Transkription Probant 3 (weiblich, 23 Jahre, Italienerin)

LS

Du lebst jetzt schon seit einiger Zeit in Deutschland. Wenn du an deine ersten Monate hier zurückdenkst, verbindest du eher negative oder eher positive Gefühle mit dieser Zeit?

P3

Es ist eigentlich ganz anders gelaufen, als ich mir vorgestellt hatte. Es war eigentlich so, dass ich nur drei Monate hätte bleiben sollen. Ich habe eine Zeit lang in einer ökumenischen Gemeinschaft verbracht, und das war für mich persönlich der schnellste Weg, um von zuhause weg zu kommen für eine Zeit lang. So konnte ich mir ein paar Gedanken machen, was ich später machen wollte. Für mich war es am Anfang schon eine tolle Erfahrung, also ich war nicht erschrocken und hab mir keine Gedanken darüber gemacht, was da jetzt mit mir passierte. Ich hatte natürlich schon ein bisschen Angst, weil das meine erste Erfahrung war, ganz allein und weg von zuhause zu sein, aber ich hab mich auch darauf gefreut, selbständig zu sein. Das war eine tolle neue Erfahrung für mich.

LS

Als du in Deutschland angekommen bist, war sicher alles neu und ungewohnt für dich. Haben die Menschen und die Umgebung auf dich fremd und seltsam gewirkt, oder fandest du das Neue interessant und spannend?

P3

Ich würde sagen beides gleichzeitig. Ich weiß, dass die Umstellung in den ersten Tagen schon ein bisschen kompliziert für mich war. Aber das war auch eine interessante Erfahrung für mich, und ich hab einfach die Dinge auf mich zukommen lassen.

LS

Hast du wegen all dieser neuen Personen und Umstände Heimweh bekommen oder hast du dich der Situation angepasst und konntest gut mit ihr umgehen?

P3

Also Heimweh hab ich viel später bekommen, erst nach zwei Jahren. Am Anfang war das alles egal für mich, ich hätte auch sagen können morgen fahr ich nach Hause. Ich konnte so lange bleiben wie ich wollte und hatte in dieser Sache jede Freiheit.

LS

Hast du dich so verhalten wie zuhause auch, oder würdest du sagen, dass du dich mit der neuen Situation verändert hast?

P3

Natürlich habe ich mich verändert. Es sind ja ganz viele Sachen passiert, ich war ja noch nicht mal zwanzig.

LS

Bist du selbst auf irgend eine Art „typisch deutsch“ geworden (z.B. pünktlich)?

P3

Ich glaube, diese Sache ist jetzt gar nicht so bewusst passiert. Ich denke jetzt auch an die letzten Tage, wenn es hier zum Beispiel schön Wetter ist geht man automatisch raus, und bei uns ist das gar nicht üblich. Ich merke, dass ich das mittlerweile auch mache. Das ist jetzt nur eine Kleinigkeit, aber ich glaube, ich habe unbewusst ganz viel übernommen, und das fällt mir dann auf, wenn ich dann zuhause bin, wenn ich mich quasi wieder in der alten Umwelt befinde.

LS

War es für dich also gut und positiv, die deutsche Kultur (die für dich ja völlig neu war) kennenzulernen?

P3

Ja, ich denke schon. Aber ich kann die Begegnung mit der deutschen Kultur nicht so gut von der Erfahrung unterscheiden, die ich gemacht habe. Diese Erfahrung war für mich sehr entscheidend für die Entwicklung zu der Person, die ich jetzt bin. Für mich geht es nicht so sehr um die deutsche Kultur, sondern eher um die Entscheidung, die ich getroffen habe: weg zu gehen und etwas anderes zu sehen. Es hat eher mit mir selbst zu tun, abgesehen von der deutschen Kultur. Dass ich dann deswegen auch eine positive Erfahrung mit der deutschen Kultur gemacht habe, würde ich auf die Einstellung zurückführen, die ich hatte.

LS

Als du die deutsche Kultur kennengelernt hast, warst du da eher kritisch oder hast du das Neue einfach übernommen?

P3

Als ich kann sagen, dass ich auf jeden Fall am Anfang gewisse Vorurteile hatte. Nach einiger Zeit habe ich dann festgestellt, dass manche Sachen nicht stimmen. Mittlerweile würde ich sagen, dass manche Sachen mir wieder auffallen, zum Beispiel wie die Menschen miteinander umgehen, also was das Zwischenmenschliche angeht. Da fällt mir mittlerweile auf, dass es doch manche Unterschiede gibt. Aber ich habe mich auch in letzter Zeit so gut angepasst, dass mir solche Sachen nicht mehr aufgefallen sind. Und jetzt habe ich wieder eine Phase, in der ich ein bisschen Distanz aufbaue und das wieder anders sehe.

LS

Als du nach Deutschland kamst, hat da deine Religion eine große Rolle in deinem Leben gespielt?

P3

Sagen wir so, ich mache grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen Religion und Glauben. Religion ist für mich alles das, was mit der Kirche zu tun hat, Glaube ist für mich etwas anderes, meine persönliche Beziehung zu Gott. Das ist etwas, das mir sehr wichtig ist. Ich betrachte diese Dinge unabhängig voneinander, auch unabhängig von meiner Erziehung. Mir hat die Vorstellung, dass alles, was ich mache, irgendwie von oben unterstützt wird, schon sehr geholfen.

LS

Also hat dir deine eigene spirituelle Einstellung geholfen?

P3

In manchen Momenten schon, wenn ich an diese vier Jahre denke.

LS

Würdest du sagen, dass du ein religiöser Mensch bist, oder eher nicht?

P3

Was meine eigenen Ansichten angeht, bin ich religiös.

LS

Weil du dich als religiös betrachtest: Weißt du, was deine Religion über Toleranz aussagt?

P3

Ein Prinzip, das auch in der christlichen Religion vorkommt, ist der, dass ich die anderen so behandle, wie ich gerne von ihnen behandelt werden würde.

LS

Wie wurde in deiner Kindheit das Thema „Toleranz“ angesprochen / wie hast du als Kind gelernt, tolerant zu sein? Was hast du in deiner Kindheit über Toleranz in der Religion gehört?

P3

Es gab schon Beispiele mit dem Thema Nächstenliebe, durch die das Thema der Toleranz ein bisschen angesprochen wurde.

LS

Könntest du kurz in eigenen Worten zusammenfassen, ob es für dich einen Zusammenhang zwischen deiner religiösen Erziehung und der Toleranz gegenüber einer fremden Kultur gibt?

P3

Ich denke schon, dass meine Erziehung mich beeinflusst hat, aber ich glaube, ich habe diese Art der Toleranz dann durch eigene Erfahrungen gelernt. Nicht, weil mir jemand anderes etwas bestimmtes erzählt hat, sondern weil ich etwas gesehen und dadurch gelernt habe. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man mir manche Dinge gesagt, aber nicht gezeigt hat. Deshalb musste ich viele Dinge erst selbst erfahren und so lernen.