Kurs Diskussion:Exerzitien unter der Straße/Corona-Armut
Allgemein
BearbeitenFehlende Hilfe zeigt fehlenden sozialen Zusammenhalt!
Mit einem Aufruf und einem Brief an Arbeitsminister Hubertus Heil fordern Verbände und Organisationen, darunter der SoVD, 100 Euro Soforthilfe für arme Menschen. Beziehende von Leistungen der Grundsicherung sind von der Corona-Krise existenziell betroffen. In dieser Zeit bräuchten sie besondere Solidarität und Unterstützung, so das Bündnis. In einem gemeinsamen Aufruf fordern Spitzenvertreter*innen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und weiterer bundesweiter Organisationen die Bundesregierung auf, allen Menschen, die auf existenzsichernde Sozialleistungen angewiesen sind, einen pauschalen Mehrbedarf von 100 Euro monatlich unbürokratisch zukommen zu lassen. Es seien auch heute die Ärmsten, die die Auswirkungen der Corona-Krise existentiell und mit besonderer Härte treffe. Die gemeinschaftliche Bewältigung der Corona-Pandemie sei „auch eine Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Rücksicht zu nehmen, füreinander einzustehen und finanzielle Lasten solidarisch zu teilen“, sei das „Gebot der Stunde“. Betroffene haben kaum Rücklagen Angesichts spürbar steigender Kosten für Grundnahrungsmittel, zusätzlichen Ausgaben für notwendige Schutzkleidung und Hygieneartikel bei gleichzeitig wegfallenden oder nur eingeschränkten Unterstützungsangeboten, aber auch erhöhte Kommunikationskosten seien einkommensarme Menschen massiv belastet und in wachsender Not. Die Betroffenen verfügten in der Regel über keinerlei Rücklagen und viele von ihnen zählen zu den sogenannten Risikogruppen. „Zusätzlich zur sozialen Isolation leiden die Menschen unter materiellen Entbehrungen. Sie alle brauchen und verdienen unsere Solidarität und Unterstützung“, so der eindringliche Appell. Millionen Beziehende von Hartz IV und Altersgrundsicherung lebten schon vor Corona von Unterstützungsleistungen, die schlicht nicht ausreichten, um halbwegs über den Monat zu kommen bzw. das soziokulturelle Existenzminimum sicherzustellen, heißt es in einem begleitenden Anschreiben an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Mit der Corona-Krise habe sich die Situation für die Betroffenen noch einmal drastisch verschärft, so dass unabhängig von der zum 1.1.2021 ohnehin anstehenden Neufestsetzung der Regelsätze, alle schon jetzt von Einkommensarmut betroffene Menschen ab sofort 100 Euro zusätzlich erhalten und damit in der Krise praktische Solidarität erfahren müssten. Mit „ein bisschen Catering für wenige Schulkinder“ sei es schlicht nicht getan. Hilfe zeigt sozialen Zusammenhalt Regierungen und Parlamente von Bund und Ländern hätten die Tragweite der Krise früh erkannt und unverzüglich Hilfen in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Umfang bereitgestellt, was in dem Aufruf ausdrücklich begrüßt wird: „Die wichtigen und notwendigen Hilfen für Menschen und Unternehmen, denen innerhalb weniger Tage die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Existenz entzogen wurden, zeigen, was die Gesellschaft zu leisten vermag.“ Umso fataler und überhaupt nicht nachvollziehbar sei es, dass es trotz der offensichtlichen Mehrbedarfe der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, bislang an einer gezielten Unterstützung ausgerechnet für sie fehle. „In der Sorge für diejenigen, die besonderer Hilfe bedürfen“, zeige sich letztlich „der Grad an sozialem Zusammenhalt einer Gesellschaft“, mahnen die Unterzeichnenden. Der Aufruf wird unterstützt von Vertreter*innen folgender Organisationen: Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Campact, Der Paritätische Gesamtverband, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutscher Kinderschutzbund, Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Mieterbund, Diakonie Deutschland, foodwatch Deutschland, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, NaturFreunde Deutschlands, Sanktionsfrei, Sozialverband VdK Deutschland, SoVD Sozialverband Deutschland, Tafel Deutschland, Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Volkssolidarität Bundesverband, Zukunftsforum Familie, Attac Deutschland.
Verbände fordern Unterstützung für Bedürftige SoVD 2. Mai 2020
--Methodios (Diskussion) 08:36, 28. Okt. 2020 (CET)
Die Bundesregierung hat einen weitgehenden Shutdown des öffentlichen Lebens beschlossen. Wieder werden die Krisenlasten bei den Lohnabhängigen abgeladen. Millionen Menschen müssen ab der kommenden Woche erneut auf ihre Einkommen verzichten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) drohte am Donnerstag in Berlin einen »harten Winter« an. Insbesondere Minijobber würden schwer getroffen, weil diese nicht über Kurzarbeit abgesichert seien. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) teilte in Nürnberg in einer aktuellen Lageeinschätzung mit, es sei zu erwarten, dass die neuen Kontaktbeschränkungen wirtschaftliche Auswirkungen hätten und »in der Folge über 100.000 Jobs kurzfristig verlorengehen«. Auch die Zahl der Kurzarbeiter werde erneut »deutlich steigen«. Wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag in einer Studie darlegte, hat sich seit dem Shutdown im März die soziale Ungleichheit in Deutschland vergrößert. Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen, Minijobber und Leiharbeiter sowie Menschen mit Migrationshintergrund seien überdurchschnittlich oft von Einkommensverlusten durch die Krise betroffen. Zudem müssten Eltern öfter Einkommensverluste verkraften als Kinderlose. Für die Untersuchung waren im April und Ende Juni jeweils mehr als 6.000 Menschen interviewt worden. Rund 32 Prozent von ihnen hätten angegeben, weniger Geld in der Tasche zu haben. Von Einbußen hätten fast 48 Prozent der Befragten mit einem Einkommen von maximal 900 Euro netto im Monat berichtet. Bei einem Einkommen von mehr als 4.500 Euro netto sei das bei lediglich knapp 27 Prozent der Fall gewesen. Die am stärksten getroffenen Befragten bewerteten zudem die politische und soziale Situation in Deutschland insgesamt deutlich kritischer. Und sie zeigten sich im Durchschnitt empfänglicher für Verschwörungsmythen zur Pandemie. Deshalb sei es »zentral, bei weiteren Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die Entwicklung der sozialen Gerechtigkeit im Blick zu haben«, fordern die Autoren. Maßnahmen gegen Massenelend gebe es zuhauf: Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, forderte eine unbürokratische Auszahlung der versprochenen Hilfen für Soloselbständige. Die Betroffenen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche dürften nicht mit einem komplizierten Antragsverfahren überfordert werden, sagte Werneke zu dpa in Berlin. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Sabine Zimmermann, warnte: »Viele Erwerbslose scheitern an den hohen Zugangshürden für den Bezug von Arbeitslosengeld und landen gleich in Hartz IV. Für Selbständige gibt es kaum effektive Hilfen, sie werden auf Hartz IV verwiesen und zum Sozialfall.« Und auch um das Coronavirus wirksam zu bekämpfen, wird es sinnvollere Maßnahmen als nur Kontaktbeschränkungen brauchen. »Mit dem drastischen Anstieg der Fallzahlen kehrt ein verdrängtes Problem der Krankenhäuser zurück.« Das jetzige System der Krankenhausfinanzierung müsse ausgesetzt werden, forderte der Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg (Die Linke). Um die Kliniken für den Winter coronafest zu machen, müssten die Fallpauschalen ausgesetzt werden. Intensivmediziner warnen bereits vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Doch die Regierung schützt weiterhin die Profite der Konzerne.
WIRTSCHAFTSKRISE. Armutsfalle Shutdown Kontaktbeschränkungen in Coronapandemie treffen Geringverdiener am heftigsten. Arbeitsminister droht Lohnabhängigen mit »hartem Winter« Von Simon Zeise. Junge Welt vom 30. Oktober 2020
--Methodios (Diskussion) 20:29, 29. Okt. 2020 (CET)
7. Gefahr zunehmender sozialer Spaltung und Ausgrenzung Schon jetzt stehen Grundsicherungsempfänger durch Corona unter enormem finanziellen Druck (Tafeln fielen weg, kostenloses Mittagessen für Kinder entfiel, steigende Ausgaben, z.B. für Energie durch Zuhausebleiben, deutlich steigende Lebenshaltungskosten (Lebensmittel, Friseur etc.). Bisher griff die Regierung die Forderung des SoVD, einen Zuschlag von 100 € zur Grundsicherung zugunsten der Betroffenen zu gewähren (#100EuroMehrSofort), jedoch nicht auf. Während für andere Interessengruppen der Handlungsbedarf erkannt und z.B. Schutzschirme aufgespannt wurden, wurde für die Gruppe der Ärmsten nach Ansicht des SoVD bislang noch zu wenig getan. Ergänzend verweist der SoVD auf wissenschaftliche Erkenntnisse, dass von Armut bedrohte Menschen ein erhöhtes Risiko tragen, sich mit Corona zu infizieren. Beengter Wohnraum, das Angewiesensein auf den ÖPNV u.a. begünstigt Infektionen. Es besteht die Gefahr der Stigmatisierung bestimmter Gruppen. Mit Sorge sieht der SoVD die Gefahr der Entsolidarisierung in Lockerungsprozessen, den die Bundesländer verantworten. Menschen treffen wieder in größerer Zahl aufeinander. Manche halten dabei das Mindestabstandsgebot oder auch die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, nicht ein. Das kann Ängste und der Druck bei vulnerablen Gruppen verstärken, wegen drohender Ansteckung zu Hause und damit vom öffentlichen Leben ausgeschlossen zu bleiben. Hierzu könnte auch der Immunitätsausweis verstärkend beitragen, der politisch diskutiert wurde und möglicherweise weiter diskutiert wird. Abschließend verweist der SoVD darauf, dass die wirtschaftlichen Folgen der Krise noch nicht absehbar sind, sich jedoch zunehmend andeuten. Bereits jetzt steigen die Arbeitslosenzahlen. Federt das Kurzarbeitergeld nicht mehr ab, drohen sie weiter erheblich anzusteigen. Die Existenzängste der Menschen nehmen zu. Die aktuellen Entwicklungen werden den finanziellen Druck auf die Sozialversicherungssysteme erheblich erhöhen: Bei der BA können steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen dazu führen, dass Qualifizierungs- und Vermittlungsbemühungen reduziert werden, die Eingliederungschancen damit sinken und infolgedessen mehr Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit geraten. Der Zugang zu notwendigen Leistungen der Rehabilitation kann enorm erschwert werden. Auch im Bereich der GKV sieht der SoVD diese Gefahren. Der finanzielle Druck ist bereits jetzt erkennbar. Mittelfristig besteht die Gefahr der politischen Diskussion um Leistungseinschränkungen. Das würde eine weitere Privatisierung gesundheitlicher Risiken bedeuten. Dem muss die Politik entschlossen und frühzeitig entgegentreten.
8. Gerechte Bezahlung gesellschaftlich wichtiger Tätigkeiten steht aus Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, wie existenziell wichtig die Gesundheits- und Pflegeberufe sowie die Sorgearbeit für eine Gesellschaft sind. Corona muss Anlass sein, endlich eine gerechte Bezahlung der dort Tätigen zu erreichen. Einmalige Prämien mögen eine kleine Anerkennung signalisieren, eine gerechte Bezahlung machen sie aber nicht entbehrlich. Jetzt ist es an der Zeit, diese Tätigkeiten, die vor allem von Frauen geleistet werden, gesellschaftlich aufzuwerten und gerecht zu entlohnen. Einen finanziellen Ausgleich brauchen auch Angehörige, die die Betreuung der pflegebedürftigen Menschen oder der Menschen mit Behinderungen übernommen haben, weil die Einrichtung coronabedingt geschlossen ist und sie deshalb nicht mehr arbeiten können. Positiv ist, dass die Entgeltfortzahlungsregelung nach § 56 Infektionsschutzgesetz bereits ausgeweitet wurde auf Eltern, die ihre volljährigen Kinder mit Behinderungen betreuen müssen. Allerdings bleiben andere Angehörige außen vor und auch der Einkommensverlust wegen notwendiger Pflege z.B. der eigenen Eltern wird bislang nicht ausgeglichen.
