Neuronale Netze/biologische neuronale Netze

Biologische neuronale Netze

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Das Konzept der künstlichen neuronalen Netze besteht darin, die Vorgänge und die Mechanismen des Gehirns nachzubilden (Lämmel & Cleve, 2020). Um das Prinzip künstlicher neuronaler Netze adäquat zu verstehen und eine Schnittstelle zwischen der Mathematik und der Biologie herzustellen, werden im Folgenden zunächst die biologischen neuronalen Netze erläutert. Unter den biologischen neuronalen Netzen wird die Vernetzung von Neuronen im Gehirn verstanden (Ertel, 2016). Die Anzahl der Neuronen schwankt zwischen 10 bis 100 Milliarden (ebd.). Der Vernetzung von Nervenzellen ist es geschuldet, dass unser Gehirn zu enormen Leistungen fähig ist (Ertel, 2016). Informationen können in einem Bruchteil einer Millisekunde aufgenommen, weitergeleitet und verarbeitet werden (Clauss & Clauss, 2018). Daraus ergeben sich für den Menschen neben der Intelligenz, auch motorische und intellektuelle Fähigkeiten (Ertel, 2016). Um die unterschiedlichen Anforderungen erfüllen zu können, besitzen die Neuronen eine bestimmte Struktur (Clauss & Clauss, 2018).

Aufbau und Funktionsweise

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Je nachdem in welcher Region des Körpers sich ein Neuron befindet, besitzt es eine andere Form, um der entsprechenden Funktion gerecht zu werden (Clauss & Clauss, 2018). Trotz ihrer verschiedenen Formen haben alle Neuronen einen gleichen Aufbau (Abbildung 1) (ebd.). An einem Ende der Nervenzelle befinden sich zahlreiche kurze Fortsätze, die Dendriten (Reece, Urry, Cain, Wasserman, Minorsky, Jackson & Campbell, 2016). Diese nehmen ankommende Informationen aus anderen Nervenzellen auf und leiten diese zum Zellkörper (Soma) weiter (Frings & Müller, 2019; Rojas, 1996). Der Zellkörper enthält die identischen Bestandteile einer Körperzelle und ist somit der Ort an dem die Stoffwechselvorgänge der Nervenzelle ablaufen (Reece et al., 2016). Der Zellkörper geht bei dem Axonhügel in das Axon über (ebd.). Das Axon ist im Vergleich zu den Dendriten deutlich länger und dient am Ende der Weiterleitung von Informationen (ebd.). Die ausgebildete Verbindung zwischen zwei Neuronen wird als Synapse bezeichnet und dient der Übertragung von Informationen (Clauss & Clauss, 2018). Um jedoch die genaue Arbeitsweise von neuronalen Netzen und die damit verbundene Weiterleitung von Informationen zu verstehen, werden im Folgenden zentrale Aspekte erläutert (ebd.).

 
Abbildung 1: Aufbau eines Neurons


Ruhepotenzial

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An den Nervenzellen herrscht eine Ladungsdifferenz, sodass eine Spannung entsteht (Reece et al., 2016). Diese Spannung beträgt im Ruhezustand etwa -70 mV und wird als Membranpotenzial bezeichnet (ebd.). Die Spannung an den Nervenzellen ist für die Erregung und die Weiterleitung essentiell (ebd.). Die negative Ladung kommt zustande, da das Innere der Nervenzelle im Vergleich zur Außenseite negativ geladen ist (Erdmann, Erdmann, Martens, Müller & Paul, 2005). Da das Neuron im Ruhezustand vorliegt und infolgedessen nicht erregt ist, wird der Zustand auch als Ruhepotenzial bezeichnet (Reece et al., 2016). Verantwortlich für die Ladungsdifferenz und die damit verbundene negative Ladung im Inneren der Nervenzelle sind vier Ionen: Kalium-Kationen (K+), Natrium-Kationen (Na+), Chlorid-Anionen (Cl-) und Protein-Anionen (A-) (Erdmann et al., 2005). Wobei die Kalium- und Chlorid-Ionen die Basis des Ruhepotenzials darstellen (ebd.). Im Ruhezustand sind Kaliumkanäle und Chloridkanäle geöffnet, sodass K+ und Cl- sich in beide Richtungen bewegen können (ebd.). Diese Ionenkanäle sind jedoch selektiv permeabel, dies bedeutet, dass sie nur durchlässig für K+ oder Cl- sind (ebd.). Andere Ionen können diese Kanäle nicht passieren (ebd.). Da die Kalium-Konzentration im Inneren der Nervenzelle höher ist, strömen aufgrund der Brown´schen Molekularbewegung, Kalium-Ionen nach außen (Erdmann et al, 2005; Reece et al., 2016). Die Chlorid-Ionen bewegen sich gegensätzlich, da die Chlorid-Konzentration außerhalb des Neurons höher ist, sodass aufgrund der oben genannten Bewegung, Chlorid-Ionen überwiegend in das Innere der Nervenzelle strömen (Erdmann et al., 2005; Reece et al., 2016). Somit wird eine negative Ladung im Inneren der Nervenzelle aufgebaut (Reece et al., 2016). Damit die Ladung bei etwa -70 mV konstant bleibt, wird eine Natrium-Kalium-Pumpe benötigt (Erdmann et al., 2005). Diese befördert unter Energieverbrauch zwei Kalium-Kationen von Außen nach Innen und drei Natrium-Kationen von Innen nach Außen (ebd.). Somit wird gewährleistet, dass die negative Ladung aufrecht erhalten wird (ebd.)

