Kurs:Modellierung und Numerische Methoden von Finanzderivaten/Vorwort
Der größte Anteil aller Finanztransaktionen entfällt auf den Handel mit Derivaten, insbesondere mit Futures und Optionen. Dies sind Wetten auf die künftige Entwicklung eines Preises/Kurses, sei es von Anleihen (Zinssätze), Aktien, Rohstoffen, Agrarprodukten oder Devisen (Wechselkurse). Dabei macht der ”Wetteinsatz” nur einen Bruchteil des (Basis-)Wertes aus.
Beispiel: Jemand erwartet einen Kursanstieg deutscher Aktien und kauft deshalb einen DAX Future. Sein Wert beträgt 25€ je Indexpunkt, bei einem Indexwert von 6.000 also 150.000€. Hinterlegen muss er beim Kauf nur eine Margin von etwa 7%, also 10.500€. Steigt nun der DAX um 10% und damit der Wert des Future auf 165.000e, so macht der ”Spieler” einen Gewinn von 143%. Sinkt der DAX aber um 10%, so sind die 10.500€ futsch und der Spekulant muss noch 4.500e nachzahlen. Die Hebelwirkung (”leverage effect”) von 14,3 resultiert daraus, dass der Basis(Kontrakt-)wert 14,3 Mal so hoch ist wie der Wetteinsatz.
Mit einer Option erwirbt jemand das Recht, das zugrunde liegende Asset innerhalb einer Frist zu einem bestimmten (Ausübungs-)Preis zu kaufen (Call) oder zu verkaufen (Put). Erwartet ein Trader einen Anstieg des Eurokurses, so wird er eine Call Option kaufen. Trifft seine Prognose zu, so wird der Preis der Option viel stärker steigen als jener des Basiswerts (der Eurokurs). Die Bandbreite des Hebels ist bei Optionen größer als bei Futures, da sie von verschiedenen Faktoren abh¨angt (Differenz zwischen aktuellem Kurs und Ausübungspreis, Stärke des Kurstrends, Volatilit¨at des Kurses, Restlaufzeit der Option).
Amateurspekulanten lassen sich davon faszinieren, dass Optionspreise manchmal an einem Tag um 30% oder sogar 50% steigen. Allerdings sind Amateure nicht in der Lage, das Risiko von Optionsgeschäften abzuschätzen. Erstens ist die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie basierende Bestimmung des ”fairen” Optionspreises mathematisch anspruchsvoll. Zweitens hält sich die Realität häufig nicht an die Wahrscheinlichkeitstheorie. Letzteres ließ 1998 den Hedge Fund ”Long-term Capital Management” mit Verlusten von 5 Mrd. $ ”crashen” (zu diesem ”Betriebsunfall” siehe Edwards [3], und Löwenstein [14]) und führt gegenwärtig in die verheerendste Finanzkrise seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Während die börsennotierten Derivate auch von Amateuren gehandelt werden, sind bestimmte Geschäfte den professionellen Tradern vorbehalten. Dies betrifft insbesondere Spot- und Termingeschäfte im Devisenhandel sowie Swaps. Bei einem Spotgeschäft kauft ein Devisenhändler mit einem Einsatz von durchschnittlich 5 Mill. $ jene Währung, deren Aufwertung er erwartet (etwa den Euro) und verkauft mit Gewinn, wenn seine Prognose zutrifft. Den gleichen Effekt erzielt er durch einen Terminkontrakt: Er verpflichtet sich, zum heute fixierten Terminkurs von 1,25$ in angenommen - einer Woche 4 Mill. € zu kaufen. Ist der Eurokurs bis dahin auf 1,28$ gestiegen, so streift der Trader die Differenz zwischen dem Wert des Kontrakts (5 Mill. $) und dem Wert der 4 Mill. € zum neuen Kurs (5.120.000$) als Spekulationsgewinn ein (120.000$).
Ein Swap kombiniert eine Spot- und ein Termingeschäft: Jemand tauscht mit einem Partner zum aktuellen (Kassa-)Kurs 4 Mill. € gegen 5 Mill. $ und verpflichtet sich zu einem späteren Gegentausch zum heute fixierten (Termin-)Kurs. Ein Händler verleiht etwa für eine Woche Eurodevisen und borgt dafür Dollardevisen. Wertet der Euro auf, so hat er gewonnen, wertet der Euro hingegen ab, so hat er verloren.
Der Wettcharakter ist bei Swaps besonders augenfällig. Diese Geschäfte erstrecken sich (deshalb) nicht nur auf Wechselkurse, sondern auch auf Zinssätze, Aktienkurse oder Rohstoffpreise. Swapverluste trugen wesentlich zu ”Betriebsunfällen” wie jenen der Barings Bank, LTCM, der BAWAG, Lehmann Brothers usw. bei.
Swaps verdeutlichen eine weitere Eigenschaft des Derivathandels: Er stellt ein Umverteilungsspiel dar, die Summe aller Gewinne entspricht der Summe aller Verluste wie bei Lotterien, Pferdewetten oder im Casino (nur die "Spielorganisatoren” gewinnen immer).
Ursprünglich sind Terminkontrakte zur Absicherung gegen das Risiko von Preisschwankungen landwirtschaftlicher Produkte entstanden (Hedging). Mit der Aufgabe fester Wechselkurse (1971/73), den nachfolgenden Schwankungen von Dollarkurs und Erdölpreis und mit dem Anstieg der Zinssätze Ende der 1970er Jahre (also im Zug der Liberalisierung der Finanzmärkte) stieg die Bedeutung von Wechselkurs-, Rohstoff- und Zinsderivaten, aus Gründen des ”hedging” ebenso wie von ”outright speculations” (Spekulationen, die vollständig vom Zufall abhängen). Die Einführung von immer mehr an Börsen gehandelten Futures und Optionen (insbesondere auch auf Aktien) und die Entwicklung immer komplexerer Handelstrategien, welche beide Instrumente kombinieren, gaben dem Derivathandel in den 1980er einen enormen Auftrieb.
In dem Kurs werden wir uns nicht mit aktuellen Ereignissen an Börsen und beim Derivathandel befassen, sondern die wissenschaftlichen (mathematischen) Grundlagen der Optionspreisberechnung betrachten. Hauptgegenstand der Untersuchungen sind die zwischen den Anlageformen Aktien (engl. stock) und den Anleihen (Obligationen) (engl. bonds) angesiedelten Derivate. Als Voraussetzung für deren Untersuchung und Bestimmung dienen gute Kenntnisse in der Wahrscheinlichkeitstheorie, der numerischen Mathematik sowie selbstverständlich der Analysis und der linearen Algebra. An zahlreichen Stellen werden wir programmtechnische Umsetzungen von Algorithmen (vorwiegend in Matlab und in der Sprache C) vornehmen sowie auf Formelmanipulationssysteme (Mathematica, Maple) zurückgreifen.