Kurs:Lineare Algebra I/Endlich erzeugte Vektorräume

Wir wollen die algebraischen Eigenschaften des reellen Standardraumes systematisch untersuchen. Dabei werden wir aus den Rechengesetzen neue Aussagen ableiten. Da die Ableitungen nur auf diesen Regeln basieren, sind die gewonnenen Aussagen für alle Mengen, mit gleichen Rechengesetzen richtig. Ebenso lassen sich die reellen Zahlen durch andere Zahlsysteme ersetzen. Also werden wir (wie in der Mathematik generell üblich) die allgemeine Situation betrachten.

Vorbemerkung: Zum Begriff des Körpers

Bearbeiten

Die Rechengesetze der reellen Zahlen stehen Modell für den Begriff eines (Zahl-)Körpers:

Definition 2.1

Bearbeiten
Ein Körper K ist eine Menge mit zwei (Rechen-)Operationen:
(a) Addition:
 
Die Addition erfüllt die folgenden Regeln: (  beliebig)
( ) Assoziativität:  
( ) Existenz eines neutralen Elementes (Nullelement):  
( ) Existenz eines Negativen:  
( ) Kommutativität:  
(b) Multiplikation:
 
Die Multiplikation erfüllt die folgenden Regeln:
( ) Assoziativität:  
( ) Existenz eines neutralen Elementes (Einselement):  
( ) Existenz eines Inversen:  
( ) Kommutativität:  
Ferner gilt die
( ) Distributivität:  

Außer den reellen Zahlen bildet die Menge der rationalen Zahlen   einen Körper, nicht jedoch die Menge der ganzen Zahlen  , da zum Beispiel für   das Inverse   nicht in der Menge   ist. Die Menge   ist ein Körper bzgl. der Festlegungen:         Man stelle sich dabei vor: 0 steht für gerade ganze Zahlen und 1 steht für ungerade ganze Zahlen. Wir werden an geeigneter Stelle weitere Körper kennen lernen.

Begriff des Vektorraumes und Beispiele

Bearbeiten

Das Modell des reellen Standardraumes   ist Modell für die Definition des abstrakten Vektorraumes.

Definition 2.2

Bearbeiten
Sei K ein Körper. Eine nicht leere Menge V mit den beiden Operationen + (Vektoraddition) und   (skalare Multiplikation) heißt K-Vektorraum, wenn + die Regeln der Vektoraddition und   die Regeln der skalaren Multiplikation (hier:   durch K ersetzt), aus Definition 1.2 erfüllen. Die Elemente von   heißen Vektoren.

In den folgenden Abschnitten bezeichne K stets den Körper, den wir für die skalare Multiplikation in den betrachteten Vektorräumen verwenden werden.

Regeln: (aus der Definition 2.2 abgeleitet)

  •   und  , (  = Nullvektor von V );
  •  ;
  •   (Negative von  ).

Beispiele:

( ) Standardvektorraum über  
( ) Lösungsmenge eines homogenen linearen Gleichungssystems:  
( ) Polynome in X mit Koeffizienten in  
( ) Menge aller K-Matrizen vom Typ  
( ) Menge aller reellen Funktionen bildet den reellen Vektorraum  
( ) Menge aller Abbildungen einer Menge M in einen Körper K bildet einen K-Vektorraum  .

Unterraum und lineare Hülle

Bearbeiten

Definition 2.3

Bearbeiten
Eine nichtleere Teilmenge   eines Vektorraumes heißt Unter(vektor)raum, falls für alle   und   gilt:   und  .

Damit ist U eine solche Teilmenge von V , die bzgl. der Operationen in V selbst ein Vektorraum ist. Der Durchschnitt beliebig vieler Unterräume eines Vektorraumes ist wieder ein Unterraum. Analoges gilt nicht für die Vereinigung von Unterräumen!

