Kurs Diskussion:Exerzitien unter der Straße/Moderne Sklaverei

vgl. International Justice Mission

--Methodios (Diskussion) 11:18, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Laut Schätzungen des Global Slavery Index der australischen Organisation "Walk Free Foundation" leben derzeit mehr als 40 Millionen Menschen in moderner Sklaverei, 167.000 davon in Deutschland. Das entspricht circa 0,2 Prozent der hiesigen Bevölkerung. Doch während die historische Sklaverei auf einem rechtlich anerkannten Besitzverhältnis eines Menschen über einen anderen beruhte, funktioniert Sklaverei heutzutage anders. Dietmar Roller, Vorstandsvorsitzender des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation "International Justice Mission" (IJM), erklärt: "Sklaverei ist zwar nicht mehr legal, doch sie ist wie ein Chamäleon und lebt im Verborgenen weiter." Ein grundsätzliches Merkmal ist laut "Walk Free Foundation", dass Menschen "Situationen der Ausbeutung aufgrund von Drohungen, Gewalt, Zwang, Täuschung oder Machtmissbrauch nicht verhindern oder verlassen" können. Moderne Sklaverei wird demnach als Oberbegriff für verschiedene Formen der Unterwerfung und Ausbeutung benutzt, unter die auch etwa Menschenhandel, Schuldknechtschaft oder Zwangsehen fallen können. Die Grenzen, was nun als Sklaverei bezeichnet werden kann und was nicht, sind oft fließend.

Menschenhandel. Sklaverei auf der Straße. Obwohl überall verboten, gibt es sklavereiähnliche Zustände auf der ganzen Welt - auch in Deutschland. Der "Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung" ist mehr als nur ein Gedenktag. Von Ines Eisele. DW vom 23. August 2018

--Methodios (Diskussion) 09:23, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Warnung vom Europarat. Dies betrifft nicht nur Länder wie Libyen, Katar oder die Demokratische Republik Kongo, die regelmäßig mit unterschiedlichen Formen von Sklaverei Schlagzeilen machen. Auch in Europa seien Menschenhandel und Sklavenarbeit auf dem Vormarsch, warnte erst im April der Europarat - insbesondere Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. In Deutschland betraf dies laut Bundeskriminalamt (BKA) 2017 vor allem Migranten in der Baubranche und Gastronomie. Auch Hausarbeit, Fleischverarbeitung, Landwirtschaft oder Transportwesen sind anfällige Bereiche. Insgesamt wurden den Behörden im vergangenen Jahr 180 Opfer aus elf abgeschlossenen Ermittlungsverfahren bekannt, die meisten aus Osteuropa.

Menschenhandel. Sklaverei auf der Straße. Obwohl überall verboten, gibt es sklavereiähnliche Zustände auf der ganzen Welt - auch in Deutschland. Der "Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung" ist mehr als nur ein Gedenktag. Von Ines Eisele. DW vom 23. August 2018

--Methodios (Diskussion) 09:28, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

"Deutschland ist das Bordell Europas". Wesentlich verbreiteter ist in Deutschland sexuelle Ausbeutung. "Deutschland ist das Bordell Europas", sagt Dietmar Roller von IJM, das gehe auch mit einer großen Zahl an Zwangsprostituierten einher. Laut dem BKA gab es 2017 diesbezüglich 327 Verfahren und 500 dokumentierte Opfer. Während im Bereich der Zwangsarbeit eher Männer betroffen sind, ist die große Mehrheit der Opfer sexueller Ausbeutung weiblich. In der Statistik des BKA waren deren Hauptherkunftsländer Bulgarien, Rumänien und dann Deutschland. Die Behörde stellte zudem einen deutlichen Anstieg nigerianischer Opfer fest. Viele Frauen geraten demnach durch Täuschung über die tatsächlichen Umstände in die Prostitution - und kommen dann nicht mehr raus. Auch die "Loverboy-Methode" spiele eine größere Rolle. Dabei täuschen Zuhälter jungen Frauen eine Liebesbeziehung vor und drängen sie aus dieser emotionalen Abhängigkeit heraus in die Prostitution. Oft geben sie vor, Schulden zu haben und reden dem Mädchen ein, es müsse helfen, diese ab zu bezahlen.

