Projekt:Dresdner Glossar/Neuer Anbau
Der Neue Anbau auf dem Sande (Teil I)
Ist heutzutage von der „Äußeren Neustadt“, oder korrekterweise Antonstadt, die Rede, so denkt man unwillkürlich an die baumlosen Gründerzeitschneisen, Anfang der 1990er Jahre gerade noch den Abrissbaggern entronnen und bevölkert von mehr oder weniger alternativ angehauchten Lebenskünstlern und dem feier- und vergnügungswütigen Publikum aus der Reststadt nebst engerem und weiterem Umfeld, das besonders zum Wochenende und natürlich zur alljährlichen BRN in Scharen in das „Szeneviertel“ einfällt. Man denkt an den wohl letzten weitgehend intakten innerstädtischen Stadtteil, an einen der wenigen Orte, wo Dresden tatsächlich richtiges Großstadtflair atmet, und wo man als Bewohner nichtsdestotrotz kaum durch die Straßen gehen kann, ohne allerorten bekannte Gesichter zu grüßen. Und man denkt an den Müll auf den Straßen, die je nach Sichtweise bemalten oder beschmierten Hauswände, zunehmende Gentrifizierung und Verdrängung der althergebrachten Einwohnerschaft.
Dieses Klischeebild der „Neustadt“ mag seine Berechtigung haben, entstanden ist es aber erst ab den 1980er Jahren, als sich die hiesige Subkultur in den meist leerstehenden und von Verfall und Abriss bedrohten Gebäuden anzusiedeln begann. Die folgende Vermarktung als „Szeneviertel“ oder angeblich „größtes Gründerzeitviertel Europas“ im Zuge der Flächensanierungen der1990er und 2000er Jahre hat jedoch den Blick für die weit ins 18. Jahrhundert zurückreichenden beschaulichen Wurzeln der alten Vorstadt getrübt, über die aber man noch heute bei genauem Hinsehen trotzdem allerorten stolpert und die so gar nichts gemein haben mit dem pulsierenden großstädtischen Leben, in dem sie zu verschwinden scheinen.
Relief an der Rädlerschen Schule von 1789, Louisenstraße 59.
Versetzen wir uns also zurück zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Öde und wüst lag der „Sand“, entstanden im Spätmittelalter durch exzessive Rodungen der deutschen Kolonisten, die sich in Scharen im Elbtal anzusiedeln begannen. Die folgende Bodenerosion verwandelte den sandigen Heideboden schnell in eine äußerst unwirtliche Dünenlandschaft, die man besser mied. Dem zweifelhaften Ruf der Gegend war auch nicht zuträglich, dass man mitten auf dem „Sand“ vor dem „Schwarzen Thore“ an der uralten Landstraße nach Königsbrück die städtische Richtstatt errichtete, auf der neben allerlei anderem Gelichter im Jahre 1715 im Beisein des Kurfürsten und einer stattlichen Besucherschar der Räuberhauptmann Lips Tullian nebst Mitbanditen sein Leben auf dem Rad aushauchte. Schon damals also bot die spätere Antonstadt diverse zweifelhafte Vergnügungen!
August der Starke höchstselbst fand es allerdings wenig erbaulich, dass den Residenzbewohnern sprichwörtlich der Sand aus der baumlosen Wüstenei um die Nasen wehte und bei besonders ungünstigem Wind veritable Sandstürme die Residenz heimsuchten. So war es nur konsequent, nach dem Brand Altendresdens 1685 die feueranfälligen Scheunenhöfe und den kurfürstlichen Holzhof auf den „Sand“ auszulagern und damit einerseits eine Befestigung und Besiedlung der für jede sinnvolle Bewirtschaftung nutzlos gewordenen Gegend einzuleiten, andererseits aber die Brandgefahr innerhalb der Befestigungen zu minimieren. Per kurfürstlichem Dekret gab der untersetzte Landesherr mit den sagenumwobenen Körperkräften schließlich 1701 die Gegend zur allgemeinen Bebauung frei, wenngleich die Besiedlung des „Neuen Anbaus auf dem Sande“ aber so richtig erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Fahrt aufnehmen sollte. Zunächst waren es vor allem Wirtschaften entlang der schon vorhandenen Ausfallstraßen nach Königsbrück, Bautzen und Radeberg, die die Keimzelle des neuen Stadtteils bildeten. Gehen wir also auf Zeitreise und Spurensuche nach dem alten „Sande“…
Beginnen möchte ich mit einem Stadtplan von Dresden aus dem Jahre 1782, der die neue Vorstadt in ihren Anfängen zeigt. Noch unscheinbar nimmt sich der „Anbau auf dem Sande“ nordöstlich der Befestigungsanlagen der „Neuen Königsstadt“ aus.
(Deutsche Fotothek)
Ausschnitt mit dem „Anbau auf dem Sande“. Rechts ist die Straßengabelung der alten (Holzhofgasse) und der neuen Bautzner Straße gut erkennbar, dazwischen dunkel eingefärbt der 1749 errichtete „Goldene Löwe“, dem die das Grundstück östlich begrenzende heutige Löwenstraße ihren Namen verdankt. Südlich der Gasse der Kurfürstliche Holzhof. Auch die heute noch unverändert in einem leichten Bogen nach Norden verlaufende Königsbrücker Straße ist gut erkennbar, mit dem „Schönbrunn“ linkerhand, eigentlich Gasthof „Zum Schönen Brunnen“ oder im Volksmund „Kammerdieners“ genannt. Auch diese längst verflossene Einkehr ist heute noch per Straßenname verewigt. Sie befand sich exakt auf dem Geviert zwischen Königsbrücker, Scheunenhof-, Schönbrunn- und Schwepnitzer Straße. Nicht mehr im Bild die „Sandschänke“, erster Gasthof auf dem Sande, auf dem heutigen Grundstück Königsbrücker Straße 62.
Zur Begehung des „Sandes“ brechen wir natürlich vor dem Schwarzen Thore auf, am heutigen Albertplatz. Der Blick geht über die ehemaligen Grabenanlagen der Stadtbefestigung in Richtung Bautzner Straße.
Nach Niederlegung der Festungswerke entstand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts westlich des heutigen Albertplatzes ein Gebiet, das sein ursprüngliches Straßenbild mit kleinen, meist schmucklosen klassizistischen Häusern und großzügigen Gärten drumherum bis heute bewahren konnte. In der Carolinen- und Erna-Berger-Straße erhält man noch heute einen sehr schönen Eindruck, wie sich einst die ersten Straßen des „Anbaus auf dem Sande“, die wir heute als Louisenstraße, Görlitzer Straße oder Kamenzer Straße kennen, bis zur gründerzeitlichen Überbauung nach 1850 präsentierten. Die Bilder stammen von 2015.
Antonstraße. Eines der ältesten hier noch vorhandenen Häuser ist die 1825 nach Plänen von G. F. Thormeyer errichtete Villa Nummer 8, heute „Altes Wettbüro“, und die benachbarte, kaum ältere Antonstraße 10. Derartige kleine, aber meist geschmackvolle Häuser für die betuchtere Bevölkerung waren typisch für die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und überall „Auf dem Sande“ zu finden. Bild aus dem Sommer 2017.
Auch am Albertplatz selbst, an dessen Westseite, werden Erinnerungen an die vorgründerzeitliche Vorstadt wach.
Wir widmen uns nun dem östlichen und ältesten Teil des „Anbaus auf dem Sande“ und machen einen Sprung zur Bautzner Straße kurz vor der Holzhofgasse. Die Postkartenansicht zeigt links die (neue) Bautzner Straße, ehemals Radeberger Straße, und rechts die 1746 angelegte Neue Straße, ab 1823 Altbautzner Straße und (in Unterscheidung zur Bautzner Straße links) ab 1823 nach dem hier gelegenen Königlichen Holzhof in Holzhofgasse umbenannt. Dazwischen sehen wir den ab 1749 verbrieften „Goldenen Löwen“.
Der „Goldene Löwe“ aus der Nähe. Vom Ursprungsbau aus dem 18. Jahrhundert dürfte zum Zeitpunkt der Aufnahmenichts mehr übrig geblieben sein. Der Bau fiel 1945 den Bomben zum Opfer
Mittlerweile schließt der gelungene „Headquarter“-Neubau das jahrzehntelang brachliegende Grundstück.
Die Holzhofgasse wurde schwer durch die Kriegszerstörungen in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch findet man unter der Nummer 15 ein ganz besonderes Kleinod, das auf die Frühzeit des „Anbaus auf dem Sande“ ins späte 18. Jahrhundert zurückdatiert werden kann und exemplarisch die einfache Ausführung der kleinen Häuschen der Anfangszeit der Vorstadt repräsentiert. Es war schon ein Wunder, dass der kleine und wohl wenig komfortable Bau überhaupt bis ins 20. Jahrhundert überlebt hat. Umso erstaunlicher, dass ihm dies auch über Krieg und DDR-Verfall hinweg gelang.
Einen starken Kontrast bildet die 1826/27 von Woldemar Hermann für Frédéric de Villiers errichtete repräsentative „Schwanenvilla“, die nach schweren Kriegszerstörungen erst 1986 bis 1990 als Altenheim der Diakonie wiederaufgebaut wurde.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kronengasse angelegt, benannt nach einem der ersten Gasthöfe auf dem Sand, „Zu den drei Kronen“. Seit 1829 ist die Benennung als „Wolfsgasse“ überliefert.
Östlich der Prießnitzmündung entstand 1734 für den Freiherrn von Dießbach ein Lusthäuschen nebst Gartenanlage. 1766 erwarb ein gewisser Akziserat Lincke das Grundstück und etablierte hier mit dem Lincke’schen Bade einen legendären Amüsierbetrieb, der bis ins 20. Jahrhundert Bestand haben sollte. Das Bild zeigt das Lincke’sche Bad von Westen gegen Loschwitz gesehen. Links pappelbestanden die verlegte neue Bautzner Straße mit der oberen Prießnitzbrücke, rechts die Elbe und „Antons“ in der späteren Johannstadt. Dem Etablissement hatte ich schon vor einiger Zeit einen eigenen Beitrag gewidmet.
Zurück ins Quartier und an die Bautzner. Die leider stark verunzierte historische Hostienbäckerei an der Ecke Wolfsgasse/Bautzner Straße.
Unmittelbar an der Einmündung der Wolfsgasse liegt die Bautzner Straße 60. So unscheinbar wie das Haus daherkommt, so ist es wohl ein bau- und stadtgeschichtlich äußerst bedeutendes Gebäude. Es darf stark vermutet werden, dass es sich hierbei um den Gasthof „Zu den drei Kronen“ von 1755 handelt, auch wenn das ursprüngliche Barockdekor klassizistisch umgestaltet wurde. Diese noch nicht abschließend gesicherte Vermutung legen auch die geringen Geschosshöhen nahe. Sollte sie sich als richtig erweisen, so hätten wir es hier mit dem ältesten noch existierenden Gebäude der Antonstadt überhaupt zu tun!
Gegenüber bildet sich ein sehr trauriges Bild: die dem Untergang geweihte Bautzner Straße 73, ebenfalls aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und damit der Frühzeit der Vorstadt. Anders als in den Nebengassen wurde hier an der Hauptausfallstraße offenbar bereits damals repräsentativer gebaut. Der Abriss des Gebäudes bedeutet den nahezu endgültigen Verlust baulicher Zeugen aus jener Epoche und zudem die Preisgabe eines der letzten Häuser aus der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg im sogenannten Dresdner „Hungerstil“.
An der Prießnitz. Letzte Reste des ländlich-vorstädtischen Idylls von einst.
Abschied von der Bautzner Straße. Bis zur Zerstörung standen hier noch einige dorfähnliche Anwesen im Zwickel zur Prießnitzstraße. Genau hier sollte das Dresdner Hundertwasserhaus entstehen. Momentan ist eine Vergleichsmaßnahme wegen der Prießnitz-Baustelle nicht möglich.
Wir machen einen Abstecher in die Forststraße, deren bis 1857 gültiger Name „Sandgasse“ auf den ehemaligen Charakter des Geländes verweist. Schön saniert zeigen sich hier die Reste der Zichorienfabrik. Kaffeersatz und Süßwaren waren neben der Alaungewinnung und diversen gärtnerischen Tätigkeiten (ein Wunder, was der einst so öde Sandboden plötzlich alles hergab) einer der Hauptgeschäftszweige der neuen Vorstadt.
Über die erst 1883 angelegte Hohnsteiner Straße gelangen wir zunächst in den unteren Prießnitzgrund. Dessen unterer Abschnitt ist zwar völlig überbaut, dennoch ist die markante Senke im Straßengefüge der Antonstadt unübersehbar. Ursprünglich schlängelte sich das Flüsschen hier durch Heideland und später durch sandige Dünen.
Die Prießnitzstraße wurde Ende des 18. Jahrhunderts als „Am Prießnitzbach“ oder „Am Goldbach“ angelegt und gehört damit zu den ältesten Straßen des Viertels. Letzterer Name verweist auf die Glücksritter, denen es mitunter doch tatsächlich gelang, etwas Gold aus dem Heidesand zu waschen. Hier existiert ein weiteres hochinteressantes städtebauliches Phänomen: Die ursprünglichen kleinen Häuschen besaßen einen großzügigen Vorgarten zur Straße hin. Im Zuge der Grundstücksspekulation nach 1860 wurden diese mit großen straßenständigen Mietshäusern neu bebaut. Oftmals jedoch verblieb die ursprüngliche Bebauung aus dem späten 18./beginnenden 19. Jahrhundert dahinter erhalten. Blick von der Hohnsteiner Straße.
Im Hof der Prießnitzstraße 48. Hier und hinter der benachbarten Nummer 50 sehen wir noch zwei der kleinen Häuser der Anfangszeit, unsichtbar von der Straße aus zu Hinterhäusern degradiert.
Bemerkenswert ist der durch die Nutzung der Vorgärten und den bereits vorgegebenen Straßenverlauf bestimmte sehr geringe Abstand zwischen Neu- und Bestandsbebauung.
Wir begeben uns weiter ins Viertel hinein zur 1855 angelegten Schönfelder Straße. Seit 1835 gehörte der vormalige „Anbau auf dem Sande“ als Antonstadt hochoffiziell zur Königlich-Sächsischen Haupt- und Residenzstadt Dresden. An der Ecke zur Talstraße blicken wir auf vorgründerzeitliche Bebauung aus der Anfangszeit der Straße.
Talstraße, angelegt ebenfalls 1855 zwischen Schwarzer Gasse (Kamenzer Straße) und Prießnitzgasse.
Auch hier ist ein ähnliches Phänomen wie an der Prießnitzstraße sichtbar. Obwohl sicher relativ spät entstanden, wurden auch hier die „Gartenhäuser“ nachträglich durch eine Gründerzeitfront verdeckt. Ich habe keine Belege, vermute aber, dass die Altbebauung deutlich vor 1855 und damit der (nur offiziellen?) Anlage der Talstraße entstanden sein dürfte…
Altbebauung mit „Gartenhäusern“ hinter der westlichen gründerzeitlichen Straßenseite der Pulsnitzer Straße, gesehen vom Hinterhof der Talstraße.
Zum Abschluss des heutigen ersten Teils der Geschichte des „Anbaus auf dem Sande“ statten wir noch der Pulsnitzer Straße einen Besuch ab. Diese trägt ihre Benennung erst seit 1861, davor hieß die um 1750 angelegte Gasse Haideweg und alsbald Judengasse. Da konfessionsfremde Bestattungen auf Dresdner Territorium nicht erlaubt waren, wurde der Jüdischen Gemeinde ein Gelände auf dem „Sand“ zugewiesen, wo 1751 der erste Jüdische Friedhof der Stadt entstand.
An der Pulsnitzer Straße können wir ein weiteres städtebauliches Phänomen registrieren, das so wegen der weitgehenden Vernichtung der innerstädtischen Wohngebiete in Dresden mittlerweile sehr selten sein dürfte: Folgten die um 1830 errichteten kleinen klassizistischen Häuser noch dem Baureglement von 1837, das die Anzahl der Etagen je nach Straßenbreite begrenzte, rückten die ab 1870 errichteten, viel höheren Gründerzeitler von der Fußwegkante zurück. Damit wurde indirekt auch bereits eine Straßenverbreiterung vorweggenommen, die nach dem Abriss der älteren Gebäude und der Errichtung neuer Bauten in Reihe mit den bereits entstandenen Gründerzeitlern möglich geworden wäre. Die Folge ist ein sägezahnähnliches Profil der Straßenfront, in der französischen Architekturtheorie auch konsequent als „dents de scie“ bezeichnet. Die Pulsnitzer Straße konserviert somit wie eingefroren einen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Übergangszustand, den man als symbolisch für die innerhalb weniger Jahrzehnte vollzogene Wandlung der Antonstadt von einer ländlich geprägten vorstädtischen Siedlung in ein hochverdichtetes, zentral gelegenes Wohn- und Gewerbegebiet ansehen kann.
Der Neue Anbau auf dem Sande (Teil II)
Im zweiten Beitrag zur Geschichte unseres „Anbaus auf dem Sande“ konzentrieren wir uns in erster Linie auf die beiden Hauptachsen der Ansiedlung in Nord-Süd-Richtung, die Königsbrücker Straße und die Alaunstraße. Naturgemäß setzte die Bebauung nach dem kurfürstlichen Erlass von 1701 entlang der schon bestehenden uralten Hauptstraßen von Dresden ins Umland ein. Dies betraf, wir haben es gesehen, die Bautzner Straße, aber auch die Hauptausfallstraße nach Norden in Richtung Königsbrück. Näherte sich der rastlose Handelsmann Anfang des 18. Jahrhunderts den Toren Altendresdens auf der Königsbrücker Chaussee, so musste er nach Verlassen des Waldes die trostlose Dünung des „Sandes“ durchqueren und hoffen, dass der Weg bei Trockenheit nicht durch Verwehungen, bei Regen durch Schlamm und Dreck unpassierbar geworden war. So manches Rad brach hier in einem Loche, und so manches Pferdchen krepierte hier elendig. Wie man sieht, war der Straßenzustand der Königsbrücker Straße bereits damals ein heiß diskutiertes Thema.
War das Schwarze Thor am späteren Bautzner bzw. Albertplatz bereits in Sicht, so konnte unser Reisender links der Chaussee die Dresdner Richtstatt bewundern, auf denen die Reste der hier zu Tode gemarterten Schwerenöter vor sich hin verwesten. Im Jahre 1715 traf es unter anderem Lips Tullian und seine Spießgesellen, die hier an Galgen und auf dem Rade ihr elendes Leben aushauchten. Der „Sand“ muss zu Beginn des augustäischen Zeitalters ein wahrhaft gruseliger Ort gewesen sein. Springen wir also lieber ins 19. Jahrhundert.
Im Stadtplan von 1835 (Deutsche Fotothek) ist der „Sand“ noch als Neuer Anbau“ bezeichnet, im gleichen Jahr allerdings wurde er gemeinsam mit den Scheunenhöfen nach Dresden eingemeindet. Die vereinigte neue Vorstadt firmierte nun unter dem Namen „Antonstadt“. Die weitere namentliche Entwicklung des Gebietes ist bekannt, aber völlig unnachvollziehbar. Schließlich gehörte die Anton- gemeinsam mit der Friedrich- und der Johannstadt zu den „Königsvorstädten“. Während die beiden letzteren ihre Namen stets behalten durften, musste ausgerechnet die nach dem gütigen Anton benannte Vorstadt irgendwann in den Tiefen der fünfziger Jahre ihren Namen lassen und wurde nun schnöde und historisch inkorrekt als „Äußere Neustadt“ bezeichnet. Dies ist umso unverständlicher, als der Name ein- und desselben Königs auf der nach ihm benannten Antonstraße nie einem revolutionären Arbeiterführer weichen musste…
Stadtplan von 1835, dem Jahr der Eingemeindung. Anstelle des 1838 angelegten Leipziger Bahnhofs liegt noch freies Feld.
Wenig später erscheint dann der Name „Antonstadt“ auf den Plänen, hier der von J. G. Hessler von 1837.
(ergänzte Ausgabe von 1852,, diese lag Fritz Löfflers „Altem Dresden“ bei).
Mittlerweile hat sich die Schlesische Bahn zur Leipziger gesellt. Die Eisenbahn sollte die Entwicklung der nunmehrigen Antonstadt entscheidend prägen.
Die Königsbrücker Straße in Vergrößerung, Ausschnitt aus dem obigen Plan.
Gasthöfe, die dem vom „Sand“ gepeinigten Fuhrmann Quartier und Versorgung boten, waren die ersten neuen Ansiedlungen entlang der alten Straße, die nunmehr das neu zu besiedelnde Gebiet westlich tangierte. Zu erkennen der älteste Gasthof des Gebiets „Grüne Tanne“, ehemals Sandschänke, und der fast gleichaltrige „Schöne Brunnen“, auch „Kammerdieners“ genannt. Der untere Teil der Straße war Mitte des 19. Jahrhunderts bereits mit den üblichen freistehenden klassizistischen Häuschen bebaut, der obere Teil bis zum Bischofsweg dagegen führte noch weitgehend durch freies Feld. Die Bebauung setzte hier erst in der Gründerzeit ein, abgesehen von der „Grünen Tanne“, natürlich.
Die Begehung beginnen wir am Albertplatz, den wir um 1870 überblicken (Deutsche Fotothek). Am Eingang der Königsbrücker Straße steht noch das 1902 abgebrochene Koburger Palais hinter dem Artesischen Brunnen, dem wiederum noch das Erweinsche Brunnenhaus fehlt.
So einige der klassizistischen Häuschen aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts haben sich zwischen Albertplatz und Katharinenstraße erhalten, wenngleich leider oft in sehr schlechtem Zustand. Derartige Immobilien direkt im Staubereich des Albertplatzes lassen sich wohl nur sehr schlecht vermarkten.
Auf der westlichen Straßenseite die schön sanierte Königsbrücker Straße 11 von 1833, G. F. Thormeyer.
Nördlich davon entstanden Mitte der 1990er zwei angepasste Neubauten für die längst verflossene Weberbank, die sich sehr gut in die historische Bebauungsstruktur vom Anfang des 19. Jahrunderts einfügen.
Gegenüber zeigt sich die Königsbrücker Straße 18 als einziges Haus der rechtsseitigen unteren Königsbrücker saniert. Es handelte sich ursprünglich sehr wahrscheinlich um ein nur zweietagiges Gebäude analog der Nachbarbauten.
Am bereits vor Jahrhunderten entstandenen Straßenknick der Königsbrücker Straße lag ab Mitte des 16. Jahrhunderts die erwähnte Dresdner Richtstatt…
…nämlich hinter der nach Kriegsverlust linksseitig noch immer unbebauten Einmündung der Katharinenstraße zwischen dieser und der parallelen Louisenstraße. Sicher war ein derart schauriger Ort der Vermarktung der Baugrundstücke nicht gerade förderlich. Auf jeden Fall blieben die Ansiedlungen „Auf dem Sande“ bis Mitte des 18. Jahrhunderts eher spärlich.
Nahe der Richtstätte entronn der lichte Geselle den Bütteln der Stadt Dresden. Noch heute zeugt von der Grenze der städtischen Gerichtsbarkeit der Weichbildstein Nummer 13 vor dem Postgebäude, datiert auf 1550 (Erstaufstellung) und 1729 (Ersatz).
Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegte Louisenstraße bildete die Ost-West-Hauptachse des „Neuen Anbaus“ und wird uns demnächst näher beschäftigen.
Louisenstraße 2, erbaut in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verschämt duckt sich das Häuschen zwischen die höhere Nachbarbebauung.
Königsbrücker Straße 35, um 1850 entstanden. Das Haus folgt noch den Bauregularien des frühen 19. Jahrhunderts.
Zwischen der Scheunenhof- und der heutigen Schwepnitzer Straße lag eine der ersten Neuansiedlungen „Auf dem Sande“, der 1735 vom Kammerdiener des Grafen Brühl, Simon Haller, eröffnete Gasthof „Zum Schönen Brunnen“. Auf Stadtplänen findet man die sperrige Offizialbezeichnung alsbald verballhornt zu „Schönbrunn“. Der Volksmund wiederum nannte das Lokal schnell „Kammerdieners“ nach dessen Gründer, der Name verblieb später auch offiziell bis zum Abbruch 1875. Heute erhebt sich ein geschlossener Gründerzeitblock auf dem einstigen Gartengrundstück.
Hinter dem ehemaligen Wirtshausareal zeugt heute noch die 1861 angelegte Schönbrunnstraße von dessen Existenz. Obwohl erst recht spät entstanden, so vermittelt gerade deren Nordteil noch insgesamt einen guten Eindruck von der ursprünglichen aufgelockerten Art der Bebauung „Auf dem Sande“.
Wenige Schritte bergan blicken wir auf das Grundstück Königsbrücker Straße 62. Dort, wo man inmitten einer wahrhaft großstädtischen Gründerhauszeile heute bei einer bekannten Supermarktkette schoppen kann, eröffnete der böhmische Gärtner Pablick gleichfalls 1735 das erste neue Gebäude auf dem „Sande“ in Form seiner Wirtschaft, die passenderweise den Namen „Sandschänke“ erhielt. Als der Flugsand später durch die Rekultivierung und Neubebauung des Areals drumherum der Kundschaft weniger zwischen den Zähnen knirschte, wurde das Etablissement gleichsam renaturiert und nannte sich nun „Zur Grünen Tanne“. Dieser Name übertrug sich nach Abriss und gründerzeitlichem Neubau 1895 auch auf das neue Hotel, was allerdings schon längst keine Gäste mehr beherbergt.
Wir begeben uns zum Platz vor dem Schwarzen Thore zurück, der neuerdings den Namen Bautzner Platz trägt, und folgen der parallelen Nord-Süd-Achse durch das Quartier. Als „Neue Straße“ findet sie erstmals 1765 Erwähnung und erhielt nach der hier ansässigen Alaunsiederei gegen Ende des Jahrhunderts den Namen „Alaungasse“. Als solche sehen wir sie noch auf Hesslers Plan von 1852.
Nordseite des Albertplatzes vor der Zerstörung, mit der das Koburger Palais ersetzenden Jugendstil-Neubebauung. Deutlich älter ist die Anschlussbebauung in Richtung Alaunstraße.
Von diesen Gebäuden überlebten nur Reste der Erdgeschosszone bis in die 1980er Jahre, als sie durch die heutigen Plattenbauten ersetzt wurden. Seitdem liegt die Einmündung der Alaunstraße frei zur Bautzner Straße und zum Albertplatz.
Blick in die 1862 zur Straße aufgestiegenen ehemaligen Alaungasse nach 1900.
Blick in die heute wieder äußerst geschäftige Alaunstraße, in der sich trotz Kriegszerstörungen und Nachwendeabrissen viel der ursprünglichen Bebauung erhalten hat.
Alaunstraße 13 aus der Nähe. So unscheinbar wie derartige Häuschen wirken mögen, so immens wichtig ist doch jedes einzelne von ihnen für die Bewahrung der Geschichte der letzten erhaltenen innerstädtischen Vorstadt.
Einmündung der Böhmischen Straße, die uns in einem weiteren Beitrag beschäftigen wird. Das kleine Eckhaus muss um 1840 entstanden sein, denn im Stadtplan von 1835 fehlt es noch.
Alaunstraße 29.
Nummer 27 und 29, beide aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Von wegen die „Neustadt“ sei ein geschlossenes Gründerzeitviertel…
Weiter die Alaunstraße hinauf zum „Kuchenloch“. Ein Postkartenblick von der Einmündung der Katharinenstraße. Ausgerechnet hier, im Herzen der Vorstadt, haben die Bomben nur wenig von der ursprünglichen Bebauung übriggelassen. Heute erstreckt sich hier der infamöse „Scheune“-Vorplatz mit dem ehemaligen Jugenklubhaus „Martin Andersen Nexö“. Ein Vergleichsbild bleibe ich schuldig, denn ich wollte den örtlichen Kleinhandel bzw. mich selbst nicht gefährden.
Am „Kuchenloch“, der natürlichen Senke an der Kreuzung Louisenstraße/Alaunstraße, hat nicht eines der vier flankierenden gründerzeitlichen Eckhäuser die Bombardierungen überstanden. Dennoch ist die Kreuzung heute ein sehr beliebter und belebter Treffpunkt, mit „Scheune“, „Katy’s Garage“ und weiteren Etablissements reich gesegnet. Blick aus der Louisenstraße auf die Neubauten, die mittlerweile die kriegszerstörte Gründerzeitbebauung ersetzen.
das „Kuchenloch“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von Gründerzeit und Großstadtrummel ist noch weit und breit nichts zu spüren. Der Blick geht ebenfalls aus der Louisenstraße auf die Nordwestecke mit der Alaungasse.
In der Folge prägen große Gründerzeitler die Alaunstraße. Wir blicken hinunter in das „Kuchenloch“ und weiter in Richtung der Türme der „Residenz“. Rechts die Einmündung der Jordanstraße.
Namensschild der Jordanstraße (Ecke Königsbrücker).
Die Zichorienfabrik „Jordan und Timaeus“ entstand 1823 auf dem noch freien Gelände zwischen Alaungasse und der erst 1876 angelegten Förstereistraße. Später wurde die Unternehmung als Schokoladenfabrik bekannt.
In den 1930er Jahren wurde die Fabrik abgerissen und auf ihrem Gelände die Timaeusstraße angelegt. Mit ihren für die Zeit typischen Wohnbauten wirkt sie inmitten der sie umgebenden Bebauung aus dem 19. Jahrhundert wie ein Fremdkörper.
Weiter bergauf. Die rechterhand in die Alaunstraße einmündende Sebnitzer Straße wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als „Marktgasse“ angelegt. Im Hintergrund das ebenfalls aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Eckhaus zur Görlitzer Straße. Die Sebnitzer mit ihrem Wechsel von Breit- und Engstellen ist das wohl beste Beispiel für das in der Gründerzeit geänderte Baureglement, das höhere Häuser bei gleichzeitiger Verbreiterung der Straßen erlaubte. Auch hier ist damit ein eigentlich nur provisorischer städtebaulicher Zustand seit den 1870er Jahren eingefroren.
Inmitten der hohen Gründerzeitler hat die um 1820 erbaute Alaunstraße 85 wie durch ein Wunder überlebt und wird von ihren Nachbarn förmlich erdrückt. Es handelt sich um den einzigen Zeitzeugen der vorgründerzeitlichen Bebauung in der nördlichen Alaunstraße.
Der Neue Anbau auf dem Sande (Teil III)
Heute erkunden wir die Frühgeschichte des „Neuen Anbaus auf dem Sande“ in Ost-West-Richtung. Dabei folgen wir zunächst der Böhmischen Straße in Richtung Martin-Luther-Straße, begeben uns dann zur Louisenstraße und machen hier und da noch einen Abstecher in die Nebengassen.
Antonstadt 1852 (Hessler-Plan). Mittig querend die Ost-West-Hauptachse des Viertels, die 1840 so benannte Louisenstraße, ehemals Schul- bzw. Badegasse. Bei der Waldgasse handelt es sich um die heutige Görlitzer Straße, die Schwarze Gasse ist die Sebnitzer, die Martinstraße die heutige Martin-Luther-Straße. Zahlreiche Straßen fehlen noch, so die Talstraße, die Förstereistraße, die Jordanstraße und vor allem die ab 1863 als Sackgasse von der Böhmischen Straße angelegte und 1869 bis 1871 durchgebrochene Markgrafenstraße (Rothenburger Straße), die die Verbindung von der Waldgasse zur Bautzner Straße und weiter über die Kurfürstenstraße (Hoyerswerdaer Straße) zur Albertbrücke herstellen sollte. Der verkehrstechnisch fragwürdige markante Versatz am „Assi-Eck“ entstand übrigens dadurch, dass für den Durchbruch nur das Grundstück Alaunstraße 53 (alte Zählung) der kurz vorher abgebrannten Kinderbesserungsanstalt zur Verfügung stand.
An der Ecke Alaunstraße/Böhmische Straße treffen wir wieder auf unser kleines Eckhaus von etwa 1840.
Das Zusatzschild klärt uns über die Namensherkunft der Böhmischen Gasse auf. Angelegt wurde sie um 1765, zur Straße stieg die Gasse erst 1863 auf.
Die Enge der Böhmischen Straße ließe die Bezeichnung „Gasse“ auch heute noch adäquater erscheinen. Anstelle der Neubauten des Gebietes um die „Loge“ rechts befand sich einst die Treibriemenfabrik Thiele. Deren Hallen wurden 1994 abgerissen.
In der wenig repräsentativen Böhmischen Straße haben sich wohl die anteilig meisten Gebäude aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten. Nach und nach wurden die vorher meist einzeln stehenden Häuschen zu geschlossenen Reihen verdichtet. Im Hintergrund der Turm der Martin-Luther-Kirche.
Ein Blick in den Hof hinter der westlichen Straßenfront der Rothenburger Straße. Anstelle der einen Dorfkern simulierenden Neubauten befand sich bis zum Abriss in den 2000er Jahren das tatsächlich älteste dörfliche Wohngehöft des „Anbaus auf dem Sande“, das bis in die Frühzeit der Vorstadt Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt werden konnte. Wie so vieles, musste es dem vermeintlichen Fortschritt weichen. Wenigstens hat man bei der Gestaltung der Wohnanlage auf die Historie des Ortes Rücksicht genommen. Übrigens, auf dem Planausschnitt oben sieht man das erwähnte Anwesen links neben dem mittigen „n“ des Antonstadt-Schriftzuges
Die unverkennbar klassizistische Böhmische Straße 21 und der Blick zurück zur Alaunstraße.
Nach Querung der Rothenburger Straße gelangen wir an der Nummer 34 zu einer „Neustädter“ Institution, dem guten alten „Ras“. Der Autor hat hier schon mehr als nur ein nettes Stündchen verbracht…
Bewusst wurden auch bei der erst jüngst abgeschlossenen Fassadensanierung die Geschichtsspuren auf der Fassade des bereits 1837 gebauten Häuschens belassen.
Wir folgen nun der Louisenstraße von der Pulsnitzer Straße zum „Kuchenloch“. Die Louisenstraße, angelegt in der ersten Häfte des 18. Jahrhunderts als Ost-West-Achse des „Neuen Anbaus auf dem Sande“, hieß ursprünglich Badegasse, da sie nach dem Lincke’schen Bade an der Prießnitzmündung führte. Ihre heutige Benennung erhielt sie 1840. Die denkmalgeschützte, nur zweistöckige Nummer 85 weist noch klassizistische Züge auf. Eine genaue Datierung habe ich nicht gefunden, tippe aber auf die Mitte des 19. Jahrhunderts.
An der Ecke der Badegasse mit der Schwarzen Gasse (heute Louisen-/Kamenzer Straße) lag seit den frühesten Anfängen des „Anbaus“ der Gasthof „Zum letzten Willen“, so benannt, da die Badegasse westlich zum Richtplatz führte. 1865 erhielt er den Namen „Stadt Rendsburg“, der sich auf den Gründerzeit-Nachfolger übertrug, welcher heute den „Mondpalast“ beherbergt.
Louisenstraße 64. Das einfache klassizistische Häuschen entstand 1826 lange vor der Eingemeindung des „Sandes“. Erdgeschossbemalung und Leuchtreklamen entstellen das eigentlich schon Anfang der 1990er Jahre denkmalgerecht sanierte Gebäude. Da hat wohl jemand weggeschaut…
Eines der architektonischen Kleinode und zudem geschichtsträchtigsten Gebäude des „Anbaus“: die Rädlersche Schule in der Louisenstraße 59, erbaut 1789. Noch immer besitzt sie ihr geschwungenes barockes Mansarddach.
Um 1850 entstanden die Louisenstraße 46 und 44, die sich mit ihren niedrigen Etagen und den einfachen Putzfassaden deutlich von ihren gründerzeitlichen Nachbarn abheben. Auch diese Häuser waren, wie übrigens das gesamte Quartier südlich der Louisenstraße, 1989 dem Untergang geweiht und sollten durch angepasste Plattenbauten ersetzt werden. Anders als in der Friedrichstadt kam hier die „Wende“ gerade noch rechtzeitig, um die Flächenabrisse wertvollsten Kulturgutes zu verhindern.
Die Entstehung des Versatzes am „Musikhaus-Eck“ habe ich eingangs geschildert. Der Blick geht in die Ende des 18. Jahrhunderts angelegte Weiße Gasse, die ab 1840 Waldgasse und ab 1882 Görlitzer Straße genannt wurde.
Blick die Louisenstraße hinunter ins „Kuchenloch“.
Wann genau die ebenfalls noch sehr dörfliche (und vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammende) Louisenstraße 43 verschwand, ob schon vor dem Kriege, infolge der Kriegszerstörungen oder eines Nachkriegs-Abrisses, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Heute kann man sich gastronomisch versorgen.
Wir nähern uns dem „Kuchenloch“ diesmal von Osten.
Die Gegenrichtung im historischen Vergleich mit der nach 1870 erfolgten hohen Gründerzeitbebauung. Die Kreuzung ist als Totalverlust des Bombenkrieges zu verbuchen.
Damit schließt sich der Kreis. Zum Abschluss schauen wir uns noch (mittels einer älteren Aufnahme) an der Ecke Görlitzer und Sebnitzer Straße um. Die Häuserzeile offenbart eine Mischung kleinerer Bauten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Gründerzeitlern.
[...]Die vereinigte neue Vorstadt firmierte nun unter dem Namen „Antonstadt“. Die weitere namentliche Entwicklung des Gebietes ist bekannt, aber völlig unnachvollziehbar. Schließlich gehörte die Anton- gemeinsam mit der Friedrich- und der Johannstadt zu den „Königsvorstädten“. Während die beiden letzteren ihre Namen stets behalten durften, musste ausgerechnet die nach dem gütigen Anton benannte Vorstadt irgendwann in den Tiefen der fünfziger Jahre ihren Namen lassen und wurde nun schnöde und historisch inkorrekt als „Äußere Neustadt“ bezeichnet. Dies ist umso unverständlicher, als der Name ein- und desselben Königs auf der nach ihm benannten Antonstraße nie einem revolutionären Arbeiterführer weichen musste…
Das ist doch sehr interessant, wie ich finde. Hat denn der Name "Äußere Neustadt" vor den Fünfzigern überhaupt schon informelle Verwendung gefunden oder ist er eine ganz und gar neue Kreation? Ansonsten ist es aus meiner Sicht doch eher unüblich, dass diese Bezeichnung so schnell ins Bewusstsein der Leute übergegangen ist. Irgendeine Anordnung wird es trotz der von dir erwähnten merkwürdigen Inkonsequenz jedoch gegeben haben müssen, allein schon um Einheitlichkeit zu gewährleisten.
Da sprichst Du in der Tat ein sehr interessantes Thema an, zudem ich auch noch keine erschöpfende Antwort gefunden habe. Die aktuellste offizielle Nennung als Antonstadt habe ich in den Quellen in meinen eigenen Unterlagen in einem internen Straßenverzeichnis der Dresdner Verkehrsbetriebe von 1951 gefunden. Spätestens im offiziellen Stadtplan von 1954 firmiert sie bereits unter "Neustadt".
Eine offizielle Anordnung zur Neubenennung ist mir zumindest bislang (noch?) unbekannt, aber es wird sie wohl sicherlich gegeben haben - zu konsequent wurde der Name in der Folge getilgt bzw. fand keinerlei Verwendung mehr. Schon vor dem Krieg wurde mitunter der Begriff "Neustadt" auch für die Antonstadt oder die Leipziger Vorstadt verwendet - man findet diese Bezeichnung z.B. mitunter auf älteren Ansichtskarten. Eine völlige Neuerfindung scheint es also nicht gewesen zu sein.
Hinzu kommt die traditionelle Unterscheidung der Elbseiten in die "Altstädter" und "Neustädter" Seite, unabhängig von den tatsächlichen Ortsbezeichnungen, die den Umgewöhnungsprozess sicher erleichtert hat. Ich erinnere an das 1945 eingerichtete "Krankenhaus Neustadt", tatsächlich mitten in Trachau gelegen, oder die Autobahnabfahrten, die von Beginn an "Dresden Altstadt" und "Dresden Neustadt" hießen, obwohl sie in Kemnitz und in Kaditz liegen.
Auch andere Stadtteile ereilte zu Beginn der fünfziger ein ähnliches Schicksal. Erleichtert wurde dies wohl durch die Bildung der Stadtbezirke, die wenig auf historische Gegebenheiten Rücksicht nahmen. So wurde die Leipziger Vorstadt etwa gleichzeitig mit der Antonstadt wahlweise Pieschen oder der "Neustadt" zugeschlagen (alles gehörte nun zum Stadtbezirk Nord), Pirnaische, Wilsdruffer oder Seevorstadt gingen nun in der "Altstadt" bzw. in "Mitte" auf. Auch hier fanden die historischen Namen schnell keine Verwendung mehr - mir sind die Altbezeichnungen zumindest aus meinen Kindheitserinnerungen heraus aus dem alltäglichen Sprachgebrauch völlig unbekannt. Auch die erst 1945 eingemeindete Albertstadt (deren Existenz leugnet mittlerweile niemand mehr) gehörte für mich früher stets zur "Neustadt" und war entsprechend auch aus den Stadtplänen getilgt.
Dass die Bezeichnungen der anderen Vorstädte auch aus der Öffentlichkeit verschwunden waren, wusste ich nicht. Dann scheint mir die Antonstadt auch eher einer allgemeinen, stadtgeographischen und verwalterischen Rationalisierungsmaßnahme zum Opfer gefallen sein, weniger einer gezielten Tilgung. Auf Altstädter Seite kann ich das sogar ein Stück weit nachvollziehen. Immerhin bestanden dort die Vorstädte zu großen Teilen jahrelang aus Brach- und Leerflächen, die derartige Unterscheidungen wohl als unnötige Spitzfindigkeit erscheinen ließen.
Und dass die Antonstadt heute gegen den wirkmächtigen Neustadt-Claim nur schwer ankommt, ist sicher ein Grund für die weitgehend ausgebliebene Rekanonisierung.
Interessante Überlegungen! Ich würde sogar behaupten, dass der Mehrzahl der Dresdner sogar die eigentliche Antonstadt nur als "Neustadt" (d.h. ohne den Vorsatz "Äußere") bekannt ist. Ich vermute, die historische Neustadt wird eher wenigen unter ihrem Namen bekannt sein.
Fast alle genannten Vorstädte wurden nach 1990 schnell wieder offiziell bezeichnet. Eine Wiederbenennung der Antonstadt erfolgte jedoch nie. Ich denke, der Hauptgrund dürfte darin zu sehen sein, dass sich der Begriff "Neustadt" (bzw. "Äußere Neustadt") mittlerweile in der lokalen Folklore so gefestigt hatte, dass man sich hier nicht wirklich herantraute, gefestigt nicht zuletzt durch die sich in den 80er Jahren herauskristallisierende alternative und Hausbesetzerszene und die erste "BRN". Die "Neustadt" ist ja auch heute noch weit mehr als eine reine Stadtteilbezeichnung, steht sie doch als Metapher gleichsam für das alternative, nichtkonservative Dresden in Abgrenzung zu den gemeinhin als "bürgerlich" angesehenen Stadtteilen der Altstädter Elbseite. Man mag sicher darüber streiten, inwiefern dies heute noch vollumfänglich seine Berechtigung hat (wenn es denn jemals verabsolutierend überhaupt so gegeben war). Niemand aber wird ernsthaft bezweifeln, dass sich die Vorstadt nicht nur durch ihre weitgehend intakte Vorkriegsstruktur von allen anderen innerstädtischen Dresdner Stadtteilen grundlegend unterscheidet, sondern auch in puncto Bevölkerungsstruktur, Lebensgefühl oder Wahlergebnissen. Daran haben bislang auch alle Gentrifizierungstendenzen faktisch nur wenig geändert.
Also das mit den Königsvorstädten - grundgütiger Anton - war mir noch gar nicht auf dem Schirm, daher besten Dank für den Hinweis, antonstädter. Ich mag sowas chronologisch groß Verankertes im Stadtplan. Nun, daß es uns namentlich einer Augustusstadt ermangelt, ist doch schleierhaft. Die 3 heiligen Vorstadtkönige sollten wieder vollzählig werden, meine ich - ist wohl auch klar warum es nicht mehr Könige wurden: Georg (Liste sächs. Könige - wiki) war wohl aufgrund kürzester Amtszeit kein zureichendes Standing vergönnt, sodaß es im Zuge des seinerzeit aufziehenden Baubooms gen Süden (welcher erst mit dem dann folgenden Uniareal am Prallhang endete) nicht zu einer Georgstadt gereichte und man anstatt wohl wie sonst oft in der Gründerzeit und ob gigantischer Neumasse (zunächst) nach geografischen Aspekten benannte: die Südvorstadt. Also mir ist zumindest kein König Südvor in Erinnerung.
Nun, für die Gründe der unpäßlichen neustädter Umbenennung sehe ich dringenden Bedarf an einer Archivrecherche (zur Findung der Akten wird geholfen). Vielleicht kann auch vorab mal der dresdner Geschichtsverein am Stadtmuseum konsultiert werden. Hierzu sollten Ursachen und Hintergründe festgestellt werden. Erst damit wäre denkbar, eine ordnungsgemäße fundierte Rückbenennung anzuregen, was ich sehr wünschen würde. Leider sehe ich schon die Krähen losquaken, was man doch für ein "rückwärtsgewandter Monarchist" wäre, und das sei ja ohnehin politically voll daneben und überhaupt ausgeschlossen. Aber egal, es braucht Argumente, vielleicht fruchtets ja. Benennungsthemen sind im Stadtrat derzeit nicht unbekannt - und um was für Zeugs da mitunter geht... .
Ich habe natürlich überhaupt nichts gegen eine Umbenennung des entsprechenden Stranges, wie man sich denken kann. ;)
Gleiches gilt für eine offiziöse Wiederbenennung "meines" ureigenen Stadtteils. Dennoch befürchte ich auch, dass eine großangelegte Kampagne diesbezüglich vergebliche Liebesmüh wäre, auch wenn die aktuelle, eher nüchtern-technokratische Bezeichnung nun wirklich nicht vom Hocker haut und der "Sand" mit der eigentlichen Neustadt auch nur wenig zu tun hat. Zu groß ist mittlerweile die Verwurzelung der Neubetitulierung, und wohl selbst ein aktuell hier Ansässiger könnte kaum mit der "Antonstadt" wirklich etwas anfangen.
Das muss ja aber kein Hinderungsgrund sein, im forumseigenen Untergrund sich nicht der eigentlichen Bezeichnung dieses schönen Fleckens Drääßden zuzuwenden. Ich halte es hier ja seit eh und je so, auch wenn meine unmaßgebliche Meinung diesbezüglich wohl die Stadtväter und -mütter oder wen auch immer kaum erweichen wird, die unsägliche "Äußere Neustadt" endlich stadtplantechnisch zu entsorgen. "Äußerer Neustädter" klingt als Nutzername nun auch wirklich zu blöd... ;)
Bis dahin gilt für mich nun die "Antonstadt", ganz klar. Da kann auch das Forum seinen kleinen Beitrag leisten und täglich mit dem "rück"benannten Strang "Antonstadt" erinnerungsfreundlich grüßen. :D Jemand dagegen?
ch halte es nicht unbedingt für völlig abwegig, sofern der Nachweis zu Tage käme, daß die Ursachen der "Namensgebung" undurchdacht-chaotischen, politisch-idiotologischen bzw. sonstigen quarkigen Ursprungs waren. Es wäre gleichsam interessant für die Hochzahl an (Hobby)Historikern in Dresden - also antonstädter: ins Archiv mußt du wohl höchstselbst hinabtauchen bzw jemand solches, denn zunächst gilt es, Nachweise aus dunklen feuchten Katakomben hernuff zu holen.
Das ganze eilt auch nicht, bis dahin also mit welcher Strangtitulierung? Etwa so: "Antonstadt (Äuß.Neust.)" - oder doch ganz undergroundig ohne Zusatz? Ich wäre für die strikte Lösung, da dem einzig hochurbanen Viertel auch weiter hohe Aufmerksamkeit zuteil wird, etwas Wirrnis beim unbeholfenen User fördert bestenfalls die Beschäftigung.
Die "Verwurzelung" der fälschlichen Benamung hatten wir doch oben schon als möglicherweise vernachlässigbar herausgestellt, eben da die Meisten wohl lediglich den Terminus "Neustadt" in Geist wie Handhabe reflektieren. Und ob es einer größeren "Kampagne" überhaupt bedarf, hmmm.. warten wir mal die Archivvisite ab.
Was die Augustusstadt angeht, nun, da wissen wir ja alle, daß es ja eigentlich die Neue Königsstadt jenseits des großen Stromes betraf, die nun ebenso im Verwaltungsjargon "Innere Neustadt" genannt wird (in Tourikreisen auch "Barockviertel").