Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 1



Zahlen

Wir arbeiten mit den folgenden Mengen, deren Kenntnis wir voraussetzen.

die Menge der natürlichen Zahlen (mit der ).

die Menge der ganzen Zahlen,

die Menge der rationalen Zahlen und die Menge der reellen Zahlen .

Diese Mengen sind mit den natürlichen Operationen wie Addition und Multiplikation versehen, an deren Eigenschaften wir bald erinnern werden. Die reellen Zahlen stellen wir uns als die Punkte einer Geraden vor, auf der sich auch die zuvor genannten Zahlenmengen befinden. Zugleich kann man als die Menge aller (vor dem Komma endlichen, nach dem Komma eventuell unendlichen) Ziffernfolgen auffassen. Wir werden im Laufe der Vorlesung alle entscheidenden Eigenschaften der reellen Zahlen kennenlernen (die sogenannten Axiome der reellen Zahlen, aus denen man alle anderen Eigenschaften logisch herleiten kann) und dann auch diese vorläufigen Sichtweisen präzisieren.



Induktion

Mathematische Aussagen, die von natürlichen Zahlen abhängen, können mit dem Beweisprinzip der vollständigen Induktion bewiesen werden. Die folgende Aussage begründet dieses Prinzip.


Für jede natürliche Zahl sei eine Aussage gegeben. Es gelte

  1. ist wahr.
  2. Für alle gilt: wenn gilt, so ist auch wahr.

Dann gilt für alle .

Es sei

Wir wollen zeigen, dass ist, denn genau dies bedeutet, dass die Aussage für alle gilt. Nach der ersten Bedingung ist

Nach der zweiten Voraussetzung gilt für , dass aus stets folgt. Damit erfüllt beide Voraussetzungen im Induktionsprinzip für Mengen, sodass gilt.


Der Nachweis von heißt dabei der Induktionsanfang und der Schluss von auf heißt der Induktionsschluss. In manchen Situationen ist die Aussage erst für für ein gewisses (definiert oder) wahr. Dann beweist man im Induktionsanfang die Aussage und den Induktionsschluss führt man für durch.

Das folgende Standardbeispiel für einen Induktionsbeweis verwendet das Summenzeichen. Für gegebene reelle Zahlen bedeutet

Dabei hängen im Allgemeinen die in einer formelhaften Weise von ab. Entsprechend ist das Produktzeichen definiert, nämlich


Beweise durch Induktion die folgende Formel für .


Lösung

Beim Induktionsanfang ist , daher besteht die Summe links nur aus einem Summanden, nämlich der , und daher ist die Summe . Die rechte Seite ist , sodass die Formel für stimmt.

Für den Induktionsschritt setzen wir voraus, dass die Formel für ein gilt, und müssen zeigen, dass sie auch für gilt. Dabei ist beliebig. Es ist

Dabei haben wir für die zweite Gleichheit die Induktionsvoraussetzung verwendet. Der zuletzt erhaltene Term ist die rechte Seite der Formel für , also ist die Formel bewiesen.




Mengen
Georg Cantor (1845-1918) ist der Schöpfer der Mengentheorie.


David Hilbert (1862-1943) nannte sie ein Paradies, aus dem die Mathematiker nie mehr vertrieben werden dürfen.


Mathematische Strukturen, wie die eingangs erwähnten Zahlen, werden als Mengen beschrieben. Eine Menge ist eine Ansammlung von wohlunterschiedenen Objekten, die die Elemente der Menge heißen. Mit „wohlunterschieden“ meint man, dass es klar ist, welche Objekte als gleich und welche als verschieden angesehen werden. Die Zugehörigkeit eines Elementes zu einer Menge wird durch

ausgedrückt, die Nichtzugehörigkeit durch

Für jedes Element(symbol) gilt stets genau eine dieser zwei Möglichkeiten.

Für Mengen gilt das Extensionalitätsprinzip, d.h. eine Menge ist durch die in ihr enthaltenen Elemente eindeutig bestimmt, darüber hinaus bietet sie keine Information. Insbesondere stimmen zwei Mengen überein, wenn beide die gleichen Elemente enthalten.

Die Menge, die kein Element besitzt, heißt leere Menge und wird mit

bezeichnet.