Menschenhandel. Sklaverei auf der Straße. Obwohl überall verboten, gibt es sklavereiähnliche Zustände auf der ganzen Welt - auch in Deutschland. Der "Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung" ist mehr als nur ein Gedenktag. Von Ines Eisele. DW vom 23. August 2018

--Methodios (Diskussion) 09:30, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Wer jetzt denkt: Ist mir doch wurscht, klingt nach nem klassischen Dritte-Welt-Problem, der irrt sich gewaltig. Denn auch in Deutschland leben laut Global Slavery Index knapp 170.000 moderne Sklaven. Dabei handelt es sich vor allem um Frauen aus Osteuropa und Russland, die zur Prostitution gezwungen werden, sagt Dietmar Roller: "Wir haben hier in Deutschland ein sehr liberales Gesetz für Prostitution und wir haben sehr viele Menschen, die in der Prostitution arbeiten. Aber 80% der Frauen in Deutschland kommen aus dem Ausland und von denen ist ein großer Teil eben nicht freiwillig hier."

Moderne Ausbeutung. Sklaverei 2.0. Sklaverei ist im Jahr 2018 kein Thema mehr! Leider falsch. Weltweit schuften mehr Menschen als je zuvor als moderne Sklaven, oft unter furchtbarsten Bedingungen. Daran kann und muss sich etwas ändern. Von: Miriam Harner. BR vom 23.08.2018

--Methodios (Diskussion) 09:38, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

In Süditalien wurden diese Woche 60 Personen verhaftet. Die Anklage lautet »Bildung einer kriminellen Vereinigung für illegale Arbeitsvermittlung und Ausbeutung«. Man könnte dazu aber auch sagen: »Sklavenhandel und Sklavenhaltung«. Die Arbeitssklaven, um die es hier geht, sind etwa 200 Menschen - aus Osteuropa, Pakistan und vor allem aus Afrika -, die vollkommen oder fast vollkommen illegal auf Obstplantagen, in Gewächshäusern oder auf dem Feld in Süditalien schufteten. Sie wurden von illegalen Arbeitsvermittlern, die man hier »Caporali« (Gefreite) nennt, vor allem in Auffanglagern für Mi-granten angeheuert; viele dort haben keine Papiere, andere warten seit Monaten auf irgendeinen Bescheid. Ihnen allen wurden falsche Versprechungen gemacht: Man würde ihnen dabei helfen, schneller ihre Aufenthaltspapiere zu erhalten, die Familien nachkommen zu lassen und sich in Italien einzugliedern.

Moderne Sklaverei in Süditalien. Justiz in Kalabrien geht gegen illegale Arbeitsvermittler für die Landwirtschaft vor. Von Anna Maldini, Rom ND vom 12. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 09:05, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Die Caporali brachten die von ihnen Rekrutierten in baufälligen Hütten oft ohne Licht und Wasser unter, für die diese dann auch noch horrende Mieten entrichten mussten. Stets frühmorgens wurden sie abgeholt und zur Arbeit gebracht, die zehn bis zwölf Stunden dauerte. Für das wenige Essen, das sie bekamen, und sogar für Wasser mussten sie bezahlen. Der Lohn: 80 Cent für eine Kiste geernteter Orangen oder zehn Euro für einen ganzen Arbeitstag. Aber auch hier gab es Unterschiede: Die osteuropäischen Erntehelferinnen, die zum Beispiel Erdbeeren pflückten, bekamen bis zu 28 Euro pro Tag, die Pakistani etwas weniger und die Afrikaner am wenigsten. Sie sind für ihre Arbeitgeber nichts anderes als »Affen«. So gibt es Telefonmittschnitte, in denen ein Bauer bei einem Caporale eine bestimmte Anzahl von »Affen« für einen besonderen Feldabschnitt bestellt. Selbst sauberes Wasser war den Aufpassern für sie zu schade. Einer der Arbeitsvermittler beschrieb, wie er den Erntehelfern Wasser aus den Bewässerungsgräben in schmutzige Flaschen füllte, als sie sich über die Hitze in den Gewächshäusern beklagten. Bei Beschwerden soll es auch Fälle von körperlicher Gewalt gegeben haben.

