Nazareth Bearbeiten

 
Das innere des Heiligen Hauses in Loreto - der Legende nach von Nazareth dorthin gebracht.[1]

Maria, Jesu Mutter, wuchs in Nazareth in Galiläa auf, ein wahrscheinlich zwischen 170 und 30 v. Chr.[2] gegründetes späthellenistisches kleines Dorf in einem Tal mit geschätzt 200 bis 500 Einwohnern und landwirtschaftlich genutzten Bauten an einem Abhang wie Terrassenmauern und mindestens drei Türmen. Ein ergrabenes Haus aus dieser Zeit besaß lediglich zwei kleine Zimmer, dafür aber im Hof eine in den Felsen gehauene Zisterne. Dieses Haus wird als "höchstwahrscheinlich typisch für die Wohnungen in Nazareth in dieser Zeit" betrachtet.[3] In der Nähe des Dorfes wurden damals Grabhöhlen angelegt, von denen einige erhalten sind.

Nazareth lag an der uralten Verbindung von Megiddo nach Hazor, einem Teilstück der wichtigen Straße vom ägyptischen Heliopolis nach Damaskus. Das späthellenistische Dorf hatte ein spätbronzezeitliches Dorf als Vorläufer, welches im 13. Jahrhundert vor Christi belegt ist und möglicherweise in den Umbrüchen um 1200 v. Chr. (vgl. „Seevölker“) unterging. Der Name dieser Siedlung ist unbekannt.

Während und nach der Landnahme Kanaans durch die Israeliten spielte die Geländemulde von Nazareth (347 m ü. NN) wie auch der hufeisenförmig Hügelzug (knapp 450 m ü. NN) wahrscheinlich keine Rolle. Nazareth ist weder im Tanach noch im Talmud oder einer anderen frühen jüdischen Quelle erwähnt. Dennoch wird in der Biblischen Geographie eine Straßenkreuzung zwischen der Via Maris und der wichtigen Verbindung von der bedeutenden Polis und Hafenstadt Ptolemaios[5] (Akkon) über Jesreel nach Skythopolis (Bet Sche’an) in der Jordansenke bereits um die Zeit Jesu Geburt vermutet.

Die Geländemulde von Nazareth hatte als Wasserstation der Via Maris seit der Bronzezeit eine besondere Bedeutung. Im späthellenistischen Dorf gab es um den Brunnen eine ganze Reihe von Wachhäusern, welche diese einzige Wassserversorgung des Ortes, aber auch die dorthin führenden (Handels)Wege damals schützten. Nach diesen Wachhäusern wurde der Brunnen ursprünglich "Wachhausbrunnen" genannt - erst später "Marienbrunnen" oder "Brunnen der Jungfrau".

Verkündigung Bearbeiten

Marienbrunnen Bearbeiten

 
Marienquelle in Nazaret (Rekonstruktion des 1. Jahrhunderts).[6]

Nach dem Protoevangelium des Jakobus fand die Verkündigung an zwei Orten statt. Maria sah den Boten Gottes zuerst am Wachhausbrunnen:

"Und sie nahm den Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen. Und siehe, eine Stimme sagte: 'Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr sei mit dir, du Gepriesene unter den Frauen.' Und sie blickte sich um nach rechts und nach links, woher diese Stimme wohl käme. Und es kam sie ein Zittern an. Da ging sie heim in ihr Haus und stellte den Krug ab. Dann nahm sie den Purpur und setzte sich auf ihren Sessel und zog ihn zu Fäden. Und siehe, ein Engel des Herrn trat vor sie hin und sprach: 'Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade gefunden vor dem Gebieter über alles, und du sollst empfangen aus seinem Wort.'"[7]

Das Erscheinen des Erzengels Gabriel im Haus der Heiligen Familie beendete die Verkündigung demzufolge lediglich. Bereits in der Antike wurden beide etwa 500 Meter entfernt liegenden Orte getrennt verehrt: der Marienbrunnen und das Heilige Haus mit der sich anschließenden Verkündigungsgrotte.

Das Motiv der "Maria am Brunnen" gehört zu den ältesten christlichen Motive. Es ist neben "Christus als Wundertäter"[9] bereits in der bisher ältesten archäologisch nachgewiesenen Kirche, der Hauskirche von Dura Europos (vor 232/233) am Euphrat dargestellt.

