Ein einfaches Modell einer (deterministischen) Kursentwicklung eines Bonds mit dem risikofreien Zinssatz wird durch die Differentialgleichung
beschrieben, denn ihre Lösung ist gerade (vgl. Kap. 2 für )
Zur Berechnung von Kenngrößen für Aktienmärkte reicht diese Betrachtung nicht aus, denn es treten zufällige Einflüsse auf, die durch ergänzende ”Rausch”-Einflüsse, durch stochastische Terme ergänzt werden muss. Dies führt auf den Begriff der stochastischen Differentialgleichung, die für die stochastische Variable durch
(3.1)
mit einem deterministischen (oder Drift-) Term und einem Term für sog. ”weißes Rauschen” mit der Intensität beschrieben werden kann. ist dabei eine -verteilte Zufallsvariable für jedes und ein Intensitätsfaktor. Wir bemerken weiter, dass der Index für die Zeitabhängigkeit der Zufallsgröße anstelle von steht.
Der Prozess , der auch als "Gaußsches weißes Rauschen" bezeichnet wird, entspricht formal der pfadweisen Ableitung einer Brownschen Bewegung oder eines Wiener-Prozesses , d.h. einem Gauss-Prozess mit und -Verteilung, d.h. es gilt (siehe Abschnitt 2.4)
(3.2)
mit unabhängigen Argumenten
Nun ist Gausssches weißes Rauschen keine konventionelle Variable, denn es gilt z. B., dass ein Pfad eines Wiener Prozesses fast nirgends differenzierbar ist. Deshalb schreibt man die Gleichung (3.1) symbolisch in Differentialform:
(3.3)
welche als Integralgleichung interpretiert werden sollte:
(3.4)
Hier ist das erste Integral ein gewöhnliches Riemann-Integral; man kann nun versuchen,
das zweite Integral als Riemann-Stieltjes-Integral
zu interpretieren. Allerdings benötigt man wegen der nicht vorhandenen Differenzierbarkeit der Abbildung für fast alle zur mathematischen Behandlung des Problems den im Jahre 1940 von dem Japaner K. Itô entwickelten Kalkül. Später, Anfang der 60-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts, wurde von dem russischen Physiker R. L. Stratanovich ein anderer Zugang vorgeschlagen, der als stochastisches Integral von Stratanovich in die Literatur eingegangen ist. Wir beschäftigen uns hier nur mit dem sog. Itô-Integral.
Wir betrachten das Itô-Integral zuerst für einfache stochastische Prozesse, d.h. für solche , die stückweise konstant bzgl. sind. Für allgemeine stochastische Prozesse wird es dann als Fortsetzung dieses Funktionals definiert. Wir geben folgende (etwas vereinfachte) Definition an.
Das Itô-Integral mit dem Integrator ist gegeben durch
wobei ein stochastischer Prozess und eine Partition von mit für seien.
Eine genaue Definition des Itô-Integrals, das wiederum ein stochastischer Prozess ist, ist aufwändig, da insbesondere die Regularität des stochastischen Prozesses präzisiert werden muss (die Stetigkeit von genügt hier nicht, siehe z. B. [15]).
Eine stochastische Differentialgleichung von Itô ist gegeben durch
(3.6)
wobei ein stochastischer Prozess, der Wiener-Prozess und geeignete (d.h. hinreichend reguläre) Funktionen seien. Die Gleichung (3.6) ist eine symbolische Schreibweise für die Integralgleichung
(3.7)
Erfüllt ein stochastischer Prozess die Gleichung (3.7), so heißt er Itô-Prozess; heißt Driftterm, heißt Diffusionsterm.
Die Lösbarkeit stochastischer Differentialgleichungen wird z. B. in [13] diskutiert.
d. h. ein Wiener-Prozess ist ein spezieller Itô-Prozess.