Beispiele:

( )   und   sind die sogenannten ’trivialen’ Unterräume in jedem Vektorraum   .
( ) Die nicht trivialen Unterräume des   sind Geraden und Ebenen durch den Ursprung 0 .
( )   ist Unterraum von  .
( )   ist Unterraum von   und ebenso von  .
( )   für endlich viele   ist ein Unterraum von  .

Definition 2.4

Bearbeiten
Die lineare Hülle einer Menge   von Vektoren aus   ist der Durchschnitt aller Unterräume, die   enthalten, also insbesondere ein Unterraum:
 .
  heißt Erzeugendensystem (ES) von V , wenn  .
  heißt endlich erzeugt, falls eine endliche Teilmenge Erzeugendensystem ist.

Beispiele:

( ) Die Einheitsvektoren   erzeugen  .
( ) Die Basislösungen erzeugen  .
( ) Die Monome   erzeugen  .

Satz 2.5

Bearbeiten
Die lineare Hülle ist die Menge aller Linearkombinationen (LK) von Vektoren aus  :
 .

Regeln: (zur linearen Hülle)

  • Konvention:  
  •  
  •   insbesondere   gdw.   ist Unterraum.
  •  

Lineare Unabhängigkeit, Basis, Dimension

Bearbeiten

Wir wollen minimale Erzeugendensysteme eines Vektorraumes charakterisieren und folgende Fragen beantworten:

Ist ein unverkürzbares ES minimal?
Haben unverkürzbare ES stets die gleiche Anzahl von Elementen?
Wie erkennt man ein minimales ES?

Die Antworten führen uns zum Begriff der Dimension eines Vektorraumes. Endlich viele Vektoren heißen linear abhängig, wenn sich geeignete Vielfache der Vektoren zum Nullvektor aufsummieren lassen. Aus der Verneinung erhalten wir den wichtigen Begriff der linearen Unabhängigkeit.

Definition 2.6

Bearbeiten
Eine Menge von   Vektoren   heißt linear unabhängig, wenn aus
  stets  
folgt. Andernfalls sind die Vektoren   linear abhängig. Eine unendliche Menge von Vektoren ist linear unabhängig, falls jede endliche Teilmenge linear unabhängig ist.

Definition 2.7

Bearbeiten
Ein linear unabhängiges Erzeugendensystem von   heißt Basis. Die Dimension   eines Vektorraumes ist die Anzahl der Vektoren in einer Basis von  .

Diese Definition ist zu rechtfertigen (warum?).

Eigenschaften und Beispiele:

( ) Die leere Menge   ist linear unabhängig. (Konvention)
( )   ist linear unabhängig gdw.  .
( ) Seien  , dann ist   linear abhängig gdw.   für ein  .
( ) Jede Teilmenge einer linear unabhängigen Menge ist linear unabhängig. Jede Obermenge einer linear abhängigen Menge ist linear abhängig.
( ) Die Einheitsvektoren   bilden eine Basis von  .
( )   ist eine Basis von  , also ist   nicht endlich erzeugt.
( ) Die Abbildungen   sind linear unabhängig in  , aber keine Basis! (warum?)

Notation: Das sogenannte Kronecker-Delta bedeutet  , falls  , und  , falls  .

Satz 2.8

Bearbeiten
Sei   eine Matrix, dann gilt:
(1) Ist   in ZS-Form, dann sind die vom Nullvektor verschiedenen Zeilenvektoren linear unabhängig.
(2) Die Spaltenvektoren von   sind linear unabhängig gdw.  .
(3) Die Basislösungen des zu   gehörigen linearen Gleichungssystems bilden eine Basis von  .

Der Unterraum von   erzeugt von den Zeilenvektoren einer Matrix   bleibt bei Zeilenoperationen unverändert. Folglich findet man mit den Gauß-Algorthimus mit (1) eine Basis für den ’Zeilenraum’. Mit der Aussage (2) ergibt sich ein Rezept zur Auswahl einer linear unabhängigen Teilmenge aus einer vorgegebenen Menge von (Spalten-)Vektoren. Der folgende Satz liefert weitere charakterisierende Eigenschaften für die lineare Unabhängigkeit:

Satz 2.9

Bearbeiten
Folgende Aussagen über   sind äquivalent:
(1)   ist linear unabhängig.
(2) Kein Vektor von   ist Linearkombination der übrigen Vektoren aus  .
(3) Die Darstellung jedes Vektors   als Linearkombination von   ist eindeutig.

Corollar 2.10

Bearbeiten
(1)   und   linear unabhängig   linear unabhängig.
(2) Eine Basis ist ein unverkürzbares ES.
(3) Eine Basis ist eine maximale linear unabhängige Menge.

Die Eindeutigkeit der Dimension und die Gleichwertigkeit von Minimalität und Unverkürzbarkeit eines Erzeugendensystems ergibt sich aus folgendem Satz:

Satz 2.11

Bearbeiten
Je zwei Basen eines endlich erzeugten Vektorraumes haben die gleiche Anzahl von Vektoren.

Wichtig für die Bestimmung von Basen ist folgende Aussage:

Satz 2.12 (Basisergänzungssatz)

Bearbeiten
Jede lineare unabhängige Teilmenge von   kann mit Vektoren aus einem vorgegebenen ES zu einer Basis ergänzt werden.

Ist das Erzeugendensystem eine Basis, erhalten wir den sogenannten Austauschsatz.

Produkte und Summen von Vektorräumen

Bearbeiten

In natürlicher Weise ist das kartesische Produkt zweier Vektorräume wieder ein Vektorraum. Andererseits lässt sich der so gebildete VR als (äußere direkte) Summe zweier Unterräume schreiben. Wir wollen aber darauf verweisen, dass diese Konstruktionen verschieden sind, auch wenn erst bei unendlich vielen Faktoren resp. Summanden nicht isomorphe Vektorräume entstehen.

Lemma 2.13

Bearbeiten
Seien   und   zwei K-Vektorräume, dann ist das kartesische Produkt   wieder ein K-Vektorraum durch komponentenweise Addition und komponentenweise skalare Multiplikation:
  und  .

Wir können   und   als Unterraum von   auffassen durch die Identifizierung von   mit   bzw.   mit  . Der n-dimensionale Standardvektorraum entsteht als n-faches Produkt:  .

Definition 2.14

Bearbeiten
Sind   Unterräume, der Unterraum   heißt die Summe von   und   in  .
Die Summe   heißt direkte Summe, falls für jeden Vektor   die Zerlegung   eindeutig ist.
Ein Unterraum   heißt komplementär zu einem Unterraum  , falls   direkte Summe von   und   ist.

Schreibweise für eine direkte Summe:  .

Lemma 2.15

Bearbeiten
  ist direkt gdw.  .

Sei   eine Basis von   , dann ist   die direkte Summe der Unterräume  . Mit dem Basisergänzungssatz ergibt sich daraus die Existenz (und aus seinem konstruktiven Beweis ein Verfahren zur Bestimmung) von komplementären Unterräumen.

Corollar 2.16 (zu Satz 2.12)

Bearbeiten
In einem endlich erzeugten Vektorraum gibt es zu jedem Unterraum stets komplementäre Unterräume.

Satz 2.17 (1. Dimensionsformel)

Bearbeiten
 .

Mit der nach Lemma 2.13 angegebenen Identifizierung folgt  . Dies gilt per vollständiger Induktion auch für das Produkt von endlich vielen Vektorräumen.

Achtung:

(zur Information) Die analoge Aussage gilt nicht für das Produkt von unendlich vielen Vektorräumen  ,   eine unendliche Indexmenge. In   ist die Summe der Unterräume  , definiert als lineare Hülle der Vereinigung der  , immer noch direkt, aber ein echter Unterraum  . Beispielsweise gilt im Vektorraum aller Folgen  . Dagegen entspricht   genau dem Unterraum aller endlichen Folgen.