Gruppe "Die Spalter" (HD)

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Beruf: Physikingenieur, beschäftigt in der Kernkraftfernüberwachung

Unser Interviewpartner arbeitet in der Kernkraftwerkfernüberwachung. Eine der Aufgaben besteht darin, klären zu können, wie sich freigesetzte Stoffe in der Umwelt verbreiten. Dazu wird ein besonderes Ausbreitungsmodell benutzt. Damit kann man berechnen, wie sich z.B. Rauch aus einem Schornstein oder eben über Abgase freigesetzte Radioaktivität verbreitet und wie sich die Landschaftsform (Orologie) und das Wetter auf die Ausbreitung auswirken. Dazu müssen unter anderem auch Daten über die Windrichtung und -geschwindigkeit erhoben werden.


  • Frage 1 Wo sehen Sie die Mathematik in Ihrem Beruf?

Nirgendwo. Die Mathematik steckt im Computer ;-)

Ich überprüfe die programmierten Algorithmen, in dem ich einen Sollwert vorgebe und den Fertigwert am Ausgabegerät des Computers ablese.

Ein Beispiel: Die Windgeschwindigkeit wird mit einem kleinen Windrädchen in 10m Höhe gemessen. Die Drehzahl des Windrades ist proportional der Windgeschwindigkeit und wird (nach ebenfalls proportionaler Übersetzung in ein Stromsignal) von einem Rechner gespeichert und gemittelt. Nicht alle Messgeräte besitzen einen linearen Zusammenhang zwischen Messwert und Stromsignal wie die Windgeschwindigkeit. Manche haben auch eine logarithmische Kennlinie, da die Messgröße sich über mehrere Dekaden ändern kann. Dann ist in dem Stromsignal der Exponent des Messwertes enthalten und die Formel zur Berechnung des fertigen Messwertes etwas komplexer.


  • Frage 2 Was ist die einfachste und was die komplexeste mathematische Anwendung in Ihrem Beruf?

Die einfachste: Wenn ich die Ankunft der freigesetzten Stoffe an einem bestimmten Ort in der Umgebung des Emittenten berechnen möchte und die Windgeschwindigkeit in m/s angegeben ist: Wolkenreisezeit t in Stunden, Entfernung s in km: t=s/v. Z.B. s=12km ; v=3m/s - Ergebnis: 1,11 h (ca. 1h 5min)


  • Frage 3 Wie wird entschieden, wann Messwertabweichungen im Kernkraftwerk gefährlich sind?

Uns als Atomaufsicht interessiert in erster Linie nur das, "was raus kommt", die Außenwirksamkeit. Es gibt gesetzlich festgelegte Mengen an Radioaktivität [Bq], die ein Kernkraftwerk im Jahr, im Monat oder am Tag maximal abgeben darf, ohne dass es der Betreiber an die Aufsichtsbehörde melden muss. Menschen sind einer natürlichen Strahlung ausgesetzt. Spuren von radioaktiven Stoffen nehmen wir auch mit der Nahrung auf. Der zusätzliche Beitrag durch den Betrieb eines KKW darf diese natürliche Strahlenbelastung nicht überschreiten. Daran orientieren sich die Grenzwerte für die Emissionen. Im Kamin sind Messsonden installiert, die kontinuierlich die Konzentration der in der Abluft enthaltenen radioaktiven Stoffe messen. Überschreitet die Abgaberate [Bq/m3] einen der genannten Schwellenwerte, so wird ein Warnsignal ausgelöst. Um Fehlalarme z.B. durch Gerätestörungen zu minimieren und damit man auch sie auch warten kann, sind diese Messsysteme redundant ausgelegt und ihre Warnmeldungen "logisch und"-verknüpft, d.h. es müssen immer zwei Geräte angesprochen haben, damit ein radiologischer Alarm ausgelöst und der Behörde gemeldet wird.


  • Frage 4 Wie funktioniert Ihr Ausbreitungsmodell und wie genau ist es?

Um zu beurteilen, an welchen Orten in der Umgebung eines Kernkraftwerks die zu erwartende Dosis aufgrund freigesetzter Mengen radioaktiver Stoffe die zulässigen Werte übersteigt, muss man wissen, wie hoch die Konzentration dort ist. In einer sog. Verwaltungsvorschrift zum Atomgesetz ist u.a. festgehalten, wie man die Aktivitätskonzentration in einer Wolke berechnen kann. Diese Berechnung basiert auf einem Modell und stellt nur eine Annäherung an die Realität dar. Es gibt andere und wesentlich komplexere Rechenmodelle, die aber viel mehr Eingangsdaten erfordern und deren Berechnung zu lange dauern würde, um sinnvoll Empfehlungen für Verhaltens- oder Schutzmaßnahmen geben zu können.

Man hat experimentell herausgefunden, dass luftgetragene Stoffe sich in der Atmosphäre horizontal und vertikal und abhängig von der Entfernung zur Quelle wie eine Gauss-Verteilung ausbreiten. Anders ausgedrückt: Nach einer Emission sind die zu erwartenden Konzentrationswerte in Windrichtung abhängig von der Entfernung zur Quelle sowohl horizontal als auch vertikal annähernd Gauß-verteilt.

In der Grundgleichung wird durch die sigma-Parameter das Wetter berücksichtigt. Denn abhängig vom Zustand der Atmosphäre, also der Wetterlage (stabil bis labil), ist die Verteilung mal mehr oder weniger "zigarrenförmig". Uns interessiert aber nicht die Konzentration. Sie ist nur ein Zwischenergebnis. Wir möchten wissen, wie hoch die zu erwartenden Dosis beim Durchzug von radioaktiven Emissionen und danach sein wird. Deshalb multiplizieren wir die Konzentration mit Dosiswirkungsfaktoren. Dabei müssen wir die unterschiedlichen Belastungspfade berücksichtigen:

  • Direktstrahlung aus der Wolke und von den am Boden abgelagerten Stoffen (z.B. durch Regen)
  • Inhalation, wenn man sich in der Wolke befindet
  • Ingestion für den Fall langfristiger Bewertung

Dazu kommen dann noch weitere Faktoren.






Und das ist dann letztendlich aus der Sache geworden: