Projekt Diskussion:Aktion wasserdicht/Wohnungslosigkeit/Leipzig
Schon seit vielen Jahren wird in Leipzig saniert und gebaut was das Zeug hält. Häuser vor dem Verfall zu retten und Wohnraum zu schaffen ist natürlich nichts, was wir für falsch halten. Im Gegenteil sind wir immer am sozialen Fortschritt interessiert. Jedoch hat die derzeitige Situation wenig mit unseren Vorstellungen einer „Stadt für alle“ zu tun. Es hat sich schnell gezeigt, dass es sich bei dem Boom in Leipzig nur um einen weiteren Auswuchs des Kapitalismus handelt. Gebaut werden hauptsächlich Luxus-Eigentumswohnungen für 4- bis 5000€ pro Quadratmeter. Das heißt, gebaut und saniert wird für eine Oberklasse, wie es sie in Leipzig bis jetzt nicht gab. In der Folge steigen die Mieten für beliebte Stadteile, wie der Südvorstadt und Reudnitz. So erhöhten sich die Mieten auch in unserem Kiez(Connewitz) in den letzten 7 Jahren im Schnitt um 48 Prozent. Nicht nur wir fragen uns, wer soll das bezahlen? All die, die hier seit Jahrzehnten leben und den Charme dieser Gegend erst geschaffen haben, also Kulturschaffende, Studierende, Rentner*innen, Arbeitslose/Erwerbslose oder einfache Arbeiter*innen werden Stück für Stück verdrängt. Sozialer Wohnungsbau findet wenig, in Connewitz sogar eher gar nicht statt und so wird diese sogenannte „soziale Unterschicht“ an den Stadtrand verdrängt. Wer heute als Arbeitslose*r/Erwerbslose*r in Leipzig eine Wohnung sucht, muss sich fast zwangsläufig in Paunsdorf, Eutritzsch oder Grünau umsehen. Ganz egal ob er*sie Freund*innen oder Verwandte in einem teuren Viertel hat. Besonders in Connewitz stehen wir seit Jahren einer Verdrängungsstrategie der Stadt gegenüber, die anscheinend nicht nur auf Profit, sondern auch auf die Spaltung und Verdrängung der sogenannten „Szene“ in Connewitz aus ist. War es damals doch jene „Szene“, die in den 90er Jahren die Häuser vor dem Verfall und dem Abriss bewahrte und eine Kunst-, Kultur- und Kneipenlandschaft errichtete, die bis heute dazu beiträgt, dass das Viertel eines der attraktivsten der Stadt geworden ist. Und das nicht nur für sogenannte „Alternative“, sondern auch für viele junge Familien. So können die Menschen, die in den 90er Jahren hier im Viertel, auch im Kampf gegen den Staat, einen Schutzraum gegen den alltäglichen Naziterror durchsetzten, heute ihre Miete im hippen Connewitz nicht mehr bezahlen. Bewohner*nnen des Viertels werden heute nur noch als störend empfunden, oft wird nur von „Connewitzer Chaot*innen“ gesprochen und so ein ganzes Viertel aufgrund einer antifaschistischen Haltung oder alternativer Lebensentwürfe unter Generalverdacht gestellt. Doch nicht nur in Connewitz, sondern auch in Plagwitz, Reudnitz und vielen anderen Vierteln Leipzigs sehen wir die Gentrifizierung mit voller Wucht einschlagen. Mieten steigen ungebremst, Menschen werden zwangsgeräumt. Wenn also Baustellen angegriffen werden, neue Häuser mit Farbe beschmiert werden, dann sehen wir darin nicht das Werk von gelangweilten Chaot*innen, sondern ein letztes verzweifeltes Aufbäumen all derjenigen, die sich nicht kampflos aus ihrem Kiez verdrängen lassen wollen. Denn dieser Staat schützt nicht uns Menschen, sondern den Profit. Nicht zuletzt deswegen kommt es immer wieder zu Konflikten in Connewitz, wenn sich die Polizei aufführt als wären sie Besatzungstruppen. Immer wieder machen sie mit Übergriffen gegen die Bewohner*innen des Viertels Schlagzeilen. Die Polizei versucht immer wieder den Widerstand im Viertel klein zu reden oder behauptet, es wäre nur ein geringer Teil von „Chaot*innen“, die Connewitz in Verruf bringen. Anders aber als die LVZ, die unreflektiert Polizeimeldungen übernimmt, sehen wir auf der Straße, wie die Wirklichkeit aussieht. Wir sehen es, wenn an Silvester wahllos auf Menschen eingeprügelt wird, die sich am Kreuz aufhalten. Auf der Straße sehen wir, wenn vermeintliche Sprüher*innen bei der Festnahme misshandelt werden, wir hören, wenn die Bullen aus ihren Fahrzeugen herauspöbeln. Mehr als einmal schon wurden aus Polizeiwagen heraus Schläge angedroht. Nachbar*innen, die einfach nur zum Wochenende am Corner saßen, wurden wiederholt und grundlos bedroht. Die Liste ist endlos und so gut wie jede*r kann von einer negativen Erfahrung mit der Staatsgewalt im Viertel erzählen. Die Polizei Leipzig, in deren Reihen es nachweislich Rechtsextreme und Beamte mit guten Kontakten zu bekannten Neonazis gibt, ist eine Behörde die lügt und im großen Stil geklaute Fahrräder weiterverkauft. Natürlich können wir denen nicht vertrauen! Wir sehen es nicht mehr ein, diese Prozesse nur passiv mitzuerleben, es ist der Zeitpunkt gekommen in die Offensive zu gehen und zusammen für eine Welt zu kämpfen, in der wir alle ohne Angst leben können. Wir wollen solidarische Nachbar*innenschaften, in denen sich trotz aller Gegensätze geholfen wird und Probleme aktiv miteinander geklärt werden, anstatt eine unzumutbare Behörde in unser Viertel oder unser Leben zu lassen. Wir wollen Nachbar*innenschaften in denen jede*r Mensch Platz hat, ganz egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder wie viel Einkommen. Eine Nachbar*innenschaft, in der wir uns mit Respekt begegnen und miteinander reden, anstatt weiter zu vereinsamen und aneinander vorbei zu leben. Schaffen wir solidarische Räume, antifaschistische Räume, feministische Räume, ökologische Räume, kollektive Räume! Wir müssen die Kämpfe nach einem selbstbestimmten Leben verbinden, denn die Zukunft gehört uns, wenn wir sie erkämpfen! Fight for your future! + DEMO – 05.09.2020 – 20 Uhr – Hildebrand-Platz Leipzig + Wir wünschen uns eine kraftvolle, entschlossene Demo und werden uns nicht einschüchtern oder aufhalten lassen. Da Corona immer noch eine reelle Gefahr ist, bitten wir alle Menschen, die sich uns anschließen, Mundschutz zu tragen und zu versuchen den Sicherheitsabstand von 1,50 m einzuhalten. Zusätzlich empfehlen sich noch Handschuhe zur Optimierung der Hygiene.
