Kurs:Krieg und Propaganda: bis zum 1. Weltkrieg/Russische Propagandaplakate
Für die russischen Propagandaplakate gilt bekanntlich der Erste Weltkrieg als Beginn der stattlich organisierten Propaganda und gegen Ende hin war diese Propaganda sogar schon zu einer Art Waffe ausgereift.[1] Vor dem 1. WK war das Plakat bereits als Kommunikationsmedium über ökonomische Sachverhalte sehr verbreitet, es wurde damit beispielsweise für materielle oder geistige Besonderheiten geworben. Politische Inhalte werden im modernen Plakat erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals vermittelt. Wo vorher der Verbrauch beworben wurde, wurde in den Kriegspropagandaplakaten die Verbrauchs-Einschränkung propagiert. Zusätzlich wurde auch für vom Staat gewünschtes Verhalten geworben, unter den Schlagwörtern "Leisten", "Sparen", "Opfern". [2]
Lubok-Stil
BearbeitenViele Propagandaplakate in Russland orientierten sich an den traditionellen Luboks. Der Lubok (Volksbilderbogen) ist eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Tradition, die in der russischen Propagandaplakatkunst aufgegriffen wird. Diese populäre Kunst war besonders unter der bäuerlichen Bevölkerung verbreitet und unmittelbarer Vorläufer sowie Vorbild für das Plakat. Gedruckt wurden die Bilder ursprünglich auf Holz- oder Metalltafeln, die meistens Szenen aus der russischen Folklore, Liedern und Märchen darstellten. Außerdem wurden sowohl religiöse, politische sowie moralische Themen in den Drucken aufgegriffen. Später, im 19. Jahrhundert, wurden die Luboks vermehrt von professionellen Verlegern veröffentlicht und distribuiert. Die Gestalter russischer Plakate konnten zunehmend eine gemeinsame Intention des traditionellen Luboks und dem russischen Plakat erkennen, so zum Beispiel eine Sprache, die sich sowohl auf das Bild als auch auf den zugehörigen Text stützt.[3]
Eigenschaften
BearbeitenEin klassischer Lubok kann hinsichtlich seiner Struktur in zwei Kategorien eingeteilt werden. Zum einen gibt es die 'groteske, realistische Seite', welche ein Modell der "verkehrten Welt" vermittelt, und zum anderen gibt es als Gegenteil dazu eine 'pädagogisch gedachte idealistische Seite'.[4] Ziel des Luboks ist es nicht das Leben echt darzustellen, sondern eine 'idealtypische Abstraktion' als Grundlage zu fassen. Die im Plakat abgebildeten Realitäten des Alltagslebens werden in Märchen und Träume transponiert.[5] Neben den Motiven und den stilistischen Merkmalen wurden oft auch kompositorische Eigenschaften des Luboks für spätere Plakate übernommen. So kann beispielsweise ein Handlungsverlauf dargestellt, aber auch der Unterschied zwischen den einzelnen Teilbildern hervorgehoben werden. (Zu sehen z.B. am Plakat der Weißgardisten mit dem 'roten Monster') Bild Weißgardisten einfügen.[6]
Politik
BearbeitenPlakate mit politischen Inhalten haben eine große Menge an Menschen erreicht und wurden so zum Instrument für Aufklärung und die Realisierung politischer Ziele. So zum Beispiel wurde bereits im Jahr 1811 ein Auftrag von der Regierung ausgesendet, Plakate über den Nutzen der Pockenschutzimpfung anfertigen zu lassen. Kurz danach, zeitlich dem Napoleonfeldzug zuzuordnen, wurden in Moskau und auch in St. Petersburg satirische Blätter mit patriotischen Ideen und Aufrufen publiziert. Der erste dieser Luboks stammte von F. Rostopcin und stellte einen nicht-fiktiven Soldaten dar, der einer Menschenmenge neben sich etwas vorträgt. Der Text ist, wie in der Luboktradition üblich, relativ lang, enthält 'zahlreiche soziale Spitzen' und ruft zum Kampf gegen Napoleon auf. Vom russischen Kaiserreich wurde der Lubok, als Vorgänger des Plakates, also zu Agitations- und Propagandazwecken genutzt. Hauptziel stellte hier die Stärkung der patriotischen Ader der Bevölkerung während verschiedenster Kriege, unter anderem während des Ersten Weltkrieges. Im Zuge dessen wurden auch Szenen von Schlachten und Porträts von Volkshelden in den Lubok aufgenommen. Anfang 1914 wurde der Verlag "Segodnjasnyj lubok" (Heutiger Lubok) in Moskau gegründet, er spezialisierte sich besonders auf die Propaganda patriotischer Ideen. Zu den Autoren dieser Texte zählten folgende später vielfach bekannte Künstler: V. Majakovskij, K. Malevic, A. Lentulov, D. Burljuk, I. Maskov und V. Cekrygin. [7]
Kriegsanleiheplakate
BearbeitenHintergrund
BearbeitenDa sich im Jahr 1916 für Russland nach zwei schweren Kriegsjahren die militärische Situation geändert hatte - die Staatskasse war durch den Krieg ernsthaft ruiniert - beschloss man Kriegsanleihen zu 5,5% Zinsen an das Volk zu verkaufen und somit die finanzielle Situation des Staates etwas zu verbessern. Um die Bevölkerung jedoch vom Kauf einer dieser Anleihen zu überzeugen und sie dazu zu bewegen ihre Ersparnisse zu opfern, bedurfte es einer guten Begründung, zu welchem Zweck der Staat diese Anleihen erstellt hatte. Bei der Herstellung spielten die in den Plakaten verwendeten Motive und Themen eine wichtige Rolle.[8]
Künstlerische Umsetzung - Motive und Themen
BearbeitenDie Bevölkerung Russlands sollte sehen, worin sie ihr Geld investieren würden. Die Plakate zeigten "Schlachtszenen, heroisch voranschreitende Soldaten, die russische Flotte, Kavallerie und das Fliegerkorps, ebenso wie Munitions- und Rüstungsbetriebe"[9] außerdem wurden auch der 'einfache Mensch' auf den Kriegsanleiheplakaten dargestellt. Der Bezug zur Realität wurde dargestellt, indem diese Figuren an Waffen oder Werkbänken arbeiteten. Da auch andere Staaten wegen des Krieges ebenfalls mit der Kriegsfinanzierung und der Motivation des Volkes eine Herausforderung ereilte, ähnelten sich die Kriegsanleiheplakate Russlands hinsichtlich Thematik, Bildsprache und sogar bezüglich plastischer Gestaltung mit jenen aus den anderen Ländern. In der Gestaltung dieser Kriegsanleiheplakate wohnte demnach auch ein künstlerisch-kommunikativer Ansatz inne: die politische zu publizierende Idee wurde oft zu einer Parole gekürzt, aber auch teilweise detailliert dargestellt. Dieser Text, diese Aufforderung sollte jedoch von einer entsprechenden auffordernden, expressiven Grafik begleitet werden. Um diese Bilder mit dem gewünschten Ausdruck zu verwirklichen, entstanden neue künstlerische Ausdrucksformen. So wurde aus der noch jungen Filmkunst geschöpft und die Perspektive in den Plakaten geändert, zentrale Objekte als Nahaufnahme dargestellt oder Teile des Motivs durch den Rahmen beschnitten, was dem Bild neue Dynamik und räumliche Ausbreitung schenken sollte. [10]
Der furchtlose Soldat
BearbeitenIm Unterschied zum karitativen Plakat, wo Soldaten verwundet oder als Spendenempfänger die barmherzige Seite der Bevölkerung ansprechen sollten, um für Spenden zu werben, so wurden die Soldaten auf den Kriegsanleiheplakaten als furchtlose Kämpfer dargestellt, die Entschlossenheit ausstrahlen, für ihr Vaterland in den Krieg zu marschieren. Später im Bürgerkrieg wurde auf diese Thematik zurückgegriffen, jedoch wurde die Verteidigung des Vaterlandes durch den Kampf für Sowjetrussland und für die Weltrevolution ersetzt. [11]
Feindbild
BearbeitenAnders als im Westen, wo das Bild des Feindes auch auf den Plakaten zu finden war, verzichtete Russland weitgehend auf diese Darstellung. Der Feind wurde weder als Gegner noch als Ursprung des sozialen Elends der Bevölkerung dargestellt, viel eher wurde auf den eigenen Triumph und die siegreiche Seite Russlands fokussiert. Der "Kampfesruhm" konnte aber durch eben diesen Verzicht nur in einem geringeren Ausmaße dem Volk gezeigt werden, denn immerhin fehlte durch die gegnerische Seite, durch die Bedrohung in den Gefechten die Dramatik des militärischen Aufeinanderpralls. Der politische Text gemeinsam mit den idealisierten Charakterzügen lassen die Hypothese zu, dass das Kriegsanleiheplakat das erste politische Plakat ist. (Die Intention einen Eindruck von Gemeinnützigkeit und staatlichem Wohl zu schaffen ist dennoch noch präsent.)[12]
Herausgeber: russische Regierung Funktion: Durchsetzung einer offiziellen Ideologie und politischen Linie des Staates [13]
Der Zeigefinger als Aufforderung
BearbeitenHintergrund
BearbeitenZu Beginn des Weltkrieges entsteht eine neue Form des Plakates, ein Plakat, das den Betrachter mitreißen soll. Eine Komposition aus Text und Bild, bei dem das Bild so scheint, als würde es aus der Fläche heraustreten oder herausgreifen, soll das Publikum direkt ansprechen. Erstmals wurde es vom englischen Grafiker Alfred Leete als Umschlag für die Wochenschrift "London Opinion" entworfen. Dieses umgestaltete Bild wurde anschließend für die britische Propaganda genutzt.
Der Mann auf dem Bild ist in diesem Fall Horatio Lord Kitchener, der Kriegsminister des Königs. [14]
Russland
BearbeitenÜbernommen wurde dieser Stil auf Grund seiner besonderen psychischen Einwirkung [15] sowohl von den USA als auch von Russland. Der im Plakat "Ты записался добровольцем?" (eng.: "Did you volunteer?") auf den Betrachter gerichtete Finger ist auch hier das tragkräftige Symbol. Das "Mit-den-Augen-fixieren" und das "Den-Finger-auf-die-Brust-Setzen" [16] wirken auf den Betrachter äußerst eindringlich und einschüchternd. Ebenso wie im britischen und amerikanischen Pendant ist das Wort "Ты" (eng.: You) in großen Lettern gedruckt und vom Rest des Bildes deutlich hervorgehoben. Die Farben sind klassisch für Russland in rot gehalten und die Person im Bild blickt von oben auf den Betrachter des Plakates herab, was ihm einen heroischen und respekteinflößenden Eindruck verleiht.
Literatur
Bearbeiten- Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer
- Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Topitsch, Klaus (2000): Die Greuelpropaganda in der Karikatur. In: Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer. 49.
- ↑ Kämpfer, Frank (2000): Plakat, poster, affice, manifesto… Des Weltkriegs große bunte Bilder. . In: Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer. 125-126.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 13.
- ↑ Ostrovskij, G: Lubocnost-kategorija narodnogo iskusstva, in: Tvorcestvo, 1983 Nr. 11, 15-18, zitiert nach: Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 13.
- ↑ Sokolov, B.: Chudozestvennyj jazyk russkogo lubka, Moskau 1999, 182ff.; Koschmal, W.: Der russische Volksbilderbogen (Von der Religion zum Theater), München 1989. Zitiert nach: Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 13.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 14.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 18-19.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 46.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 46.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 48.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 44-48.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 48.
- ↑ Waschik, Klaus/Baburina, Nina (2003): Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts. Edition tertium. 48.
- ↑ Kämpfer, Frank (2000): Plakat, poster, affice, manifesto… Des Weltkriegs große bunte Bilder. . In: Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer. 128.
- ↑ Kämpfer, Frank (2000): Plakat, poster, affice, manifesto… Des Weltkriegs große bunte Bilder. . In: Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer. 125-126-
- ↑ Kämpfer, Frank (2000): Plakat, poster, affice, manifesto… Des Weltkriegs große bunte Bilder. . In: Zühlke, Raoul (Hrsg.): Propaganda im Ersten Weltkrieg. Hamburg: Kämpfer. 125-126-