  

folgt schließlich  .

q.e.d.

Definition 5 Bearbeiten

Eine Punktfolge   heißt Cauchy-Folge (oder auch in sich konvergente Folge) genau dann, wenn die folgende Aussage richtig ist: Zu jedem   gibt es eine natürliche Zahl  , so dass   für alle   erfüllt ist.

Hilfssatz 2 Bearbeiten

Es ist   eine Cauchy-Folge genau dann, wenn   eine Cauchy-Folge ist für  .

Satz 2 (Cauchysches Konvergenzkriterium im ) Bearbeiten

Eine Punktfolge ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy-Folge ist.

Beweis Bearbeiten

Mit den Hilfssätzen 2 und 3 können wir das Cauchysche Konvergenzkriterium in   (Satz 3 aus §3) auf den   übertragen:

  ist Cauchy-Folge
  ist Cauchy-Folge für  
  ist konvergent in   für  
  ist konvergent in  

Satz 3 (Weierstraßscher Häufungsstellensatz im ) Bearbeiten

Sei   mit  ,  , eine beschränkte Folge, d. h. es gibt eine reelle Zahl  , so dass   für alle   richtig ist. Dann gibt es eine Teilfolge   und ein  , so dass   gilt.

Beweis Bearbeiten

Für   haben wir den Weierstraßschen Häufungsstellensatz in   (Satz 4 aus §3) bereits gezeigt. Sei nun   beliebig und

 

gesetzt, so erhalten wir

 .

Dabei ist   eine Punktfolge im  . Wir haben dann die Abschätzung

 

und somit

  sowie   für alle  .

Es sind also   und   beschränkte Punktfolgen. Gelte nun die Aussage von Satz 3 bereits für  . Dann können wir eine Teilfolge   und ein   so finden, dass   bzw.

  für  

richtig ist. Wegen   für alle   haben wir   für alle   und nach dem Weierstraßschen Häufungsstellensatz in   finden wir wiederum eine Teilfolge

 

und ein  , so dass

 

erfüllt ist. Wegen

  für  

folgt

  für  .

Es gilt also

 

und wir haben die Aussage für   bewiesen.

q.e.d.

Definition 6 Bearbeiten

Seien   und   beliebig gewählt, so wird durch
(9)  
die offene Kugel (Offene Menge) im   vom Radius   um den Mittelpunkt   definiert. Wählen wir den Radius   (im allgemeinen hinreichend klein), so sprechen wir auch kurz von der  -Umgebung des Punktes  .

Bemerkungen Bearbeiten

Wegen der englischen Bezeichnung Ball für eine Kugel verwendet man oft auch die Abkürzung  . Wenn keine Verwechslungen zu befürchten sind, lässt man ggf. bei den Kugeln den Mittelpunkt 0 und den Radius   als normal weg, also ergibt sich   sowie   für die offene Einheitskugel um den Nullpunkt. Die Dimension   des umgebenden Raumes ist aus dem Zusammenhang ersichtlich.

Definition 7 Bearbeiten

Sei  . Dann nennen wir die Menge
 
das Komplement der Menge  .

Definition 8 Bearbeiten

Sei   eine Punktmenge.
(a) Ein Punkt   heißt Häufungspunkt von  , wenn es zu jedem   einen Punkt   gibt, der auch   erfüllt.
(b) Ein Punkt   heißt Randpunkt von  , wenn es zu jedem   Punkte   gibt, so dass   und   richtig sind.
(c) Ein Punkt   heißt isolierter Punkt von  , wenn   kein Häufungspunkt von   ist.
(d) Ein Punkt   heißt innerer Punkt von  , wenn es ein   mit der Eigenschaft   gibt.

Definition 8 Bearbeiten

(e) Eine Menge   heißt offen, falls jeder ihrer Punkte ein innerer Punkt ist.
(f) Eine Menge   heißt abgeschlossen, wenn für jeden Häufungspunkt   von   gilt, das   ist.
(g) Eine Menge   heißt beschränkt, falls eine reelle Zahl   existiert, so dass   für alle   richtig ist.

Definition 9 Bearbeiten

Sei die Menge   gegeben.
(h) Die Menge
 
nennen wir den offenen Kern oder auch das Innere der Menge  .
(i) Die Menge
 
heißt abgeschlossene Hülle bzw. Abschluss von  .
(j) Die Menge
 
nennen wir den topologischen Rand von  .

Hilfssatz 3 Bearbeiten

Sei  . Ein Punkt   ist genau dann Häufungspunkt von  , wenn es eine Folge   gibt mit  .

Beweis Bearbeiten

 “: Sei   Häufungspunkt von  . Dann gibt es für jedes   einen Punkt   mit  . Wir erhalten also eine Folge   mit   für alle   und damit  .

 “: Sei   eine Folge mit  , so existiert zu jedem   ein  , so dass  . Wir finden also einen Punkt   mit  . Somit ist   ein Häufungspunkt von  .

Hilfssatz 4 Bearbeiten

Eine Menge   ist genau dann abgeschlossen, wenn für jede konvergente Folge   die Aussage   richtig ist.

Hilfssatz 5 Bearbeiten

Sei die Menge   gegeben. Dann gilt:
(a)   ist abgeschlossen   ist offen.
(b)   ist offen   ist abgeschlossen.

Beweis Bearbeiten

Es genügt jeweils nur die Richtung „ “ zu zeigen, denn wegen   folgt auch „ “.

(a) Sei   abgeschlossen. Wäre nun   nicht offen, dann gäbe es einen Punkt   mit der Eigenschaft, dass für jedes   gilt:  . Also gibt es ein   mit   bzw.  . Damit ist   Häufungspunkt von  . Da   abgeschlossen ist, muss   sein, im Widerspruch zu  .

(b) Sei   offen. Wir betrachten eine beliebige konvergente Punktfolge

  mit  .

Es muss dann   sein, denn wäre  , dann gäbe es ein   mit   und damit   für alle  , im Widerspruch zu  . Folglich ist   abgeschlossen.

q.e.d.

Satz 4 (Vereinigung und durchschnitt von Teilmengen des ) Bearbeiten

(a) Die Vereinigung beliebig vieler offener Mengen ist offen.
(b) Der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen ist offen.
(c) Die Vereinigung endlich vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.
(d) Der Durchschnitt beliebig vieler abgeschlossener Mengen ist abgeschlossen.

Beweis Bearbeiten

(a) Es seien   eine beliebige Indexmenge und   offen für alle  . Sei weiter  . Dann gibt es einen Index   mit  . Da   offen ist, gilt   für ein   und damit  . Also ist   offen.

(b) Seien   eine endliche Indexmenge und   offen für alle  . Sei weiter  , so haben wir   für alle  . Ferner gibt es zu jedem   ein  , so dass   gilt. Mit

 

erhalten wir   für alle   und damit  . Es ist also   offen.

(c) Seien   und   abgeschlossen für alle  . Wir betrachten eine konvergente Folge   mit  . Da   endlich ist, gibt es ein   und eine Teilfolge   mit   für alle  . Wegen   gilt auch  . Nun ist   abgeschlossen, also ist  , folglich gilt   und damit ist   abgeschlossen.

(d) Seien nun   eine beliebige Indexmenge und   abgeschlossen für alle  . Sei weiter   eine konvergente Folge mit  . Dann gilt   für alle  . Weil   abgeschlossen ist, gilt   für alle  , also  . Es ist   demnach abgeschlossen.

Bemerkungen Bearbeiten

Auf die Endlichkeit der Indexmengen in den Aussagen (b) und (c) können wir nicht verzichten, wie bereits im Beweis ersichtlich wird. So muss ein unendlicher Durchschnitt von offenen Mengen durchaus nicht mehr offen sein. Für   gilt zum Beispiel

 .

Analog ist eine unendliche Vereinigung abgeschlossener Mengen im allgemeinen nicht mehr abgeschlossen, wie das folgende Beispiel für   zeigt:

 .

Definition 11 Bearbeiten

Sei   eine beliebige Menge und   deren Potenzmenge. Ein System von Teilmengen   heißt Topologie auf  , wenn es folgende Bedingungen erfüllt:
(i) Es gelten   und  ;
(ii) Mit   ist auch  ;
(iii) Für eine beliebige Indexmenge   ist mit   für alle   auch   erfüllt.
Das geordnete Paar   heißt topologischer Raum mit den offenen Mengen  .

Satz 5 Bearbeiten

Mit   wird   zu einem topologischen Raum.

Satz 6 (Cantorscher Durchschnittssatz) Bearbeiten

Sei   eine Folge von nicht leeren, abgeschlossenen Teilmengen des  . Sei weiter die Menge   beschränkt und   für alle   erfüllt. Dann ist  .

Beweis Bearbeiten

Zu jedem   wählen wir einen Punkt   und erhalten eine Folge  . Diese ist beschränkt, weil   beschränkt ist. Nach dem Weierstraßschen Häufungsstellensatz im   gibt es eine Teilfolge   und ein  , so dass   gilt. Nach Voraussetzung ist nun zu beliebig vorgegebenem   die Inklusion   für alle   richtig und damit folgt   für alle  . Wir bestimmen einen Index  , so dass   und damit   für alle   erfüllt ist. Wegen der Konvergenz   und der Abgeschlossenheit von   folgt   für alle  . Somit ist   gezeigt.

q.e.d.

Bemerkungen Bearbeiten

  1. Auf die Beschränktheit können wir nicht verzichten, denn wählen wir für   beispielsweise  , so erhalten wir  .
  2. Ebenso wird obige Aussage für nicht abgeschlossene Mengen im allgemeinen falsch: Die Mengen   haben den leeren Durchschnitt  .

Definition 12 Bearbeiten

Seien   zwei Punkte mit der Eigenschaft
  für  .
Dann nennen wir die abgeschlossene Punktmenge
(10)  
einen Quader im  . Gilt speziell   mit einem  , dann sprechen wir auch von einem Würfel der Kantenlänge  .