Aktionspotenzial

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Kommt es infolge eines Reizes zu einer Erregung der Nervenzelle, ändert sich das oben beschriebene Membranpotenzial durch das Öffnen von spannungsgesteuerten Natriumkanälen (Reece et al., 2016). Bedingt durch die hohe Natrium-Konzentration außerhalb des Neurons, strömen Natrium-Kationen in das Innere der Nervenzelle ein (ebd.). Das Membranpotenzial nimmt positive Werte an, sodass von einer Depolarisation der Membran gesprochen wird (Erdmann et al., 2005). Die Depolarisation bewirkt eine positive Rückkopplungsschleife bei den spannungsgesteuerten Natrium-Kanäle, sodass die Anzahl der offenen Ionenkanäle ansteigt (Reece et al., 2016). Infolgedessen kommt es zu einer enormen Veränderung der Spannung an der Membran, dies wird als Aktionspotenzial bezeichnet (Erdmann et al., 2005). Diese entstehen jedoch nur dann, wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht ist (Reece et al., 2016). Bei Säugetieren liegt dieser etwa im Bereich von -55 mV (ebd.). Zudem gilt bei Aktionspotenzialen das Alles-oder-Nichts-Prinzip, sodass ein Aktionspotenzial nur beim Erreichen des Schwellenwertes abläuft und unabhängig vom erreichten Wert immer den gleichen Ablauf zeigt (Abbildung 2) (Erdmann et al., 2005). Beim Überschreiten des Schwellenwertes schließen sich die zuvor geöffneten Natriumkanäle und die Kaliumkanäle öffnen sich, sodass eine Ladungsumkehr (Repolarisation) erreicht und das Ruhepotenzial von -70 mV wieder hergestellt wird (ebd.). Nachfolgend ist in Abbildung 2 der typische Verlauf eines Aktionspotenzials beim Erreichen des Schwellenwertes dargestellt.

 
Abbildung 2: Ablauf eines Aktionspotentials beim Erreichen des Schwellenwertes

"Aktionspotenziale sind Nervenimpulse oder -signale, die Informationen über ein Axon weiterleiten" (Reece et al., 2016, S. 1406). Die Weiterleitung wird ermöglicht, da sich die Aktionspotenziale im Axon bis zu den synaptischen Endigungen immer wieder selbst generieren (Erdmann et al., 2005). Um die Effektivität der Weiterleitung zu erhöhen, besitzen die Nervenzellen der Wirbeltiere eine Myelinschicht, zur Isolation (ebd.). Die Lücken in der Schicht werden als Ranvier´sche Schnürring bezeichnet (Abbildung 1) (ebd.). An ihnen können Aktionspotenziale entstehen, sodass die Weiterleitung nicht kontinuierlich, sondern sprunghaft erfolgt (ebd.). Dies wird als eine saltatorische Erregungsleitung bezeichnet (ebd.). Durch diesen Mechanismus wird die Weiterleitungsgeschwindigkeit erhöht (ebd.). Aktionspotenziale haben eine Dauer von 1 -- 2 Millisekunden, sodass in einer Sekunde mehrere hunderte von ihnen ablaufen können (ebd.). Eine Variation in der Frequenz der Aktionspotenziale kann somit die Aktivitätsstärke und unterschiedliche Informationen übermitteln, die über den oben beschriebenen Weg zu den synaptischen Endigungen weitergeleitet werden (Erdmann et al., 2005; Rojas, 1996).