9. Große Belastungen für Frauen anerkennen und ausgleichen Der SoVD betont, dass Frauen in besonderer Weise die Folgen der Corona-Krise getragen haben und weiter tragen. Sie arbeiten nicht nur in den gesellschaftlich besonders wichtigen Gesundheits- und Pflegeberufen und im Handel. Sie sind es auch, die „daneben“ den ganz überwiegenden Anteil der Pflege von Angehörigen übernehmen, das Homeschooling der Kinder absichern und den Haushalt managen. Haben sie Kinder mit Behinderungen, sind sie noch zusätzlich gefordert, weil Therapieangebote u.a. entfallen. Die Belastungen in den Familien sind z.T. enorm: Überlastungssituationen, häusliche Enge, Existenzängste, fehlende externe Hilfe- und Unterstützungsstrukturen u.a. können das Konfliktpotenzial in der eigenen Häuslichkeit massiv erhöhen. Mit Sorge sieht der SoVD, dass Bedrohungen und Gewalt in der Familie, insbesondere gegen Kinder und Frauen, in der Corona-Zeit messbar angestiegen sind. Hier braucht es dringend Entlastungsangebote im Alltag für die Betroffenen sowie zusätzlich auch rehabilitative Angebote, die den o.g. enormen Belastungen Rechnung tragen. Berlin, 28. Juli 2020, Abteilung Sozialpolitik.
Corona-Krise trifft Bedürftige. Der SoVD veröffentlicht eine aktuelle Einschätzung zu den sozialpolitischen Auswirkungen der Corona-Krise. Für Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderung sowie Familien war und ist die Situation demnach besonders schwierig.
--Methodios (Diskussion) 09:01, 28. Okt. 2020 (CET)
Der soziale Status von Erkrankten beeinflusst den Krankheitsverlauf bei einer COVID-19-Infektion. Bei Langzeitarbeitslosen besteht nach einer Studie von AOK und Uniklinik Düsseldorf ein deutlich höheres Risiko, dass die Krankheit im Krankenhaus behandelt werden muss. Je weniger Geld zur Verfügung steht, desto höher ist die Gefahr einer schweren Erkrankung durch das Coronavirus. Das ist geht aus einer neuen Studie hervor. Für die Analyse hat das Institut für Medizinische Soziologie des Uniklinikum Düsseldorf gemeinsam mit der AOK Rheinland / Hamburg die Daten von knapp 1,3 Millionen Versicherten untersucht. Sie gingen der Frage nach, ob Menschen in Arbeitslosigkeit häufiger mit einer Corona-Infektion in einem Krankenhaus behandelt werden mussten als erwerbstätige Versicherte. Der Untersuchungszeitraum lag zwischen dem 1. Januar und 4. Juni. Mit Hartz IV fast doppelt so oft im Krankenhaus Bezieher*innen von Grundsicherung (ALG II, „Hartz IV)“ haben demnach ein stark erhöhtes Risiko, mit einer Covid-19-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Im Vergleich zu Erwerbstätigen in regulärer Beschäftigung ist das Risiko für ALG II-Empfänger*innen um 84,1 Prozent erhöht, dass sie wegen COVID-19 ins Krankenhaus kommen. Für ALG I-Empfänger liegt das Risiko um 17,5 Prozent höher. Vergleichbare Studien aus den USA und Großbritannien führten in der Vergangenheit zu ähnlichen Ergebnissen, in Deutschland war der Umstand weniger erforscht. Der verantwortliche Autor Prof. Nico Dragano von der Uniklinik Düsseldorf stellt fest: „Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre dies ein weiterer Beleg für ausgeprägte soziale Unterschiede bei Erkrankungen in Deutschland." Start für weitere Untersuchungen Die gemeinsame Untersuchung soll der Auftakt für weiterführende Forschung zur sozialen Dimension der COVID-19-Pandemie sein. Bereits bekannt ist, dass Menschen mit niedrigem Einkommen häufiger von Gesundheitsproblemen betroffen sind. Sie leiden häufiger an chronischen Krankheiten und weisen eine niedrigere Lebenserwartung auf. Der SoVD setzt sich für ein solidarisches Gesundheitssystem, das allen eine bedarfsgerechte Versorgung ermöglicht.
Arme häufiger mit Corona im Krankenhaus SoVD vom 16. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 08:27, 28. Okt. 2020 (CET)
Berlin. Die Kritik an der Coronapolitik der Bundesregierung verschärft sich: Vor allem Künstler und Kulturschaffende fürchten, dass sie durch die Maschen des sozialen Netzes fallen. Vor ein paar Tagen protestierten sie in Berlin. Jetzt greifen die Grünen die Forderungen der Demonstranten auf. Die Oppositionspartei wirft Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Finanzminister Olaf Scholz und Sozialministeriums Hubertus Heil vor, die Belange der Selbständigen zu vernachlässigen. „Es ist jetzt dringend notwendig, dass Minister Altmaier, Scholz und Heil ihre Politik korrigieren“, sagte die Mittelstandsbeauftragte der Grünen-Fraktion, Claudia Müller, dem Handelsblatt. „Die Bundesregierung ignoriert vollkommen, dass die Betroffenen nicht aufgrund schlechten wirtschaftlichen Handelns in dieser Notlage sind, sondern weil ihnen etwa durch das Verbot von Großveranstaltungen die Geschäftsgrundlage quasi über Nacht entzogen wurde.“ Die Kritik entzündet sich vor allem daran, dass die Bundesregierung das Arbeitslosengeld II, im Volksmund Harz IV genannt, als geeignetes Hilfsmittel für Selbstständige betrachtet. Dabei ignorierten die Minister jedoch die „Zugangshürden“, insbesondere für Soloselbstständige, klagen die Grünen. Die Komplexität der Anträge etwa, auch die Überprüfung von Vermögen, das vielfach der Altersvorsorge dient. „Das Instrument ALG II ist als alleinige Krisenhilfe für Selbstständige ungeeignet“, bilanziert Müller. Etwa 40 Prozent der Betroffenen würden schon daran denken, ihre Tätigkeit aufzugeben. Eine Anfrage der Grünen-Fraktion hat ergeben, dass Vertreter der Selbstständigen bei den Krisenberatungen in den Ministerien oft außen vor blieben. „Die Antworten bestätigen: die Bundesregierung übergeht die Soloselbstständigen“, klagt Müller. Vier Millionen Menschen gehen in Deutschland einer selbstständigen Arbeit nach, etwa die Hälfte als Soloselbstständige. Eigentlich betonen Politiker gern, wie wichtig der unternehmerische Mut sei, den Selbstständige zeigten. Regierung verweist auf Hilfsprogramme Die Erfahrungen in der Krise könnte jetzt jedoch gerade junge Leute davon abschrecken, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen - was für den Unternehmergeist in Deutschland fatale Folgen haben könnte. Die Regierung verteidigt sich: Sie stehe im „ständigen Kontakt“ zu „Verbänden, Forschungseinrichtungen und Institutionen, die insbesondere auch über langjährige Expertise zu den Themen Unternehmertum und Selbständige verfügen“, erklärt sie in ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage. Zudem verweist sie darauf, dass sich die in der Krise geschaffenen Sofort- und Überbrückungshilfen auch an Selbstständige richteten. Aus diesen Hilfsprogrammen sollen die Unternehmer ihre Betriebskosten bestreiten können. Für den Lebensunterhalt gebe es dann notfalls Harz IV, argumentiert die Regierung, bei der Bedarfsprüfung zeige sich der Staat derzeit großzügig. Doch für die Betroffenen ist das völlig ungenügend, auch die Grünen fordern mehr. So müsse die Bundesregierung die Möglichkeit schaffen, einen Betrag von 1180 Euro für die Lebenshaltungskosten bei den Sofort- und Überbrückungshilfen anzurechnen – auch nachträglich. Ein solches Modell wird in Baden-Württemberg schon praktiziert. „Die Trennung zwischen Lebenshaltungs- und Betriebskosten ist bei vielen Soloselbstständigen völlig lebensfremd“, kritisiert Müller. Zudem sollten die Behörden bei der Verfolgung möglicher Missbrauchsfälle Nachsicht walten lassen. „Solche Taten aus Verzweiflung und auch aus widersprüchlichen Informationen heraus sollten nicht strafrechtlich verfolgt werden“, fordert die Grünen-Politikerin. Die anstehenden Rückzahlungen seien schon schwerwiegend genug.
CORONAHILFEN. Die Durchgefallenen: Wie der Staat die Selbstständigen im Stich lässt Selbstständige zählen zu den größten Leidtragenden der Coronakrise. Die Grünen fordern zusätzliche Hilfen, doch die Regierung winkt das Gesuch ab. Moritz Koch ist USA-Korrespondent. Von Moritz Koch. Handelsblatt vom 10. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 16:46, 14. Sep. 2020 (CEST)
Corona hat gezeigt, welche argen Schwächen unser Sozialsystem hat.
zB: Selbstständige sind nicht selbständig, sondern Abhängige von Kapital und Auftraggebern - dies wird in der Corona-Krise besonders deutlich:
vgl. Petition: Verlängerung und rechtssichere Ausgestaltung von Soforthilfen für Selbstständige vom 13.05.2020
Es gibt unglaublich viele Ungleichbehandlungen in diesem "freien" "Rechtsstaat". "Recht" hat bei uns immer noch der, der am stärksten in den Ausschüßen vertreten ist, wo die "Gesetze" diktiert werden. "Frei" ist demnach auch nur der, der genügend Mittel hat, um diese "Lobby-Arbeit" zu finanzieren.
--Methodios (Diskussion) 10:51, 5. Jul. 2020 (CEST)
Landesweite Zahlen über die »Corona-Armut« gibt es noch nicht. Aber Andrea Caprini, der im norditalienischen Mantua für das Soziale zuständig ist, ist extrem besorgt. »In diesen Wochen haben wir über 800 neue Anträge auf Unterstützung erhalten. Davon haben wir nach einer ersten Prüfung 474 akzeptiert. Aber finanzieren können wir derzeit nur 224 - mehr Geld ist nicht in den Kassen.« Es handele sich um sehr unterschiedliche Personen oder Familien, erklärt Caprini. »Da sind vor allem die Menschen, Italiener und Ausländer, die sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielten und die jetzt fast drei Monate lang überhaupt nichts verdient haben. Dazu kommen Haushaltshilfen und Pflegerinnen, die schwarz gearbeitet hatten und auf die Straße gesetzt wurden. Viele der Antragsteller arbeiteten als Aushilfskräfte in Restaurants oder Hotels, aber jetzt registrieren wir auch Anfragen von Handwerkern, die ohne Arbeit sind und keine Ersparnisse haben.«
Die Ersparnisse schwinden. In Italien sind die strengen Coronaregeln gefallen. Doch das Leben der Menschen ist weit entfernt von Normalität ND vom 7. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 12:20, 10. Jun. 2020 (CEST)
Arbeitslose in Deutschland könnten einer Auswertung zufolge ein höheres Risiko haben, wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Bei der Untersuchung der AOK Rheinland/Hamburg und des Instituts für Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Düsseldorf wurden Daten von 1,3 Millionen Versicherten berücksichtigt. ... Bezieher von Arbeitslosengeld II hatten dabei ein um 84 Prozent höheres Risiko für einen coronabedingten Klinikaufenthalt. Bei ALG-I-Empfängern war das Risiko geringfügig höher als bei erwerbstätigen Versicherten. ... »Dass Armut und Gesundheit zusammenhängen, wissen wir seit langem«, sagte der verantwortliche Autor, Prof. Nico Dragano von der Uniklinik Düsseldorf. ... Die Uniklinik bezeichnete die Studie als Auftakt »für weiterführende Forschung zur sozialen Dimension der Covid-19-Pandemie«. »Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, wäre dies ein weiterer Beleg für ausgeprägte soziale Unterschiede bei Erkrankungen in Deutschland.« Sie äußerten sich beispielsweise in einer verkürzten Lebenserwartung von Menschen mit geringen Einkommen. Einzelheiten der Studie will die Universität in Kürze in einer Fachzeitschrift veröffentlichen und zur Diskussion stellen. »Soziale Ungleichheit beeinflusst die Gesundheitschancen beträchtlich«, erklärte der Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann. Dies spiegle sich auch in der Corona-Pandemie wider. »Die Gesundheit sollte aber nicht vom sozialen Status abhängen«, so Wältermann.
Studie: Arbeitslose haben höheres Risiko für Corona-Klinikaufenthalt. Erste Untersuchung zur sozialen Dimension der Covid-19-Pandemie. Neues Deutschland vom 16. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 10:21, 17. Jun. 2020 (CEST)
In der Gastronomie reden wir ja oft nicht nur über prekäre Arbeit, sondern faktisch über informelle Arbeit, bei der es nicht mal einen Vertrag gibt. Diese Menschen kriegen kein Arbeitslosengeld, sondern müssen gleich zum Sozialamt gehen.
Berlin. Die Linke. Kampf an den Bruchlinien der Gesellschaft. Die neuen Linksfraktionschefs im Abgeordnetenhaus sehen sich gewappnet für die harten Auseinandersetzungen in der Coronakrise. Von Nicolas Šustr. ND vom 17. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 10:50, 18. Jun. 2020 (CEST)
Welche Chance liegt in der Krise? Helm: Erst einmal verschärft sie Ungerechtigkeiten und schränkt unsere politischen Handlungsmöglichkeiten ein, insofern finde ich es schwierig, von einer Chance zu sprechen. Wie man damit umgeht und wer für die Krise zahlt, das werden die großen Auseinandersetzungen. Wir dürfen nicht zulasten der öffentlichen Infrastruktur oder der sozialen Sicherungssysteme sparen. Das haben wir aus vergangenen Krisen gelernt. Eine neoliberal ausgerichtete Infrastruktur funktioniert genau dann nicht, wenn die Menschen am meisten auf sie angewiesen sind. Das sieht man im Gesundheitswesen.
Berlin. Die Linke. Kampf an den Bruchlinien der Gesellschaft. Die neuen Linksfraktionschefs im Abgeordnetenhaus sehen sich gewappnet für die harten Auseinandersetzungen in der Coronakrise. Von Nicolas Šustr. ND vom 17. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 10:54, 18. Jun. 2020 (CEST)
Schatz: Corona hat an ganz vielen Punkten die Bruchlinie in dieser Gesellschaft freigelegt. Ob das jetzt die Arbeitsverhältnisse in den Schlachthöfen waren, unterschiedliche Wohnsituationen oder der Stellenwert des öffentlichen Nahverkehrs oder von Radwegen. Für uns kommt es drauf an, entlang dieser Bruchlinien Auseinandersetzungen zu führen. Zur zentralen Frage, wer am Ende zahlt, hat unsere Bundespartei klare Vorschläge gemacht: Wir brauchen eine einmalige Vermögensabgabe und wir brauchen auch eine Vermögenssteuer auf Bundesebene, damit wir auch die Superreichen zur Kasse bitten, die in den letzten Dekaden hier abgesahnt haben.
Berlin. Die Linke. Kampf an den Bruchlinien der Gesellschaft. Die neuen Linksfraktionschefs im Abgeordnetenhaus sehen sich gewappnet für die harten Auseinandersetzungen in der Coronakrise. Von Nicolas Šustr. ND vom 17. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 10:58, 18. Jun. 2020 (CEST)
Wirtschaftskrise, Coronapandemie und staatliche Maßnahmen fordern ihren Tribut. Immer mehr Arme geraten offenbar in existentielle Notlagen. Sichtbar wird dies bei den Tafeln. »Die Helferinnen und Helfer beobachten eine neue Hilfebedürftigkeit in Deutschland«, resümierte deren bundesweiter Dachverband am Mittwoch. Und die Einrichtungen rechnen mit einem weiteren Anstieg. Der Bundesverband hatte dazu die einzelnen Tafeln befragt. Diese verzeichneten demnach in den letzten drei Monaten »zahlreiche Neuanmeldungen«. Dabei sind 120 von 947 Einrichtungen noch immer geschlossen, die restlichen arbeiten meist eingeschränkt, wie Verbandsvorsitzender Jochen Brühl erläuterte. Trotzdem sei der Zulauf enorm. »Wir haben in den letzten Wochen eine neue Form der Not erlebt«, berichtete Brühl. Vor allem jüngere Menschen suchten wegen akuter existentieller Notlagen Hilfe.
Wirtschaftskrise. Notlagen häufen sich. Tafeln registrieren wachsenden Zulauf und Vereinsamung ihrer Nutzer. Studie warnt vor Folgen. Von Susan Bonath. Junge Welt vom 19. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 08:36, 19. Jun. 2020 (CEST)
Gleichzeitig blieben viele ältere, teils langjährige Tafelnutzer aus Angst vor einer Coronainfektion zu Hause. »Es gelingt uns momentan nicht, alle Betroffenen zu erreichen«, so der Tafel-Chef. Ihnen fehle es derzeit nicht nur am Essen, sondern auch an sozialen Kontakten. Ebenso problematisch sei die Situation für Alleinerziehende. Viele Kinder könnten seit Monaten nicht kostenfrei in den Einrichtungen essen und müssten zu Hause beschult werden. »Wir sehen, dass die Ärmsten besonders hart von der Krise getroffen werden«, resümierte er und warnte: Die Politik dürfe die Armen nicht vergessen. Ende 2019 verzeichneten die Tafeln bundesweit rund 1,6 Millionen regelmäßige Nutzer, darunter etwa ein Drittel Kinder und ein Drittel ältere Menschen im Rentenbezug. Dass Menschen in materieller Not häufiger von Vereinsamung betroffen sind, zeigt auch eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Das Fazit der Forscher darin: Arme Menschen leben häufiger partnerlos auf engem Raum, sind öfter alleinerziehend, haben keine Ressourcen für die Bewältigung einer Krise. Deshalb litten sie am stärksten unter den einschneidenden Maßnahmen. Langfristig könne dies »gesamtgesellschaftlich problematische Folgen« haben, mahnten die Autoren.
Wirtschaftskrise. Notlagen häufen sich. Tafeln registrieren wachsenden Zulauf und Vereinsamung ihrer Nutzer. Studie warnt vor Folgen. Von Susan Bonath. Junge Welt vom 19. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 08:39, 19. Jun. 2020 (CEST)
So stellten die Forscher zunächst heraus, dass 40 Prozent der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, alleine leben. Damit ist ihr Anteil in dieser Gruppe doppelt so hoch wie im Rest der Bevölkerung. Außerdem sind acht Prozent der armen Haushalte Einelternfamilien. In der gesamten Bevölkerung sind nur zwei Prozent alleinerziehend. Fast jeder zehnte der befragten Grundsicherungsbezieher fühlte sich durch die Coronaeinschränkungen stark sozial isoliert und sogar jeder dritte besaß keinen Computer mit Internetanschluss, um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Enge Wohnungen gepaart mit materiellen und existentiellen Sorgen erhöhten den Stress durch die Krise enorm. In der Folge mehrten sich dadurch die Konflikte und psychischen Probleme. »Die Coronakrise trifft also die ökonomisch ohnehin schwächeren Gruppen in besonderer Weise«, so das Fazit der IAB-Forscher. Im Mai hatte sich ein Bündnis aus 17 Sozialverbänden, darunter auch die Tafeln, mit einem gemeinsamen Appell an die Bundesregierung gewandt: Die Grundsicherung im Alter, bei Erwerbsminderung sowie bei Erwerbslosigkeit müsse für die Dauer der Krise um 100 Euro angehoben werden, um Härten abzufedern. Zuvor hatten die Bundestagsfraktionen der Partei Die Linke und der Grünen beantragt, die Sätze anzuheben.
Wirtschaftskrise. Notlagen häufen sich. Tafeln registrieren wachsenden Zulauf und Vereinsamung ihrer Nutzer. Studie warnt vor Folgen. Von Susan Bonath. Junge Welt vom 19. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 08:42, 19. Jun. 2020 (CEST)
FOCUS Online: Welche Bruchlinien meinen Sie? Grünewald: Der Lockdown hat offenbart, wie groß die Klassenunterschiede in Deutschland eigentlich sind. Wir haben vor Augen geführt bekommen, dass das Leben in den Städten kaum noch finanzierbar ist, dass Schüler in unserem Bildungssystem nicht die gleichen Chancen haben, dass systemrelevante Berufe chronisch unterbezahlt sind. Aus unseren psychologischen Tiefeninterviews wissen wir außerdem, dass es in den vergangenen Monaten zu einer deutlichen Spreizung der Lebenswirklichkeiten gekommen ist. Die eine Hälfte der Bevölkerung hat den Lockdown als eine wunderbare Zeit der Entschleunigung und des Müßiggangs erfahren. Finanziell abgesicherte gesellschaftliche Gruppen – seien es Beamte, Rentner oder Studenten, die von ihren Familien unterstützt wurden – hatten plötzlich viel Zeit und Muße für den Garten, Hobbys oder Netflix. Für sie war der Lockdown eine Art Biedermeier-Idyll, das gerne noch ein paar Monate länger hätte andauern können. Auf der anderen Seite haben viele Menschen diese Zeit als ungeheure Zumutung erlebt. Sie litten unter beengten Wohnverhältnissen, unter Homeschooling für ihre Kinder, der Angst vor Bankrott oder Jobverlust. Kurz gesagt: Für diese Gruppe war der Lockdown eine Art Vorhölle.
Top-Psychologe Stephan Grünewald im InterviewLockdown, Masken, Jobverlust: "Corona hat uns wütend gemacht - so ticken wir jetzt" Focus vom 19. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 21:45, 19. Jun. 2020 (CEST)
In besagtem Bericht wird in diesem Jahr stark Bezug genommen auf soziale Rechte wie das Recht auf Wohnen oder das auf eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung. Derlei soziale Menschenrechte sind in der Vergangenheit nicht nur von der politischen Linken oft vernachlässigt worden. Sehen Sie die Chance, dass einst von links besetzte Themen – wie die soziale Frage oder auch das Recht auf ein Leben in Frieden – künftig wieder größere Bedeutung bekommen könnten? - Das sollten sie, ja. Gerade die Coronapandemie hat ja die Defizite in der sozialen Infrastruktur offengelegt und auch gezeigt, wer in schlecht bezahlten Jobs alles am Laufen hält. Wir müssen jetzt für den universellen Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und für ein Grundrecht auf Wohnen streiten.