Definition 13 Bearbeiten

Sei  . Wir nennen
 
den Durchmesser – im Englischen 'diameter' – der Menge  .

Der Durchmesser eines Quaders ist gerade die Länge seiner Diagonale

(11)  .

Wir wollen nun die Methode der Quaderzerlegung kennenlernen: Wir gehen aus von einem Quader gemäß Definition 12, nämlich

 

mit den konstituierenden Intervallen   für  . Diese Intervalle halbieren wir und erhalten zwei Teilintervalle

(12)   und  ,

so dass

(13)   und  

für   gilt. Dann wählen wir   Indices   bzw. den Multiindex   und erhalten in

(14)  

jeweils einen der   gleich großen Teilquader von  . Es gelten die Identitäten

(15)   und   für   mit  .

Außerdem berechnen wir für   die Durchmesser der Teilquader

(16)  .

Definition 14 Bearbeiten

Seien eine Punktmenge   und eine Indexmenge   gegeben. Weiter sei einem jeden Index   eine offene Menge   zugeordnet, so dass die Inklusion   erfüllt ist. Dann nennen wir das System   ein offenes Überdeckungssystem von  .

Beispiel Bearbeiten

Sei jedem Punkt   eine offene Kugel   vom Radius   um den Mittelpunkt   zugeordnet. Dann folgt   und wir erhalten mit   ein offenes Überdeckungssystem von  .

Satz 7 (Überdeckungssatz von E. Heine und E. Borel) Bearbeiten

Sei   eine beschränkte, abgeschlossene Menge. Sei weiter   ein offenes Überdeckungssystem von   mit der Indexmenge  . Dann existiert eine endliche Indexmenge   mit  , so dass auch   ein offenes Überdeckungssystem von   ist.

Beweis Bearbeiten

1. Da die Menge   beschränkt ist, existiert eine reelle Zahl   hinreichend groß, so dass der zugehörige Würfel   der Kantenlänge   um den Nullpunkt die Inklusion

 

erfüllt.
Wir nehmen nun an, die Aussage des Satzes wäre falsch: Also ist für jede endliche Indexmenge   die Aussage   richtig, d. h. endlich viele Mengen des Überdeckungssystems reichen nicht zur Überdeckung von   aus.

2. Zunächst setzen wir  . Dann konstruieren wir eine Folge   von Würfeln, so dass für alle   die Bedingungen

(17)   sowie  

und

(18)   für jede endliche Indexmenge  

erfüllt sind.
Sei für ein beliebiges   bereits der Würfel   mit den o. a. Eigenschaften gefunden. Diesen zerlegen wir wie oben beschrieben in   gleich große Teilwürfel  . Dann sehen wir:

(19)  

Nun muss es ein   geben, so dass auch   die Bedingung erfüllt:   ist für jede endliche Indexmenge richtig bzw. endlich viele Mengen des Überdeckungssystems reichen zur Überdeckung von   nicht aus.
Wäre dies nämlich nicht so, dann könnten wir alle Teilmengen

 

durch endlich viele Mengen aus dem Überdeckungssystem überdecken und somit auch die endliche Vereinigung (19) – im Widerspruch zu (18).
Wir wählen dieses   und setzen

 .

Mit Hilfe von (17) ermitteln wir

 .

3. Mit der in Teil 2.) konstruierten Würfelfolge   bilden wir die Folge   abgeschlossener Mengen

 .

Wegen (17) folgt   für alle  . Da   beschränkt ist, gibt es nach dem Cantorschen Durchschnittssatz einen Punkt  . Da weiter   ein Überdeckungssystem von   ist, gibt es einen Index   mit  . Die Menge   ist offen, also existiert ein  , so dass   gilt. Mit (17) erhalten wir

 .

Wir können also ein   finden, so dass   richtig wird. Wegen   folgt mit der endlichen Menge  , dass die Inklusion

 

gilt – im Widerspruch zu (18). Unsere Annahme ist also falsch und somit ist die Behauptung des Satzes richtig.

q.e.d.

Bemerkungen Bearbeiten

1. Wir können obigen Satz auch folgendermaßen formulieren:

Sei   eine beschränkte, abgeschlossene Menge und sei jedem Punkt   eine offene Menge   mit   zugeordnet. Dann gibt es endlich viele Punkte  , so dass   gilt.

2. Aus einer gegebenen unendlichen offenen Überdeckung einer offenen Menge können wir nicht immer eine endliche Teilüberdeckung auswählen, wie für   das folgende Beispiel zeigt:
Seien die offene Menge   und die offenen Intervalle

 

definiert. Dann ist die Überdeckung   erfüllt, aber für jede endliche Teilmenge   sehen wir die Aussage   leicht ein.
3. Eine beschränkte, abgeschlossene Menge   erfüllt nach dem Heine-Borelschen Satz die folgende Überdeckungseigenschaft: Ein beliebig vorgegebenes Überdeckungssystem von   enthält eine endliche Teilüberdeckung. Diese Eigenschaft nennt man in der Topologie Kompaktheit.

Definition 15 Bearbeiten

Eine beschränkte, abgeschlossene Menge   im   heißt kompakt.