Über dem Brunnen ließ Helena, Mutter von Kaiser Konstantin, um 325 eine erste kleine Kirche errichten. Hierdurch war es notwendig geworden, daß für die Quelle ein anderer Ausgang geschaffen wurde. Archäologen entdeckten ein ganzes Tunnelsystem für die Quelle, das in die byzantinische Zeit datiert wird. Auch Scherben aus der Römerzeit wurden gefunden. An welche Stelle der Brunnen damals verlegt wurde, ist noch unbekannt. Das Quellwasser kommt vom Berg Jabal as-Sikh und folgt einem unterirdischen Kanal, der 17 Meter lang in den Felsen gehauen ist, bevor er die Kirche verlässt.

Für die Wasserversorgung der Tiere existierte schon seit alters her eine gesonderte Wasserstelle, welche ebenfalls durch die "Marienquelle" gespeist wurde. Der Wachhausbrunnen mit den Wachhäusern befand sich etwas weiter oben auf dem Hügel und damit näher an der Quelle, während die Tiertränke vermutlich weiter unten im Ort lag, wo der Wasserstrom schon größer gewesen sein dürfte.

Es wird angenommen, dass der Wachhausbrunnen im Thomasevangelium erwähnt wird. Der sechsjährige Jesus wurde von seiner Mutter gesandt, um Wasser zu bringen.

Die Kirche über der Verkündigungsgrotte wurde zum ersten Mal im Jahr 570 erwähnt, wahrscheinlich bestand schon seit dem 5. Jahrhundert ein Kirchengebäude. Im Jahre 383 befand sich bereits ein Altar in der Grotte.

Der gallische Bischof Arculf sah im Jahre 670 zwei „sehr große Kirchen“ in Nazareth, darunter auch die "Kirche über dem Brunnen". Den Pilgern wurde in byzantinischer Zeit auch eine Höhle mit einer Quelle gezeigt, aus der Maria Wasser geschöpft haben soll - möglicherweise unter der ersten Kirche, welche die heilige Helena errichten ließ.

Durch die Kämpfe mit den Kreuzfahrer wurden die christlichen Kirchen in Nazareth Ende des 11. Jahrhunderts durch die Moslems zerstört. Nach dem Bericht des Pilgers Saewulf (1101/02) war die gesamte Stadt seit der Eroberung durch die Sarazenen verwüstet. Sie wurden aber für die Pilger schnell wieder errichtet.

Schon Abt Daniel der Pilger beschreibt 1106-1108 die neu errichtete Kirche:

Wir haben einen wunderbaren Brunnen gefunden, tief und mit sehr kaltem Wasser, das man durch Abstieg über eine gebaute Treppe erreichen kann. Über diesem Brunnen befindet sich eine Kirche, die dem Erzengel Gabriel gewidmet ist und eine kreisförmige Form hat.

Der griechische Mönch Ioannis Phokas schreibt nach seiner Pilgerreise im Jahr 1185, daß man aus Richtung Sepphoris kommend

sobald man das erste Tor zu diesem großen Dorf betritt, eine Kirche des Erzengels Gabriel findet und auf der linken Seite des Heiligtums eine kleine Höhle sehen kann, wo Wasser entspringt. "

Mit dem Untergang der Kreuzfahrerstaaten ging auch die Kirche über dem "Marienbrunnen" unter:


Die Quelle der Jungfrau befindet sich heute in der orthodoxen Kirche des Erzengels Gabriel (Ορθόδοξος Ναός του Ευαγγελισμού).

Verkündigungsgrotte Bearbeiten

Zu dem kleinen Haus, in welchem Maria aufwuchs, gehörte eine Grotte. Hier suchte sie der Engel Gabriel auf (Lk 1, 26–38 in der römisch-katholischen "Einheitsübersetzung"):

„Im sechsten Monat[14] wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich. Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.“

Diese Grotte war nach der spanischen Pilgerin Egeria bereits im Jahr 383 ein Wallfahrtsort: es wurde eine „große und sehr prächtige Höhle gezeigt, in der Maria gelebt hat. Ein Altar ist dort aufgestellt worden“[15]. Das davorstehende "Heilige Haus" der Heiligen Familie wurde der Überlieferung nach vor der endgültigen Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem Heiligen Land (1291) abgebaut und in Loreto (in den italienischen Marken bei Ancona an der Adria) 1294 wieder aufgebaut. Hier entstand durch die Loretowallfahrt die Basilika vom Heiligen Haus in Loreto.

Heute steht an der Stelle, an der der Erzengel Gabriel Maria verkündet hatte, daß sie die Mutter des Sohnes Gottes werden würde, die Verkündigungsbasilika (über der antiken Verkündigungsgrotte).

Sepphoris Bearbeiten

Sepphoris (lateinisch: Diocaesarea), die Residenz von Herodes Antipas ( Tetrarch in Galiläa ab 4 v. Chr. bis 39 n. Chr.), lag nur sieben bis acht Kilometer nördlich von Nazareth. Dort wohnten die Großgrundbesitzer. Wahrscheinlich arbeiteten viele Dorfbewohnern auch in der Residenz. Die Residenzstadt spielt im Neuen Testament keine Rolle, da Jesus im jüdischen Umfeld wirkte und hellenisierte Städte nicht aufsuchte.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Strafforello Gustavo, La patria, geografia dell'Italia, III. Provincie di Ancona, Ascoli Piceno, Macerata, Pesaro e Urbino. Unione Tipografico-Editrice, Torino, 1898.
  2. Vgl.: Rainer Riesner: Nazaret. In: M. Görg, B. Lang (Hrsg.): Neues Bibel-Lexikon. Band 2: Haar-Nymphas. Benziger, Zürich u. a. 1995, ISBN 3-545-23075-9, S. 909–912.
  3. For the Very First Time: A Residential Building from the Time of Jesus was Exposed in the Heart of Nazareth Website der Israel Antiquities Authority, 21. Dezember 2009.
  4. Illustration in: The Holy Land, Syria, Idumea, Arabia, Egypt and Nubia / from drawings made on the spot by David Roberts ... ; lithographed by Louis Haghe. London : F.G. Moon, 1842-1845, v. 1, pts. 3-4, p. 13.
  5. 281 v. Chr. wurde Akkon zur Polis erhoben und erhielt den Namen Ptolemais (Ptolemaïs) zu Ehren des Begründers der ptolemäischen Dynastie, Ptolemaios I. Soter (* 367/66 v. Chr. in Makedonien; † 283/82 v. Chr. in Alexandria; [[w:Liste der Pharaonen|König von Ägypten seit 306 v. Chr.).
  6. Historiengemälde (vor 1909) von Wassili Dmitrijewitsch Polenow (1844–1927).
  7. Die Ankündigung der Geburt Jesu, Aus: Protevangelium des Jakobus, In: Erich Weidinger: Die Apokryphen. Verborgene Bücher der Bibel, Pattloch Verlag 1992, ISBN 3-629-91319-9, S. 438f.
  8. Overall view of the Dura Europos baptistry as reconstructed in Yale university.
  9. "Jesus und Simon Petrus gehen auf dem Wasser" und "Heilung des Gelähmten",
  10. Fountain of the Virgin, Nazareth. Coloured lithograph by Louis Haghe after David Roberts, 1842.
  11. Russische Ikone aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
  12. Katharinenkloster, Sinai, 12. Jahrhundert.
  13. Griechische Ikone von Patmos (17. Jahrhundert).
  14. nachdem der Engel, wie zuvor in Lk 1, 5–25 berichtet, dem Zacharias die Geburt eines Sohnes angekündigt und Elisabet darauf Johannes den Täufer empfangen hatte; Franz Bogislaus Westermeier: Epistelpredigten, 2. Band, Halle 1847, S. 282.
  15. Egeria, Itinerarium.
  16. Shrine of the Annunciation of the Virgin, in the church of the Annunciation, Nazareth, Israel. Coloured lithograph by Louis Haghe after David Roberts, 1842.
  17. Edward Daniel Clarke. Travels in various countries of Europe Asia and Africa. Part the Second Greece Egypt and the Holy Land (1813). London, R. Watts for Cadell and Davies.