Kurs Diskussion:Exerzitien unter der Straße/Ueli Wildberger

Nekrolog

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Ueli Wildberger

  • 11.07.1945 †23.01.2023

Im Einsatz für Frieden, Gewaltfreiheit und Versöhnung

- Versöhnungsbund Schweiz IFOR

- Forum für Friedenserziehung und aktive Gewaltfreiheit

Ueli Wildberger kam am 11.Juli 1945 im kleinen Randendorf Hemmental bei Schaffhausen zur Welt, zwei Monate nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Der Vater, ein Klettgauer Bauernsohn, war Dorfschullehrer. Er hatte seine Stelle in den 30iger Krisenjahren dort bekommen mit der Auflage, auch in der Kirche Orgel zu spielen und den Frauen- und Männerchor zu leiten. Die Mutter war Stadtzürcherin, Tochter eines Postbeamten. Bald kamen zum erstgeborenen Ueli der Bruder Peter und die Schwester Ruth dazu und die Lehrerwohnung im Dachstock des Schulhauses wurde zu klein. 1950 übersiedelte die Familie in die Stadt Schaffhausen und fand dort ein Einfamilienhaus mit schönem Gemüse- und Blumengarten. Die Schwestern Annerös und Marianne kamen 1952 und 1960 dazu. Ueli besuchte die Schulen, die er 1964 mit der Matura abschloss. Daneben erlernte er das Geigenspiel. Auch die Geschwister konnten alle Musikstunden nehmen und es wurde viel zusammen musiziert. Dafür lag ein Auto nicht auch noch drin. Die Mutter liebte die Natur, die Blumen und das Wandern, was sie zum Hobby für die ganze Familie machte. An manchen Wochenenden war die ganze Familie Gastgeberin in der reformierten Heimstätte Rüdlingen. Wanderferien, Autostopp- und Velotouren erweiterten den Horizont.

Ab 1964 studierte Ueli Theologie in Zürich, Marburg und Berlin. Es war vorerst selbstverständlich, die Rekrutenschule als Infanterist zu absolvieren. Jedoch führten die zwei Jahre in Berlin um 1968 mitten im Zentrum der grossen Jugendbewegung für Ueli zu einem prägenden Umdenken. Neue Werte wurden wichtig wie Selbstlosigkeit, soziales Engagement und Widerstand ohne Waffen nach dem Vorbild von Gandhi. Als Theologe hätte Ueli problemlos aus der Armee austreten können. Er aber wollte aktiv Militärdienst verweigern und für die Einführung eines Zivildienstes kämpfen. Für seine Überzeugung nahm er eine Gefängnisstrafe in Kauf. Dies war für die Eltern, die den 2. Weltkrieg hautnah miterlebt hatten, schwer zu verstehen. Als Schweizer in Berlin war es gut möglich, in die damalige DDR zu reisen. Unvergesslich seine Beschreibung, wie er jeweils mit Koffern voller theologischer Bücher die check points in die DDR überquerte, angebend, er brauche die Bücher für einen theologischen Kongress. Er brachte sie dann seinen Kolleginnen und Kollegen für deren Bibliothek, denn theologische Fachliteratur konnte damals in der DDR nicht gekauft werden. Viele Freundschaften entstanden in dieser Zeit und Ueli traf diese Familien sein ganzes Leben lang.

Nach dem Studium und der anschliessenden Ordination am 21. Nov. 1971 sowie einem Zwischenjahr in Paris arbeitete Ueli vorerst in Pfarrer Siebers Notschlafstelle für Drogenabhängige, dann acht Jahre als Jugendsekretär beim Christlichen Friedensdienst. Kurz nach der Gründung 1981 stiess er zu den Peace Brigades International, wo er auch Einsätze in Zentralamerika machte. Zwischendurch führte ihn eine längere Reise auf dem Landweg über Afghanistan nach Indien und Nepal. Bei der Rückkehr völlig abgemagert von Entbehrungen und Durchfällen schaffte er es gerade noch ans Hochzeitsfest seiner Schwester.

1975 traf Ueli an einem Kurs über Gewaltfreiheit erstmals France Soubise. Sie hatte als Kind in Madagaskar gelebt und wohnte damals in der Nähe von Marseille, wo sie Taubstummenlehrerin war. Sie verliebten sich und 1980 zog France zu Ueli in die Schweiz und arbeitete als Yogalehrerin. 1984 lud das Paar ein zu einem unvergesslichen 2-tägigen Hochzeitsfest in die Wartburg ob Mannenbach über dem Untersee. Ueli wollte ein Leben in Einfachheit und in sozialer Gemeinschaft führen und hat nach dem Studium immer in Wohngemeinschaften in Zürich gewohnt, die längste Zeit an der Agnesstrasse 25. Im Laufe der rund 40 Jahre, die sie dort wohnten, hatten sie über 100 meist junge Wohnungspartnerinnen und Partner. Nur sie wurden langsam älter.

Bereits 1972 trat Ueli dem Versöhnungsbund (IFOR Schweiz) bei. Dieser wurde später zu seinem Arbeitsmittelpunkt. Zusammen mit Jonathan Sisson baute er das Forum für Friedenserziehung auf, erarbeitete sich die Grundlagen aktiver Gewaltfreiheit und sie führten Kurse durch. Die Werkzeuge für die Aktionen waren sehr kreativ: Ein Marsch durch die ganze Schweiz mit dem Ziel, endlich einen Zivildienst einzuführen, Grossdemos gegen AKWs von Leibstadt nach Kaiseraugst, in Gösgen und in Mühleberg sowie gegen den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen, Menschenteppich gegen die Waffenschau 1981 in Winterthur, Soldatenfriedhof bei der Wehrschau in Frauenfeld 1982. Da ich in Frauenfeld wohne, kam Ueli damals am Vorabend mit etwa 20 Leuten aus Zürich zu mir in die Wohnung und sie verbrachten die Nacht auf meinem Stubenboden, bevor sie dann an die Antiwehrschaudemo gingen. Solche Aktionen bereitete Ueli immer ganz genau vor, instruierte die Teilnehmenden als Peace keeper, damit gewaltbereite Leute wie z.B. der schwarze Block sofort gestoppt werden konnten, wenn sie gewalttägig wurden. Ueli setzte sich auch für eine menschliche Flüchtlingspolitik ein. Eine Kirchenbesetzung 2009 führte zur Gründung des Solinetz Zürich.

Während Ueli jeweils im Frühling in Italien eine Auszeit nahm, mit France wanderte und wunderschöne Kinderbücher und Aquarelle kreierte, war er im Sommer regelmässig auf einer Alp oder bei Bergbauern im Calancatal anzutreffen. Seine Violine war ihm eine regelmässige Begleiterin. All dies war sein Ausgleich zu seiner manchmal doch recht zermürbenden Friedensarbeit. Nie zeigte sich Ueli jedoch frustriert.

2021 machten sich ernsthafte gesundheitliche Probleme bemerkbar, im Frühling eine Lungenembolie und wenig später ein Schlaganfall, ausgelöst durch eine Hirnembolie. Als Ursache wurde ein schon etwas fortgeschrittener und aggressiver Prostatakrebs diagnostiziert. Mit grossem Einsatz und Elan in der Rehaklinik erholte sich Ueli fast voll von den ersten Lähmungen. Im Sommer des letzten Jahres folgten weitere Rückschläge und Schlaganfälle. Wieder ging es dank bewundernswertem Einsatz während dreier Monate in der Rehaklinik Sonnmatt bei Luzern aufwärts. Kurz vor Weihnachten verschlechterte sich der Zustand, Schmerzen kamen dazu. Am 24. Dezember konnte Ueli noch mit dem Rollstuhl vom Pflegeheim in den Gemeinschaftsraum seiner Wohnüberbauung in Witikon gebracht werden und mit der ganzen Grossfamilie Weihnachten feiern. Nie haderte Ueli mit seinem Schicksal. Getragen von seinem tiefen Glauben ertrug er Rückschläge und Schmerzen. Vom erneuten Schlaganfall am 19. Januar, der zur Einweisung ins Spital führte, erholte er sich nicht mehr und verstarb am 23. Januar im Beisein seiner geliebten France.

Ueli bleibt uns in Erinnerung als ein Mensch mit einem grossen Engagement für eine gerechte, solidarische Welt. Bewundernswert ist, wie er seine Überzeugungen auch in seinem persönlichen Leben konsequent gelebt hat.