Debatte über Grundrechte: »Reformen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein« Ein Gespräch mit Michèle Winkler. Über strukturellen Rassismus in der BRD, Proteste in Zeiten der Pandemie und eine Empfehlung an Dietmar Bartsch. Interview: Markus Bernhardt. Junge Welt vom 20. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 07:33, 25. Jun. 2020 (CEST)
Nachdem sich Stuck In Reality aufgelöst hatte, gründete Ju 2011 mit zwei Nachbarn die Band „Die Dölzschner“, mit der er auf zahlreichen Veranstaltungen spielte, 2013/14 ein Jahr lang durch Straßenmusik finanziert durch Europa und Marokko tourte und anschließend ein Album aufnahm. 2012 absolvierte Ju sein Abitur am St.-Benno-Gymnasium mit Leistungskurs Musik. Anfang 2016 begann er – mit der das Instrumentarium komplettierenden Loop Station – solistisch zu komponieren, machte Straßenmusik und spielte in vielen Bars der Dresdner Neustadt. Bald kamen die ersten Anfragen für Privatveranstaltungen und so arbeitete sich Ju sinnbildlich von der Straße auf größere Bühnen nach oben. Schon nach der Rückkehr der „Dölzschner“ von ihrer einjährigen Reise wusste Ju, dass er sich eines Tages wieder einen Oldtimer kaufen und allein durch die Welt reisen würde und im Sommer 2016 fasste er sich im Zuge seines schnellen Erfolges und nach langem Sparen ein Herz und kaufte sich seinen 1984er Mercedes-Benz 210, den er liebevoll auf den Namen „Rosie“ taufte. Noch im selben Jahr erfüllte sich Ju den Traum, sein erstes Soloalbum aufzunehmen, denn der Produzent, der schon das Album „Volles Rohr“ von den Dölzschnern gemastert hatte, bot Ju einen Sonderpreis an, da ihm dessen Projekt sehr gefiel. Ende 2016 machte sich Ju auf Grund des schnellen Erfolges selbstständig und seitdem fährt er mit Rosie, dem Album „Travelling Moss“ und seinem voluminösen Equipment auf viele Veranstaltungen und lebt seinen Traum, ein freier Musiker zu sein. 2018 performt er auf Dutzenden privaten und öffentlichen Veranstaltungen, macht Straßenmusik um sich bekannter zu machen und veröffentlicht sein zweites Soloalbum `Dizzy of Love. 2019 spielt Ju auf noch mehr Veranstaltungen - u.A. im Kulturpalast Dresden, auf dem Konzertplatz Weißer Hirsch, dem Dresdner Stadtfest und auf dem Schloss Fasanerie bei Fulda. Er veröffentlicht die neue Single `Bald ans Meer´ und beginnt im Dezember eine drei monatige Reise nach Neuseeland. 2020 kehrt Ju nach Deutschland zurück und spielt auf genau einer privaten Veranstaltung vor dem Corona bedingten Lockdown. Alle Auftritte von April bis August sind abgesagt.
https://www.ju-music.de/willkommen/about-ju-von-d%C3%B6lzschen/
--Methodios (Diskussion) 21:42, 3. Jul. 2020 (CEST)
3. Juli 2020: Auftritt Hauptstraße gegen 17 Uhr - nur 30 min erlaubt - es gibt 40 erlaubte Plätze in Dresden, man muß nach einer halben Stunde wechseln - bei so viel Instrumenten und Technik für eine One Man Band sehr schwierig - rinr ganze Reihe von Photographien gemacht - eigentlich wäre heute ein Auftritt auf einer Hochzeit dran - wurde schon im April gecancelt
--Methodios (Diskussion) 21:46, 3. Jul. 2020 (CEST)
Günstige Produkte ausverkauft, die Tafeln geschlossen: Die Maßnahmen gegen die Coronapandemie trafen die Ärmsten seit Mitte März besonders hart. Deshalb hatten die Partei Die Linke und die Gewerkschaften gefordert, Hartz-IV-Sätze endlich spürbar zu erhöhen. Herausgekommen ist ein Plus von sieben auf 439 Euro für Alleinstehende ab 2021. Doch selbst diesen mickrigen Betrag will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verhindern. Er blockiert den Kabinettsbeschluss, wie das Internetportal Business Insider am Mittwoch berichtete. Es sei »schlicht unanständig, wie Herr Seehofer Hartz-IV-Empfänger in Geiselhaft nimmt, um damit eine Besserstellung der eigenen konservativen Wählerklientel zu erpressen«, kritisierte Anja Piel vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gestern. Der DGB, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, und Sozialverbände hatten ihre Forderungen auch damit begründet, dass die Coronamaßnahmen für mehr Notlagen gesorgt haben. Der Bundesagentur für Arbeit (BA) war das wohl klar. Mit einer Weisung hatte sie die Sanktionen zwischen April und Juni ausgesetzt – zumindest offiziell. Tatsächlich litten noch im April Zehntausende Hartz-IV-Bezieher unter Kürzungen, wie neue Daten der Behörde zeigen. Auf jW-Nachfrage reagierte BA-Sprecher Christian Ludwig ausweichend: Man habe nicht verfügt, alle Sanktionen zurückzunehmen. In ihrer Weisung begründete die Behörde das »Aussetzen der Minderungen« damit, dass Auflagenverstöße wegen geschlossener Jobcenter nicht genügend ermittelt werden könnten. Es sei »nicht auszuschließen, dass eine unzumutbare Härte vorliegt«. Und: »Bis auf weiteres erfolgen daher keine Leistungsminderungen«, so die BA. Aus den nun vorliegenden Daten für April geht anderes hervor: Von knapp 26.000 »im Berichtsmonat neu festgestellten Sanktionen« ist dort die Rede. Der Bestand »zum Stichtag wirksamer Sanktionen« lag im April sogar bei über 65.000. Insgesamt waren 47.217 Menschen damit belastet.
GRUNDSICHERUNG. Hartz bleibt Käse. Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen fand vielerorts nicht statt. Innenminister blockiert Erhöhung der Regelsätze um sieben Euro. Von Susan Bonath, Junge Welt vom 13. August 2020
Anteilig die meisten der als erwerbslos registrierten Hartz-IV-Bezieher waren im April in Sachsen sanktioniert (2,7 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (2,6), Brandenburg (2,4) und Thüringen (2,3). Die wenigsten (0,9 Prozent) erhielten in Berlin eine Kürzung. Bei den Jobcentern gab es aber große Unterschiede. In Delmenhorst, Wilhelmshaven, Essen, Recklinghausen, Wuppertal und Freising hatten sie tatsächlich alle Strafen ausgesetzt. Anderswo schlugen sie offenbar noch einmal richtig zu. Spitzenreiter beim Kürzen war die Behörde in der Südwestpfalz (8,5 Prozent), gefolgt von Passau (7,2), Worms (7,0) und Hildburghausen (6,4). BA-Sprecher Ludwig erklärte, die Jobcenter hätten im April »pflichtwidriges Verhalten vor dem Monat April« bestraft. Solche »Vergehen« habe die Weisung nicht erfasst, sie biete »keine Rechtsgrundlage, Bescheide aufgrund vorher durchgeführter Verfahren aufzuheben«. Dass einige Jobcenter trotzdem alle Kürzungen stoppten, zeige, »dass es möglich und die Weisung wohl beliebig auslegbar war«, kritisierte die frühere Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann (Die Linke) gegenüber jW. Dies sei ein Freibrief für »Willkür auf Kosten der Erwerbslosen«. Möglicherweise habe man damit sogar ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2019 umgangen, mahnte sie. Darin heißt es, Betroffenen müsse es möglich sein, »ihre Pflichten nachzuholen«, um die Sanktion vorzeitig zu beenden. »Das war wegen der Schließungen nicht oder nur eingeschränkt möglich, viele konnten ihr Recht gar nicht nutzen«, so Hannemann.
GRUNDSICHERUNG. Hartz bleibt Käse. Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen fand vielerorts nicht statt. Innenminister blockiert Erhöhung der Regelsätze um sieben Euro. Von Susan Bonath, Junge Welt vom 13. August 2020
Am Mittwoch wollte die Bundesregierung über die Höhe der neuen Hartz-IV-Sätze beraten, die ab dem kommenden Jahr ausgezahlt werden sollen. Dazu kam es vorerst nicht. Das Bundesarbeitsministerium hat einen Entwurf vorgelegt - die allzu knickrige Erhöhung, die darin vorgesehen ist, hat allerdings bereits die Empörung von Sozialverbänden hervorgerufen. Von 432 auf 439 Euro würde demnach der Satz für alleinstehende Erwachsene ab dem 1. Januar 2021 steigen - das seien gerade mal 23 Cent pro Tag, kritisierte der Paritätische Wohlfahrtsverband. »Armut bekämpfen wir damit ganz sicher nicht«, so auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Dass die Regierung den Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch nicht wie vorgesehen behandelte, lag aber nicht an der Einsicht der Koalitionäre, dass die vorgesehenen Mittel das Ansehen ihrer Regierung beschädigen könnte.
Taktieren auf Kosten der Ärmsten. Bundeskabinett konnte Hartz-IV-Armutssätze nicht beschließen, weil Horst Seehofer eine Extrawurst für die eigene Klientel braten will. Von Uwe Kalbe. ND vom 12. August 2020
Die Verschiebung des Tagesordnungspunktes geht vielmehr auf die Kappe des Ministers für Inneres, Bau, Sport und Heimat. Horst Seehofer von der CSU hatte nämlich seine Zustimmung zu dem umstrittenen Hartz-IV-Paket daran geknüpft, dass die Koalition gleichzeitig einen Renten-Härtefallfonds für Spätaussiedler beschließt. Was das miteinander zu tun hat, ist die eine Frage, über die sich dem Vernehmen nach das Arbeitsministerium befremdet zeigte. Die andere Frage lautet, was Seehofer so wichtig an diesem Härtefallfonds sein könnte, dass er damit die kargen Brosamen für Grundsicherungsempfänger in Frage stellt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht darin den Versuch, »eine Besserstellung des eigenen konservativen Wählerklientels zu erpressen«, wie DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel gegenüber der Nachrichtenagentur AFP in Berlin erklärte. Es sei »unanständig, wie Herr Seehofer sämtliche Hartz-IV-Empfänger in Geiselhaft zu nehmen, um damit Verbesserungen bei den Renten von Spätaussiedlern durchzusetzen«. Seehofer wisse sehr genau, wie wichtig eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze gerade in der Corona-Krise sei, um das Existenzminimum für Langzeitarbeitslose und aufstockende Niedrigverdiener zu sichern, sagte Piel. »Auf dem Rücken dieser Menschen Kuhhandel zu betreiben, und zusätzlich Verunsicherung zu schaffen, ist unredlich.«
Taktieren auf Kosten der Ärmsten. Bundeskabinett konnte Hartz-IV-Armutssätze nicht beschließen, weil Horst Seehofer eine Extrawurst für die eigene Klientel braten will. Von Uwe Kalbe. ND vom 12. August 2020
Die Hartz-IV-Regelsätze werden alle fünf Jahre neu ermittelt. Die Sozialverbände kritisieren nicht nur die allenfalls minimale Erhöhung, die nicht zum Leben reicht, sondern auch die Methodik der Ermittlung des Bedarfs. Willkürlich werden dabei angeblich nicht notwendige Bedarfsgüter herausgerechnet. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Verbands: »Was wir bei der Berechnung der Regelsätze erleben, ist keine Statistik, sondern ihr Missbrauch«. Auch die Grünen kritisieren das Verfahren und haben in einem eigenen Entwurf einen Bedarf von 603 Euro statt der bisherigen 432 Euro ermittelt. Hinzu kommen jeweils die Wohnkosten. Überdies verlangen sie einen Coronaaufschlag. Mit seinem Entwurf betreibe Arbeitsminister Hubertus Heil Verarmungspolitik, kritisierte Parteichefin Katja Kipping. Wie auch die Sozialverbände moniert Kipping, der SPD-Minister setze die unsägliche Tradition seiner Amtsvorgänger fort und rechne die Regelsätze klein. Die für die Berechnung ausgewählte Referenzgruppe sei so arm, »dass ihr Ausgabeverhalten von Einschränkungen und Schulden geprägt ist. So entsteht ein Zirkelschluss der Verarmung.« Nur jeder Vierte in der Referenzgruppe ist erwerbstätig. Damit sei diese nicht repräsentativ, so Kipping. Denn der Anteil von Aufstockern, Rentnern mit Grundsicherung oder Behinderten, die in Werkstätten arbeiten und auf Hartz IV angewiesen sind, ist viel höher.
Taktieren auf Kosten der Ärmsten. Bundeskabinett konnte Hartz-IV-Armutssätze nicht beschließen, weil Horst Seehofer eine Extrawurst für die eigene Klientel braten will. Von Uwe Kalbe. ND vom 12. August 2020
Der dümmste Satz der letzten Wochen: „Vor dem Virus sind alle gleich„. Eine Binsenweisheit, daß das Corona-Virus – wie auch jedes andere Virus – keine Wahl trifft, wen es befällt oder nicht. Dieser Satz ist eine Worthülse und täuscht eine Gleichheit vor, die es nicht gibt. Wir sitzen eben nicht alle im gleichen Boot, was die Pandemie betrifft. Das gilt im weltweiten und im lokalen Maßstab. Corona verschärft die soziale Ungleichheit und macht Fehlentwicklungen deutlich, von denen wir wissen können aber aus unterschiedlichen Gründen nicht wissen wollen, ob es die Ausbeutungsstrukturen in Schlachthöfen sind oder arme Studierende betrifft, die ihre Studentenjobs verloren haben und möglicherweise ihr Studium abbrechen müssen. Die Armen und Marginalisierten, ob Obdachlose oder illegalisiert lebende Menschen trifft es besonders hart. Viele Anlaufstellen sind geschlossen oder haben ihre Aktivitäten heruntergefahren. Das Flaschensammeln und der Verkauf von Obdachlosenzeitungen fallen weitgehend weg. Auch jetzt, wo viele Einschränkungen zurückgenommen werden, haben Menschen sehr unterschiedliche Möglichkeiten, kulturelle oder sportliche Angebote zu nutzen: Ob Freiluftkino, Schwimmbad oder Tierparkbesuch, Eintrittskarten müssen im Voraus online gebucht werden. Wer keinen Zugang zu entsprechender Infrastruktur hat, hat Pech gehabt. Computer und Drucker können derzeit auch in öffentlichen Bibliotheken Berlins nicht genutzt werden.
https://naunynblog.wordpress.com/2020/06/29/sind-vor-dem-virus-alle-gleich/
--Methodios (Diskussion) 20:52, 10. Sep. 2020 (CEST)
Im digitalisierten Finanzmarktkapitalismus bildet der Klassengegensatz von Kapital und Arbeit zwar weiterhin die Kernstruktur der sozioökonomischen Ungleichheit. Der ihn teilweise überlagernde Widerspruch zwischen einer zunehmenden und sich verfestigenden Armut sowie einem exorbitanten Reichtum hat sich aber derart verschärft, dass es bisweilen scheint, als habe sich der Arm-Reich-Gegensatz vom Klassenantagonismus gelöst und sozialstrukturell verselbstständigt. Wegen der Covid-19-Pandemie, der sozialen Kollateralschäden des Lockdowns sowie der von ihm verursachten oder zumindest verschärften Rezession hat die Verteilungsfrage in jüngster Zeit noch an Bedeutung gewonnen. Wie es scheint, sind die Reichen zuletzt reicher und die Armen zahlreicher geworden. Wie Vermögen verteilt sind Ungleichheit beschränkt sich im Finanzmarktkapitalismus nicht darauf, dass die Gesellschaftsmitglieder unterschiedlich viel besitzen oder unterschiedlich hohe Einkommen haben, sondern hinterlässt fast in sämtlichen Lebensbereichen deutliche Spuren. Dort zeigt sich, dass die sozialen Klassen und Schichten unterschiedlich hohe Gesundheitsrisiken, unterschiedlich gute Bildungschancen sowie unterschiedlich angenehme Wohnmöglichkeiten haben. Ausschlaggebend dafür bleiben jedoch die Verteilungsverhältnisse, denen hier unsere Hauptaufmerksamkeit gilt. Wenn die Ungleichheit in der politischen, Medien- und Fachöffentlichkeit überhaupt thematisiert wird, ist diese zumeist auf die Einkommensverhältnisse fixiert, obwohl sie erheblich weniger relevant und aussagekräftig sind als die Vermögensverhältnisse. Das war der historischen Tendenz nach zwar schon immer so, diese hat sich aufgrund des Finanzialisierungsprozesses aber weiter verstärkt. Der Sozialwissenschaftler, Jahrgang 1951, ist der einer renommiertesten deutschen Armutsforscher. Von 1998 bis 2016 lehrte er Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt. Er war lange Zeit SPD-Mitglied und kandidierte 2017 für die Linke bei der Wahl des Bundespräsidenten. Am Mittwoch ist im Papyrossa-Verlag sein neues Buch »Ungleichheit in der Klassengesellschaft« erschienen. (183 Seiten, 14,90 Euro). Berücksichtigt werden muss nicht bloß die Quantität des Vermögens, sondern auch seine Qualität. Letztlich entscheidet die Struktur des Vermögens darüber, welche Handlungs- und Entscheidungsspielräume es seinem Eigentümer bietet. Denn selbst viel Bargeld, das unter dem Kopfkissen, im Kleiderschrank oder auf dem Dachboden gehortet wird, verleiht seinem Besitzer keine Macht über andere Menschen, wohingegen der Besitz von Unternehmen oder Unternehmensanteilen (Aktien) dem Kapitaleigentümer ganz andere Möglichkeiten eröffnet. Über die genaue Verteilung des Produktivvermögens ist hierzulande so gut wie nichts bekannt, obwohl diese Vermögensart die Sozialstruktur der Gesellschaft entscheidend prägt. Die kapitalistischen Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse erschlössen sich nur, wenn mehr über die entsprechenden Vermögensbestände bekannt wäre. Selbst die CDU/CSU-FDP-Koalition unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin kam nicht umhin, die steigende Ungleichverteilung des Vermögens im Vierten Armuts- und Reichtumsbericht zu dokumentieren: Verfügten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung danach im Jahr 1998 über 45 Prozent des privaten Nettovermögens, waren es im Jahr 2003 bereits 49 Prozent und im Jahr 2008 sogar fast 53 Prozent. Dagegen musste sich die ärmere Hälfte der Bevölkerung in den Jahren 1998 und 2003 mit drei Prozent und im Jahr 2008 mit bloß noch einem Prozent begnügen. Wie im Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erneut dokumentiert, zeigt sich die Verteilungsschieflage vornehmlich beim Vermögen. Während die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung laut dem Regierungsbericht 51,9 Prozent des Nettogesamtvermögens besaßen, kam die ärmere Hälfte der Bevölkerung gerade mal auf ein Prozent. Auch vor den Vermögenden selbst macht die ausgeprägte sozioökonomische Polarisierungsdynamik nicht halt. Vielmehr spaltet sich diese Gruppe in Reiche, sehr viel Reichere und Hyperreiche. Vor allem das Produktivvermögen konzentriert sich zunehmend bei den Letzteren, die meistens auch große Erbschaften machen. Stellt man die statistische Unsicherheit bei der Erfassung von Hochvermögenden und ihres Vermögensreichtums in Rechnung, dürfte die reale Ungleichheit noch größer sein, als es die verfügbaren Daten erkennen lassen. Verteilungsforscher am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) haben frühere Untersuchungsergebnisse im Rahmen eines Forschungsprojekts für den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aktualisiert. Dabei griffen sie auf eine Spezialstichprobe von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zurück, nahmen eine Sonderbefragung von Vermögensmillionären vor und bezogen die Reichenliste eines Wirtschaftsmagazins ein, um auch Hyperreiche im Rahmen dieser Sonderauswertung zu berücksichtigen. Demnach entfallen heute 67 Prozent des Nettogesamtvermögens auf das oberste Zehntel der Verteilung, 35 Prozent konzentrieren sich beim reichsten Prozent der Bevölkerung und das reichste Promille kommt immer noch auf 20 Prozent des Nettogesamtvermögens. Aufgrund der neuen Untersuchungsmethode stieg der auf Basis regulärer SOEP-Daten berechnete Gini-Koeffizient von 0,78 auf 0,83. Dabei handelt es sich um ein Ungleichheitsmaß, das bei völliger Gleichverteilung (alle Personen besitzen das gleiche) 0 und bei extremer Ungleichverteilung (eine Person besitzt alles) 1 beträgt. 0,83 entspricht fast dem US-amerikanischen Vergleichswert, der üblicherweise mit 0,85 bis 0,87 angegeben wird, was die ganze Dramatik der Verteilungsschieflage hierzulande zeigt. Zwar fiel die Vermögenskonzentration noch höher als bisher dokumentiert aus, die Wissenschaftler*innen des DIW selbst wiegelten aber hinsichtlich der politischen Konsequenzen ihrer Forschungsergebnisse eher ab. Obwohl die Autor*innen ohne falsche Bescheidenheit für sich in Anspruch nahmen, den »blinden Fleck im Bereich sehr hoher Vermögen« beseitigt zu haben, fehlte es der nach Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse im Sommerloch ausgebrochenen Verteilungsdiskussion daher an Biss. So verwarfen sie die Forderung nach Wiedererhebung der Vermögensteuer wegen des angeblich zu hohen administrativen Aufwandes für die Erhebung und der möglichen Ausweichreaktionen davon Betroffener. Als würde auch nur ein Unternehmer, der diese Bezeichnung verdient, sein Gewinnstreben für den Fall einbüßen und sich als Privatier zur Ruhe setzen, dass er Vermögensteuer entrichten müsste! Armut als Kehrseite des Reichtums Seit der Vereinigung von BRD und DDR driften Lohn- und Kapitaleinkünfte immer stärker auseinander. Die hohen Zuwachsraten der Gewinneinkommen gingen zulasten der Lohneinkommen, deren Anteil am Volkseinkommen rückläufig war. Nach dem 3. Oktober 1990 erreichten nur ganz wenige Ostdeutsche den Hocheinkommensbereich, dessen Anteil am Volkseinkommen dadurch zunächst erheblich sank, während die untere Hälfte einen Zuwachs verzeichnete. Somit bewirkte die langsame Annäherung des ostdeutschen Einkommens- und Ungleichheitsniveaus an das westdeutsche eine vorübergehende Verringerung der Ungleichheit zwischen beiden Landesteilen. Das gesamtdeutsche Ungleichheitsniveau sank, bis ab Mitte der 1990er-Jahre die Angleichung nachließ, sodass die Ungleichheit in Gesamtdeutschland wieder stieg. Seither hat eine »gigantische Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkünfte« (Heinz-J. Bontrup) stattgefunden. Denn die Lohnquote erreichte im Jahr 2007 mit 63,6 Prozent einen Tiefstand und erholte sich bis zum Jahr 2017 nur auf 68,5 Prozent. Obwohl die Anzahl der abhängig Beschäftigten im Jahr 2019 auf einen Rekordwert stieg, war die Lohnquote nicht höher als zur Jahrtausendwende. Ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung verfügen laut DIW-Angaben über kein nennenswertes Vermögen. Sie leben gewissermaßen von der Hand in den Mund und kommen in einer pandemischen Krisensituation nicht einmal wenige Wochen ohne ihr reguläres Einkommen aus, ohne existenzielle Not zu verspüren. Nach den Maßstäben der Europäischen Union galten im Jahr 2019 hierzulande über 13,3 Millionen Menschen als von Einkommensarmut betroffen oder bedroht. Sie hatten weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung, was für Alleinstehende 1074 Euro im Monat entsprach. Mit 15,9 Prozent erreichte die Armuts(risiko)quote einen Rekordstand im vereinten Deutschland, obwohl sie in Ostdeutschland nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gesunken war. Die höchsten Armutsrisiken wiesen Erwerbslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent) und Nichtdeutsche (35,2 Prozent) auf. Kinder, Jugendliche und Heranwachsende waren ebenfalls stark betroffen, während das Armutsrisiko der Senior*innen seit geraumer Zeit am stärksten zunimmt. Sind junge Menschen manchmal jahrzehntelang im Bereich des Wohnens, der Gesundheit und der Freizeitgestaltung sowie von Bildung und Kultur benachteiligt, wird armen Senior*innen der Lohn für ihre Lebensleistung verweigert. Angehörige dieser Altersgruppe laufen überdies Gefahr, wegen der mehr als bescheidenen Grundsicherungsleistungen bis zu ihrem Tod sozial ausgegrenzt zu werden und isoliert zu bleiben. Seit die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zum 1. Januar 2003 eingeführt wurde, hat sich die Zahl der älteren Menschen, die auf sie angewiesen sind, trotz einer strengen Bedürftigkeitsprüfung mehr als verdoppelt. Ende 2019 waren es neben über 523 000 dauerhaft voll Erwerbsgeminderten, die als Menschen mit schweren Behinderungen ein sehr hohes Armutsrisiko haben, bereits fast 562 000 Senior*innen, die Leistungen der Grundsicherung erhielten. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass sich ältere Menschen damit schwertun, diese Transferleistung - früher hieß sie Fürsorge bzw. Sozialhilfe - überhaupt zu beantragen, weil sie den bürokratischen Aufwand scheuen oder weil sie irrtümlicherweise den (bis zu einem Jahreseinkommen in Höhe von 100 000 Euro ausgeschlossenen) Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder bzw. sogar auf ihre Enkel fürchten. Kein Wunder also, dass es im Dezember 2018 bereits nicht weniger als 1 093 119 Ruheständler/innen gab, die einen Minijob hatten, darunter 195 513 Personen, die 75 Jahre oder älter waren!