Synapsen

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Die Verbindung zwischen zwei Nervenzellen wird als Synapse bezeichnet (Erdmann et al., 2005). Der Kontaktbereich weist jedoch eine Lücke, den synaptischen Spalt, auf (ebd.). Somit wird zwischen der prä- und postsynaptischen Nervenzelle unterschieden (ebd.). Die Synapse hat die Aufgabe Informationen zwischen den Neuronen zu übermitteln (Reece et al., 2016). Dabei werden elektrische und chemische Prozesse miteinander verbunden (Rojas, 1996). Die im Axon weitergeleiteten Aktionspotenziale gelangen zu den synaptischen Endigungen, in denen sich Vesikel mit einem Neurotransmitter befinden (Reece et al., 2016). Das ankommende Potenzial bewirkt eine Depolarisation der präsynaptischen Membran, infolgedessen sich spannungsgesteuerte Calciumkanäle öffnen (ebd.). Der Calciumeinstrom ruft eine Verschmelzung der Vesikel mit der Membran hervor, sodass der Neurotransmitter in den synaptischen Spalt diffundieren kann (ebd.). Dieser bindet an Rezeptoren der Ionenkanäle der postsynaptischen Zelle nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip (Erdmann et al., 2005; Reece et al., 2016). Die Ionen strömen durch den geöffneten Ionenkanal und das Membranpotenzial der postsynaptischen Zelle kann sich in zwei Richtungen verändern (Reece et al., 2016). Bindet der Neurotransmitter an Rezeptoren der Natriumkanäle, so kommt es zu einer Depolarisation der nachfolgenden Zelle (ebd.). Dies wird als erregendes oder exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) bezeichnet (ebd.). Im Gegensatz dazu kommt es zu einem hemmenden oder inhibitorischen postsynaptischen Potenzial (IPSP), falls der Neurotransmitter an Rezeptoren der Kalium- und Chloridkanäle bindet (ebd.). Infolgedessen wird eine Hyperpolarisation der postsynaptischen Membran hervorgerufen (ebd.). Eine besondere Eigenschaft der postsynaptischen Signale ist die Abstufung (ebd.). Treten die oben beschriebenen EPSP oder IPSP gleichzeitig oder in kurzer Abfolge nacheinander auf, so können größere Effekte, als mit einem einzigen Potenzial erreicht werden (ebd.). Folglich ist das Zusammenspiel von EPSP und IPSP bei der Verarbeitung, der Übermittlung und der Weiterleitung von Informationen essentiell (Frings & Müller, 2019).

Lernen in biologischen Netzen

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Die Natur ist bekannt für ihre Spektakel und Phänomene (Thompson, 2016). Das menschliche Gehirn und das damit verbundene Gedächtnis und Lernen gehört jedoch ausnahmslos zu den einzigartigen Ereignissen der Natur (ebd.). Der Lernprozess ist ein zentrales Kennzeichen von neuronalen Netzen und bedeutsam für die Verwendung von künstlichen neuronalen Netzen im Alltag (Lämmel & Cleve, 2020). Jedoch lässt sich hieraus die Frage ableiten, wo und wie die Informationen in den neuronalen Netzen gespeichert werden (Rojas, 1996). Der Wissenschaftler Donald O. Hebb fand heraus, dass Veränderungen an den Synapsen auftreten, die die Speicherung von Inhalten ermöglichen (Bear, Conners & Paradiso, 2018).

Die synaptische Kommunikation erfolgt zum größten Teil mit dem Neurotransmitter Glutamat (Bear et al., 2018). Hierfür sind spezielle Glutamatrezeptoren erforderlich (ebd.). Der Neurotransmitter und die entsprechenden Rezeptoren spielen eine entscheidende Rolle bei der Speicherung von Informationen im Gehirn (Thompson, 2016). Sie können die Plastizität der Membran in zwei Richtungen verändern, die Langzeitpotenzierung (LTP) oder die Langzeitdepression (LTD) (ebd.). Infolgedessen kommt es zu veränderten Strukturen und Erregbarkeit der Synapsen (ebd.). Bei einer LTP wird die Reaktion und Erregbarkeit an den Synapsen gesteigert, wohingegen es bei einer LTD zu einer Verminderung der synaptischen Erregung kommt. In den strukturellen und funktionellen Veränderungen sind somit unterschiedliche Informationen gespeichert und ermöglichen die außergewöhnliche Leistung des Gehirns (ebd.). Im nachfolgenden wird der Blick auf die strukturellen Eigenschaften und Veränderungen an den Synapsen gerichtet.