Peter Wildberger

https://www.pfarrverein.ch/nekrologe/?nekrolog=373

Nachruf PBI

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PBI-Gründungsmitglied Ueli Wildberger ist gestorben

Am 23. Januar 2023 ist Ueli Wildberger, Gründungsmitglied von PBI, gestorben. Ueli spielte von 1982-1997 eine entscheidende Rolle im Aufbau der Organisation. Wir bedauern seinen Tod sehr und sprechen seiner Ehefrau France und der ganzen Familie unser herzlichstes Beileid aus.

Vor ziemlich genau zwei Jahren, mitten im Corona-Winter, traf ich Ueli anlässlich der 40 Jahre PBI für ein Online-Interview über die Anfänge der Organisation. Das Gespräch bleibt mir bis heute in Erinnerung. Ueli war bestens vorbereitet und erzählte mir mit viel Begeisterung und spannenden Details, wie damals Anfang der 80ger Jahre alles begann. Sein lebenslanger und unermüdlicher Aktivismus für Gewaltfreiheit, Frieden und Gerechtigkeit hat mich zutiefst beeindruckt. Er verfolgte ein ganzheitliches Konzept des Friedens und setzte sich nicht nur für die gewaltfreie Konfliktlösung in anderen Ländern ein, sondern vor allem auch hier in der Schweiz.

Mit PBI in Guatemala Als IFOR-Delegierter nahm Ueli 1982 zum ersten Mal an einem PBI-Treffen mit 15 Friedensaktivisten in der Niederlande teil. Mit zwei anderen Teilnehmern lancierte er den Vorschlag ein Pilotprojekt in Zentralamerika zu starten. Die Idee wurde gutgeheissen und 1983 gingen die ersten Freiwilligen mitten im Bürgerkrieg nach Guatemala. Ueli suchte dafür aktiv nach Freiwilligen in Europa. Mit einem Kollegen aus Spanien organisierten sie eine Tournee in verschiedene europäische Länder, um sich mit Friedensgruppen zu treffen. So entstand allmählich das internationale Netzwerk. 1985 reisten Ueli und France selber nach Zentralamerika, um sich ein Bild von der Situation zu verschaffen und anschliessend darüber in der Schweiz zu berichten.

Trainings für die Freiwilligen

1986 co-organisierte Ueli das erste PBI-Training mit 20 Teilnehmenden in Nordspanien und war in den Folgejahren als Trainer für die neuen Freiwilligen tätig. Die ersten paar Jahre war PBI in der Schweiz wie eine Untergruppe von IFOR, erzählte mir Ueli, bis der Verein umfangreicher wurde und sich selbständig machte. Mit Newsletters und Berichten verbreitete er Informationen in verschiedene Länder Europas. 1988 wählte PBI International Ueli für vier Jahre in die internationale Leitung der Organisation. Er war zudem im Vorstand von PBI Schweiz und koordinierte die Zusammenarbeit mit PBI-Guatemala. Bis zu seinem Tod blieb Ueli PBI als Mitglied verbunden.

Bedeutsame Aufbauarbeit

Der Aufbau des Netzwerks, den Ueli für die Organisation geleistet hat, ist von unschätzbarem Wert. Die Früchte seiner Arbeit währen bis heute und sein Engagement für den Frieden und die Gewaltfreiheit bleibt eine grosse Inspiration für uns alle. Danke Ueli.

Katia Aeby

Abschiedsfeier in Zürich

Am 27. Februar 2023 findet eine Abschiedsfeier in Zürich statt: Reformierte Kirche Witikon, Witikonerstrasse 290, 8053 Zürich. 14.00 Uhr.

https://www.peacebrigades.ch/de/aktuell/news/pbi-gruendungsmitglied-ueli-wildberger-ist-gestorben-12049


Zum Tod von Ueli Wildberger (Versöhnungsbund)

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Zum Tod von Ueli Wildberger

Wir trauern um Ueli Wildberger, Mitglied von IFOR-MIR Schweiz, der am 23. Januar 2023 verstorben ist. Ueli Wildberger war ein international aktives IFOR-Mitglied und setzte sich seit den 1960er Jahren unermüdlich für mehr Gerechtigkeit und eine friedliche Welt ein: Als Militärdienstverweigerer, als Mitarbeiter in Pfarrer Ernst Siebers Notschlafstelle, als Jugendsekretär beim christlichen Friedensdienst, als Atomkraftgegner, Friedensarbeiter bei IFOR-MIR Schweiz und Gründungsmitglied von Peace Brigades International und Solinetz, einem Verein der sich für Flüchtlinge und Sans-Papiers in der Schweiz einsetzt.

IFOR-MIR Schweiz schreibt in einem Nachruf: "Ueli war sozusagen das Herz von IFOR-MIR". Der Text enthält Erinnerungen an Ueli von verschiedenen Mitgliedern von IFOR-MIR Schweiz und einen von Ueli geschirieben Text zu einer weltweit verbreiteten Kultur der Gewalt, ihren verheerenden Folgen und den transformatieven Möglichkeiten gewaltfreien Handelns, den er 2021 anlässlich seines Rücktritts als Präsident von IFOR-MIR Schweiz geschrieben hat. https://ifor-mir.ch/ueli-wildberger/

Auch der Verein Solinetz hat einen Nachruf verfasst und ihm die Todesanzeige beigefügt: https://solinetz-zh.ch/in-erinnerung-an-ueli-wildberger/

Ein weiterer Nachruf kommt von Peace Brigades International: https://www.peacebrigades.ch/de/aktuell/news/pbi-gruendungsmitglied-ueli-wildberger-ist-gestorben-12049

Die von Ueli Wildberger zusammengetragene "Friedensbibliothek" ist im Bibliothekskatalog des Schweizerischen Sozialarchivs verzeichnet: https://www.findmittel.ch/archive/archNeu/Ar1024.html

Die Trauerfeier findet am 27. Februar in Zürich statt. Mehr Informationen erhaltet ihr bei Interesse in den Nachrufen von IFOR-MIR Schweiz und Peace Brigades International.

https://versoehnungsbund.de/2023-zum-tod-von-ueli-wildberger


In Erinnerung an Ueli Wildberger (Solinetz)

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In Erinnerung an Ueli Wildberger

9. Februar 2023

"Wenn ich an Ueli denke, fällt mir als Erstes und am nachhaltigsten und dauerhaftesten sein Leuchten ein. Immer war es da, wenn ich ihn sah, wie ernst oder traurig der Anlass auch war — das Grundleuchten blieb. Ich habe Ueli Anfang 2009, nach der Besetzung der Predigerkirche, kennen gelernt. Damals schloss sich, neben vielen anderen Aktivitäten, ein Grüpplein zusammen, das sich bald «die Koordinationsgruppe» nannte. Früh liess Ueli das Wort «Solidaritätsnetz» fallen. So eines hatte ein Pfarrer in Sankt Gallen ins Leben gerufen. Die Koordinationsgruppe traf sich oft. Am Anfang galt es, allen Beteiligten die Situation, die mit der Einführung der Nothilfe entstanden war, klarzumachen: rechtlich, praktisch, auf Bundesebene, auf Kantonsebene. Als nächstes, sich zu überlegen, was in dieser Situation zu tun war: Wie sich vernetzen? Mit wem? Aus welchem Anlass? Was fordern? Mit welchen Werten? Mit welchen Werkzeugen?

Das klingt sehr trocken, war aber in Wahrheit viel lustiger und aufregender. Das erste Positionsdokument (bevor wir später das Leitbild erarbeiteten, für das ich nach wie vor stolz auf uns bin) entwickelten wir in Nachtarbeit, und zwar an einem Ort, der mir im Nachhinein wie ein Treppenhaus in Erinnerung ist. Kann das sein? Manchmal trafen wir uns auch in der Mittagspause in der Bäckeranlage. Ein paar Mal war mein jüngstes Kind dabei, und Ueli gab ihm auf der Schaukel (dem Riitseili) an, während wir diskutierten. Nach und nach erfuhr ich, wer Ueli war. Dass er 68 die Studentenbewegung aus eigener Anschauung erlebt hatte. Dass er sich nicht nur für ein Solinetz einsetzte, sondern ein richtiger Friedensarbeiter war, (dank ihm haben wir das berühmte Leitbild in den Räumen des Schweizerischen Friedensrates erarbeitet — Vernetzung), den Menschenstrom gegen Atom mitorganisierte und überhaupt an allem beteiligt schien, wo man sich für eine bessere Welt einsetzt. Nie hätte er es abgelehnt, Schichten an einem Stand zu übernehmen, an einer wichtigen Demo teilzunehmen oder zu flyern, selbst bei unwirtlichstem Wetter. Bei Regen kam er auf seinem Velo angefahren und hatte seine Kapuze eng ums Gesicht geschnürt (das man natürlich trotzdem leuchten sah), und den Sattel schützte er, so lange er nicht selber darauf sass, mit einem alten Plastiksack.

