Projekt:Heimatkalendr 2023/Fachliche Tiefe und Reduktion
Autor: Max Grund wissenschaftlicher Mitarbeiter an der CAU zu Kiel und leidenschaftlicher Erforscher der Bienengeschichte
Von Reduktion und Überschwang. Überlegung zur gelungenen fachwissenschaftlichen Kommunikation in Heimatkalendern
Wissenschaftskommunikation ist bei Geldgebern wissenschaftlicher Forschung und vielen universitären Pressestellen mittlerweile in aller Munde. Während Wissenschaftskommunikation heutzutage zumeist digital[1] oder doch in Zusammenarbeit mit etablierten Medien gedacht wird, bleibt ein chancen- und traditionsreiches Medium – vielleicht auch wegen Mangel an Prestige - zumeist etwas außen vor: der Heimatkalender. Durch ihren erschwinglichen Preis und die oftmals für den kleinen Adressatenkreis[2] relativ große Auflage, fanden und finden diese Periodika nicht nur in regionale Bibliotheken, sondern auch viele Wohnstuben reichen Eingang. Damit bergen sie für die akademische Forschung ein bisher ungehobenes Potenzial, um aktuelle (die jeweilige Region betreffende) Forschungsergebnisse auch an die dort Lebenden zu vermitteln. Und damit letztlich auch ein Stück weit die Begründung für die öffentliche Finanzierung der eigenen Forschung zu liefern.
Heimatkalender dienen, betrachtet man deren landläufigen Inhalt, nicht zuletzt der Selbstvergewisserung und Bespiegelung der Einwohner*innen einer Region. Dies führt zum einen zu gewissen (unbeabsichtigten) Reduktionen und zum anderen zu manchem Überschwang. Reduktion findet zumeist dann statt, wenn für Einheimische weitgehende Selbstverständlichkeiten erwähnt werden. Dies kann sowohl Personen als auch – und das wesentlich häufiger – Orte, Gebäude oder landschaftliche Gegebenheiten betreffen. Damit geht, wenn auch nicht kausal, einher, dass für die getroffenen Feststellungen oder Rückbezüge zumeist keine Quellenangaben zu finden sind. Für den voraussetzungsgleichen Teil der Leserschaft stellt dies freilich kein (größeres) Problem dar. Für den Rest der Lesenden jedoch schon. Diese Feststellung rührt dabei nicht so sehr von einem betrübten Historiker her, der gewisse Aussagen nicht einzuordnen weiß. Vielmehr stellen sich schon bei jüngeren Leser*innen der gleichen Region erhebliche Schwierigkeiten heraus. Etwa wenn es darum geht ein lediglich nach einem alten Besitzer bezeichnetes Haus einer früheren/heutigen Adresse zuzuordnen. Das gleiche Schicksal teilen manche flurnamentlichen Erwähnungen, welche, wenn noch nicht (wissenschaftlich) dokumentiert, teilweise schon nach dem Versterben der Schreibenden nicht mehr sicher verortet werden können. Die Reduktion von Fußnoten macht es dabei zusätzlich schwer gewisse Hypothesen oder Behauptungen als eigene Überlegungen der Autor*innen oder als aus der Literatur übernommen zu erkennen. Ähnlich gelagerte Erkenntnisprobleme ergeben sich dann häufig auch noch aus den gewählten Aufsatztiteln, welche allzu oft weder das Erkenntnisinteresse noch den Inhalt des Aufsatzes ohne dessen Durchsicht erraten lassen. Dies ist jedoch freilich kein der heimatkundlichen Literatur alleinig inhärentes Problem. Auch in der harten Fachliteratur finden sich allzu oft ähnliche Fälle. Etwa, wenn die Titel fast nur aus Quellenzitaten oder bloßen Allgemeinplätzen bestehen.
Doch finden sich in Heimatkalendern und -Heften bei weitem nicht nur Reduktionen. Oft kommt es auch zum genauen Gegenteil: dem Überschwang. Dieser tritt erfahrungsgemäß vor allem in zwei Fällen ein: bei in der Region emotional stark aufgeladenen Themen, die bisher jedoch einer fachwissenschaftlichen Untersuchung entbehren, und bei (auto)biographischen Beiträgen. Im ersten Fall, der beispielweise Heimat-, Schützen und Schulfeste, Ereignisjubiläen oder Stadtpatrone umfassen kann, kommt es häufig zum immer neuen Nacherzählen der (mythischen) Ersterwähnung der Begebenheit. Besonders beliebt als Vorlage sind hier frühneuzeitliche Drucke oder Geschichtswerke des frühen 19. Jahrhunderts. Im zweiten Fall, der (Auto)Biographie, kommt es häufig zu ausgesprochener Weitschweifigkeit. Gerade beim biographischen Schreiben über die eigene Familie zeigen sich hier die gleichen quellenkritischen Probleme wie bei Egodokumenten und Oral History. Für die (historische) Forschung ist es oft nicht einfach derlei Beiträge gewinnbringend zu verarbeiten. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass dies nicht zwingend die Intention hinter der Veröffentlichung in einem Heimatkalender sein muss. Interessant wären dahingehend auch soziologische Studien wer diesen Schriftraum einnimmt und wem er von Herausgebern zugebilligt wird. Es muss jedoch betont werden, dass die beschriebenen Schwierigkeiten der fachwissenschaftlichen Rezeption von Heimatkalendern und -Heften für jene Druckerzeugnisse selbst keineswegs problematisch sind. Ihr Ziel ist ja eben zumeist gerade nicht die harte Fachwissenschaft, sondern das Ansprechen einer lokalen, heimatinteressierten Leserschaft.
Wollen Fachwissenschaftler*innen nun ihrerseits Heimatkalender und -Hefte für die immer wichtiger werdende Wissenschaftskommunikation nutzen, sollten / müssen sie sich bis zu einem gewissen Grad an deren Stil und Anspruch anpassen. Dabei sollten sie nun ihrerseits auf die in den Fachwissenschaften üblichen Formen von Reduktion und Überschwang achten, die es teilweise adressatenbezogen, wenn nicht umzukehren, so doch zumindest teilweise einzuschränken gilt. Da dieser Beitrag als Überlegung zur gelungenen fachwissenschaftlichen Kommunikation in Heimatkalendern- und Heften konzipiert ist, sollen anschließend übliche fachwissenschaftliche Reduktionen und Überschwang bereits für die heimatinteressierte Leserschaft gewendet dargestellt werden.
Wenn die deutsche geisteswissenschaftliche Forschung international für ein Stilmittel berüchtigt ist, dann ist es der großzügige Gebrauch von Fußnoten. Was sowohl auf ihre schiere Zahl als auch ihren Umfang zu beziehen ist. Für die Darstellung historischer Themen in Heimatkalendern ist dieses fachwissenschaftlich ohne Zweifel oft wichtige Vorgehen jedoch nicht zweckdienlich. Interessierte Lai*innen dürften sich weder für ausschweifende Detaildiskussionen, noch für große Forschungsgeschichten interessieren. Auch dann nicht, wenn sie kleiner gedruckt am Ende des Beitrags folgen. Vielmehr sei dazu geraten, die zusätzliche Kommentierung in Fußnoten auf das Nötigste zu beschränken und im Bezug auf Literatur nur auf die aktuellsten Schriftmeldungen zum Thema oder besonders gut geeignete Einstiegslektüre zu verweisen. Wer wirklich vom Thema begeistert ist, wird sich ab diesen Startmarken seinen weiteren Weg bahnen. "Normale" interessierte Leser*innen muss man damit nicht behelligen.
Ähnliches gilt für die Verwendung von Fachtermini. Mögen diese in der Fachsprache (oft) einen einfacheren Austausch über gewissen Gedanken- und Argumentationsgebäude befördern, sollten sie in der Wissenschaftskommunikation auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Weder werden die Leser*innen Lust haben jedes dritte Wort erst online nachzuschlagen, noch dient es dem Leseverständnis von Lai*innen, wenn in jeder Darstellung oder Argumentation zunächst zehn Zeilen Begriffserklärung eingeschoben werden müssen. Aus dieser Reduktion des eigenen Fachvokabulars mag sich für Fachwissenschaftler*innen manche kleine Ungenauigkeit ergeben. Für die Leser*innen fördert sie die Verständlichkeit jedoch sehr. Damit zusammen hängen auch fachliche Gemeinplätze, die oft entweder still vorausgesetzt oder doch mit wenigen Fachwörtern abgehandelt werden. Nichtfachwissenschaftler*innen haben hier nicht die gleichen Voraussetzungen. An dieser Stelle darf also ruhig zu etwas mehr Überschwang geraten sein. gerade um eigene Beobachtungen und Folgerungen in einen größeren Kontext einzubetten und somit an vorhandenes Vorwissen anzuknüpfen. Ähnliches gilt übrigens auch für den Stil der Texte. In der harten Fachwissenschaft ist man zumeist versucht einen möglichst nüchternen Ton anzuschlagen und eigene Erkenntnisse objektivierend zu versachlichen. In Bezug auf die Kommunikation in Heimatkalendern würde ich jedoch zu etwas mehr Farbe raten. Etwa, wenn man eigene Interpretationen, Funde und Schlüsse auch als solche benennt. In der angelsächsischen Forschung ist der Forscher als im Text auffindbares Individuum bereits wesentlich weiter verbreitet als hierzulande. Gerade in der Wissenschaftskommunikation kann die Formulierung in den ersten Personen Singular oder Plural dazu beitragen, dass Forschungsleistung sichtbar wird. Mit etwas anderem Dreh gilt dies auch für die etwaige Schilderung von Rahmenbedingungen. Damit meine ich nun nicht die positivistisch naiv-verblümte Sprache des Historismus. Sondern eher den Blick nach Links und Rechts. Wenn ich beispielsweise in einem Heimatkalender den Baukörper einer Kirche beschreibe und die Baugeschichte schildere, ist es nicht verkehrt auch auf die Lebenswirklichkeit um die Kirche herum einzugehen. Damit seien etwa die Art der Häuser, die Befestigung der Straße oder die Morphologie der Stadt gemeint. Nur dadurch können Leser*innen sich buchstäblich ein besseres Bild davon machen, was eigentlich gerade kommuniziert werden soll.
Einen letzten fachwissenschaftlich meist reduzierten Punkt, der so nicht in Heimatkalender übernommen werden kann, gilt es noch anzusprechen. Nämlich die Kenntnisnahme der sogenannten grauen Literatur. Nach Durchsicht vieler Heimatkalender ist zu bemerken, dass diese oft eigene, von der Fachwissenschaft losgelöste Rezeptionskreise ausbilden. Was im akademischen Tagesgeschäft der Tagungsband ist, ist bei Heimatkalendern häufig ein anderer Heimatkalender. Dadurch werden jedoch auch Ungenauigkeit oder gar falsche Informationen immer weiter tradiert, teilweise sogar weiter gestreut. Hier ist es nun, meiner Meinung nach, Aufgabe der Wissenschaftler*innen den Kreis zu durchbrechen und Einordnungen und Richtigstellungen in ihre Texte einfließen zu lassen. Übrigens möglichst nicht in der oben geschilderten Fußnotendiskussion, sondern selbstbewusst im eigentlichen Text. Voraussetzung hierfür ist jedoch die besagte Kenntnisnahme der grauen Literatur. Und eben diese dürfte oft der schwierigste Teil des Schreibens für Heimatkalender sein, da deren Inhalte oft nur unzureichend in online Repertorien erschlossen sind. Hier hilft meist nur der Austausch mit den Herausgeber*innen oder das Aufsuchen einer die Kalender besitzenden Bibliothek.
Wie lassen sich nun meine Gedanken zur Wissenschaftskommunikation in Heimatkalendern zusammenfassen? Das mit Abstand Wichtigste dürfte sein, immer die Adressaten vor Augen zu haben. Fachtermini und Fußnoteninhalte sollten reduziert und Brücken gebaut werden. Letzteres meint dabei sowohl die Empfehlung von Einstiegslektüre oder den neusten Werken zum Thema als auch die breitere und vielleicht auch etwas buntere Einordnung der eigenen Erkenntnisse in die Entwicklungen der jeweils betrachteten Zeit. Nicht zuletzt sollte stets wertschätzend formulieren, was in der Wissenschaft manchmal leider auf der Strecke zu bleiben scheint. Denn alle Herausgeber und beinahe alle Autor*innen gehen diesen Tätigkeiten aus ehrlichem Interesse und in ihrer Freizeit nach. Dieses Engagement gilt es zu würdigen, auch wenn man vielleicht ein paar ältere Gedanken richtig stellen muss.
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Die vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Max-Weber-Stiftung zum Beispiel finanziert dafür ihrerseits die deutsche Kooperation am Blogplattformprojekt hypotheses,org. Auf den dort einrichtbaren Unterblog soll dezidiert geisteswissenschaftliche Forschung kommuniziert werden.
- ↑ Über den eigentlichen Adressatenkreis der Heimatkalender lässt sich tatsächlich diskutieren. Letztlich ist er ähnlich selbstreferenziell wie auch in den Wissenschaften. In letzteren schreiben Wissenschaftler*innen vor allem für Wissenschaftler*innen. In ersten schreiben (zumeist ältere) Einheimische oder mit der Region Verbundene für andere (zumeist ältere) Einheimische oder mit der Region Verbundene.