2020/08/30 BY FFYFLE. DEMO – 05.09.2020 – 20 Uhr – Hildebrand-Platz Leipzig. Kämpfe verbinden – Für eine solidarische Nachbarschaft! fightforyourfuture(leipzig) Blog
--Methodios (Diskussion) 17:16, 13. Sep. 2020 (CEST)
Am Abend des 05.09.2020 veranstalteten wir die Demonstration „Kämpfe verbinden – Für eine solidarische NachbarInnenschaft!“ mit dem Startpunkt Hildebrandpark in Connewitz. In unseren Redebeiträgen thematisierten wir die Verdrängungsprozesse in Connewitz und Leipzig. Wir kritisierten die Neubauprojekte, da sie für viele Menschen hier nicht mehr bezahlbar sind und der Wohnraum immer knapper und teurer wird. In der Folge müssen viele Menschen die hier seit Jahren wohnen das Viertel verlassen. Soziale Netzwerke, über Jahre gewachsene Strukturen und Freundeskreise werden damit zerstört. Wir erklärten uns mit den Hausbesetzungen der letzten Wochen in Leipzig in der Ludwigstraße 71 und der Bornaischen Straße 34 solidarisch und verlasen ein Grußwort der geräumten LuWi-Besetzer*innen. Ein Redebeitrag drückte unsere Solidarität mit der BlackLivesMatter Bewegung in den sogenannten Vereinigten Staaten aus. Wir schließen uns ausdrücklich der FreeThemAll Kampagne an, die die Freilassung aller Gefangenen der George Floyd Rebellion fordert. Unter dem Motto Kämpfe verbinden spielten wir außerdem einen Redebeitrag der von Hausdurchsuchungen Betroffenen AntifaschistInnen in Connewitz ab. Wir verurteilen die Kriminalisierung linker Strukturen zu Zeiten der militaristischen Aufrüstung rechter Zellen und ihrer Verstrickungen in die deutschen Sicherheitsbehörden. Wir können der sächsischen Polizei nicht vertrauen, die unsere Fahrräder verkauft, unsere jungen FreundInnen misshandelt oder unsere NachbarInnen aus ihren Wohnungen räumt. Gegen 20:45 Uhr starteten wir mit einem kraftvollen Demozug vom Hildebrandpark durch die Hildebrandstraße und die Dölitzer Straße. Nach unseren Schätzungen beteiligten sich erfreulicherweise zwischen 600-800 Menschen an unserer Demonstration, was zeigt, dass unsere Anliegen in Leipzig und in Connewitz auf Gehör stoßen. Im Verlauf der Demonstration zündeten TeilnehmerInnen Feuerwerk, dies wurde durch die Polizei untersagt und wir wiesen auch vom Lautsprecherwagen aus darauf hin. Bedauerlicherweise kam es an der Ecke Wolfgang-Heinze Straße/Meusdorfer Straße, dazu, dass ein Stein in eine nach unserem Wissen bewohnte Wohnung geworfen wurde. Wir können es nicht gutheißen wenn unbeteiligte Menschen einer solchen Gefährdung ausgesetzt werden! Wir können die Wut über die Verdrängungsprozesse in unserem Viertel verstehen, doch wir denken nicht, dass die BewohnerInnen dieses Hauses die Hauptverantwortlichen in einem komplexeren Entwicklungsprozess sind. Obwohl wir beruhigend auf die Demonstration einwirken wollten um unsere genehmigte Route zu beenden, löste die Polizei die Demonstration um 21:00 Uhr auf und begann daraufhin Menschen in der Wolfgang-Heinze Straße und den umliegenden Straßen zu attackieren und festzusetzen. Wir forderten die Polizei dazu auf ruhig zu bleiben, damit es keine Verletzten gibt. Wir verständigten uns darauf den Lautsprecherwagen aus dem Bereich zu fahren. Deswegen können wir über den weiteren Verlauf des Abends zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussage treffen. Für uns ist es unverständlich warum die Polizei Menschengruppen attackierte, die sich offensichtlich versuchten den Geschehnissen zu entziehen. Ebenso unverständlich ist für uns die massive Polizeipräsenz im Verlauf des Tages in Connewitz. Gerade nach den Geschehnissen der letzten Tage empfanden wir die Polizeistrategie als offensiv und eskalierend. Das Bedrohungsszenario, welches im Vorfeld wieder einmal aufgebaut wurde kritisieren wir. Es erweckte für uns den Anschein, dass die Polizei offensiv die Eskalation gesucht hatte, da sie heute die Kräfte vorhanden hatten die wohl in den letzten Tagen fehlten um Festnahmen zu machen und ihre Quoten zu erfüllen. Ein Verhalten welches leider für die deutsche Polizei typisch und die Verhältnismäßigkeit sehr zu bezweifeln ist. In den nächsten Tagen folgt noch eine ausführlichere Pressemitteilung. Wir sind über unsere E-Mail Adresse für weitere Fragen erreichbar. Wir wünschen allen Betroffenen von Polizeigewalt und den Gefangenen viel Kraft. Des Weiteren appelieren wir an die Presse den Gesamtkontext zu berücksichtigen, kritisch und objektiv zu bleiben und nicht wie so oft die Pressemitteilung der Polizei nachzudrucken. Bündnis Fight For Your Future, 05.09.2020 (Stand: 22:00 Uhr)
--Methodios (Diskussion) 17:25, 13. Sep. 2020 (CEST)
Der Tenor der Medienberichte war eindeutig: »Linksextremisten wüten in Leipzig« titelte etwa die Deutsche Presse-Agentur. Doch was war im alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz und im Leipziger Osten passiert? Auslöser von Protesten, die bereits den dritten Abend in Folge anhielten, war die Räumung eines besetzten Hauses im Leipziger Osten am vergangenen Mittwoch. Es befindet sich in der Ludwigstraße im Osten der Stadt. In das leerstehende Gebäude war am 21. August eine Gruppe eingezogen, die sich »Leipzig besetzen« nennt (»nd« berichtete). Der Eigentümer war nicht zu Gesprächen über das Nutzungskonzept der Besetzer bereit und erstattete Anzeige. Die Polizei vollstreckte schließlich einen richterlichen Räumungsbeschluss. Wer die Vermummten waren, die am Samstagabend in Connewitz Steine in Scheiben und auf Polizisten warfen, ist derzeit noch nicht klar. Am Samstagabend hatte es zunächst eine angemeldete Demonstration unter dem Motto »Kämpfe verbinden - für eine solidarische Nachbar*innenschaft« mit rund 500 Teilnehmenden gegeben. Redner forderten Freiräume und wandten sich gegen die Verdrängung ärmerer Bewohner durch ungebremste Mietsteigerungen. Weil es schon an den beiden Abenden zuvor Ausschreitungen gegeben hatte, war die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Mehrere Hundertschaften wurden von Thüringer und Kräften der Bundespolizei unterstützt. Nach Angaben von Polizeisprecherin Mandy Heimann kam es schon unmittelbar nach Beginn der Demo »aus der Versammlung heraus von Teilnehmern zu Steinwürfen gegen Polizeibeamte sowie gegen Gebäude und zum Zünden von Pyrotechnik«. Deshalb sei die Versammlung aufgelöst worden. Mehrere Menschen wurden in Gewahrsam genommen, gegen 15 Personen wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet. In der Nacht brannte auch ein Streifenwagen auf einem Gelände der Polizei in Leipzig-Lindenau. Insgesamt beteiligen sich nach Polizeischätzungen rund 500 Menschen an der angemeldeten Demo. Nach Mitternacht hielten sich noch etwa 150 Personen in dem Gebiet auf. Sie besprühten eine Straßenbahn mit Graffiti, bauten Straßenbarrikaden und zündeten Mülltonnen an. Zu ähnlichen Szenen war es bereits am Donnerstag- und Freitagabend gekommen, sowohl in Connewitz, wo am Freitagabend ebenfalls kurzzeitig ein Haus besetzt worden war, als auch im Osten der Stadt. Juliane Nagel, Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag und Leipziger Stadträtin, sagte dem »nd«, sie sei »kein Fan von Gewalt«, zumal diese »das Schmieden von Bündnissen« gegen den Mietenwahnsinn erschwere. Zugleich könne sie verstehen, dass »Leute ausrasten«. In Connewitz würden Neubauwohnungen nicht mehr unter zehn Euro pro Quadratmeter nettokalt vermietet, »und das bei einem Durchschnittseinkommen von 1500 Euro im Stadtteil«. Nagel erinnerte daran, dass Sachsen eines von drei Bundesländern ist, die die Mietpreisbremse noch nicht umgesetzt haben. »Wir als Linke setzen uns seit mindestens zehn Jahren für Mechanismen ein, die Mieten begrenzen. Aber auf Stadt- und Landesebene ist das schwierig.« Kritisch zur Darstellung der Ereignisse in Politik und Medien äußerte sich der Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek. Auf Twitter schrieb er: »Wenn wir gerade über Gewalt sprechen, sollten wir vielleicht auch über strukturelle Gewalt sprechen. Darüber, dass Menschen keinen Platz zum Wohnen haben, darüber, dass Menschen wohnungslos sind und Menschen zwangsgeräumt werden.« Zudem sieht Kasek Arbeitsverweigerung bei der Politik bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze heizte derweil die Stimmung an, indem er die Angriffe auf Beamte in Schutzausrüstung als »Tötungsdelikte« einordnete: »heimtückisch und mit Mitteln, die den Tod der Menschen, die getroffen werden, in Kauf nehmen«. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) kündigte an, sich für schärfere Strafen bei Gewalt gegen Polizisten einzusetzen. Bei tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte liegt das Mindeststrafmaß derzeit bei drei Monaten. Wöller will es auf sechs Monate heraufsetzen. Die entsprechenden Strafrechtsparagrafen 113 bis 115 waren erst 2017 erheblich verschärft worden. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verurteilte die Gewalt von Demonstranten »aufs Schärfste«. Die Debatte um bezahlbaren Wohnraum habe sowohl dadurch als auch durch Hausbesetzungen einen schweren Rückschlag erlitten, erklärte er am Samstag.
Politik. Leipzig. Leipziger Straßenkampf. Bei Protesten gegen Verdrängung Ärmerer und Räumung eines besetzten Hauses kam es zu Ausschreitungen. Von Jana Frielinghaus. ND vom 6. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 21:54, 7. Sep. 2020 (CEST)
In der Ludwigstraße ist wieder Ruhe eingekehrt. Kaum etwas erinnert mehr daran, dass es hier im Leipziger Osten vor ein paar Tagen zu massiven Auseinandersetzungen zwischen linken Aktivisten und der Polizei gekommen war. Auch das ehemals besetzte Haus mit der Nummer 71, dessen Räumung Ausgangspunkt der mehrtägigen Ausschreitungen in der Stadt war, fristet längst wieder ein einsames Dasein. Wo vor ein paar Tagen noch politische Banner hingen, bröckelt nun wieder die braune Fassade. Der Türrahmen ist zugemauert, an den Fenstern im Erdgeschoss wurden Holzbretter angebracht. Hier kommt wohl niemand so schnell wieder hinein. Ein Besuch vor Ort. Montagabend: Die Polizei ist da, zeigt noch immer Präsenz. Männer und Frauen schieben Kinderwagen über die Bürgersteige. Am Fenster raucht ein alter Mann. Passanten ziehen vorbei, vor allem junge Menschen. Einer schimpft auf »diese Idioten«, die Barrikaden angezündet haben. Eine junge Frau mit Fahrradhelm, die mit ihrem kleinen Kind in direkter Nachbarschaft der Nummer 71 wohnt, kritisiert den »massiven Polizeieinsatz« am Tag der Räumung. Eine andere Frau verweist auf das Problem der Gentrifizierung als eigentliche Ursache der Proteste, auf »diese Münchener und Stuttgarter«, die sich »die Häuser hier anschauen und überlegen, was man daraus machen kann«. Die vergangenen Tage haben Leipzig aufgewühlt. Mit der Idee einer Hausbesetzung können sich viele hier durchaus anfreunden, nicht jedoch mit Gewalt. Unser täglicher Newsletter nd-Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion - und das jeden Abend schon um 19.30 Uhr. Hier das kostenlose Abo holen. Rückblick: Nachdem ein anberaumtes Gespräch zwischen den Besetzern und dem Hausbesitzer der Ludwigstraße 71 geplatzt und das Haus daraufhin geräumt worden war, kam es in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag zu Auseinandersetzungen mit der Polizei - zunächst im Umfeld des Hauses. In den folgenden zwei Tagen verlagerte sich das Geschehen dann in den Süden der Stadt, in den linksalternativen Stadtteil Connewitz. Steine flogen, Barrikaden brannten. Auch dort hatten sich Aktivisten Zutritt zu einem Haus verschafft. Seitdem atmet die Stadtgesellschaft etwas durch und diskutiert darüber, wie die Geschehnisse einzuordnen seien. Anruf bei Juliane Nagel, die jüngst mit ihrem offenen Abgeordnetenbüro »LinXXnet« 20. Geburtstag feierte. »Ich bin kein Fan von Gewalt«, stellte Nagel gegenüber »nd« unmissverständlich klar. Dennoch könne sie verstehen, wenn angesichts stark steigender Mieten »Leute ausrasten«. Die Landtagsabgeordnete der Linkspartei begleitete die Proteste der letzten Tage, sie gilt als parlamentarisches Aushängeschild des Stadtteils Connewitz. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) traf sich am Montag mit Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze, um das Geschehen vom Wochenende auszuwerten. Am Dienstagmittag informierten Jung und Schultze dann die Öffentlichkeit in einer eilig einberufenen Pressekonferenz im Neuen Rathauses. Das Interesse war groß, der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Oberbürgermeister und sein Polizeichef saßen vor einem Gemälde des »Schlachtenmalers« Robert von Haug: »Die Erstürmung des Grimmaischen Thores«. Eine Szene aus der berühmten Völkerschlacht bei Leipzig im Jahre 1813. Diese Darstellung eignet sich gewiss keineswegs als Symbol für die aktuellen Vorkommnisse, und dennoch stand die Debatte um Gewalt auch bei dieser Pressekonferenz im Mittelpunkt. Sie sei »kein Mittel der Auseinandersetzungen«, mahnte Burkhard Jung. »Kein Steinwurf« ändere etwas im demokratischen Prozess. Zwar verstehe er »die Angst und Sorgen«, jedoch würden die Demonstranten vom Wochenende andere Ziele verfolgen: »Diese Menschen haben das Ziel, den Staat vorzuführen.« Etwas schärfere Klingen schwang Polizeichef Schultze, der Leipzig ein »Problem mit linksextremistischer Gewalt« attestierte. Zugleich erneuerte Jung sein Versprechen, dem Problem der Mietsteigerungen Priorität zu schenken. »Wir haben keine Wohnungsnot, aber eine deutlich angespannte Entwicklung«, sagte er und versprach 10 000 Sozialwohnungen in den nächsten Jahren. Allerdings prognostizierte er auch: »Es wird Freiräume geben, die in Zukunft keine Freiräume mehr sein werden.« Währenddessen saß Sachsens Innenminister Roland Wöller bei einer Pressekonferenz in Dresden und kündigte an, in Zukunft noch härter durchgreifen zu wollen. Die Gewalt habe eine neue Dimension erreicht, meinte der CDU-Politiker: »Das hat nichts mehr mit legitimem Protest zu tun.« Wöller sprach sich dafür aus, das Mindeststrafmaß bei einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte auf sechs Monate heraufzusetzen. Auch am kommenden Wochenende dürfte der Innenminister wieder ganz genau hinsehen. Denn schon am Samstag könnte es zu neuerlichen Auseinandersetzungen kommen. Dann nämlich will die linksradikale Plattform »Nationalismus ist keine Alternative« im Leipziger Osten anlässlich des ursprünglich geplanten EU-China-Gipfels auf die Straße gehen. Zwar wurde dieser aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt; an ihrer Demonstration, die sich »gegen die Festung Europa und das autoritäre Regime Chinas« richtet, will »NIKA« jedoch festhalten. Laut Leipzigs linkem Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal werden rund 800 Teilnehmer erwartet. Das Kooperationsgespräch mit dem Anmelder sei für Dienstag geplant gewesen. Rosenthal sprach sogleich eine Warnung aus: »Bei unfriedlichem Verlauf ist die Route nicht zu laufen.«
Eine Stadt unter Beobachtung. Nach den Straßenkämpfen in Leipzig diskutiert die Stadtgesellschaft über Gewalt und ihre Ursachen. Von Max Zeising, Leipzig. ND vom 8. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 09:23, 9. Sep. 2020 (CEST)
Rund um das vergangene Wochenende kam es in Leipzig gleich mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Was war der Auslöser? Der Anlass war die Räumung eines seit Jahren leerstehenden Hauses in der Ludwigstraße 71 im Leipziger Osten, das zuvor besetzt worden war. Verhandlungen fanden nicht statt, und letztlich rückte die Polizei an. Daraufhin fanden drei Tage in Folge Proteste statt, die zum Teil nicht angemeldet waren und punktuell in Krawalle ausuferten. Ist es aus Ihrer Sicht nicht legitim, in einer Stadt wie Leipzig, in der es an bezahlbarem Wohnraum mangelt, ein lange leerstehendes Haus zu besetzen? Aus juristischer Sicht ist die Antwort völlig klar: Die Besetzerinnen und Besetzer agierten nicht gesetzeskonform. Da ist die Frage, ob der Wohnraum wie in der Ludwigstraße 71 seit Jahren nicht genutzt wird, irrelevant. Im Stadtteil Connewitz kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen, worüber sich einige der Anwohner beschweren. Wie positioniert sich hier Ihre Partei? Das Recht auf nächtliche Ruhe interessiert uns und auch mich selbstverständlich sehr. Beispielsweise hinterfragen wir aktuell im Stadtrat den seitens der Behörden offenbar beliebten Einsatz des Polizeihubschraubers im nächtlichen Abendhimmel des Leipziger Südens. Bezogen auf die Demonstrationsgeschehen gilt für uns in der Partei eine klare Aussage: Gewalt lehnen wir als Mittel der Politik ab und verurteilen sie entsprechend. Nun ist ja der Mangel an bezahlbarem Wohnraum die Ursache für die politischen Konflikte, die Proteste resultieren daraus. Wie wollen Sie als Linksfraktion im Leipziger Stadtrat das Problem beheben? Diesen Zusammenhang sehe ich auch so, allerdings dominieren bei der konservativen Landesregierung und in Teilen der Medienlandschaft andere Erklärungsansätze. Mit der stabilen progressiven Mehrheit im Leipziger Stadtrat schöpfen wir in der Wohnungspolitik alles aus, was möglich ist: Milieuschutzsatzung, Kappungsgrenzen, Förderung des kommunalen Wohnungsbaus. Nur ist die Reichweite kommunaler Politik begrenzt. Bund und Länder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten großflächig aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Gerade im niedrigen und mittleren Preissegment steuern wir sehenden Auges einer wachsenden Wohnungsnot entgegen. Soziologen sehen für Ortsteile wie Connewitz kaum noch Möglichkeiten, mit den Mitteln der Stadtentwicklung gegen die explodierenden Mieten vorzugehen. Das ist die Ursache für Verdrängungsprozesse und –ängste, die wir als Partei ernst nehmen. Der Markt hat versagt, und die Mieterinnen und Mieter sind die Leidtragenden. Die sächsische Staatsregierung, allen voran Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU, hat die Eskalation rund um die Proteste umgehend genutzt, um ein entschlossenes Vorgehen gegen die Demonstranten zu fordern. Lassen sich gesellschaftliche Konflikte in Sachsen mit dem Polizeiknüppel lösen? Es ist doch interessant, dass immer wieder von konservativen Politikern nach mehr Polizei und Justiz gerufen wird. Wissen Sie was, das finde ich sogar richtig. Wir sagen seit Jahren, dass die sächsische Polizei und Justiz nicht kaputtgespart werden darf. Schön, wenn sich in Dresden jetzt langsam etwas bewegt. Für dieses Wochenende hat die radikale Linke erneut Proteste in Leipzig angekündigt. Diesmal gegen den EU-China-Gipfel, der jedoch aufgrund der Coronapandemie abgesagt worden ist. Gegen was soll dann dort überhaupt protestiert werden? Da müssen Sie die Organisatorinnen und Organisatoren direkt fragen. Die terminliche Nähe zu den besprochenen Ereignissen vom vergangenen Wochenende ist Zufall, aber ist nun einmal gegeben. In diversen Gazetten werden bereits Krawalle herbei geschrieben. Unabhängig von den Demonstrationsereignissen an diesem Wochenende sagen wir als Partei Die Linke: Ja zu friedlichem, kreativem Protest, Nein zu Gewalt.
NACH BESETZUNG IN LEIPZIG. »Gewalt als Mittel der Politik lehnen wir ab« Wohnungsnot in Leipzig: Die Linke hebt nach Protesten den Zeigefinger in alle Richtungen. Ein Gespräch mit Adam Bednarsky. Interview: Lenny Reimann. Junge Welt vom 12. September 2020.
(Adam Bednarsky ist Vorsitzender der Partei Die Linke in Leipzig und Mitglied des örtlichen Stadtrats)
--Methodios (Diskussion) 23:19, 11. Sep. 2020 (CEST)
Auf dem Richard-Wagner-Platz in der Leipziger Innenstadt stellten sich am heutigen Freitag, zum bundesweiten „Tag der Wohnungslosen“ zahlreiche Vereine und Initiativen vor, die Menschen helfen und begleiten, die auf der Straße leben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Zum zweiten Mal organisierte die Arbeitsgemeinschaft „Recht auf Wohnen“ in Kooperation mit Trägern der Wohnungsnothilfe, Streetworker/-innen und weiteren Projekten den Aktions- und Vernetzungstag in Leipzig. Wie viele Menschen derzeit in Leipzig auf der Straße leben bzw. wohnungslos sind, ist wohl schwer zu sagen. Der Grundtenor nahezu aller Vereine, Initiativen und Projekte, die sich heute auf dem Platz am Brühl vorstellten aber ist gleich: In den letzten Jahren stieg die Zahl an. In den letzten Monaten verschärfte sich das Problem zusätzlich, wie Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) in seiner Begrüßungsrede sagte: „Die Corona-Pandemie hat mit großer Wucht gezeigt, wie schnell es passieren kann, dass Menschen in finanzielle Nöte geraten, dass Menschen ihre Wohnung verlieren und dass Menschen, die wohnungslos sind, ganz besonders unserer Hilfe und Unterstützung bedürfen.“ In Zeiten, in denen den Bürger/-innen „social distancing“ und Selbstisolation zu Hause auferlegt werden, entstehen für Menschen, die kein Zuhause und keinen Rückzugsort haben, zusätzliche Schwierigkeiten. Während des strengen Shutdowns wurden die Notunterkunft „Alternative I“, das Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen sowie das Übernachtungshaus für wohnungslose Männer ganztägig geöffnet. Außerdem wurde ein weiteres Übernachtungshaus eingerichtet. Dennoch übersteige der Bedarf an Plätzen stets die Kapazität der Häuser, wie eine Mitarbeiterin des Übernachtungshauses für wohnungslose Frauen erzählt. Auch in der Bahnhofsmission erhalte man immer mehr Zulauf. „In den letzten Jahren haben sich die Zahlen immer weiter gesteigert“, erzählt eine Mitarbeiterin. Daraufhin wurde eine zweite Vollzeitstelle geschaffen, der Bedarf nach mehr Unterstützung sei aber auf jeden Fall da. „Gerade in Corona-Zeiten sind natürlich noch mehr Menschen zu uns gekommen. Gerade auch, weil viele Möglichkeiten zur hygienischen und ärztlichen Versorgung ausgefallen sind.“ Die Gründe dafür, dass die Zahl der Wohnungslosen in den letzten Jahren anstieg, sind vielfältig. Für Becky Wehle, die für den MachtLos e. V. tätig ist, liegt einer davon auch im schnellen Wachstum der Stadt. Dadurch würde der Immobilienmarkt immer mehr umkämpft, neugeschaffener Wohnraum ist aber oft teuer. „Diese Verdichtung und Aufwertung geht oft einher mit Verdrängung. Durch Stadtentwicklungsmaßnahmen muss Leipzig jedoch gewährleisten, dass die Stadtteile sozial durchmischt bleiben.“ Außerdem läge es in der Verantwortung der Stadt, überall ein ausreichendes Netzwerk an Unterstützung vorzuhalten. Defizite sieht Wehle in spezieller Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsende, wie eine Notschlafstelle. „In einer wachsenden Stadt müssen Hilfestrukturen nicht nur erhalten, sondern bedarfsgerecht ausgebaut werden.“ Erst in den letzten Tagen kochte das Thema „Wohnen“ in Leipzig wieder hoch. Durch steigende Mietpreise werden Anwohner/-innen mitunter aus ihren alteingesessenen Stadtteilen verdrängt, weil sie sich die monatlichen Mieten nicht mehr leisten können. Dadurch besteht die Gefahr, dass die soziale Vielfalt in einzelnen Vierteln schwindet. Andere Menschen verlieren ihre Wohnung gänzlich. Doch allein steigende Mieten sind nicht das Problem. Soziale Schwierigkeiten, Probleme in der Familie, Suchterkrankungen – der Weg in die Obdachlosigkeit startet aus den unterschiedlichsten Richtungen. „Menschen brauchen eine Chance auf eine Wohnung, auch wenn sie damit schon einmal gescheitert sind“, fordert Cordula Rosch, die Mitglied der AG Recht auf Wohnen ist. Dafür wolle man mit der Stadt Leipzig ein „Housing First“-Konzept erarbeiten. Das beinhaltet, dass wohnungslose Menschen direkt in eine „eigene“ Wohnung ziehen und dort Unterstützung erhalten. Im Gegensatz dazu sieht das bestehende Modell vor, dass zunächst verschiedene Unterbringungsstufen (Übernachtungshaus, betreutes Wohnen etc.) durchlaufen werden müssen, um sich für eine unabhängige und dauerhafte Wohnung zu „qualifizieren“. Hilfe und Unterstützung können Menschen, die in Not und die Wohnungslosigkeit geraten, an vielen Stellen in Leipzig erhalten. Die Bahnhofsmission, die Freizeittreffs „Oase“ und „INSEL“, der „TiMMi ToHelp e. V.“, die „Alternative I“, Teil des Zentrums für Drogenhilfe, der „akoreso Arbeitskreis Resozialisierung e. V.“, die Leipziger KIPPE, das Projektteam „Vamos“, der Sozialdienst Wohnungsnotfallhilfe, das Sozialamt, der Leipziger Hilfebus, der Caritasverband, das Ökumenische Wohnprojekt „Quelle“, der „MachtLos e. V.“ und die Diakonie stellten heute ihre Arbeit auf dem Richard-Wagner-Platz vor. Informationen zu städtischen Hilfen findet man auch hier: https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-soziales/soziale-hilfen/hilfe-bei-obdachlosigkeit-in-leipzig/#c145636 .
„Niemand muss auf der Straße leben?!“: Tag der Wohnungslosen auf dem Richard-Wagner-Platz Leipziger Internetzeitung vom 11. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 16:53, 13. Sep. 2020 (CEST)
Kurz, wohl aber nicht schmerzlos: Am Freitagabend rückte die Polizei nach Connewitz aus. Am Herderpark hatte sich gegen 21 Uhr ein Demonstrationszug in Bewegung gesetzt. Etwa eine Stunde lang lieferten sich Demonstrant/-innen und Polizist/-innen ein Katz- und Maus-Spiel, für kurze Zeit erhellte immer wieder Pyrotechnik den Stadtteil. Mehrere Fahrzeuge, die Fassade der Polizeiwache in der Wiedebachstraße sowie ein Haltestellenhäuschen wurden beschädigt. Es waren die Nachwehen der Geschehnisse im Leipziger Osten vom Donnerstag und ein Zwischenspiel für den heutigen Samstagabend. Am Donnerstag, 3. September, hatte einen Tag nach der Räumung des (ehemals) besetzten Hauses in der Ludwigstraße eine Demonstration stattgefunden. Während mehrere Böller gezündet wurden, sollen Personen versucht haben, sich erneut Zutritt in die leerstehende LuWi71 zu verschaffen. Es kam zu Unruhen, nachdem die Polizei die Aktion auflösen wollte. Bis in die Nacht dauerte der Einsatz, in dessen Zuge eine brennende Barrikade an der Ludwigstraße errichtet und mehrere Personen festgenommen wurden. Ein Gespräch zwischen den Besetzer/- innen und dem mutmaßlichen Eigentümer Udo H. des Hauses war während der zehntägigen Besetzung nicht zustande gekommen. Dies hatte H. zunächst angekündigt, dann aber doch abgesagt. Dass das Thema mit der „TagXpluseins“-Demonstration nicht vom Tisch sein würde, wurde nun am Freitag den 4. September dann bewiesen. Am Nachmittag besetzten mehrere Personen ein leerstehendes Haus in der Bornaischen Straße. Dieses wurde Stunden später durch die Polizei geräumt. Demo am 4. September 2020 in Leipzig Connewitz Video: L-IZ.de Gegen 21 Uhr dann verkündeten die Beamten den Einsatz in der Wolfgang-Heinze-Straße. Ein Versammlungsleiter für die Demonstration fand sich nicht, 13 Minuten nach Beginn wurde die Aktion als unfriedlich eingestuft. Gemeint damit waren brennende Barrikaden sowie fliegende Böller und Steine. Auch dieses Mal sollen Personen während der Unruhen versucht haben, erneut in das noch Stunden zuvor besetzte Gebäude einzudringen. Die Geschosse und die „massive Bedrängung“ macht laut Polizei auch den „Einsatz der Mehrzweckpistole als Hilfsmittel des unmittelbaren Zwangs erforderlich.“ Auch sollen sie den Beamten nach verantwortlich gewesen sein für einen Auffahrunfall zwischen zwei Einsatzwagen. Acht Polizist/-innen wurden leicht verletzt, sechs Einsatzfahrzeuge beschädigt. „Die Häuser denen, die drin wohnen“? Es geht um Solidarität, es geht um das Recht auf Wohnen, es geht um die Spekulation mit Immobilien. Während der Wohnraum in Leipzig immer knapper wird, befinden sich etliche Häuser im sanierungsbedürftigen Zustand und stehen leer. Der Anreiz, die Verkaufspreise für Immobilien über Jahre hübsch wachsen zu lassen, um dann mit dem Weiterverkauf eines Objekts Profit zu machen, scheint groß. Im Falle der LuWI71 sollen dies bereits 20 Jahre gewesen sein. Eine Zeit, in der der Eigentümer des Hauses immer wieder wechselte, jedoch keine Mieter/-innen das Gebäude bezogen. Die Besetzung dieser Häuser ist verboten, lenkt den Fokus jedoch auf das Problem. Durch die Wohnungsknappheit steigen die Mietkosten, die sich weniger Gutbetuchte einfach nicht mehr leisten können. Sie werden aus ihren Wohnvierteln verdrängt, die soziale Vielfalt in den Quartieren nimmt zunehmend ab. Zwei Polizeieinsatzfahrzeuge fuhren bei einer Bremsung aufeinander auf. Foto: Privat „Wenn also Baustellen angegriffen werden, neue Häuser mit Farbe beschmiert werden, dann sehen wir darin nicht das Werk von gelangweilten Chaot/-innen, sondern ein letztes verzweifeltes Aufbäumen all derjenigen, die sich nicht kampflos aus ihrem Kiez verdrängen lassen wollen. Denn dieser Staat schützt nicht uns Menschen, sondern den Profit“, heißt es in einem Blog-Eintrag von fightforyourfuturele. Auch am heutigen Samstag ist eine Demonstration angemeldet. Unter dem Motto „Kämpfe verbinden – für eine solidarische Nachbarschaft“ startetet die Veranstaltung um 20 Uhr am Hildebrandplatz. Zuvor, ab 17 Uhr beginnt die Party „20 Jahre linxxnet“. Auch die Polizei hat nunmehr die Schlagzahl erhöht. In Kürze soll es ein Pressegespräch mit der Polizeiführung geben. Es könnte eine weitere heiße Nacht in Leipzig werden.
Erneute Besetzung und Polizeieinsatz in Connewitz: Weitere Demo angekündigt + Video Leipziger Internetzeitung vom 5. September 2020.
--Methodios (Diskussion) 17:01, 13. Sep. 2020 (CEST)
In der Leopoldstraße im Leipziger Stadtteil Connewitz steht ein Betonsilo. Die Baufirma hat darauf einen Werbespruch schreiben lassen: »Für Räume zum Leben.« Die sollen Interessenten bald in dem Wohnhaus finden können, das auf dem angrenzenden Grundstück wächst: vier Etagen, Balkone - einer der Neubauten, die im Viertel derzeit an allen Ecken errichtet werden. Leipzig wächst rasant, Wohnungen sind knapp. Häuser wie das in der Leopoldstraße finden im Handumdrehen Mieter, auch wenn diesen ihre »Räume zum Leben« 10, 12 oder gar 14 Euro kalt pro Quadratmeter wert sein müssen. »Räume zum Leben«: Slogans wie diesen empfinden viele im Stadtteil als Provokation. Sie stört, dass durch den Bauboom viele frei zugängliche Räume für öffentliches Leben verloren gehen. Die Fläche an der Ecke Leopold-/Wolfgang-Heinze-Straße, auf der jetzt gebaut wird, war eine Grünanlage; ein »minimalistischer Park«, sagt Robin. Er engagiert sich in der Initiative »Vernetzung Süd« für Stadtteilpolitik. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Der Park, sagt er, sei eher unkoordiniert auf einer Brache gewachsen. Es gab geschwungene Wege unter großen Rotbuchen, eine Tischtennisplatte, Bänke. Nun ist er weg, wie auch andere beliebte Plätze. Schräg über die belebte Wolfgang-Heinze-Straße hatte bis vor kurzem die Kneipe »Black Label« auf einer Brache ihren Freisitz. Alte Bilder zeigen hinter dem Schild »Biergarten« Tische, Stühle und Sonnenschirme inmitten grüner Idylle. Jetzt wachsen auch hier neue, teure Wohnungen. Die Entwicklung, die sich in der Leopoldstraße wie an vielen anderen Ecken Leipzigs beobachten lässt, ist typisch für Boomstädte. Starker Zuzug und damit verbundene hohe Nachfrage nach Wohnungen lassen Bodenpreise steigen und bisher unbeachtete Brachen zu Goldgruben werden. Sie werden mit Wohnhäusern bebaut, in denen das Mietniveau maximal ausgereizt wird. Auch Wohnungen in alten Häusern werden saniert und teuer vermietet. Die Verlierer sind bisherige Mieter mit kleineren Einkommen, die wegziehen müssen, aber auch nichtkommerzielle Projekte oder Initiativen, die geselliges Leben im Viertel fördern. Auch Gemeinschaftsgärten etwa haben es in Leipzig schwerer. Vielerorts vollziehen sich solche Prozesse eher im Stillen, sagt Robin. In Plagwitz etwa, einem einstigen Industriebezirk im Leipziger Westen, wo Fabrikhallen jetzt Lofts oder hippe Büros von Startups sind und das Mietniveau in den Gründerzeithäusern kräftig anzog. Öffentlicher Protest blieb dennoch weitgehend aus. In Connewitz dagegen, wo es eine aktive und gut vernetzte alternative Szene und viele Basisinitiativen gibt, eskaliert der Unmut immer wieder - und schlägt auch in Sachbeschädigung und Gewalt um. Neubauten werden mit Farbbeuteln angegriffen und bei einer Demonstration kürzlich gar mit Pyrotechnik. Der Umstand, dass es sich um ein bewohntes Haus handelte, sowie die Tatsache, dass auch Polizeibeamte angegriffen wurden, sorgte für bundesweite Schlagzeilen - freilich nicht über Gentrifizierung, sondern über »linksextreme« Gewalt. Schon Ende 2019 gab es ähnliche Diskussionen, nachdem Baukräne gebrannt hatten und die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma, die auch in Connewitz baut, in ihrer Wohnung körperlich attackiert worden war. Die jüngste Gewalt und die Folgen sorgen auch bei Leipziger Linken für Ärger. Wer Steine und Bengalos auf bewohnte Häuser und Polizisten werfe und meine, damit Sympathien für politische Forderungen zu erzeugen, »irrt gewaltig«, erklärt die im Stadtteil direkt gewählte Landtagsabgeordnete Jule Nagel gemeinsam mit Fraktionschef Rico Gebhardt. Auf Twitter empörte sich Nagel über vermeintliche Aktivisten, die bei »punktuellen Spektakeln« auftauchten, um ihren »Gewaltfetisch auszuleben« - und den notwendigen wohnungspolitischen Kämpfen im Alltag so einen Bärendienst erwiesen. Nagel verweist auf Hilfe bei konkreten »Entmietungen«, also der Verdrängung von Mietern, auf das Ringen um regulierende Instrumente, auf politische Aktionen. Wenn es um solcherart »Alltagsarbeit« gehe, seien »leider die meisten« von denen, die bei der jüngsten Demonstration randaliert hätten, nicht da. Initiativen aus der Stadtgesellschaft, die versuchen, wohnungspolitische Debatten zu beeinflussen und sich Prozessen wie Gentrifizierung und Verdrängung zu widersetzen, gibt es. Es sind freilich nicht viele, die in dieses sehr trockene Brot beißen und trotz mancher Misserfolge und Rückschläge bei der Stange bleiben. Die »Vernetzung Süd« sei im Februar 2018 entstanden, als an mehreren Stellen in Connewitz der Bau teurer Mietswohnungen begann: »Da wurde sichtbar, dass sich etwas verändert«, sagt Robin. Rund 100 Leute hätten sich nach einem Aufruf im Internet am Leopoldplatz getroffen, um ihren Unmut kundzutun. »Mehr aber geschah nicht«, sagt Robin: »Kein Aufruf, keine Ideen.« Einige Engagierte hätten sich dann in Nagels Abgeordnetenbüro erkundigt, ob es Initiativen gebe, die zu Gentrifizierung und Wohnungspolitik im Viertel arbeiten. Das Ergebnis war ernüchternd: Es gab nichts - zumindest keine Plattform, um Energie statt in Frust in Aktionen und Konzepte zu leiten. Zu den wenigen Initiativen, die es in Leipzig schon damals gab, gehört das Netzwerk »Stadt für alle«. Es setzt jedoch weniger auf öffentlichkeitswirksame Aktionen denn auf fundierte Analysen und fachliche Expertise zum Leipziger Wohnungsmarkt. Das Netzwerk wurde 2011 gegründet - zu einer Zeit, als die Wohnungspolitik in der Stadt noch auf Szenarien aufbaute, die vom Schrumpfen der Einwohnerzahl ausging und den Kampf gegen Leerstand als zentrale Aufgabe ansah. Das Netzwerk warnte für Quartiere wie Connewitz jedoch bereits damals vor kommender Gentrifizierung, sagt dessen Mitbegründerin Nagel: »Wir wurden belächelt.« Wie gründlich sich der Wind gedreht hat, zeigen Zahlen, die dieser Tage von Roman Grabolle zusammengestellt wurden, einem der Protagonisten von »Stadt für alle«, der aus einem beeindruckenden Fundus von Studien und Daten schöpft. Nach seinen Angaben stieg die Angebotsmiete in der Stadt, die 2011 gut eine halbe Million Einwohner hatte und jetzt die Zahl von 600 000 anpeilt, allein seit 2014 um 25 bis 30 Prozent. In Connewitz legte sie seit 2013 um 48 Prozent zu. Die absoluten Werte mögen im Bundesvergleich nicht sehr hoch erscheinen. Im stadtweiten Schnitt werden 6,60 Euro je Quadratmeter fällig. Grabolle verweist aber auf Nettoverdienste von durchschnittlich nur 1438 Euro im Monat. In Ortsteilen wie Neustadt-Neuschönefeld oder Volkmarsdorf, die aktuell im Fokus der Immobilienfirmen sind und wo seit 2013 die Mieten um 37 bzw. 48 Prozent stiegen, berappen Haushalte rund 38 Prozent der Monatseinkünfte für die Miete. Initiativen wie »Stadt für alle« haben mit ihren Analysen die wohnungspolitische Debatte im Stadtrat beeinflusst, in der es jüngst einen Erfolg zu verzeichnen gab: Für mehrere Gebiete wurden »Milieuschutzsatzungen« beschlossen. Die Kommune soll damit ein Werkzeug erhalten, um Luxussanierungen zu unterbinden. Es geht, sagt Nagel, um Regularien für Baumaßnahmen, die Mieten besonders in die Höhe treiben - mit der Folge, dass nur Gutverdiener in derlei Wohnungen ziehen und Häuser wie Stadtteile »immer homogener« würden, wie Robin von »Vernetzung Süd« berichtet. In der Verordnung ist das Ziel formuliert, die »Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten« zu wollen. In Connewitz ist das Papier in Kopie sogar an Lampenmasten zu finden. Wie wirksam die Satzungen sind, bleibt abzuwarten. Kritiker meinen, sie würden den Anstieg der Mieten lediglich verlangsamen. Nagel, die seit 2019 auch in der Landtagsfraktion ihrer Partei für die Wohnungspolitik zuständig ist, weiß, dass es schärfere Instrumente gäbe; eine Mietpreisbremse etwa, die einen Deckel bei Neuvermietungen einzieht. Bevor sie in Leipzig greifen könnte, müsste sie jedoch auf Landesebene beschlossen werden. Sachsen ist aber eines von drei Bundesländern, die das Regularium bisher nicht nutzt. Auch ein Zweckentfremdungsverbot, mit dem die Umwandlung von Miets- in Ferienwohnungen oder Gewerberäume zu unterbinden wäre, scheitert bisher am Land. Auch beim sozialen Wohnungsbau stand das Land lange auf der Bremse. Von 140 Millionen Euro Fördergeld des Bundes zum Bau preiswerter Wohnungen gab Sachsen nur 40 Millionen an die Kommunen weiter. Entsprechend wenig wurde in Leipzig und Dresden, den einzigen sächsischen Kommunen mit angespanntem Mietmarkt, gebaut. Jetzt schreibt der Bund vor, dass die Mittel vollständig für den Zweck einzusetzen sind. Wann aber das von Leipzigs SPD-Rathauschef Burkhard Jung ausgegebene Ziel umgesetzt sein wird, 10 000 Sozialwohnungen zu errichten, bleibt offen. Ohnehin sind diese mit 6,50 Euro je Quadratmeter für die Bezieher von Arbeitslosengeld II noch immer zu teuer, weil die Sätze für Kosten der Unterkunft in Leipzig niedriger sind. Es gibt weitere Themen, die wohnungspolitisch interessierte Leipziger beschäftigen - spekulativer Leerstand etwa. Zuletzt lenkte eine Hausbesetzung in der Ludwigstraße 71 im Leipziger Osten das Augenmerk darauf, dass private Eigentümer ihre Häuser oft jahrelang leer stehen lassen. Nach Berechnungen Grabolles handelt es sich im Kern aber nur um 3000 Wohnungen in 300 bis 500 leerstehenden Mehrfamilienhäusern. Sie seien von Bauträgern gekauft worden, die »fast immer den Verkauf als Eigentumswohnungen und die Sanierung mit gehobener Ausstattung planen«. Kämen sie an den Markt, würden sie zweifelsfrei Mieter finden, sagt Nagel. Aber »das Mengenproblem« in der Stadt löst das ihrer Ansicht nach nicht. Die Besetzung der Ludwigstraße 71 sorgte für viele Schlagzeilen. »Vernetzung Süd« leistet dagegen eher unspektakuläre Arbeit. Man wolle Menschen vernetzen, die wegen Sanierung und Mietsteigerung ihre Wohnung zu verlieren fürchten, sagt Robin. Die Initiative bietet eine offene Anlaufstelle an. Ziel sei es, eine Art »Stammtisch« für Betroffene anzubieten. Für einzelne Häuser wurden alternative Konzepte erarbeitet und mit dem Vermieter sowie mit kommunalen Gremien im Stadtteil diskutiert. Längerfristig wolle man zudem Geschichten von Verdrängung sammeln, um so deren Ausmaß im Stadtteil erfassen zu können. Allerdings ist nach gut zwei Jahren Arbeit in der Initiative klar, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Viele Mieter nähmen die Verdrängung hin oder wehrten sich allenfalls so lange, bis ihr individuelles Problem gelöst ist. Betroffene zu organisieren, erweise sich daher als schwierig - außer bei ein paar wenigen Hausgemeinschaften, die »ohnehin links politisiert sind« und den Kampf gegen Luxussanierung »als politisches Projekt sehen«, sagt Robin. Von den Aktivisten in der »Vernetzung Süd« verlangt ihr Engagement viel kleinteilige Arbeit, die nicht selten im Ringen mit Wohnungseigentümern und Behörden zerrieben wird. Anfangs habe man Treffen ausgerichtet, die auf viel Resonanz gestoßen seien und bei denen viele Betroffene ihre Geschichte erzählten. »Dann dünnte es immer mehr aus«, sagt Robin. Aktuell engagieren sich in der Initiative noch sieben bis acht Menschen. Dabei sei Wohnen doch »für jeden ein großes Thema«, findet Robin - gerade in Leipzig, wo die Räume zum Leben dieser Tage immer knapper und teurer werden.
Der zähe Kampf um Räume zum Leben. Wohnungspolitik ist in Leipzig ein heißes Thema - für das sich allerdings nur wenige Menschen und Initiativen engagieren. Von Hendrik Lasch, Leipzig. ND vom 15. September 2020.