Moderne Sklaverei in Süditalien. Justiz in Kalabrien geht gegen illegale Arbeitsvermittler für die Landwirtschaft vor. Von Anna Maldini, Rom ND vom 12. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 09:07, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Die Untersuchungen dauerten ein Jahr und wurden von der Guardia di Finanza, einer auf die Bekämpfung von Zollvergehen und Wirtschaftsverbrechen spezialisierten Polizeitruppe, durchgeführt. Danilo Nastasi, Kommandant dieser Finanzpolizei aus Cosenza in Kalabrien erklärte: »Wir haben über 200 Arbeitskräfte ausgemacht, die ausgebeutet und ihrer Würde beraubt wurden.« Es gehe dabei um ein soziales, aber auch um ein wirtschaftliches Problem, da so der Wettbewerb zwischen den Unternehmen verfälscht werde. »Aber in erster Linie geht es uns um die Menschenrechte!« Sein Kollege Valerio Bovenga aus Sibari beschrieb die Situation so: »Die Arbeiter waren in heruntergekommenen und verdreckten Unterkünften ohne Heizung untergebracht und mussten häufig auf der Erde schlafen. Sie wurden ausgebeutet und wie Sachen behandelt: vollkommen rechtlos.«

Moderne Sklaverei in Süditalien. Justiz in Kalabrien geht gegen illegale Arbeitsvermittler für die Landwirtschaft vor. Von Anna Maldini, Rom ND vom 12. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 09:08, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Die Finanzpolizei hat 14 Betriebe beschlagnahmt, die zusammen etwa 8 Millionen Euro wert sind. Konfisziert wurden außerdem 20 Kleinbusse, mit denen die Erntehelfer auf die Felder gebracht wurden. Für ihre Arbeiter zahlten die Unternehmen entweder gar keine oder sehr viel weniger Steuern, als sie hätten zahlen müssen, da sie mittels der Caporali nur einen kleinen Teil der geleisteten Arbeitsstunden dem Finanzamt meldeten. Dabei geholfen haben soll ein Kommunalbeamter aus Cosenza, der ebenfalls verhaftet wurde. Illegale Arbeitsvermittlung dieser Art ist vor allem in Süditalien ein weit verbreitetes Phänomen. Die bestehenden Gesetze - das jüngste ist von 2011 - sehen dafür harte Strafen vor. Dennoch bereichern sich skrupellose Unternehmer weiter unter Ausnutzung der Notlage der Migranten. Mehrere kleinere und größere Aufstände dieser Landarbeiter wurden bereits mithilfe der Mafia brutal erstickt.