Ueli wusste aber auch alles über das Vereinswesen: Welche Vorgaben des ZGBs einzuhalten waren; wie man ein Vereinskonto eröffnet. Entscheidende Kenntnisse für die Gründung des Solinetzes. Er schrieb stets mit, unauffällig und knapp, und kam auch nach Jahren als einziger computerlos und bestens vorbereitet mit einem durchsichtigen Mäppchen, in dem alle Bleistift-Notizen wohl verwahrt waren. Im Sommer schöpfte er Kraft in den Bergen, beim Heuen, wie er mir erklärte. Und er schrieb Kindergeschichten, in denen Tiere und Berge vorkamen und die er selbst mit Aquarellen illustrierte. Diese Büchlein waren für seine vielen Göttikinder bestimmt. Er hat sie aber auch vervielfältigt und mir einige für meine Kinder geschenkt. Irgendwann lernte ich auch seine Frau France kennen und erfuhr, dass die beiden seit Jahren, was, Jahrzehnten!, in der gleichen WG an der Agnesstrasse wohnten (im Tagi lässt sich ein Artikel mit Foto dazu finden). Nach 38 Jahren wurde der WG gekündigt. Die Enttäuschung war riesig. Uelis und Frances Umzug in eine neue kleinere WG (mit Liftanschluss!) am Stadtrand erstreckte sich über mehrere Tage und liess erahnen, wie viele Freundinnen und Freunde und ehemalige Mitbewohner:innen die beiden hatten, die jetzt alle vorbei kamen, um zu helfen. Ueli war auch Theologe und hat mir einmal gesagt, auf Theologisch (mit Schaffhauser Akzent natürlich) würde man sein Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vielleicht so umschreiben können: Gott begegnen in seinen menschlichen Gewändern. Ueli war nicht einfach konsequent, sondern konsequent liebenswürdig, liebenswürdig hartnäckig und hartnäckig fröhlich und warmherzig. Er leuchtete nicht nur von innen heraus, sondern hatte ein Lachen, das klang wie ein Bergbächlein, das sprudelt; oder wie ein Glöckchen, das ich in der Erinnerung klingeln höre."

Séverine Vitali, Solinetz-Gründungsmitglied, ehem. Vorstandsmitglied, ehem. Präsidentin

https://solinetz-zh.ch/in-erinnerung-an-ueli-wildberger/



Nachruf auf Ueli Wildberger: Er gründete Zürichs älteste WG und weinte vor Weltschmerz (Tagesanzeiger)

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Nachruf auf Ueli Wildberger

Er gründete Zürichs älteste WG und weinte vor Weltschmerz

Der Theologe Ueli Wildberger verstand sich als Friedenskünstler. Mit gemeinschaftlichem Wohnen und gewaltfreiem Protest wollte er die Gesellschaft wandeln.


Ev Manz

Publiziert: 26.11.2023

Nach 40 Jahren die Kündigung für die Gross-WG an der Agnesstrasse zu erhalten, erschütterte Ueli Wildberger (1945–2023).

Foto: Andrea Zahler

Die Kälte der Welt nahm Ueli Wildberger in sich auf und wandelte sie in Wärme um. Er hatte eine innere Kraft. Was er tat und sagte, kam aus tiefstem Herzen.

Materielles hingegen sagte Ueli Wildberger nichts. Er kaufte seine Kleider in Brockenhäusern und wohnte bis zu seinem Tod Ende Januar 2023 in Wohngemeinschaften. 40 Jahre davon in einer 7½-Zimmer-Wohnung an der Zürcher Agnesstrasse. Über all die Jahre teilte er mit insgesamt 150 verschiedenen Personen Küche und Bad.

Eine Person aber blieb 47 Jahre an seiner Seite: France Soubise, seine grosse Liebe.

Beeindruckende Zeilen aus der Zelle Es ist 1974, als die Französin von Wildbergers Art verführt wird, ohne ihm zu begegnen. Sie sitzt in einem WG-Zimmer in Berlin auf einer Matratze. Neben ihr zwanzig Aktivistinnen und Aktivisten aus allen Ecken Europas, die sich wie sie für einen gewaltfreien Widerstand gegen Krieg und andere Missstände einsetzen. Nur Ueli Wildberger fehlt. Er sitzt wegen Dienstverweigerung in Winterthur im Gefängnis. Mit Briefzeilen, die Freude und Enthusiasmus vermitteln, ist er jedoch präsent. «Damit hat er mich beeindruckt», sagt Soubise rückblickend.

Ein Jahr später sitzen dieselben Personen der European Work Group in Zürich wieder zusammen – in Ueli Wildbergers WG-Zimmer an der Selnaustrasse. Dieses Mal ist France Soubise sofort fasziniert von der positiven Energie und dem Idealismus des gross gewachsenen Mannes. Und natürlich auch von seinem Bart und seiner wilden Mähne.

Alle, die Ueli Wildberger begegneten, beeindruckte seine Ausstrahlung. Foto: Urs Jaudas

Später besucht er sie in ihrer Wohnung bei Marseille. Während sie in den Calanques wandern, merken sie, dass sie zusammengehören und sie seinen Humor versteht. An einem Morgen am Strand fragt sie ihn, ob er gut meditiert habe. Er antwortet schlagfertig: «Oui, bien sûr, j’ai bien méditerrané.»

Für Wildberger ist klar, dass sie auch als Paar in der WG leben. Individualismus widerstrebt ihm, Austausch bereichert ihn. Soubise lässt sich darauf ein. Sie nennt ihn Habibi, er sie Habibati (arabisch für Liebling). Heute sagt sie, sie hätte sich anfänglich mehr Privatsphäre und Zweisamkeit gewünscht. «Aber Uelis Ideologien und sein Engagement waren für mich immer unantastbar.» Deshalb steht sie vollkommen hinter dem Entscheid.

Erkenntnis 1968 in Berlin

Es ist das familiäre Umfeld, das Ueli Wildberger zuerst prägt. 1945 in Schaffhausen geboren, wächst er zusammen mit vier jüngeren Geschwistern auf. Er spielt Geige und bastelt gern Mobiles. In den Ferien wandert die Familie in den Bergen. Weil er und sein jüngerer Bruder Peter einmal das Meer sehen wollen, reisen sie per Autostopp an die Nordsee. Die Familie geht oft in die Kirche; der Vater, ein Lehrer, kann seinem Sohn Ueli in seiner sanften Art die Faszination für Spiritualität vermitteln.


Später studiert Ueli Wildberger selber Theologie und belegt 1968 einige Semester in Berlin. Es wird der Aufenthalt, der seine Lebenseinstellung radikal ändert. Nächtelang diskutiert er über Gesellschaftskritik und Revolte. Seine Geigenetüden übt er jeweils um 3 Uhr morgens in einer Kirche. Tagsüber schmuggelt er für Studentinnen und Studenten in der DDR Bücher über die Grenze. Manchmal gelingt es ihm, manchmal wird er festgehalten, verhört, die Bücher werden beschlagnahmt.

Seine Frau France und das Geigenspielen waren Konstanten in Ueli Wildbergers Leben.

Foto: Urs Jaudas

Ueli Wildberger merkt, dass auch er für einen Gesellschaftswandel und eine gerechtere Welt kämpfen will, aber mit gewaltfreiem Protest. Wie einst Gandhi, vom Glauben geleitet. Sein Bruder Peter sagt: «Er kam als anderer Mensch aus Berlin zurück."

Doch Peter Wildberger hat Verständnis für das Tun des Bruders. Beeinflusst habe sie beide wohl ihr erster Kinofilm über Albert Schweitzer. Peter wurde Tropenarzt, Ueli Theologe und Friedenskünstler, wie er sich selber nannte. «Wie er haben wir uns beide ein Leben lang für eine bessere Welt engagiert."

Menschenteppich gegen Waffenschau

Danach gibt Ueli Wildberger im Militär nicht mehr den Gehorsamen, sondern verweigert den Dienst. Das führt zu grossen Spannungen mit den Eltern. Sie werden grösser, als er wegen Dienstverweigerung ins Gefängnis muss. Und keine Pfarrstelle annimmt.

Er demonstriert gegen die AKW in Kaiseraugst und Gösgen, organisiert einen Menschenteppich gegen die Waffenschau in Winterthur, einen Soldatenfriedhof in Frauenfeld und Menschenketten für den Frieden. Später arbeitet er für die Peace Brigades International und Solinetz. Das Einkommen reicht für ein bescheidenes Leben. Und für Reisen nach Indien, zu den Friedensbrigaden in Nicaragua und nach Honduras.

«Ueli schaute bis drei Wochen vor dem Tod noch nach vorn, weil er das Leben so sehr liebte.»

France Wildberger-Soubise

1984 heiraten Ueli Wildberger und France Soubise und feiern mit über hundert Freunden unter freiem Himmel am Bodensee. Er trägt einen Anzug, sie ein schlichtes Kleid aus dunkelroter Seide, das sie mithilfe von Ueli Wildbergers Schwester genäht hat. Die WG-Freunde kochen Ratatouille. Und weil der Weg von der Küche zur Tafel über 120 Stufen hinunterführt, bildet die Gästeschar eine Menschenschlange und gibt das Geschirr weiter.

Rauschende WG-Partys

Überhaupt geht die Geselligkeit über alles. In der WG lädt Wildberger zweimal pro Jahr zum Fest – einmal verkleiden sich alle als Insekten, ein anderes Mal zum Motto «Vier Elemente». Auch die ehemaligen WG-Gspäändli sind präsent. Es fehlt nur der eigene Nachwuchs – das Paar bleibt kinderlos. Umso mehr Freude hat das Paar an den Kindern seiner Freunde, und Ueli Wildberger pflegt intensive Beziehungen zu seinen neun Göttikindern.

Regelmässig organisierte Ueli Wildberger in der WG Mottopartys, an denen auch viele ehemalige Mitbewohnende gern mitfeierten.

Foto: Andrea Zahler

Ihm bleibt so auch Zeit für die weiteren Grundpfeiler seines Lebensstils: die manuelle Arbeit. Jedes Jahr hilft er einer Bergbauernfamilie beim Heuen. In Tinizong, im Prättigau und später im Calancatal. Aus Prinzip, aber auch für die Bewegung fährt er Velo, manchmal geht er auch im Zürichsee schwimmen. Daneben werkelt er gern mit Holz, malt und schreibt Kindergeschichten. Mit 74 Jahren beginnt Wildberger, der bereits sieben Sprachen spricht, noch Arabisch zu lernen. Am liebsten aber diskutiert er nach wie vor stundenlang über eine bessere Welt. Weint er ausnahmsweise einmal, dann aus Weltschmerz.

Die Kündigung setzt ihm zu

Tief erschüttert ihn 2020 die Kündigung der WG an der Agnesstrasse. Am Stadtrand in Witikon findet das Paar zwar eine genügend grosse Wohnung für eine neue WG, aber das Leben mitten in der Stadt und die Bullingerkirche, wo er oft Gottesdienste besucht hat, fehlen ihm.

Ueli Wildberger zeichnete gern. Dieses Bild konnte er nicht mehr fertigstellen, seine Frau hat es für ihn koloriert.

Foto: PD

Kurz darauf wird bei ihm Krebs diagnostiziert, später erleidet er einen Schlaganfall. Langsam erholt er sich, kann gar wieder Geige spielen und Velo fahren. Doch dann wirft ihn ein zweiter Schlaganfall zurück, doch er jammert nicht. «Ueli schaute bis drei Wochen vor dem Tod noch nach vorn, weil er das Leben so sehr liebte», sagt seine Frau.

https://www.tagesanzeiger.ch/nachruf-auf-ueli-wildberger-er-gruendete-zuerichs-aelteste-wg-und-weinte-vor-weltschmerz-374483494912

Ueli Wildberger – Rede von Uelis Gedenkfeier

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Ueli Wildberger – Rede von Uelis Gedenkfeier

Geschrieben am 01/02/2023 von Charlotte Bhattarai

Am 27. Februar 2023 fand die Abschiedsfeier in Zürich statt. Verschiedene Menschen, die Ueli nahe standen, haben über Ueli und ihre persönlichen Erlebnisse mit ihm erzählt. Gerne möchte wir mit Ihnen den Text teilen, den Jonathan Sisson, langjähriger Freund von Ueli und Weggefährte bei IFOR-MIR vorgetragen hat:

“Ueli Wildberger”.

So meldete er sich zum Wort am Telefon. War er nicht da, dann hörte man seine Stimme auf dem Beantworter und zwar in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Spanisch. Es könnte ja einen Anruf aus dem IFOR-Netzwerk geben oder gar einen Alarmruf von PBI aus Guatemala oder Honduras. Eine “Urgent Action” als Reaktion auf Verhaftungen in Südafrika oder eine Anfrage zur Vorbereitung einer gewaltfreien Aktion gegen das Bankgeheimnis. Alle, die Ueli kannten, wussten davon und viele nahmen sein Engagement in Anspruch. Ein Engagement, das auf seine Zeit als Theologie-Student in den 60’er Jahren zurückging und das sich in unzähligen gewaltfreien Trainings, Standaktionen und Kampagnen ununterbrochen fortsetzte. Unterbrochen war es dennoch. Vor anderthalb Jahren erlitt er einen ersten Schlaganfall, der eine Folge seiner Krebserkrankung war. Der zweite Anfall folgte letzten Herbst. Ein dritter im Januar.

Sonst nannte er sich einfach “Ueli”. Es war natürlich für ihn, mit allen im Dialekt zu sprechen - auch mit mir. Viele Ausländer und Ausländerinnen empfinden den Gebrauch de Schweizerdeutschen im Gespräch als ausgrenzend. Bei Ueli war es anders. Wenn er mit einem sprach, war seine Stimme einladend, wie wenn er sagen würde: “Wir sind eine grosse Familie. Du gehörst auch dazu.” Nicht von ungefähr wohnte er in einer WG. Sein Einsatz zugunsten von Flüchtlingen und MigrantInnen war Teil davon. Er hat ja auch eine Französin geheiratet: France, die mit ihm das Leben in der WG teilte und mit dabei war an den Standaktionen, in den Workshops und bei den vielen Reisen.

Ueli war ein Zugpferd der Gewaltfreiheit; aber woher kam die Kraft für das Engagement?

Er selber führte es auf die Person Jesu zurück und auf die befreiende Kraft der Feindesliebe. Jesus, der mit den Armen und Ausgegrenzten lebte, der seine Anhänger zu einem anderen Gebrauch mit Macht anleitete - Dienen statt Herrschen - und in seinem Umgang mit Frauen einen Bruch mit den herrschenden Normen des Patriarchats vollzog. Er, ein Zimmermann aus armen Verhältnissen. Durch seine mutige und radikale Kritik an den Reichen und Mächtigen zog er Hass und Verfolgung auf sich. In der Nachfolge Jesu bekannte sich Ueli zur aktiven Gewaltfreiheit. Dazu hatte er noch andere Vorbilder, etwa ein Bonhoeffer im Widerstand gegen das Nazi-Regime. Oder ein Martin Luther King in der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Allen voran aber Mahatma Gandhi, dem es vorbehalten blieb, die Macht der Gewaltfreiheit als wirksame Form des Widerstandes gegen Unrecht und Unterdrückung zu erweisen. Die Sprache des Neuen Testaments hat eine Bezeichnung für ein solches Engagement: ‘eirenopoios’ (‘Friedensstifter’). In all den Jahrhunderten, in denen man auf Griechisch geschrieben hat, kommt das Wort ‘eirenopoios’ (und zwar in der Mehrzahl) zum ersten Mal in der Bergpredigt vor: “Selig sind die Friedensstifter; denn sie werden Kinder Gottes heissen”. Offenbar kannte die junge Christengemeinde keinen Ausdruck, um ihre Tätigkeit in der Nachfolge Jesu zu beschreiben und musste dafür einen neuen prägen. Das Neue an der Handlungsweise der “Kinder Gottes” war Ueli wohl bewusst und darum hat er sich über die Kirchen beklagt, die die Friedensbotschaft nicht ernst nahmen und darum ihre wegweisende Aufgabe verfehlten, als friedensstiftende Kräfte in der Gesellschaft zu wirken.


Eine “Stimme in der Wüste”? Ueli war sich im Klaren, dass er als Aussenseiter in der Gesellschaft angesiedelt war. Dieses Selbstverständnis teilte er mit seinen Freunden und Freundinnen in der DDR, die sich für Demokratie und einen echten Sozialismus einsetzten und dafür soziale Nachteile oder gar Gefängnisstrafen erleiden mussten. Er hat ein Leben im Abseits gewählt, nicht als Aussteiger, sondern als “Option für eine gewaltfreie Alternative”, um sein Verständnis von Gandhis Konstruktivem Programm in die Praxis umzusetzen. Dass die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft im Kleinen beginnt, war seine feste Überzeugung. Es ging wohl letztlich um die reale Utopie vom Reich Gottes, einer Vision der Endzeit, die aber hier und jetzt realisiert werden soll - und zwar jeden Tag von Neuem.


Wie könnte das Neue aussehen? Was heisst ‘Frieden stiften’ in der Schweiz heute? Oder gar in Europa angesichts eines Krieges in der Ukraine? Was können wir als einzelne gegen Machtmissbrauch und Ausbeutung tun? Wo müssten wir uns als Kollektive für Frieden und soziale Gerechtigkeit einsetzen? Ueli hat das für sich einmal in einem Gespräch formuliert, als er vom Liebesgebot Jesu gesprochen hat. Die Aufforderung, Gott und den Nächsten zu lieben, stellt ihre höchste Anforderung in der Feindesliebe und letztlich in der Bereitschaft, lieber das Leben hinzugeben als Leben zu nehmen. Es ist diese Liebe, die es uns ermöglicht, den Menschen von seinen ungerechten Taten zu unterscheiden. Das Unrecht müssen wir widerstehen, wenn nötig auf Kosten des eigenen Lebens; den Menschen hingegen sollten wir respektieren und durch das gewaltfreie Handeln an sein Gewissen appellieren.


Diese hingebende Liebe habe Jesus nicht nur gelehrt, sondern auch vorgelebt. Sie ist der Weg der schöpferischen Gewaltfreiheit und wurde bekräftigt in der Auferstehung.

“Auf diese Liebe kommt es darauf an,” meinte Ueli im Gespräch, “wenn es darum geht, die Spirale des Hasses und der Gewalt zu durchbrechen.”

“Ueli, presente!”

Jonathan Sisson


Ausserdem möchten mit Ihnen ein paar persönliche Gedanken teilen. Sie finden auch den Text von Ueli, den er 2021 anlässlich seines Rücktritts als Präsident von IFOR-MIR geschrieben hat.

Ueli formt sein persönliches Friedenssymbol (Basel 2020)

Frieden bedeutet “Verständigung, auf einander zugehen” Versöhnung als Krone des Friedens

Ueli Wildberger

Ueli Wildbergers Engagement für die Sache des Friedens geht bereits auf seine Zeit als Pfarrer in der reformierten Kirche des Kantons Zürich zurück. Schon damals konnte er gegen den Bau von Atomkraftwerken, für eine Schweiz ohne Armee, für die Einführung eines Zivildienstes, etc. demonstrieren. Er stellte sich in den Dienst dieser verschiedenen Themen, nicht nur als Theologe, sondern auch auf sehr praktische Weise, vor Ort, mit den Demonstranten und im Umgang mit den Ordnungskräften …

Ueli Wildberger wurde schon früh Mitglied von IFOR – MIR Schweiz und präsidierte den deutschsprachigen Vorstand. Als dann die beiden Sprachkomitees fusionierten, übernahm er das zweisprachige Präsidium. Seine Französisch- und Deutschkenntnisse ermöglichten es ihm, die Beziehungen aus diesen beiden oft getrennten Welten aufrechtzuerhalten.

Trotz seines fortgeschrittenen Alters behielt Ueli seine geistige Wachheit, seine Neugier und seinen ausgeprägten Sinn für die Reflexion über aktuelle Themen: Globalisierungskritik, globale Erwärmung, die Verteilung des Reichtums zwischen Nord und Süd, die Ausbeutung von Menschen und globalen Ressourcen durch skrupellose Großunternehmen – Ueli war besorgt über alle Themen, die in irgendeiner Weise die Themen Frieden oder Ungerechtigkeit berührten.

IFOR – MIR ist sehr dankbar für all die Beziehungen, die er über die Jahre hinweg aufgebaut und aufrechterhalten hat und die heute den Reichtum seines Netzwerks ausmachen.

Wir sprechen seiner Frau France und der gesamten Familie Wildberger unser tief empfundenes Beileid aus.

Luc Nirina Ramoni, Co-Präsident IFOR – MIR Schweiz

Mit Ueli habe ich mich regelmässig zu Sitzungen in der Markthalle in Basel getroffen. In Marathon Sitzungen besprachen wir alles, was sich jeweils in den vergangenen 1-2 Monaten angesammelt hatte und wir nicht per Mail/Telefon besprechen konnten. Zwischen drin tranken wir Kaffee und luden uns abwechselnd zu Kuchen ein. Ich vermisse diesen intensiven Austausch. Ich bin dankbar für die Zeit mit Ueli. Ich habe viel von ihm gelernt. Sein Engagement, seine Überzeugung, dass wir etwas verändern können und sein Optimismus haben mich motiviert.

Bei Ueli hatte der Frieden nie Feierabend, sondern war ganz selbstverständlich in den Alltag eingewoben. Ich denke, das haben die Menschen, die mit ihm zu tun hatten, gespürt. Ueli verwendete eher den Begriff Aktive Gewaltfreiheit an Stelle von Frieden und auch die Zivilcourage war ihm sehr wichtig. Jetzt war ich wieder in der Markhalle, dort wo wir früher sassen und über Frieden diskutierten. Ein paar Tische weiter, sassen ein paar Menschen zusammen und machten Musik. Das war wunderschön und hätte auch Ueli gefallen.

Charlotte Bhattarai, Sekretariat und Friedensbildung IFOR-MIR Schweiz

Artikel veröffentlicht in der Nonviolenz Dezember 2021:

Meine IFOR-Mission

Frieden – In weiten Teilen der Erde leiden Arme und Benachteiligte unter Hass, Diskriminierung und Krieg und müssen um ihr Leben fürchten. Gewalt in ihren vielfältigen Formen durchtränkt unsere Kultur und prägt uns von Kindesbeinen an. Die Völker halten militärische Abschreckung für unabdingbar, aus Angst, überrollt zu werden. Wenn aber ein Teil der Menschen leidet, leiden alle. Das Reich Gottes des Friedens und der Gerechtigkeit gilt allen und zwar schon hier und jetzt! Diese Mission hat mich die letzten 50 Jahre beflügelt. Früh schon wurde mir klar, dass Friede nur auf dem Weg der radikalen Gewaltfreiheit erreicht werden kann.

Menschen lernen durch neue Erfahrungen: Gewaltfreie Aktion fordert die ganze Person. Im gewaltfreien Handeln exponieren sie sich öffentlich, mit Körper und Seele, mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen. Dabei können sie die Erfahrung machen, dass physische Schwäche durch seelische Stärke aufgewogen wird, dass bewusstes Leiden Herzen öffnen kann, dass vermeintliches Scheitern Erfolg bedeutet, solange wir unseren Überzeugungen und Werten treu bleiben. Aus dieser Einsicht heraus bemühte ich mich im IFOR, in aktuellen sozialen Konflikten für möglichst viele Mitmenschen in konkreten Aktionen und Kampagnen die Stärke der Gewaltfreiheit erlebbar zu machen. Sei es in der Besetzung des AKWs Kaiseraugst, sei es mit Friedenseinsätzen von Peace Brigades International, sei es in Flüchtlingsprojekten oder mit Protestmärschen, zum Beispiel dem MenschenStrom gegen Atom. Jede dieser gewaltfreien Aktionen erlebte ich als soziales Kunst- werk: von der Suche nach einer möglichst originellen Aktionsform über die gemeinsame Trainings-Vorbereitung der Aktionsgruppe mit Rollenspielen bis zur Durchführung mit ihren emotionalen Hochs und Tiefs. Learning by doing – immer wieder prägend für das Leben. Beglückend ist für mich, dass in jüngster Zeit eine junge Klimastreik-Bewegung entstand, die sich ohne unser Zutun klar zu einem gewaltfreien Vorgehen verpflichtet und sich auf überzeugende Art in Zivilem Ungehorsam übt. Die jahrzehntelange Saat scheint langsam aufzugehen…

und Demission

Diesen Sommer erlitt ich eine Lungenembolie und einen Hirnschlag, beides wohl ausgelöst von einer Krebserkrankung. Deshalb muss ich mich vom Amt als Präsident des IFOR-CH und vom Vorstand leider zurückziehen. Es geht mir aber erstaunlich gut; die rechte Hand funktioniert schon recht gut und ich bin schmerzfrei. Nach wie vor bin ich dem IFOR verbunden und hoffe auch künftig am einen oder andern Ort noch etwas zum Frieden beitragen zu können.

Ueli Wildberger

27 Februar 2023

https://ifor-mir.ch/ueli-wildberger/

Die Küche und das Leben teilen

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10. September 2020, von Sabine Schüpbach Ziegler

Die Küche und das Leben teilen

Wohnen

Der Theologe Ueli Wildberger wohnt seit 40 Jahren in einer WG. Seit kurzem an einem neuen Ort. Er will ganz bewusst einfach leben.

Gemeinschaft statt Vereinzelung: Ueli Wildberger in der WG-Küche in Zürich-Witikon. (Bild: Martin Guggisberg)


«Willkommen, hier ist unser neues Zuhause», sagt Ueli Wildberger und macht mit dem Arm eine einladende Bewegung. Er steht im Eingang der Fünf-Zimmer-Wohnung in Zürich-Witikon, wo er seit ­Juni mit seiner Frau France und drei Studentinnen und Studenten lebt. France Wildberger schmunzelt und sagt: «Wir gewöhnen uns langsam an all die Elektronik.»

Elektronisch gesteuert werden im Minergie-Neubau etwa die Temperatur und die Lüftung. Wildbergers sind hierhergezogen, weil sie ihre Acht-Zimmer-Wohnung an der Agnesstrasse im Stadtkreis vier verlassen mussten. Dort haben sie 40 Jahre in einer Siebner-WG gelebt, 137 Mitbewohnerinnen und Mit­bewohner hatten sie schon. In der Küche der neuen Wohnung stehen neben der italienischen Espressokanne Getreideflocken und Linsen in Einmachgläsern. «Ein einfacher Lebensstil ist zentral für uns», erklärt Ueli Wildberger.

Strassenschlachten in Berlin

Dann setzt sich Wildberger an den Küchentisch und spricht über die wichtigsten Themen in seinem Leben. Die Wohnform gehört dazu. «Ge­meinschaft zu leben, ist mir wich­tig, denn die Vereinzelung in der Ge­sellschaft wächst.» Dem Gesagten verleiht er Nachdruck, indem er bei­de Hände hebt.

Der 76-Jährige ist geprägt vom Geist der 68er-Jahre. Damals kamen Wohngemeinschaften auf. Und Ueli Wildberger stiess auf ein weiteres Lebensthema: die Gewaltfreiheit. Prägend waren die Studentenrevolten, die er während des Theologiestudiums in Berlin erlebte. «Die Strassenschlachten haben mir gezeigt, dass uns Gewalt nicht weiterbringt.» Nach der Rückkehr in die Schweiz, beteiligte er sich an Friedensaktionen und an der Besetzung des AKW Kaiseraugst. 1973 verweigerte er den Militärdienst und ging dafür drei Monate ins Gefängnis.

Ueli Wildberger studierte intensiv die Friedensaktionen von Mahatma Gandhi und Martin Luther King sowie den Lebensweg von Jesus. Diese Zeugnisse haben ihm gezeigt, «dass Frieden mehr ist als kein Krieg». Wildberger geht es um ­eine «aktive Gewaltfreiheit»: In der Gemeinschaft soll aktiv Frieden gestiftet werden. Für den Internationalen Versöhnungsbund Ifor, deren Schweizer Zweig er präsidiert, leitet Wild­berger Konflikttrainings mit Erwachsenen. Von der Kirche wünscht er sich mehr Einsatz. «Ich frage mich: Wann entdeckt auch sie die Gewaltlosigkeit Jesu als ihr Geschenk an die Welt?»

Die Kraft des Glaubens

Wenn Wildberger erzählt, wirkt er nie verbittert. Er lacht oft, sein Blick ist sanft. Den Grund für seine positive Grundhaltung ortet er im Glauben. Er ist überzeugt: «Wir Menschen haben den Gang der Welt nicht in der Hand. Ich setze mich für den Frieden ein, aber ob ich das Richtige tue, weiss nur Gott.» Daher lege er sein Leben im Gebet immer wieder «in Gottes Hand». Eine Mitbewohnerin durchquert auf dem Weg ins Bad die Küche. «Schon im Interview?», fragt sie. Wildberger lacht. Das Zusammenleben mit jungen Menschen empfinde er als Bereicherung. Damit das WG-Leben gelingt, braucht es «eiserne Regeln». Zum Beispiel gilt: Wer Geschirr braucht, räumt es nachher sofort weg. Und stört jemanden etwas, spricht er oder sie es an. «So kann ich regelmässig meine eigene Konfliktfähigkeit überprüfen», sagt Wildberger. Seine Augen leuchten.Der

Ueli Wildberger, 76

In Hemmental SH geboren, studierte er in Zürich und Berlin Theologie. Um sich freiwillig in Friedensarbeit und Anti-AKW-Bewegung zu engagieren, war er stets nur rund 50 Prozent angestellt. So bei der Notschlafstelle, dem Christlichen Friedensdienst und der Friedensorganisation Ifor.

https://reformiert.info/de/recherche/die-kueche-und-das-leben-teilen-19198.html

Schweizerisches Sozialarchiv

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Identifikation

Signatur:

Ar 1024

Entstehungszeitraum / Laufzeit:

(1928) 1950-2019

Umfang:

2.9 m

Kontext

Abgebende Stelle: Ueli Wildberger, Agnesstrasse 25, 8004 Zürich

Verwaltungsgeschichte / Biographische Angaben: Ueli Wildberger (11.07.1945 - 23.01.2023) kam nahe der Grenze zu Deutschland zur Welt. Als Theologiestudent erlebte er 1968 die Studentenrevolte in Berlin. Die heftigen und teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen machten ihn zu einem Verfechter der Gewaltlosigkeit und des gewaltlosen Widerstands. Seit Ende der 1960-er Jahre setzte sich Ueli Wildberger unermüdlich ein für mehr Gerechtigkeit und eine friedliche Welt: als Militärdienstverweigerer, als Mitarbeiter in Pfarrer Ernst Siebers Notschlafstelle, als Jugendsekretär beim christlichen Friedensdienst, als Atomkraftgegner, Friedensarbeiter beim IFOR-Schweiz und Peace Brigades. Zudem war Ueli Wildberger Gründer des Vereins „Solinetz“, der sich für Flüchtlinge und Sans-Papiers in der Schweiz einsetzt. Eine pfarramtliche Tätigkeitkeit übte er zeitlebens nicht aus.

Übernahmemodalitäten: Die Übernahme der Akten erfolgte am 05.03.2019. Eine Nachlieferung wurde dem Schweizerischen Sozialarchiv am 09.06.2020 übergeben (Signaturgruppe SozArch Ar 1024.90).

Inhalt und innere Ordnung

Form und Inhalt

Der Bestand enthält lebensgeschichtliche Dokumente, Texte von Ueli Wildberger, Korrespondenzen, Unterlagen zu Organisationen, in denen Ueli Wildberger aktiv war und ist (u.a. IFOR, Balkan Peace Team, Peace Brigades), Projekt- und Kampagnenunterlagen, thematische Akten (u.a. Gewaltfreiheit, gewaltloser Widerstand, Kirche + Frieden) sowie Fotos und Drucksachen. Die von Ueli Wildberger zusammengetragene "Friedensbibliothek" ist im Bibliothekskatalog des Schweizerischen Sozialarchivs verzeichnet


Bewertung und Kassation:

Kassiert wurden Doubletten und Mehrfachexemplare, einzelne Internet-Ausdrucke, Presseartikel sowie diverse Zeitschriften und Broschüren, die im Schweizerischen Sozialarchiv bereits vorhanden waren, namentlich:

  • A-Bulletin: Mitteilungsorgan des Vereins A-Bulletin [Signatur D 4406]
  • Rundbrief, Schweizerischer Versöhnungsbund: Deutschschweizer Zweig [Signatur D 4185]
  • eurotopia Bulletin ["eurotopia" Jürgen Schulz, Bern], [Signatur D 4701]
  • gewaltfreie aktion: Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit [Signatur: D 4614]
  • Zivildienst-Info: Informationsbulletin des Initiativkomitees für einen echten Zivildienst und Zivildienst Zeitung (Nachfolge-Titel), [Signatur: D 4839]
  • Der kleine Pazifist: Hefte für Völkerrecht und Arbeit für den Frieden [Signatur: D 5571]
  • Max Meier: Der überwundene Krieg in Europa ermöglicht die Abschaffung der Armee in der Schweiz [Signatur: GR 5979]
  • Widerstand im Gesamtblick: Lesebuch für Handlungswillige: Dokumentation der ARNA/GONA-Sommeruni in Neuchlen-Anschwilen vom 4. bis 12. August 90: Beiträge zu Widerstand, Utopie, Friedenspolitik und Ökologie [Signatur: GR 7080]
  • Graswurzel Revolution: für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesell [Signatur: D 4440]
  • Offene Kirche: Vereinigung für eine Offene Kirche (Schweiz); Früherer Titel: Für eine offene Kirche [Signatur: N 4190]
  • Aktionsmagazin: Brot für alle; Fastenopfer der Schweizer Katholiken [Signatur: D 5921]; Früherer Titel: Werkheft [Signatur: K 901]; Späterer Titel Kampagnenmagazin / Brot für Alle
  • Peacebrigades.ch/Peace Brigades International PBI Schweiz [Signatur: N 4575]

...

Von Ueli Wildberger übernommen wurden ferner Monografien zu den Themen Gewaltlosigkeit und Gewaltloser Widerstand. Diese sog. Friedensbibliothek wurde in Nebis erfasst und kann in seiner Gesamtheit angezeigt werden ("E19Wild").

Neuzugänge: Es werden Neuzugänge erwartet. Diverse Unterlagen befinden sich nach wie vor im Besitz von Ueli Wildberger; sie sollen zu einem späteren Zeitpunkt eingeliefert werden.

Verööfentlichungen: Gewaltfreie Friedenslösungen statt Militäreinsätze: Ueli Wildberger im Gespräch/Teilnehmer des Gesprächs: Ueli Wildberger, Paul Siegwart und Heinrich Frei (40 Seiten), 2000.

https://slsp-rzh.primo.exlibrisgroup.com/discovery/search?query=any,contains,e19wild&tab=MyLibrary_Sozialarchiv&search_scope=MyLibrary_Sozialarchiv&vid=41SLSP_RZH:Sozialarchive_TP2&offset=0

Bibliothek Ueli Wildberger - 43 Titel so. "Friedensbibliothek"

https://www.findmittel.ch/archive/archNeu/Ar1024.html

Gründung von PBI

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1981 fand das Gründungstreffen von PBI auf Grindstone Island, Kanada statt. Als IFOR-Delegierter konnte ich am Folgetreffen 1982 in den Niederlanden teilnehmen. Unter den 15 Friedensaktivisten, die teilnahmen, war auch Narajan Desai, PBI-Mitgründer und Sohn von Gandhis Sekretär. Er erzählte uns von seinen Erfahrungen und davon, wie sie als FriedensstifterInnen bei Ausschreitungen zwischen MuslimInnen und Hindus in Indien dazwischen gingen, um die Leute auf beiden Seiten zu beruhigen und den sozialen Wiederaufbau in Gang zu bringen. Vinoba Bhave hatte Gandhis Idee einer Friedensarmee in den 50er-Jahren umgesetzt und bildete mehrere Tausend Personen für Einsätze aus. In den 60er-Jahren entstand dann die World Peace Brigade mit Hilfe von Charles Walker, einem weiteren PBI-Mitgründer. Am erwähnten Treffen in den Niederlanden schlug ich mit zwei anderen Teilnehmern vor, keine grosse Struktur aufzubauen, sondern ein Pilotprojekt zu starten. Die Idee wurde gutgeheissen und die Versammlung beschloss, eine Abklärungsmission nach Zentralamerika zu entsenden.

«Es war uns bewusst, dass es sich um heikle Einsätze handelte, für die es einen breit abgestützten Rückhalt durch ein weltweites Alarmnetz brauchte.»

Wie startete das erste Projekt in Guatemala?

Die Abklärungsmission in Zentralamerika kam mit dem Vorschlag zurück, nach der grossen Repression unter Ríos Montt in Guatemala ein Projekt an der Grenze zu Mexiko zu starten. Ziel war es, Botschaften zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich im Urwald versteckten oder zuhause geblieben waren und jenen, die nach Chiapas geflohen waren, zu überbringen. Das war die erste Idee von PBI und die ersten Freiwilligen gingen 1983 in den Einsatz. Mit der Zeit entstand in der Hauptstadt eine Zusammenarbeit mit der Organisation Grupo de Apoyo Mutuo (GAM). Da deren Mitglieder massiv bedroht wurden, konnten sie sich praktisch nur noch in der PBI-Wohnung treffen. Als zwei Vorstandsmitglieder der GAM entführt und ermordet wurden, kam die Idee der internationalen Schutzbegleitung auf. Das war 1985, im Jahr als ich mit meiner Frau nach Zentralamerika reiste, um mir ein Bild der Situation vor Ort zu machen.

«An einem Samstagmorgen waren wir dabei, als sich Familienangehörige von gewaltsam Verschwundenen der Gruppe GAM versammelten. Sie waren zum Teil von weit her angereist und hatten ein grosses Tuch mit 700 Namen von Verschwundenen angefertigt. Der Reihe nach lasen sie alle Namen vor und sagten bei jedem «presente», also er/sie lebt noch! Das war sehr eindrücklich"

Wie ging es mit dem Aufbau der Organisation in Europa weiter?

Da es anfangs noch keine Struktur gab, setzte ich mich für das Guatemalaprojekt und die Suche nach Freiwilligen ein. Wir nahmen uns vor, jedes Jahr in einem anderen europäischen Land die Jahresversammlung durchzuführen, um PBI bekannt zu machen. Es war uns bewusst, dass es sich um heikle Einsätze handelte, für die es einen breit abgestützten Rückhalt durch ein weltweites Alarmnetz brauchte. Mit einem monatlichen Newsletter in Englisch versuchte ich in Europa das Netzwerk zu stärken. Ich verschickte ihn per Post an die Kontaktpersonen in den einzelnen Ländern, die ihn dann an ihre UnterstützerInnen und Freiwilligen weiterleiteten. Gleichzeitig arbeitete ich am Aufbau eines Schweizer-Unterstützungskomitees. Das erste Training für Freiwillige organisierten wir im Sommer 1986 in Nordspanien mit fast 20 TeilnehmerInnen. Das war eine sehr gute Erfahrung und es nahmen viele Personen teil, die später eine zentrale Rolle in der Organisation spielten.

"Für das 40-Jahre-Jubiläum wünsche ich PBI, dass sie weiterhin floriert und noch größer wird, um eine breite Palette gewaltfreier Methoden umsetzen zu können.»

Welche Bedeutung misst du der gewaltfreien Intervention in aktuellen Krisen bei?

Ich finde, sie hat nach wie vor eine grosse Bedeutung. In meiner Friedensarbeit bin ich immer von einem ganzheitlichen Konzept der gewaltfreien Intervention ausgegangen. Neben der Schutzbegleitung, auf die sich PBI konzentriert, gibt es andere Funktionen wie die Faktenermittlung, Trainings für die Betroffenen, die Veranstaltung von Dialogmöglichkeiten, die Vermittlung oder Mediation und die Ausbildung einheimischer Friedenskräfte, die mir aussichtsvoll erscheinen. Es gibt viele verschiedene Einsatzmöglichkeiten und Organisationen wie PBI finde ich sehr wichtig. Für das 40-JahreJubiläum wünsche ich PBI, dass sie weiterhin floriert und noch grösser wird, um eine breite Palette gewaltfreier Methoden umsetzen zu können.

Ueli Wildberger ist 1945, zwei Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Schaffhausen, nahe der Grenze zu Deutschland, geboren. Dieser Umstand, wie auch das Theologiestudium, brachten ihn zur Friedensarbeit. Bereits vor der Entstehung von PBI engagierte er sich beim Internationalen Versöhnungsbund IFOR Schweiz und ist seit 2017 wieder dessen Präsident. In der Schweiz trug Ueli Wildberger von 1982–1997 in verschiedenen Funktionen massgeblich zum Aufbau der PBI-Ländergruppe bei. Auf internationaler Ebene organisierte er die ersten Trainings für Freiwillige in Spanien mit und war von 1988–1992 Mitglied der internationalen Leitung von PBI.

März 2021

https://www.peacebrigades.ch/sites/default/files/publication/pdf/fp_pbi40_03-2020_deutsch_small.pdf

Ueli Wildberger

Guatemala, 1985; Balkan Peace Team, 1995


Ueli Wildberger (1945-2023)

  • Mitglied der internationalen Leitung von PBI, 1988–1992
  • Einsatz mit dem Balkan Peace Team in Kosovo, 1995
  • Einsatz in Guatemala, 1985
  • Präsident des Internationalen Versöhnungsbunds IFOR Schweiz, 2017-2021
  • Theologiestudium

Ueli Wildberger war als erster Schweizer Freiwilliger von PBI 1985 in Guatemala im Einsatz und trug massgeblich zum Aufbau von PBI bei. In Spanien organisierte er die ersten Trainings für Freiwillige mit. Lesen Sie anlässlich des 40-Jahre Jubiläums von PBI nachfolgend im Facing PEACE das Interview mit dem Friedensaktivisten zu den Anfängen der Organisation und dem ersten Projekt in Guatemala.

https://www.peacebrigades.ch/de/ueber-pbi/pbi-schweiz/freiwillige-im-einsatz/ueli-wildberger-11655

Ein Leben für Gerechtigkeit (Der Landbote - Ausstellung 2007)

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Eine neue Ausstellung porträtiert acht Menschen, die in Konfliktgebieten im Einsatz waren. Einer davon ist Ueli Wildberger. Er hat sein ganzes Leben der Friedensarbeit gewidmet.

ZÜRICH – Hautnah erlebte Ueli Wildberger die Studentenrevolten mit, als er ab 1967 drei Semester in Berlin studierte. Nach Zürich zurückgekehrt, schloss er zunächst einmal sein Theologiestudium ab. Doch die Eindrücke aus Berlin liessen ihn nicht mehr los. Durch die Strassenschlachten habe er gesehen, «dass Gewalt uns nicht weiterbringt, denn sie stösst die Leute, die wir gewinnen möchten, ab». Und doch sei es wichtig, gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen: «Wo es Ungerechtigkeit gibt, leiden Menschen.»

Dem Einsatz für die Gerechtigkeit und eine friedliche Welt hat der heute 62-jährige Wildberger sein Leben gewidmet. Nach dem Studium arbeitete er in der Notschlafstelle, wurde dann Jugendsekretär beim Christlichen Friedensdienst. Er war bei der Besetzung des Atomkraftwerks Kaiseraugst dabei und engagierte sich für verschiedene Friedenskampagnen. Regelmässig traf er sich mit anderen jungen Friedensaktivisten Europas und half zum Beispiel bei der Organisation eines Friedensmarsches von London nach Paris, der ein Zeichen gegen die französischen Atomversuche in der Atmosphäre setzte. In dieser Friedensgruppe lernte Wildberger seine spätere Frau France kennen, eine Französin. Aufmerksam studierte er die Friedensaktionen von Mahatma Gandhi und Martin Luther King.

«Sie zeigten mir den Weg zwischen Gewalt und Passivität», sagt Wildberger heute.

Frieden heiss für ihn nicht nur «kein Krieg». «Wirklicher Frieden ist ‹Shalom›, also ein aktives Friedensstiften in der Gemeinschaft. Erst wenn niemand mehr in Unfreiheit, Not und Krieg lebt, ist dieses Ziel erreicht.»

Militärdienst verweigert

1982 fand in Holland das zweite Treffen der eben entstehenden Organisation «Peace Brigades Itentinal (PBI)» statt. Wildberger war dabei. PBI bot ihm die Antwort auf eine Frage, die ihm immer wieder gestellt wurde: 1973 hatte er den Militärdienst verweigert und sass dafür drei onate lang im Gefängnis. Er sei gefragt worden, was er in einem bewaffneten Konflikt tun würde: «Was wollen Sie da mit Ihrer Gewaltfreiheit?» In der Folge befasste sich Wildberger damit, was aktive Gewaltfreiheit in einem bewaffneten Konflikt bewirken könnte.

«Es war für mich wichtig, zu merken, dass es anders funktioniert, als wir dachten: Wir können nicht immer armeeartig als Puffer zwischen die Kämpfenden stehen, sondern man muss eher mit wenigen Leuten und viel Zeit arbeiten.»

Verfeindete Parteien sollten miteinander in Auseinandersetzung gebracht werden, um gemeinsam einen Konsens zu erarbeiten und über Grenzen hinweg Netzwerke aufzubauen. Dazu gehöre auch, dass man aktiv auf den Täter zugehe: «Ich bedrohe die Täter nicht. Das macht es ihnen einfacher, aus ihrer Rolle auszusteigen, denn sie merken, dass ich nicht sie als Person vernichten will, sondern das Unrecht, das sie tun."

Diktatur in Guatemala

Das erste PBI-Projekt war Friedensarbeit in Guatemala. 1985 besuchte Wildberger mit seiner Frau das eben begonnene Projekt. Guatemala litt unter der Militärdiktatur: Etwa eine halbe Million Menschen wurden intern vertrieben, 100000 ermordet, weitere 50 000 Menschen verschwanden. Wildberger kam in Kontakt zu einer Gruppe von Angehörigen verschwundener Menschen (Grupo de Apoyo Mutuo). Zwei Wochen, nachdem das Schweizer Paar das Land verlassen hatte, wurden zwei Gruppenmitglieder, die sich besonders stark für die Menschenrechte eingesetzt hatten, ermordet. Der Schock sass tief. Und trotzdem: Das Erlebnis hatte einen positiven Nebeneffekt, es führte nämlich dazu, dass PBI mit den Schutzbegleitungen angefangen hat, welche noch heute die Haupttätigkeit der Organisation sind.


Wildberger konzentrierte sich danach in der Schweiz auf den Aufbau der internationalen Organisation PBI.

Er bereitete Freiwillige auf ihre Einsätze vor. Ab 1989 wurde er bei PBI als eropäischer Koordinator für Zentralamerika-Projekte angestellt.

Die Angst der Serben

Als 1995 das «Balkan Peace Team» gegründet wurde, war Wildberger in der internationalen Koordinationsgruppe und besuchte Kroatien, Belgrad und Pristina. Vor dem Kosovokrieg versuchte das Team, Serben und Kosovo-Albaner miteinander in einen Dialog zu bringen. Im Vorbereitungstraining mit der serbischen Friedensgruppe stellte sich unerwartet heraus:

«Die Serben hatten weniger vor den Albanern als vor den eigenen Scharfmachern Angst.»

Trotzdem bleibe das Gespräch unter verfeindeten Parteien neben den Schutzbegleitungen die wichtigste Friedensarbeit.

1998 wechselte Wildberger von PBI zum Forum für Friedenserziehung, dem Deutschschweizer Zweig des «International Fellowship of Reconciliation (IFOR)». Seither kozetriert er sich auf die Friedensarbeit im Inland. Er entwickelt mit somalischen Flüchtlingen Ideen, wie sie in ihrer Heimat für den Frieden arbeiten können und bietet Schulklassen und Erwachsenen Trainings zu Themen wie Zivilcourage oder Integration an.

Ein Leben für Gerechtigkeit

Eine neue Ausstellung porträtiert acht Menschen, die in Konfliktgebieten im Einsatz waren. Einer davon ist Ueli Wildberger. Er hat sein ganzes Leben der Friedensarbeit gewidmet.

Der Landbote, 24. Oktober 2007

https://www.peacebrigades.ch/sites/default/files/publication/pdf/dans-la-presse_20071024_landbote.ueli_wildberger.pdf


Eine Wohngemeinschaft gegen die Vereinsamung (Tagesanzeiger)

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Eine Wohngemeinschaft gegen die Vereinsamung

Seit 40 Jahren leben France und Ueli Wildberger in der gleichen Zürcher WG. 130 Mitbewohner hatten sie schon. Jetzt wurde ihnen gekündigt.

David Sarasin

Publiziert: 12.05.2019, 22:08

Aktualisiert: 13.05.2019, 10:09


Drei von 130 Mitbewohnern: Tamara, Eline, France, Frieder und Ueli (v.l.) in der Küche an der Agnesstrasse.

Die älteste WG von Zürich: Seit 1980 wohnen France und Ueli Wildberger in ihrer Wohngemeinschaft.

Erinnerung an ein altes Zürich: In der ganzen Wohnung haben sich Erinnerungsstücke aus 40 Jahren Wohnen gesammelt.

Ein eingespieltes, aufgeräumtes Zusammenleben: Gemeinsame Essen, Partys oder Einkäufe werden an einer Tafel notiert.

Als Zeichen gegen Bürgerlichkeit und Vereinsamung: Komfort und Privatsphäre sind für die Bewohner der WG zweitrangig.

Inneneinrichtungs-Urwald: Ein ökologisches Bewusstsein und ein Gespür für gesellschaftliche Fragen gehören zu den Voraussetzungen für neue Mitbewohner.

Ende einer Ära: Im Herbst 2020 müssen die Wildbergers und ihre Mitbewohner die Wohnung räumen.

Fotos: Andrea Zahler

https://www.tagesanzeiger.ch/eine-wohngemeinschaft-gegen-die-vereinsamung-269247184706

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