(b) Seien . Dann ist die Gleichung
(3.8) oder
mit der Anfangsbedingung zu lösen. Das ist eine gewöhnliche Differentialgleichung mit der Lösung
Man kann also Gleichung (3.8) als stochastische Differentialgleichung für einen Bond mit risikofreier Zinsrate interpretieren.
Fundamental für die Herleitung der Black-Scholes-Gleichung ist das Lemma von Itô. Es zeigt, dass für einen Itô-Prozess auch die Funktion ein Itô-Prozess ist.
Für die Varianz (den Erwartungswert) eines Wiener-Prozesses hatten wir in Kap. 3 gezeigt:
Im Grenzfall schreiben wir formal
(3.9)
Ein formaler Beweis des Itô-Lemma lässt sich unter Verwendung von (3.9) sowie unter Vernachlässigung von Termen höherer Ordnung (d. h., z. B. durch Approximation bis und unter Vernachlässigung von Termen in und in ) durch Reihenentwicklung führen. Ein exakter Beweis ist wiederum in [15] zu finden.
q.e.d.
Wir entwickeln nach der Taylorformel:
wobei ( - Landau-Symbol) bedeutet, dass
für .
Wir schreiben und . Ersetzen wir und durch und , so erhalten wir
(3.10)
Da ein Itô-Prozess ist, gilt
Aus (3.9) folgt
Setzen wir diesen Ausdruck in (3.10) ein, erhalten wir
Wir orientieren uns an dem soeben betrachteten, analytisch lösbaren Vergleichsmodell und formulieren eine Euler-Diskretisierung für eine stochastische Differentialgleichung.
Wir schreiben die diskrete Version der Itô-stochastischen Differentialgleichung (3.6) bzw. (3.7) auf:
(3.12)
und realisieren die Approximation eines Wiener Prozesses durch folgendes Vorgehen:
Sei (Zeitinkrement). Für lässt sich als Summe von Zuwächsen darstellen:
Die sind unabhängig und -verteilt.
Wir berechnen Zuwächse aus standard-normalverteilten Zufallszahlen . Falls , und somit folgt weiter
Wir lösen die (stochastische) Differentialgleichung
für mit dem Anfangswert . Wir wählen .
Im Bild 3.1 werden vier Trajektorien gezeichnet, die strichlierte Linie zeigt die nur von dem Drift-Term abhängende ’deterministische’ Lösung. Außerdem geben wir das zugehörige Matlab-Programm an.
% Loesung der Ito-Differentialgleichung mit dem EULER-Verfahrenclear, clf
X0 = 50; r = 0.04; sigma = 0.3; T = 10; N=499; % Input
t0 = 0; W0 = 0; x0 = X0; % Initialisierung
dt = T/(N+1);
ZZ = [ ]; XX = [X0]; F = [ ];
dis = sprintf(’Schritt Zeit determ. Loesung Wiener-Prozess’);
disp(dis) % Ueberschriftfor j=1:N
t1 = t0+dt;
Z = normrnd(0,1); % Erzeugung N(0,1)-verteilter Zufallszahlen
ZZ = [ZZ Z];
dW = Z*sqrt(dt);
% Euler-Loesung
x1 = x0 + r*x0*dt + sigma*x0*dW;
% deterministischer Anteil (Bond)
xdet = X0*exp(r*t0);
XX = [XX x1];
F = [F xdet];
dis = sprintf(’%d %f %f %f’, j, t0, xdet, x0);
disp(dis)
x0 = x1; t0 = t1;
end;
% Plotten einer Trajektorie und des deterministischen Anteils:plot(XX,’-b’), hold on, plot(F,’--r’), gridtitle(’Realisierung eines Wiener-Prozesses’)
Wir werden später andere numerische Methoden zur Lösung stochastischer Differentialgleichungen kennenlernen, insbesondere solche, die auf Taylorreihen-Entwicklungen und auf der Monte-Carlo-Simulation beruhen.