Moderne Sklaverei in Süditalien. Justiz in Kalabrien geht gegen illegale Arbeitsvermittler für die Landwirtschaft vor. Von Anna Maldini, Rom ND vom 12. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 09:11, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Europaweit gehören die Landwirtschaft, die Baubranche sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe zu den Risikobranchen mit Blick auf schwere Formen der Arbeitsausbeutung. In Großbritannien wurde zudem eine Reihe von Fällen moderner Sklaverei in Autowaschanlagen und Schönheitssalons registriert. Die Fallzahlen aus Großbritannien zeigen außerdem, dass zu den Opfern immer wieder auch britische Staatsbürger*innen zählen, die aufgrund psychologischer Erkrankungen oder persönlicher Umstände (wie Obdachlosigkeit) stärker verwundbar gegenüber Ausbeutung sind. ... Besonderes Augenmerk wurde in vergangenen Jahren auf die Fischerei gerichtet, wo aus Ländern wie Thailand immer wieder von sklavereiähnlichen Zuständen und schwerer Ausbeutung von Frauen und Männern aus Myanmar, Kambodscha oder Laos auf Fischtrawlern berichtet wird. ... Auch in Spanien gehören saisonale Arbeitskräfte aus dem Ausland zu den besonders verwundbaren Gruppen. Recherchen unter Frauen, die für die Erdbeerernte aus Marokko nach Spanien gekommen sind, ergaben, dass beinahe alle Frauen von ihren Vorgesetzen gedemütigt und eingeschüchtert, in vielen Fällen auch geschlagen wurden. Einige Frauen gaben zudem an, sexuell belästigt oder vergewaltigt worden zu sein. Auch deutsche Supermärkte sollen zu den Abnehmern von Erdbeeren aus der Region gehören. ... Interviews des India Committe of the Netherlands mit Angestellten von mehreren Spinnereien im südlichen Indien ergaben, dass Arbeiterinnen teilweise von ihren Arbeitgebern auf dem Fabrikgelände eingesperrt wurden und dieses auch nach Ende ihrer Schicht nicht verlassen durften. Das wöchentliche Arbeitspensum belief sich auf bis zu 60 Stunden, wobei ein bedeutender Teil des Gehalts vom Arbeitgeber bis Vertragsende einbehalten wurde. Auch Drohungen und sexuelle Belästigungen waren den Recherchen zufolge an der Tagesordnung. Das auf diese Weise produzierte Garn ist auch Teil der Lieferkette deutscher Unternehmen.

Moderne Sklaverei und Arbeitsausbeutung. Herausforderungen und Lösungsansätze für deutsche Unternehmen Global Compact, 2018 (aktualisiert 2019)

--Methodios (Diskussion) 10:13, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

ELF INDIKATOREN DER ZWANGSARBEIT DER ILO

  • Ausnutzung von Verwundbarkeit. Menschen, die keine Kenntnisse der Landessprache und der örtlichen Gesetze haben, einer marginalisierten Gruppe angehören, über stark begrenzte Einkommensmöglichkeiten verfügen oder sich sonstig von der Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden, sind oftmals besonders anfällig für Zwangsarbeit.
  • Täuschung. Täuschung beschreibt das Nichteinhalten gemachter Versprechungen hinsichtlich Vergütung, Konditionen und Art einer Arbeit. Häufig werden Opfern moderner Sklaverei attraktive Stellen in Aussicht gestellt, die sich später als falsch herausstellen.
  • Einbehalten von Ausweisdokumenten
  • Einschränkung der Bewegungsfreiheit
  • Einbehalten von Löhnen
  • Isolation Opfer moderner Sklaverei werden oftmals an abgeschiedenen Orten eingesetzt und untergebracht. Als Isolation zählt auch, wo der Kontakt mit der Außenwelt z.B. durch das Einbehalten von Handys unterbunden wird.
  • Schuldknechschaft
  • Körperliche und sexuelle Gewalt Opfer moderner Sklaverei, aber auch ihre Angehörigen oder engen Vertrauten können körperlicher Gewalt ausgesetzt sein. Das schließt auch sexuelle Gewalt und Nötigung mit ein.
  • Unzumutbare Arbeits- und Lebensverhältnisse
  • Einschüchterungen und Drohungen. Drohungen verstärken Abhängigkeitsverhältnisse. Gedroht wird z.B. mit Gewalt, der Übergabe an die Einwanderungsbehörden oder mit dem Streichen von ‚Privilegien‘, wie die Freiheit, den Arbeitsplatz zu verlassen.
  • Exzessives Maß an Überstunden

Moderne Sklaverei und Arbeitsausbeutung. Herausforderungen und Lösungsansätze für deutsche Unternehmen Global Compact, 2018 (aktualisiert 2019)

--Methodios (Diskussion) 10:26, 12. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Moderne Sklaverei in Deutschland: Solche Zustände werden erst publik, wenn es zB fast hundert Infizierte auf einen Haufen gibt - ansonsten werden sie nicht kommuniziert:

Inchenhofen. Auf einem Spargelhof in Bayern sind inzwischen 95 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. 525 Mitarbeiter seien untersucht worden, teilte das Landratsamt am Freitag in Aichach mit. »Aktuell werden alle Kontaktpersonen der Erkrankten ermittelt.« Die Getesteten hätten zum Zeitpunkt des Abstrichs jedoch keinerlei Symptome einer Covid-19-Erkrankung gezeigt, teilte die Behörde unter Berufung auf Gesundheitsamtsleiter Friedrich Pürner mit. Früheren Angaben zufolge hatte es unter Erntehelfern auf dem Betrieb in Inchenhofen eine Aufteilung in Kleingruppen gegeben, die vom Gesundheitsamt vorab ausdrücklich gelobt worden war. Nach Einschätzung der Behörde betrifft der Ausbruch nur den Spargelhof, weshalb auch eine Überschreitung der Grenzwerte für Neuinfektionen keine weiterreichenden Folgen hätte. Die Geschäftsführung der Lohner Agrar GmbH teilte am Freitag mit, angesichts der Vorkehrungen wie die Einrichtung eines eigenen Supermarktes, einer eigenen Kantine mit Abstandsvorkehrungen und der Unterbringung in Ein- bis Zwei-Personen-Zimmern keine Erklärung dafür zu haben, wie das Virus auf den Hof gekommen sei.

[Coronavirus: 95 Erntehelfer auf Spargelhof infiziert] Junge Welt vom 12. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 08:20, 13. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Nach dem Corona-Ausbruch bei der Fleischfabrik Tönnies rücken die Arbeitsbedingungen bei der Firma in den Vordergrund der Diskussion. In einem Buch berichten Mitarbeiter über ihre Lage und bezichtigen Tönnies, sie wie Sklaven zu halten. Der Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies aus Rheda-Wiedenbrück offenbart zunehmend die Missstände in der Fleischindustrie. Gestern wurde in Rheda-Wiedenbrück das Buch "Das Schweinesystem. Aufhebung der Werkverträge und des Subunternehmertums" vorgestellt. Ex-Mitarbeiter erheben darin schwere Vorwürfe gegen ihren einstigen Arbeitgeber Tönnies.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:26, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Kakerlaken in Backöfen. In dem von "Jour Fix Gewerkschaftslinke Hamburg" herausgegebenen Buch berichten die ehemaligen Werkvertragsarbeiter über psychischen und körperlichen Stress, angeblich brutale Vorarbeiter, zu lange Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden, mangelnden Arbeitsschutz, Drohungen und Gesundheitsgefährdung. Sie erzählen von unzumutbaren Wohnverhältnissen und Ausbeutung. Ihre Erlebnisse schildern sie unter den Pseudonymen Ben und Vasile. Vasile: "Wenn du zum Beispiel Kontakt zur Gewerkschaft hattest, fliegst du raus." Sein ehemaliger Kollege Ben berichtet: "Meine längste Schicht ging 21 Stunden. Geld habe ich für die Überstunden nicht gesehen. Auch wenn ich 15 Stunden gearbeitet habe, wurden mir nur acht bezahlt."

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:27, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Einmal habe er sich an der Hand verletzt. Der Vorarbeiter habe ihn jedoch angewiesen, weiter zu arbeiten. Nach drei Tagen sei die Hand schwer entzündet gewesen; als er deswegen krank zu Hause bleiben musste, wurde ihm mit Kündigung gedroht. In den Unterkünften seien Kakerlaken in den Backöfen herumgelaufen, im Zehnbett-Zimmer habe er am Tag kaum schlafen können. Das Fazit der beiden Männer, die aus Rumänien kommen: "Wir wurden wie Sklaven behandelt."

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:29, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Tönnies äußerte sich auf FOCUS-Online-Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen. Pfarrer: "Schuften sich zu Tode" Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich bestätigt im Gespräch mit FOCUS Online die Vorwürfe. Er kämpft seit acht Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und vor allem gegen die Werkverträge für die Arbeiter, die überwiegend aus Bulgarien und Rumänien kämen. Der Geistliche zeigte FOCUS Online Abrechnungen, auf denen ein anderer Fleischproduzent den Arbeitern etwa Kosten für die Nutzung von Sicherheitsschuhen oder Messern berechnete. Kossen kennt viele Arbeiter persönlich, da sein Bruder als Internist in Vechta täglich Arbeitsmigranten, Frauen wie Männer, aus Rumänien, Bulgarien und Polen behandelt.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:30, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

"Viele Arbeiter werden über die Jahre hinweg chronisch krank", berichtet Pfarrer Kossen. "Sie gehen nicht oder zu spät zum Arzt, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Sie sind eingeschüchtert und teilweise in einem katastrophalen körperlichen wie mentalen Zustand. Sie schuften sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode, haben keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und bezahlten Urlaub." Krankenversichert seien die Arbeiter hingegen. "Wenn sie sich behandeln lassen dürfen, sind sie versichert", sagt Peter Kossen. Was er damit meint: "Die Subunternehmer bauen einen ungeheuren Druck auf. Die Patienten meines Bruders berichten von Drohungen: "Wer mit dem gelben Schein kommt, kann gehen".

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:32, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Über Gehalt entscheidet Subunternehmer. Die Unterkünfte der Werkvertragsarbeiter in den Fleischkonzernen seien katastrophal, berichtet der engagierte Pfarrer, der sich nach dem Corona-Ausbruch bei Westfleisch in Coesfeld Anfang Mai mit einem großen Protestschild vor die Werkstore gestellt hatte: "Rattenlöcher werden als Wohnungen vermietet: 500 Euro für 17 Quadratmeter einer verschimmelten Bruchbude, ohne ausreichende Elektrizität mit undichtem Dach." Kossen beschreibt das System der Werkverträge an einem Beispiel: "Fleischkonzern X schließt einen Werkvertrag mit dem Subunternehmen Y über die Austrennung von 100.000 Hinterschinken. Über die Höhe des Gehalts und Arbeitszeit entscheidet allein der Subunternehmer", erklärt Peter Kossen. "Das Gehalt ist jedoch meist ein Hungerlohn."

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:33, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Heils Vorschlag soll erst nach Sommer besprochen werden. Den Fleischkonzernen darf es egal sein, Hauptsache, die Hinterschinken werden zügig ausgetrennt. Sie sind einzig für die Einhaltung der Arbeits-und Hygienevorschriften in ihren Produktionsstätten verantwortlich, für die Unterkünfte wiederum der Werkvertragsarbeiter nach geltendem Recht nicht. Die werden in der Regel von den Subunternehmern gestellt, auch Deutschlands größter Schlachtkonzern Tönnies mit einem Jahresumsatz von sieben Milliarden Euro und einem Marktanteil von knapp 30 Prozent bei Schweinen hat mit den Wohnungen nichts zu tun.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:34, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Genau dies kritisiert Nordrhein-Westfalens Arbeits-und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann scharf: "Die Besitzer der Betriebe sind nicht mehr verantwortlich für die Mitarbeiter, die Werkverträge haben." Im WDR forderte er: "Der, der einen Schlachthof besitzt, muss Verantwortung für seine Mitarbeiter übernehmen." Das System der Werkverträge müsse abgeschafft werden, so der CDU-Politiker. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat dafür eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die aber zum Ärger von Laumann erst nach der Sommerpause beraten werden soll: Ab dem 1. Januar 2021 soll das Schlachten und Verarbeiten von Fleisch nur noch mit Mitarbeitern des eigenen Betriebes erlaubt sein. Werkverträge für diese Branche dürfte es danach nicht mehr geben. Die Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, die Behörden über Wohn-und Einsatzorte ausländischer Arbeitskräfte zu informieren. Die Arbeitszeiten sollen digital erfasst werden. Die Bußgelder bei Verstößen will Heil auf 30.000 Euro verdoppeln. Bei Kontrollen allein in Nordrhein-Westfalen stellten die Behörden im vergangenen Jahr in 26 von 30 Fleischbetrieben schwere Verstöße fest, schreibt die Saarbrücker Zeitung. Arbeitsschichten von mehr als zwölf Stunden seien nicht selten gewesen.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:36, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Hubertus Heil will damit Schluss machen: "Für ein Geschäftsmodell, das Ausbeutung und eine Ausbreitung von Pandemien in Kauf nehme, kann es in Deutschland keine Toleranz geben", sagte Arbeitsminister Hubertus Heil nach den Vorfällen bei Westfleisch in Coesfeld Mitte Mai. Teile der Wirtschaft kritisieren das Vorhaben, weil sie befürchten, dass Werkverträge auch in anderen Branchen abgeschafft werden sollen, was Heil nach eigenen Angaben nicht plant. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der seit Jahren das verschachtelte System der Subunternehmen anprangert, begrüßt hingegen die Pläne des Arbeitsministers und wirft den Fleischkonzernen in Deutschland "organisierte Verantwortungslosigkeit" vor.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 21:37, 19. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Das alles ist Wasser auf die Mühlen von Inge Bultschnieder (48). Die gelernte Bäckerin läuft seit acht Jahren Sturm gegen Tönnies. Für ihr Engagement gegen die Arbeits-und Wohnverhältnisse bei der Firma Tönnies und die Gründung der Interessengemeinschaft Werkfairträge erhielt sie bereits Auszeichnungen für Zivilcourage. Im Jahr 2012 lernte sie im Krankenhaus eine Mitarbeiterin der Firma Tönnies kennen. Die Mazedonierin war bis auf die Knochen abgemagert. Da Bultschnieder ein wenig mazedonisch spricht, kam sie mit der Frau ins Gespräch. "Sie erzählte mir, dass sie Angst habe und Hilfe brauche." Inge Bultschnieder schaute sich ihre Unterkunft und auch die Männerwohnungen an und war geschockt: "Ich habe Rotz und Wasser geheult." Die Arbeiter schliefen auf Matratzen, die Tapeten an den Wänden waren abgerissen. Acht bis zehn Leute auf engstem Raum. "Menschenunwürdig", sagt Bultschnieder. Und in Corona-Zeiten brandgefährlich.

Corona-Ausbruch. "Wie Sklaven gehalten": Tönnies-Mitarbeiter packen über ihren Arbeitgeber aus FOCUS-Online-Autor Frank Gerstenberg, 19. Juni 2020

In der Fleischindustrie herrscht die ungeschönte Brutalität des Kapitalismus. Bert Brecht ließ einst »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« sagen: »Ich sehe das System, und äußerlich ist’s lang bekannt, nur nicht im Zusammenhang!« Heute spült die Coronakrise die dunklen Machenschaften der Branche an die Oberfläche. Dort werden Arbeiter zu Dumpinglöhnen aus dem Ausland angeheuert. Gegen den produzierenden Konzern können sie sich nicht organisiert zur Wehr setzen, denn der vergibt die Aufträge über Werkverträge an Subunternehmen. Rechtsbruch ist an der Tagesordnung. Den Tagelöhnern werden die Kosten für Unterkunft und Schutzausrüstung von ihrem kargen Gehalt abgezogen. Sie hausen eingepfercht auf engstem Raum wie im Gefängnis.

Deutscher Exportschlager. Coronapandemie in der Fleischbranche. Von Simon Zeise. Junge Welt vom 20. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 06:31, 20. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Dass sich die Branche zum Corona-Hotspot entwickelt, ist also kein Zufall. Das »Schweinesystem« ist ein Exportschlager: Deutschland importiert moderne Lohnsklaven aus Osteuropa und exportiert billiges Fleisch. Im Ausland kann mit den niedrigen Preisen nicht mitgehalten werden, Bauern in armen Ländern werden niederkonkurriert. Vorneweg Branchenprimus Tönnies: 750 Coronainfizierte meldete der Konzern zuletzt. Der Umsatz des Konzerns ist im vergangenen Jahr auf mehr als sieben Milliarden Euro gestiegen. Firmenpatriarch Clemens Tönnies hat sich laut Forbes ein Vermögen in Höhe von zwei Milliarden Euro zusammenschlachten lassen. Was er von Migranten hält, hatte er im Sommer vergangenen Jahres auf dem »Tag des Handwerks« in Paderborn öffentlich kundgetan. Die Regierung solle statt Steuern gegen den Klimawandel zu erheben, besser Atomkraftwerke in Afrika finanzieren. »Dann hören die auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren.« Hinter seiner rassistischen Tirade steckte nüchternes betriebswirtschaftliches Kalkül: Laut UN-Landwirtschaftsorganisation FAO sind 14,5 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Haltung und Verarbeitung von Tieren zurückzuführen. Staatliche Schutzmaßnahmen würden Tönnies’ Gewinne schmälern.

Deutscher Exportschlager. Coronapandemie in der Fleischbranche. Von Simon Zeise. Junge Welt vom 20. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 06:36, 20. Jun. 2020 (CEST)Beantworten

Auch um das Coronavirus einzudämmen, müsste der Fleischgigant Geld ausgeben. Die Fließbänder im Werk laufen im Akkord, der Abstand zwischen den Arbeitern beträgt wegen der hohen Taktung oft nur einen halben Meter. Die Gewerkschaft NGG schätzt, wenn Arbeitsrecht eingehalten würde, müsste der Fleischpreis um zehn Cent pro Kilo angehoben werden. Der Regierung sind Menschenleben und Umweltschutz wurscht. Werkverträge könnten über Nacht verboten und rigorose Kontrollen zur Einhaltung des Arbeitsschutzes durchgesetzt werden. Statt dessen gießen die verantwortlichen Politiker Öl ins Feuer. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will mit solchem Schweinskram nichts zu tun haben. Für ihn war schnell klar: Das Virus kommt aus Bulgarien oder Rumänien – der Mann will Kanzler und nicht mit einem Seuchenpfuhl assoziiert werden.

Deutscher Exportschlager. Coronapandemie in der Fleischbranche. Von Simon Zeise. Junge Welt vom 20. Juni 2020

--Methodios (Diskussion) 06:53, 20. Jun. 2020 (CEST)Beantworten


https://www.msn.com/de-de/nachrichten/coronavirus/t%c3%b6nnies-die-geduld-ist-aufgebraucht/ar-BB15NbE1?li=BBqg6Q9&ocid=mailsignout


»Wir brauchen schnellstmöglich ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie und Regeln für die Unterbringung von Beschäftigten«, forderte jüngst DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will laut Kabinettsbeschluss ab 1. Januar 2021 Werkverträge in Schlachthöfen untersagen, spätestens. Skepsis bleibt angebracht. Nach Industrieangaben seien bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze im Kernbereich der Schlachtereien über Werkverträge vergeben, sagte Susanne Ferschl, Vize­chefin der Fraktion Die Linke im Bundestag, am Dienstag der Augsburger Allgemeinen (Onlineausgabe). Eine Industrie mit »kriminellen und mafiösen Strukturen«, sagte die Politikerin. Zuvor apostrophierte Ferschl den Tönnies-Konzern als »Teil des Schweinesystems«. Karin Vladimirov, Pressesprecherin der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), betonte am Mittwoch gegenüber jW: »In der Fleischbranche muss endlich aufgeräumt und das intransparente, kranke System mit seinen Subunternehmen beendet werden.« Dem pflichtete Dominique John, Leiter des DGB-Projekts »Faire Mobilität«, gleichentags im jW-Gespräch bei – und sagte weiter: »Die Gier nach Extraprofiten beschleunigt die Abwärtsspirale bei Löhnen und Standards.«

Nahrungsmittelbrnache in der BRD. Mafiöse Strukturen. Fleischproduktion auf Rekordhoch – Kritiker fordern Ende des »Schweinesystems« Von Oliver Rast. Junge Welt vom 2. Juli 2020

--Methodios (Diskussion) 09:51, 2. Jul. 2020 (CEST)Beantworten

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