Eine Menge heißt Teilmenge einer Menge , wenn jedes Element aus auch zu gehört. Man schreibt dafür (manche schreiben dafür ). Man sagt dafür auch, dass eine Inklusion vorliegt. Für die oben erwähnten Zahlenmengen gelten die Inklusionen

Im Nachweis, dass ist, muss man zeigen, dass für ein beliebiges Element ebenfalls die Beziehung gilt. Dabei darf man lediglich die Eigenschaft verwenden.

Für uns werden Mengen hauptsächlich Zahlenmengen sein.



Mengenoperationen

Es gibt mehrere Möglichkeiten, aus gegebenen Mengen neue Mengen zu bilden. Die wichtigsten sind die folgenden.

  • Vereinigung
  • Durchschnitt
  • Differenzmenge

Diese Operationen ergeben nur dann einen Sinn, wenn die beteiligten Mengen als Teilmengen in einer gemeinsamen Grundmenge gegeben sind. Dies sichert, dass man über die gleichen Elemente spricht. Häufig wird diese Grundmenge nicht explizit angegeben, dann muss man sie aus dem Kontext erschließen. Ein Spezialfall der Differenzmenge bei einer gegebenen Grundmenge ist das Komplement einer Teilmenge , das durch

definiert ist. Wenn zwei Mengen einen leeren Schnitt haben, also gilt, so nennen wir sie disjunkt.



Produktmenge

Wir wollen die Rechenoperationen auf den oben erwähnten Zahlenmengen, insbesondere die Addition und die Multiplikation, mengentheoretisch erfassen. Bei der Addition (beispielsweise auf ) wird zwei natürlichen Zahlen und eine weitere natürliche Zahl, nämlich , zugeordnet. Die Menge der Paare nennt man Produktmenge und die Zuordnung führt zum Begriff der Abbildung.

Wir definieren.[1]


Es seien zwei Mengen und gegeben. Dann nennt man die Menge

die Produktmenge der beiden Mengen.

Die Elemente der Produktmenge nennt man Paare und schreibt . Dabei kommt es wesentlich auf die Reihenfolge an. Die Produktmenge besteht also aus allen Paarkombinationen, wo in der ersten Komponenten ein Element der ersten Menge und in der zweiten Komponenten ein Element der zweiten Menge steht. Zwei Paare sind genau dann gleich, wenn sie in beiden Komponenten gleich sind.

Wenn eine der beiden Mengen leer ist, so ist auch die Produktmenge leer. Wenn die beiden Mengen endlich sind, und es in der ersten Menge Elemente und in der zweiten Menge Elemente gibt, so gibt es in der Produktmenge Elemente. Man kann auch für mehr als nur zwei Mengen die Produktmenge bilden.


Es sei die Menge aller Vornamen (sagen wir der Vornamen, die in einer bestimmten Grundmenge an Personen wirklich vorkommen) und die Menge aller Nachnamen. Dann ist

die Menge aller Namen. Elemente davon sind in Paarschreibweise beispielsweise , und . Aus einem Namen lässt sich einfach der Vorname und der Nachname herauslesen, indem man entweder auf die erste oder auf die zweite Komponente des Namens schaut. Auch wenn alle Vornamen und Nachnamen für sich genommen vorkommen, so muss natürlich nicht jeder daraus gebastelte mögliche Name wirklich vorkommen. Bei der Produktmenge werden eben alle Kombinationsmöglichkeiten aus den beiden beteiligten Mengen genommen.


Bei einer Produktmenge können natürlich auch beide Mengen gleich sein. Dann ist es verlockend, die Reihenfolge zu verwechseln, und also besonders wichtig, darauf zu achten, dies nicht zu tun.

Die Produktmenge stellt man sich als eine Ebene vor, man schreibt dafür auch . Die Produktmenge kann man sich als eine Menge von Gitterpunkten vorstellen.

Ein Zylindermantel ist die Produktmenge aus einem Kreis und einer Strecke



Ein Zylindermantel ist die Produktmenge aus einem Kreis und einer Strecke

Es sei ein Kreis, worunter wir die Kreislinie verstehen, und eine Strecke. Der Kreis ist eine Teilmenge einer Ebene und die Strecke ist eine Teilmenge einer Geraden , sodass für die Produktmenge die Beziehung

gilt. Die Produktmenge stellt man sich als einen dreidimensionalen Raum vor, und darin ist die Produktmenge ein Zylindermantel.




Abbildungen

Es seien und Mengen. Eine Abbildung von nach ist dadurch gegeben, dass jedem Element der Menge genau ein Element der Menge zugeordnet wird. Das zu eindeutig bestimmte Element wird mit bezeichnet. Die Abbildung drückt man als Ganzes häufig durch

aus.

Bei einer Abbildung heißt die Definitionsmenge (oder Definitionsbereich) der Abbildung und die Wertemenge (oder Wertevorrat oder Zielbereich) der Abbildung. Zu einem Element heißt das Element der Wert von an der Stelle . Statt Stelle sagt man auch häufig Argument.

Zwei Abbildungen und sind gleich, wenn die Definitionsmengen und die Wertemengen übereinstimmen und wenn für alle die Gleichheit in gilt. Die Gleichheit von Abbildungen wird also zurückgeführt auf die Gleichheit von Elementen in einer Menge.

Abbildungen werden häufig auch Funktionen genannt. Wir werden den Begriff Funktion für solche Abbildungen reservieren, deren Wertemenge die reellen Zahlen sind.

Zu jeder Menge nennt man die Abbildung

also die Abbildung, die jedes Element auf sich selbst schickt, die Identität (auf ). Sie wird mit bezeichnet. Zu einer weiteren Menge und einem fixierten Element nennt man die Abbildung

die also jedem Element den konstanten Wert zuordnet, die konstante Abbildung (mit dem Wert ). Sie wird häufig wieder mit bezeichnet.[2]

Für eine Abbildung gibt es mehrere Darstellungsmöglichkeiten, z.B. Wertetabelle, Balkendiagramm, Kuchendiagramm, Pfeildiagramm, den Graph der Abbildung. Dabei sind die Übergänge zwischen der formalen Definition einer Abbildung und den visuellen Realisierungen fließend. In der Mathematik wird eine Abbildung zumeist durch eine Abbildungsvorschrift beschrieben, die es erlaubt, die Werte der Abbildung zu berechnen.

Die Rechenoperationen Addition und Multiplikation innerhalb der reellen Zahlen fassen wir als eine Abbildung

auf, d.h. es wird dem Paar

die reelle Zahl (bzw. ) zugeordnet. Eine solche Abbildung heißt eine Verknüpfung.


Eine Verknüpfung auf einer Menge ist eine Abbildung

Der Definitionsbereich ist also die Produktmenge von mit sich selbst und der Wertebereich ist ebenfalls . Addition, Multiplikation und Subtraktion (auf , auf oder auf ) sind Verknüpfungen. Auf und ist die Division keine Verknüpfung, da sie nicht definiert ist, wenn die zweite Komponente gleich ist (und schon gar nicht auf ). Allerdings ist die Division eine Verknüpfung auf . In der nächsten Vorlesung werden wir die algebraischen Eigenschaften der Addition und der Multiplikation auf den reellen Zahlen im Begriff des „Körpers“ zusammenfassen.



Fußnoten
  1. Definitionen werden in der Mathematik zumeist als solche deutlich herausgestellt und bekommen eine Nummer, damit man auf sie einfach Bezug nehmen kann. Es wird eine Situation beschrieben, bei der die verwendeten Begriffe schon zuvor definiert worden sein mussten, und in dieser Situation wird einem neuen Konzept ein Name (eine Bezeichnung) gegeben. Dieser Name wird kursiv gesetzt. Man beachte, dass das Konzept auch ohne den neuen Namen formulierbar ist, der neue Name ist nur eine Abkürzung für das Konzept. Sehr häufig hängen die Begriffe von Eingaben ab, wie den beiden Mengen in dieser Definition. Bei der Namensgebung herrscht eine gewisse Willkür, sodass die Bedeutung der Bezeichnung im mathematischen Kontext sich allein aus der expliziten Definition, aber nicht aus der alltäglichen Wortbedeutung erschließen lässt..
  2. Von Hilbert stammt die etwas überraschende Aussage, die Kunst der Bezeichnung in der Mathematik besteht darin, unterschiedliche Sachen mit denselben Symbolen zu bezeichnen.


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