Ungleichheit im Finanzmarktkapitalismus. Angesichts des der Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen hat die Verteilungsfrage an Bedeutung gewonnen. Von Christoph Butterwegge. ND vom 10. September 2020.
Corona-Probleme
BearbeitenAthen. Griechenlands größtes Flüchtlingslager ist in Flammen aufgegangen. Das Lager Moria auf der Ägäis-Insel Lesbos wurde nach Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch teilweise evakuiert, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach Angaben eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP brannte fast das gesamte Lager. Die Ursache der Feuer war zunächst unklar. Nach Angaben der Feuerwehr waren mehrere Brände innerhalb des Lagers wie auch in der Landschaft der Umgebung ausgebrochen. Der AFP-Fotograf berichtete in der Nacht, auch ein außerhalb des Hauptlagers liegender Olivenhain mit Zeltunterkünften für Flüchtlinge brenne. Asylbewerber flüchteten dem Fotografen zufolge zu Fuß in Richtung des Hafens der Inselhauptstadt Mytilini. Dabei seien sie jedoch von Polizeiwagen gestoppt worden. Die Flüchtlingshilfsorganisation Stand by Me Lesvos schrieb im Internetdienst Twitter: »Alles brennt, die Menschen fliehen.« Augenzeugen berichteten der Organisation zufolge, dass Einwohner flüchtende Asylbewerber daran gehindert hätten, ein nahegelegenes Dorf zu betreten. Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb vorerst unklar - die Angaben dazu gingen zunächst auseinander: Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die »Bye bye, Moria!« sangen. Viele der mehr als 12 000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben. Bei der Teilevakuierung des Lagers waren laut Feuerwehr 25 Feuerwehrleute sowie zehn Wagen im Einsatz. Die griechische Nachrichtenagentur ANA meldete, die Brände seien nach einer Revolte in dem Lager ausgebrochen. Einige Flüchtlinge hätten dagegen protestiert, dass sie isoliert untergebracht werden sollten, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet worden seien oder direkten Kontakt zu Infizierten gehabt hätten. Mission Lifeline: Abriegelung des Lagers hat das Fass zum Überlaufen gebracht Axel Steier, Mitbegründer des Dresdner Vereins MIssion Lifeline, ordnet das Geschehen wie folgt ein: »Aufgrund der katastrophalen humanitären Situation und weitreichenden Ausgangsbeschränkungen wegen Covid19, sind die Menschen in Moria extremem psychischem Stress ausgesetzt. Die Abriegelung des Lagers hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Geflüchteten in Moria werden nicht wie Menschen behandelt. Wir haben davor gewarnt, dass es eskaliert. Wir haben u.a. die Bundesregierung wieder und wieder aufgefordert, alle Menschen aus den griechischen Lagern zu evakuieren. Doch kaum etwas ist passiert.« NRW-Integrationsminister Joachim Stamp hat angesichts des verheerenden Feuers im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos zu schneller Hilfe aufgerufen. »Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat, bis es in Moria zu dieser Eskalation gekommen ist«, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch. »Deutschland hat die Ratspräsidentschaft inne und trägt Verantwortung.« Es sei unmittelbares Handeln notwendig, um es nicht zur humanitären Katastrophe kommen zu lassen. Die Bundesländer hatten Hilfe angeboten, der Bund müsse nun die Koordination übernehmen. Zugleich kritisierte Stamp laut Mitteilung, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) seien bisher untätig geblieben. »Das muss sich sofort ändern. Wenn die EU nicht in der Lage ist, wenige Tausend Migranten menschenwürdig unterzubringen, ist das eine Bankrotterklärung der europäischen Werteordnung.« Moria ist seit Jahren völlig überfüllt. Das Lager ist für rund 2800 Menschen ausgelegt, doch leben dort mehr als 12.700 Asylsuchende unter schwierigsten Bedingungen. In der vergangenen Woche war dort der erste Fall einer Coronavirus-Infektion festgestellt worden. Das Lager wurde daraufhin unter Quarantäne gestellt. Seither wurden nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums in dem Lager etwa 2000 Corona-Tests ausgeführt und dabei 35 Infektionsfälle diagnostiziert. Agenturen/nd
Moria steht in Flammen. Größtes griechisches Flüchtlingslager teilweise evakuiert / Brandursache bisher unklar. ND vom 9. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 09:10, 9. Sep. 2020 (CEST)
Die Bundesregierung versucht, in der Coronakrise finanzielle Folgen für Einzelpersonen abzufedern. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) befand zum »Sozialschutz-Paket I«: »Auf den Sozialstaat kann man sich verlassen.« Doch längst nicht alle, die es nötig hätten, profitieren von dem Paket. Ausgerechnet arme Menschen im laufenden Hartz-IV-Bezug müssen in der Krise weiter mit niedrigen Regelsätzen überleben. Einen Monat nach dem ersten Paket hat die Bundesregierung nun nachgebessert. Am Mittwoch hat sich das Bundeskabinett auf das »Sozialschutz-Paket II« geeinigt. Damit werde »der Rettungs- und Schutzschirm weiter gespannt und der Umfang dieser Leistungen für Unternehmen, Beschäftigte und für Arbeitslose« verbessert, heißt es in der Formulierungshilfe des Gesetzentwurfes, die dem »neuen deutschland« vorliegt. Zu den Erweiterungen zählt eine Anhebung des Kurzarbeiter*innengeldes nach längerer Bezugsdauer. Das Kurzarbeitsgeld soll - abhängig von der Dauer der Zwangspause - in zwei Stufen ab dem 4. und dem 7. Monat auf bis zu 80 Prozent und für Eltern bis zu 87 Prozent des Lohnausfalls steigen. Auch für viele Erwerbslose, die Arbeitslosengeld I (Alg I) beziehen, verbessert sich die Lage. Wenn ihr Anspruch zwischen Mai und Ende Dezember ausläuft, soll sich die Auszahlung um drei Monate verlängern. Der Vorteil des Alg I ist, dass es sich prozentual nach dem alten Lohn richtet. Damit liegt es in vielen Fällen höher als Hartz IV. Allerdings spannt sich der Schutzschirm des Sozialschutz-Pakets II erneut nicht über viele der Hartz-IV-Beziehenden aus. Die Einzigen, für die sich die Lage etwas verbessert, sind Grundsicherungsbeziehende mit Kindern in Kita oder Schule. Wenn diese Familien vorher über ihren Bildungsträger ein kostenloses warmes Mittagessen für ihr Kind erhalten haben, sollen sie weiter einmal am Tag warmes Essen bekommen. Diese sollen geliefert werden. Viele Beobachter*innen hatten zuvor mit einer Nachbesserung bei der Regelleistung gerechnet. Heil hatte selbst angekündigt, einen höheren Regelsatz in Coronazeiten prüfen zu wollen. Doch das scheint nun vom Tisch zu sein. Laut Formulierungshilfe soll das Essen für die armen Kinder vom gleichen Caterer stammen, der die Schule oder Kita bekocht hat. Das solle zum gleichen Preis wie zuvor geschehen. Linksparteichefin Katja Kipping kritisierte gegenüber »nd«, dass das eine »große logistische Herausforderung« sei. Es sei noch unklar, ob diese Lösung in allen Landkreisen funktioniere und zeitnah umgesetzt werden könnte. Die Pläne seien wenig praktikabel. »Am Ende bekommt das eine Kind, das im Hort ist, dann ein Essen zur einen Uhrzeit und das andere, das noch zur Kita geht, ein Essen von einem anderen Anbieter und vielleicht auch noch eine Stunde später.« Der betreuende Elternteil müsse natürlich trotzdem weiter für sich kochen, sagte Kipping. Auch Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands nannte die Vorhaben »Irrsinn«. »Schulcaterer kochen normalerweise für vielleicht tausend Kinder. Nun sollen sie das Wunderwerk vollbringen, bei gleichen Kosten für viel weniger Personen zu kochen, obwohl der Personalaufwand annähernd gleich bleibt.« Schneider findet: »Das kann nicht funktionieren.« Gegenüber »nd« erklärt das Arbeitsministerium, warum es auf den Lieferdienstweg setzt: »Ersatzlösungen für das gemeinschaftliche Mittagsessen sind möglichst nah an die bestehenden Versorgungsstrukturen anzulehnen«, sagte ein Sprecher. Eine Erhöhung der Regelsätze würde hingegen »dieses Ziel verfehlen«. Viele Wohlfahrtsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Grüne und Linkspartei beklagen seit Jahren die zu niedrigen Hartz-IV-Regelleistungen. Viele von ihnen fordern wegen der Coronakrise zudem einen Corona-Zuschlag, da gerade jetzt viele Unterstützungsangebote wegfielen und Obst und Gemüse teurer würden. »Diese Bundesregierung will auf Teufel komm raus nicht den Regelsatz erhöhen. Stattdessen schafft sie lieber neue bürokratische Gesetze«, bilanzierte Kipping. Ähnlich äußerte sich der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven Lehmann. »Die Bundesregierung setzt auf Armenspeisung per Lieferdienst statt auf wirksame Maßnahmen gegen Armut. Das ist ein Rückfall in einen Sozialstaat der Nachkriegszeit«, monierte er.
Armenspeisung per Lieferdienst. Bundeskabinett billigt Sozialpaket. Oppositionelle fordern mehr Unterstützung für Bedürftige. Von Alina Leimbach. ND vom 29. April 2020.
--Methodios (Diskussion) 11:36, 9. Sep. 2020 (CEST)
Das Feuer auf Moria war nicht das erste seiner Art. Die Liste der Brände ist so lang, wie die Konsequenzen, die europäische Entscheider daraus getroffen haben, fadenscheinig waren. Auch Aufstände der Flüchtlinge hat es immer wieder gegeben. Die Unterbringung auf dem ehemaligen Militärgelände war kalt und unwürdig. Zeitweise über 20.000 Menschen lebten in Moria, zusammengepfercht auf engstem Raum. In einem Lager, das eigentlich für 3000 Personen ausgelegt war. Auf 1300 Menschen entfiel ein Wasserhahn. In dem Lager trugen erwachsene Frauen Windeln – um Nachts nicht auf Toilette gehen zu müssen. Die Gefahr einer Vergewaltigung war zu groß. In dem Lager dachten kleine Kinder an Selbstmord und verletzten sich selbst. Dann kam Corona. Abstand halten war den Menschen im Lager unmöglich, der Ausbruch des Virus war nur eine Frage der Zeit. Die griechische Regierung wollte einen Zaun um das Lager bauen. Während der Tourismus auf der Insel wieder anlief, obwohl es auf dem Festland etliche Corona-Fälle gab, verhängte die Regierung eine Ausgangssperre über das coronafreie Lager Moria. Am 177. Tag der Ausgangssperre brannte Moria ab. Die Frage, wer am Ende das Streichholz in dieses höchst brennbare Gemisch geworfen hat, ist eigentlich gänzlich uninteressant. Es war eine Katastrophe mit Ansage. Wobei schon das Wort Katastrophe das Verbrechen verschleiert. Was wir auf Moria sahen, war politisches Kalkül. Auch wenn die Bilder des Feuers eine Naturkatastrophe suggerieren - die Flammen sind die Konsequenz einer Politik, die Menschlichkeit als Pull-Factor interpretierte. Die meinte, wenn wir die Menschen aus Afrika zu gut behandeln, kommen mehr von ihnen. Die meinte, man könne ganze Kontinente ausbeuten und Tausenden Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen, wenn man nur genug Soldaten an den Grenzen aufmarschieren lässt. Etliche Politiker fordern nun die Evakuierung der Menschen aus dem Lager in Moria. Von der Abschaffung des unmenschlichen Asylsystems sprechen sie nicht. Auch nicht davon, die etlichen anderen Lager zu evakuieren, in denen weit mehr als 40.000 Menschen auf die kommende Katastrophe warten. Immerhin fordern einige sofortige Konsequenzen. Das ist besser als das Gerede anderer Politiker, die von einer »europäische Lösung« sprechen. Die wollen einfach weiter abwarten. Das Sprechen von einer »Europäischen Schande« leitet trotzdem fehl. Die Zustände auf Moria waren nicht die Ausnahme der europäischen Asylpolitik, im Gegenteil: Auf der Insel Lesbos wurde zur Abschreckung von verzweifelten Menschen ein grauseliges Spektakel in Szene gesetzt. Und Moria war das Zentrum dieser Vorstellung. Die »europäische Idee« ist nicht in Moria verbrannt, zumindest nicht, wenn damit gemeint ist, dass die Humanität dort zugrunde ging. Die Entwicklung der Europäischen Union ist eng verbandelt mit der Entwicklung einer abschreckenden Flüchtlingspolitik. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union fing Spanien an, militärisch seine Grenzen zu sichern. Dies geschah auf Druck der anderen Staaten – Spaniens Grenzen waren nun die ihren. In der Europäischen Union war die Freizügigkeit der einen immer schon mit der Abschottung vor den anderen verbunden. Spanien schloß dann ein Rückführungsabkommen mit Marokko ab, viele weitere sollten folgen. Das wohl berühmteste ist das EU-Türkei-Abkommen. Erst dieser Pakt machte Moria zum EU-Hotspot und zum überfülltesten und unmenschlichsten Lager auf der Insel Lesbos. Es kann nur gehofft werden, dass das Ende von Moria, einem Lager, das es nie hätte geben dürfen, auch das Ende der europäischen Abschottung einleitet. Wahrscheinlicher ist, dass Moria wieder aufgebaut wird. Vielleicht bekommt es einen neuen Namen, oder einen neuen Ort. Im Jahr 2009 wurde nach langen Protesten das Lager Pagani geschlossen. Aktivist*innen hatten immer wieder die unmenschlichen Unterbringungen kritisiert. Es befand sich auf der Insel Lesbos, nur wenige Kilometer entfernt von Moria.
Moria: Die Grenze der europäischen Humanität. Der Brand im Flüchtlingslager war keine Naturkatastrophe, sondern ein Verbrechen mit Ansage. Von Fabian Hillebrand. ND vom 10. September 2020
Corona bringt es an den Tag
BearbeitenKurs Diskussion:Exerzitien unter der Straße/Corona bringt es an den Tag
Soziale Spaltung
BearbeitenPolitische Spaltung durch Corona Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Bisher hat der technologische Wandel immer neue Jobs entstehen lassen. Allerdings: Auch davon könnten vor allem Besserqualifizierte profitieren. Der Politikexperte Schlögl befürchtet daher, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt, den es in Mitteleuropa anfangs in der Krise gegeben habe, bald kippen könnte: „Wir haben dieses Kippen übrigens in der sogenannten Flüchtlingskrise vor ein paar Jahren ganz deutlich gesehen, wo am Anfang sehr starke Solidarität mobilisiert worden ist und dann irgendwie ein Angst-Diskurs aufgekommen ist. Und so etwas ist nicht unmöglich, glaube ich, dass wir ähnliche rasche Entsolidarisierungen auch in dieser Krise momentan sehen.“ Dass die aktuelle Krise einiges an politischer Sprengkraft birgt, glaubt auch Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: „Wir haben schon vor der Krise gesehen, dass es einen relativen großen Teil von Menschen gibt, die das Gefühl haben, dass der Teil, der ihnen zusteht, dass sie den nicht bekommen. Dass sie sich Sorgen machen, dass auch wenn es ihnen jetzt ganz gut geht, das in Zukunft vielleicht nicht so sein wird. Und wir haben schon gesehen, dass diese Menschen, die dieses Gefühl haben, häufiger zum Beispiel AfD wählen, sodass das Potenzal der sozialen Spaltung, das dieser Krise innewohnt, auch das Potential hat, diese Gesellschaft weiter politisch zu spalten.“
Barbara Kempnich leitet die Bahnhofsmission in Düsseldorf. Ihr Team hilft Menschen in Nöten, Menschen also, die kein Zuhause haben, Essen brauchen oder einsam sind. Kempnich, die selbst derzeit im Homeoffice ist, beobachtet bei den Besuchern der Bahnhofsmission: Das Gefühl, abgehängt zu sein, hat nicht nur materielle Gründe. „Die Menschen, die über kein Equipment verfügen, wie ein Smartphone oder Internetanschluss, die können sich natürlich auch nicht wie wir informieren. Und das verunsichert ja total, wenn man sich auch noch so abgeschnitten von dem Diskurs fühlt, der im Moment geführt wird.“ Es passiere dann schnell, dass Feinbilder aufgebaut würden und Aggressionen entstünden: „Und deshalb finde ich ganz, ganz wichtig, dass man die Leute bildet, dass man sie informiert auf den verschiedensten Kanälen und auch mit einfacheren Formaten.“
Schwung für den Arbeitsmarkt Wie kann man verhindern, dass sich soziale Ungleichheiten durch die Krise verfestigen? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht, aber zumindest einige Ansatzpunkte. Für Arbeitsmarktforscher Enzo Weber zum Beispiel ist vor allem wichtig, den Arbeitsmarkt schnell wieder in Schwung zu bringen – so wie es in Deutschland die Bundesregierung nun mit dem neuen Konjunkturpaket versucht: „Und da muss es darum gehen, nicht nur die bestehenden Jobs zu erhalten. Das ist extrem wichtig, da wird viel getan. Aber mit Kurzarbeit retten wir keine Neueinstellungen. Also müssen wir dafür sorgen – angesichts der Tatsache, dass es normalerweise jedes Jahr in Deutschland mehrere Millionen Neueinstellungen gibt – müssen wir dafür sorgen, dass wir auch diese Neueinstellungen wieder in Gang bringen. Ansonsten werden wir schwer von der Arbeitslosigkeit wieder wegkommen.“ Weber schlägt daher vor: Um Unternehmen zu motivieren, neue Mitarbeiter einzustellen, könnte der Bund zeitweise bei neuen Stellen die Sozialbeiträge übernehmen. Und die Soziologin Lena Hipp rät, die Erziehungsarbeit in der Krise gleicher zu verteilen: „Mein Plädoyer im Moment wäre, dass wir eigentlich die Gunst der Stunde nutzen, um uns nochmal grundsätzlich Gedanken zu machen, wie denn beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen kann. Also dass nicht das Modell, er arbeitet 40 Stunden, sie arbeitet 20 Stunden, die Norm ist, sondern beispielsweise: beide arbeiten 30 Stunden.“
Fragen der Gerechtigkeit Einig sind sich die meisten Experten auch, dass der Staat mehr in Bildung investieren muss. In der kurzen Frist, um die Schulausfälle zu kompensieren. Aber auch langfristig, um Menschen für den digitalen Wandel weiterzubilden. Dabei könnte die aktuelle Krise auch Anlass sein, soziale Ungleichheiten in Europa grundsätzlich zu hinterfragen, findet Politikwissenschaftler Lukas Schlögl: „Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, dann hat der technologische Wandel zumindest in den letzten fünfzig Jahren dazu geführt, dass die Seite der KapitaleigentümerInnen wirtschaftlich und politisch gestärkt worden ist.“ Das heißt: In vielen Ländern lässt sich beobachten, dass vor allem die Menschen von technologischen Fortschritten profitieren, die bereits über Bildung und Vermögen verfügen. Mehrmals schon haben internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds das kritisiert – auch für Deutschland.
Lob des Sozialstaats In Österreich hat die Krise daher eine Debatte über höhere Erbschafts- und Vermögenssteuer ausgelöst. Politikwissenschaftler Schlögl: „Wann, wenn nicht in der Krise muss man über neue Steuern nachdenken? Und es geht ja nicht darum, die Steuerlast insgesamt zu erhöhen, sondern um eine Umsteuerung von Besteuerung des Faktors Arbeit hin zu einer Besteuerung des Faktors Kapital.“ Arbeitsmarktforscher Enzo Weber dagegen hält andere Maßnahmen für wichtiger: „Für die Gesellschaft, für die Arbeitsmarktentwicklung ist es vor allem schädlich, wenn Menschen am unteren Rand zurückfallen. Da ist es nicht so sehr schädlich, wenn die Reichen, wie es immer heißt, immer reicher werden, sondern wir müssen uns vor allem um das Zurückfallen kümmern. Die Investition in Qualifizierung, in bessere Jobs, das ist das Entscheidende, um die Ungleichheit nachhaltig zurückzufahren.“ In einem Punkt aber sind sich sowohl Schlögl als auch Weber einig: Die Krise habe gezeigt, dass ein funktionierender Sozialstaat ein hohes Gut sei, auf das sich europäische Staaten wieder neu besinnen sollten. Sandra Heimerzheim von der Arbeitslosenberatung in Düsseldorf, bei der derzeit täglich Menschen in Not anrufen, sieht das genauso. Sie hofft, „dass auch nach der akuten Krise geguckt wird, dass das der Arbeitsmarkt und all das in Gang kommt. Weil natürlich die Wirtschaftslage entscheidend ist dafür, ob die Leute die Möglichkeit haben, eigenes Geld zu verdienen. Und dass der Aktionismus, der jetzt glücklicherweise besteht, nicht einfach aufhört, wenn es vorbei ist.“
Corona: Erkenntnisse einer Krise: Spaltpilz Massenarbeitslosigkeit Die Corona-Pandemie ist ein Schock für die Wirtschaft: Wochenlang standen Fabriken still, Restaurants und Geschäfte waren geschlossen. Das milliardenschwere Konjunkturpaket der Koalition soll nun den Konsum anregen und den Arbeitsmarkt beleben. Experten fürchten dennoch eine politische Spaltung – in ganz Europa. Von Katja Scherer DLF vom 4. Juni 2020
--Methodios (Diskussion) 10:04, 28. Okt. 2020 (CET)
Ein Dach über dem Kopf ist für viele zum Luxus geworden. Etwa jeder siebte Einwohner hierzulande musste 2019 mehr als 40 Prozent seines monatlichen Einkommens für Miete und Heizung abdrücken. Das waren mehr als 11,4 Millionen Menschen. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Datenanalyse des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach steht die BRD bei der Überlastung durch Wohnkosten im europäischen Vergleich an viertletzter Position. Mehr Menschen waren zuletzt nur in Griechenland (36,2 Prozent), Bulgarien (16) und Dänemark (15,6) davon betroffen. Grund sei vor allem, so die Behörde, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten der Europäischen Union (EU) besonders viele Menschen zur Miete wohnten und nur wenige über Grundeigentum verfügten. Auch die Mieten schießen zugunsten der Profite der Immobilieneigentümer weiter in die Höhe. Besonders die Ärmsten haben unter dieser Entwicklung zu leiden. So finden beispielsweise immer mehr Hartz-IV-Beziehende keine Bleibe mehr, die den strengen »Angemessenheitskriterien« der Kommunen genügt. Das zeigte vergangene Woche eine Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf eine Anfrage der Linke-Chefin und -Bundestagsabgeordneten Katja Kipping. Demnach mussten 2019 über eine halbe Million Haushalte im Hartz- IV-Bezug – das waren mehr als jeder sechste – aus dem nicht dafür ausgelegten Regelsatz im Jahresmittel 86 Euro pro Monat draufzahlen. Dabei ist eine stete Steigerung der Zuzahlungshöhe zu beobachten. So betrug der Anteil der Miete, der nicht von den Jobcentern übernommen wurde, im Mai 2019 durchschnittlich 83 Euro, im Dezember lag er bereits bei 91 Euro. Alleinstehende mussten dies aus einem Budget von 424 Euro berappen, eine dreiköpfige Familie mit einem Kleinkind zweigte die Summe von einem monatlichen Salär von 1.009 Euro ab. Im gesamten vergangenen Jahr sparten die Jobcenter damit 518,4 Millionen Euro ein. Laut Kipping stieg der durchschnittliche Zuzahlungsbetrag für betroffene Haushalte damit kontinuierlich. Im Jahr 2017 seien es noch rund 80 Euro monatlich gewesen, ein Jahr später bereits 82 und nun 86 Euro. »Hartz-IV-Beziehende, die überwiegend in schlechter, ungesunder Wohnlage leben, werden also nicht nur von den kargen Regelsätzen in die Armut getrieben, sie müssen sich auch noch einen Teil der Wohnkosten vom Munde absparen«, rügte sie. Dies könne nur verhindert werden, indem die Kommunen ihre Obergrenzen deutlich anheben. »Wir sind mittendrin in den nächsten Coronabeschränkungen, es ist mit weiteren Mehraufwendungen zu rechnen«, kritisierte auch Harald Thomé vom Erwerbslosenverein Tacheles in einer Mitteilung. Er fordert, endlich alle Kosten für die Unterkunft anzuerkennen und zu übernehmen. »Die Haushalte müssen wenigstens von dieser Last der Zuzahlung aus den Regelleistungen befreit werden«, so Thomé. Zwar hatte der Bundestag sein Sozialschutzpaket bis Ende Dezember verlängert. Das beinhaltet auch, dass Jobcenter für einen Bewilligungszeitraum höhere Wohnkosten gewähren sollen. Das Problem aber sei, dass dies ausschließlich für Menschen gelte, die seit April in das Hartz-IV-System hineinrutschen – und meist nur für ein halbes Jahr, sagte die ehemalige Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann am Donnerstag im jW-Gespräch. Die meisten profitierten also gar nicht von dieser Regelung. »Man muss sich einmal vorstellen, dass die Menschen fast ein Viertel ihres Regelsatzes zusätzlich für die Miete berappen müssen«, mahnte sie. Dies sei »ein Skandal, weil der Wohnraum nicht da ist«. Sogar die wenigen Sozialwohnungen kosteten in der Regel mehr als Betroffene bezahlen dürften. Kommenden Montag ist Hannemann zu einer öffentlichen Anhörung im Bundesausschuss für Arbeit und Soziales als Sachverständige zum Thema Regelbedarfe bei Hartz IV und Sozialhilfe geladen. »Da werde ich das Thema ansprechen«, sagte sie. Dieses ist jedoch schon seit vielen Jahren bekannt, aber unbearbeitet geblieben.
MIETENPOLITIK. Miete frisst Einkommen. Steigende Wohnkosten machen viele Menschen ärmer. Hartz-IV-Bezieher müssen mehr zuzahlen Von Susan Bonath. Junge Welt vom 30. Oktober 2020
--Methodios (Diskussion) 20:41, 29. Okt. 2020 (CET)
Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. -Foto: Wolfgang Schmidt
München – Der Armutsforscher Christoph Butterwegge wirft der Bundesregierung vor, in ihren jährlichen Armutsberichten die Lage in Deutschland zu beschönigen und die soziale Ungleichheit zu verschärfen. „Insgesamt bedient der Bericht ein neoliberales Narrativ, das Armut verharmlost und Reichtum verschleiert“, sagte Butterwegge der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag). Im jüngsten Bericht stehe zwar die Behauptung, die Ungleichheit habe sich seit 2005 nicht mehr verschärft. Aber: „Im Herbst 2005 kam die neue Regierung ins Amt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, nämlich dass justament seit Merkels Regierungsantritt sich die Ungleichheit nicht verschärft haben soll.“
Der Reichtum werde verschleiert, indem der Bericht schon Personen reich nenne, die mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. „Für die Bundesregierung ist man mit einem Nettogehalt von 3.900 Euro einkommensreich – und befindet sich in derselben Kategorie wie Dieter Schwarz, der über ein Privatvermögen von 41,8 Milliarden Euro verfügt.“ Der Eigentümer der Unternehmen Lidl und Kaufland fällt nach dem Bericht unter die Kategorie „Wohlhabenheit“. „Ein bizarres Kunstwort und ein semantischer Taschenspielertrick. Besagter Dieter Schwarz, der sein Vermögen während der Pandemie laut Forbes um 14,2 Milliarden Dollar vermehrt hat, fällt unter diese ‚Wohlhabenheit‘ – mit fast acht Millionen anderen Deutschen“, sagte Butterwegge.
Laut Statistischem Bundesamt verfügten 13,2 Millionen Menschen in Deutschland über weniger als 1.074 Euro im Monat. „Die Armut frisst sich mittlerweile in die Mitte der Gesellschaft hinein, und das wird durch den zweimaligen Corona-Lockdown verstärkt“, betonte der Armutsforscher, der von 1998 bis 2016 als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln lehrte.
Den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung gehörten inzwischen mehr als 67 Prozent des Nettogesamtvermögens. „Dazu hat die Bundesregierung durch ihre Politik beigetragen. Denn sie begünstigte Reiche und Hyperreiche, wie ich sie nenne, weil es nicht gesund für die Gesellschaft ist, dass 45 Familien mehr besitzen als die Hälfte der Bevölkerung, also über 40 Millionen Menschen.“
Butterwegge sieht drei Ursachen für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich: „Zum einen wurde der Arbeitsmarkt extrem dereguliert.“ Inzwischen mache der Niedriglohnsektor fast ein Viertel aller Beschäftigungsverhältnisse aus. Der zweite Grund sei die Demontage des Sozialstaates. Drittens habe die Abschaffung der Kapital- und Gewinnsteuern bei gleichzeitiger Anhebung der Mehrwertsteuer
Forscher: Regierung beschönigt Armut in Deutschland - neues ruhrwort vom 30. April 2021
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge wirft der Bundesregierung vor, in ihren jährlichen Armutsberichten die Lage in Deutschland zu beschönigen und die soziale Ungleichheit zu verschärfen.
Onlinekonferenz fordert Erhöhung der Regelsätze
BearbeitenSymbolbild: Vermittelt Jobs zu Armutslöhnen: Bundesagentur für Arbeit
Vor gut 16 Jahren ist in Deutschland das System »Hartz IV« eingeführt worden und für etliche war es eine Einbahnstraße in die Armut. Die Coronapandemie hat Bezieher von Sozialleistungen in besonderer Weise getroffen. Die Partei Die Linke spricht von einem »armutspolitischen Skandal«. Am Freitag hat sie unter dem Motto »Solidarisch aus der Hartz-IV-Krise« eine Onlinekonferenz abgehalten.
Reichte der Regelbedarf zu »normalen« Zeiten schon kaum zum Leben, so machten die Mehrkosten der Pandemie die soziale Teilhabe erst recht unmöglich. In diesem Jahr muss ein alleinstehender Empfänger von Transferleistungen mit 446 Euro im Monat auskommen, plus Miete. Lebt er mit jemandem zusammen, sinkt der Betrag auf 401 Euro im Monat.
Die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl sagte, die Pandemie sei für arme Menschen in Deutschland eine Katastrophe, und die Bundesregierung habe nichts getan, um ihnen zu helfen. Selbst der einmalige Zuschuss von 150 Euro habe erst erkämpft werden müssen. Wenn Sozialverbände und Gewerkschaften keinen Druck gemacht hätten, dann wären Hartz-IV-Empfänger auf den Mehrkosten, zum Beispiel für Masken, Hygiene und Strom, sitzengeblieben.
Die Erwerbslosenaktivistin Inge Hannemann betonte, dass arme Menschen auch gesundheitlich besonders von der Coronapandemie betroffen seien. Sie hätten ohnehin bereits ein schlechteres Immunsystem, litten oft auch schon unter anderen Krankheiten und seien einem besonderen Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Denn sie lebten und arbeiteten häufig unter beengten Verhältnissen und hätten oft kein Auto für den Arbeitsweg, sondern seien auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.
Selbst beim Impfen hätten Arme das Nachsehen, besonders wenn sie auf dem Land leben. Aus der Praxis berichtete sie, dass der Weg zu den Impfzentren mitunter mehr als 30 Kilometer betrage. Wer sich kein Auto leisten kann, sei auf den Bus angewiesen. Aber auch die Kosten für die zweimalige Hin- und Rückfahrt könnten sich viele nicht von dem Wenigen abzweigen, mit dem sie auskommen müssen.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, erklärte, hinter dem Hartz-IV-System stünden zwei neoliberale Glaubenssätze. Der eine besage, dass staatliche Ausgaben, auch für die Armen in der Gesellschaft, per se schlecht seien. Der andere heiße, die Menschen seien von Natur aus faul, und man müsse ihnen Beine machen.
Schneider verwies auf den Armutsbericht seines Verbandes, der im November vorigen Jahres vorgestellt wurde. Die Armutsquote in Deutschland habe mit 15,9 Prozent einen historischen Höchstwert erreicht, heißt es darin. Das sei »die größte gemessene Armut« seit dem Anschluss der fünf »neuen« Bundesländer. Insgesamt seien über 13 Millionen Menschen betroffen, besonders oft: Erwerbslose (57,9 Prozent), Alleinerziehende (42,7 Prozent), kinderreiche Familien (30,9 Prozent), »Geringqualifizierte« (41,7 Prozent) und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (35,2 Prozent).
Gegen Armut helfe Geld, betonte Schneider bei der Konferenz; Geld sei die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Und es sei ein Mythos, dass arme Menschen faul seien, denn knapp zwei Drittel von ihnen sei entweder in Arbeit (33 Prozent) oder in Rente (29,6 Prozent).
Damit das Existenzminimum tatsächlich gedeckt werde, müsse der Regelsatz auf 664 Euro im Monat plus Miete angehoben werden, so Schneider. Einen ähnlich hohen Wert favorisiert Die Linke, sie fordert Regelsätze von mindestens 658 Euro im Monat, erklärte die ehemalige Vorsitzende der Partei, Katja Kipping. Zudem müssten, sagte sie, die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe übernommen werden. Etwa jeder fünfte Betroffene muss die Miete zum Teil aus dem Regelsatz decken, was nichts anderes bedeutet, als am Essen oder in anderen Dingen des täglichen Lebens zu sparen. Der Fehlbetrag belaufe sich im Schnitt auf 80 Euro im Monat, so Kipping.
1000 Abos jetzt
Die Bundesregierung sagt: der Tageszeitung junge Welt sei mit geheimdienstlichen Mitteln der »Nährboden zu entziehen«. Wirtschaftlich und wettbewerbsrechtlich negative Folgen durch die Nennung der Zeitung im Verfassungsschutzbericht seien sogar beabsichtigt.
Unsere Antwort darauf kann nur sein, dass sie mit diesem grundgesetzwidrigen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit genau das Gegenteil erreichen! Deshalb fordern wir alle Freunde, Leserinnen und Leser, Unterstützer, Autoren und Genossenschaftsmitglieder auf: Tun wir alles, um den »Nährboden« der jungen Welt zu stärken – jetzt erst recht!
ELENDSVERWALTUNG IN DER BRD. Geld gegen Armut Die Linke diskutiert Zumutungen des »Hartz-IV-Systems«. Teilnehmer einer Onlinekonferenz fordern Erhöhung der Regelsätze. Von Bernd Müller. Junge Welt vom 10. Mai 2021