Die AMPA-Rezeptoren ermöglichen nach der Bindung von Glutamat einen Einstrom von Natrium- und Kalium-Ionen in die postsynaptische Zelle (ebd.). Die zusätzlichen NMDA-Rezeptoren sind essentiell für den Lernprozess der Nervenzellen und ermöglichen einen Einstrom von Calcium-Ionen (Bear et al., 2018; Rojas, 1996). Sofern sich die postsynaptische Zelle im Ruhepotenzial befindet, kann es sein, dass der Ionenkanal des NMDA-Rezeptors trotz Bindung von Glutamat durch ein Magnesium-Ion blockiert ist (Bear et al., 2018). Durch ein ankommendes Aktionspotenzial an den synaptischen Endigungen, diffundiert Glutamat in den synaptischen Spalt und bindet an die spezifischen Rezeptoren (Bear et al., 2018). Folglich strömen durch den Ionenkanal des AMPA-Rezeptors, Natrium-Ionen in die postsynaptische Zelle ein und können ein EPSP auslösen (ebd.). Ist die Depolarisation der postsynaptischen Membran zu hoch, kommt es zu einer Deblockierung der NMDA-Rezeptoren und Calcium-Ionen strömen in die postsynaptische Zelle ein (ebd.). Der Einstrom von Calcium ist ein Indikator für die gleichzeitige Aktivität der prä- und postsynaptischen Zelle (ebd.). Dies führt zu einer Veränderung der synaptischen Plastizität, sodass infolgedessen mehr Synapsen gebildet werden und die Erregbarkeit erhöht wird (ebd.). Die Neuerungen bewirken ein Training der Nervenzellen, sodass eine geringere Reizschwelle benötigt wird, um in der postsynaptischen Zelle ein Aktionspotenzial auszulösen (Bear et al., 2018; Rojas, 1996). Bei einer geringen Depolarisation der postsynaptischen Membran nach dem Einstrom von Natrium-Ionen, wird die Blockierung der NMDA-Rezeptoren nicht aufgehoben (Abbildung 3) (Bear et al., 2018). Infolgedessen nimmt die Erregbarkeit ab und es können bereits bestehende Synapsen abgebaut werden (Frings & Müller, 2019). Die Veränderungen der Erregbarkeit an den Synapsen sind somit essentiell, sowohl für die Speicherung, als auch für den Verlust von Informationen und bilden die Grundlage des Gedächtnis (ebd.).

Die gleichzeitige Aktivierung der prä- und postsynaptischen Zelle, die durch den Indikator Calcium repräsentiert wird, knüpft an die Erkenntnis des amerikanischen Psychologen Donald O. Hebb an (Bear et al., 2018). Die nach ihm benannte Hebb-Regel besagt, dass bei synchroner Aktivität zweier Neuronen die Synapsen und somit die Verbindungen zwischen zwei Neuronen verstärkt werden und infolgedessen die Neuronen wiederholter miteinander reagieren (ebd.). Es wird sich zeigen, dass diese Regel nicht nur, wie eben beschrieben, in der Biologie, sondern auch in der Mathematik zu finden ist und somit eine essentielle Lernregel für neuronale Netze darstellt (Bear et al., 2018; Rojas, 1996).

Literatur

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Bear, M. F., Connors, B. W., Paradiso, M. A. (2018). Neurowissenschaften. Ein grundlegendes Lehrbuch für Biologie, Medizin und Psychologie (4. Auflage). Berlin: Springer.

Clauss W., Clauss C. (2018). Humanbiologie kompakt (2. Auflage). Berlin: Springer.

Erdmann, A., Erdmann, U., Martens, A., Müller, O., Paul, A. (Hrsg.). (2005). Neurobiologie: Neurophysiologie und Verhalten. Braunschweig: Schroedel.

Ertel, W. (2016). Grundkurs Künstliche Intelligenz: Eine praxisorientierte Einführung (4. Auflage). Wiesbaden: Springer Vieweg.

Frings, S., Müller F. (2019). Biologie der Sinne: Vom Molekül zur Wahrnehmung (2. Auflage). Berlin: Springer.

Lämmel, U., Cleve, J. (2020). Künstliche Intelligenz: Wissensverarbeitung – Neuronale Netze (5. Auflage). München: Carls Hanser Verlag.

Reece, J., Urry, L., Cain, M., Wasserman, S., Minorsky, P., Jackson, R. & Campbell N. (2016). Campbell Biologie (10. Auflage). Hallbergmoos: Pearson Deutschland.

Rojas, R. (1996). Theorie der neuronalen Netze: Eine systematische Einführung (4.~korrigierter Nachdruck). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.

Thompson, R. (2016). Das Gehirn. Von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung (3.~Auflage). Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag.