Wikiversity:Fellow-Programm Freies Wissen/Einreichungen/Open Methodology im Rahmen cyber-ethnografischer Untersuchungen

Hintergrund:
In den letzten Jahren hat die Nutzung digitaler Spielen bei jungen Menschen stetig zugenommen, sie sind inzwischen feste Bestandteile der Populärkultur, prägen kulturelle Vorstellungen und sind Bezugspunkte für die Identitätsbildung. Neben dem eigentlichen Spiel gewinnt das Spielumfeld zunehmend an Relevanz, Spielende treffen sich zum kompetitiven Spielen (elektronischer Sport, eSport). Darüber hinaus bieten professionelle Teams und Turniere Einkommen für Spielende an, sodass der wachsende Markt insbesondere auf Jüngere anziehend wirkt, bietet er doch eine Plattform für Träume und Identifikationsmöglichkeiten. Die Idol-Funktion der eSportler*innen ist dabei eng verknüpft mit dem Multiplayer-Online-Spiel und dem sogenannten Streamen (z.B. auf Twitch.TV oder YouTubeGaming), was beides soziale Interaktionen erfordert. Die digital vermittelten Kommunikationssituationen unterscheiden sich substantiell von Face-to-Face-Situationen, wobei nicht nur die Medialität des jeweiligen Onlinespiels relevant wird, sondern vor allem auch die damit verknüpfte Kultur und die Konventionen der entsprechenden Gaming-Community. Im Spannungsfeld zwischen hegemonialer Kommunikationskultur und medienspezifischen Potentialen etablieren sich so Möglichkeitsräume und Ausschließungsprozesse, innerhalb derer Bedeutungskämpfe um geschlechtliche Identitäten stattfinden. Hierbei werden Facetten von Geschlecht gezeigt, die Rückschlüsse auf die Kämpfe um Männlichkeit und Weiblichkeit (nicht nur) in diesem Feld erlauben. Die Ergebnisse der geplanten Forschung sind somit auch auf andere gesellschaftliche Felder übertragbar. Ich promoviere zu der Frage von Identitätsentwicklung innerhalb dieser digitalen Jugendkultur, und analysiere mit einer ethnografischen Methode im digitalen Raum (Cyberethnografie) populärer eSport-Spiele, in welcher Weise vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Zuschreibungen und Selbstverortungen wirksam werden. Die Datenerhebung findet vor allem in Gaming-Streams statt.

Geplantes Fellowship-Projekt: Open Methodology im Rahmen der Promotion
Das Promotionsprojekt arbeitet mit Open Data, mit öffentlich einsehbaren Daten aus dem Internet – und ich möchte diese gerne im Rahmen einer Open Methodology aufarbeiten: Geplant ist es einen Teil der Dissertation in den geförderten Monaten abschließend zu bearbeiten. Im Rahmen des Fellowships wird eine cyberethnografische Forschungsmethode unter ethischen Gesichtspunkten offen entwickelt sowie erste Erhebung durchgeführt und die Erkenntnisse offen publiziert. Es wird somit eine offene Forschungsmethodik entwickelt, die frei nutz- und einsehbar ist. Der qualitative Zugang wird nach einer Sichtung der bisherigen Ansätze sowohl aus der klassischen Ethnografie (teilnehmende Beobachtung) als auch neuerer Ansätze (cyber-, digital-, online-, web-ethnography) völlig neu heraus gebildet, um der Einzigartigkeit von Gaming-Streams gerecht zu werden. Geplant ist es, Spielende und Zuschauende in ihrer Parallelität zu analysieren, um Kontinuitäten und Brüche bei der (Wieder-)Herstellung von Geschlechtsidentitäten zu erfassen. Der Fokus liegt dabei auf professionalisierten kompetitiven Computerspielkulturen, die trotz steigender Popularität männlich dominiert bleiben. Anonymität ist für erfolgreiche Spieler*innen nicht mehr gegeben, da sie insbesondere auf Streaming-Plattformen wie Twitch.tv dazu aufgefordert sind, sich selber zu perfomen und zu vermarkten. Hierfür müssen parallel sowohl die Einzelpersonen betrachtet werden (der Streamer), als auch das digitale Spiel mit seinen Anforderungen und spezifischen Medialitäten, welche unter anderem die Kommunikation bestimmen, als auch die reaktive Fan-Gemeinde, die in Form eines textbasierten Chats auftritt. Es werden also verschiedene Medialitäten miteinander verbunden, was in dieser Form bislang einzigartig in der sozialwissenschaftlichen Forschung ist. Die Frage danach was (offene) Daten sind, folgt dabei der grundlegenden Forschungsfrage danach, wie methodisch beobachtet werden sollte (passiv-verdeckte versus aktive Teilnahme) – und letztlich wie die erhobenen Daten kodiert und forschungsethisch ausgewertet werden können.

Zu erwartende Ergebnisse:
Im Rahmen des Fellowships wird:

  1. Eine cyberethnografische Forschungsmethode, die dem dynamischen Umfeld ebenso angepasst ist wie der forschungsethischen Herausforderung, entwickelt. Diese wird ebenso wie die in dem Kontext gesammelten Überlegungen als Open-Methodology veröffentlicht.
  2. Die Datenerhebungsphase abgeschlossen, auch im Rahmen eines diffus-teleologisch, zirkulären Forschungsprozesses (Entwicklung-Erhebung-Analyse-Entwicklung-Erhebung-Analyse). Wie offen der Umgang mit den gesammelten Daten sein kann, wird sich voraussichtlich erst während des Fellowships klären lassen, da hier forschungsethische Fragen (z.B. die Schutzbedürftigkeit von untersuchten Gruppen) einen klassischen Open-Access-Ansatz erschweren.
  3. Alle Erkenntnisse und die abschließende Auswertung mit Open Access und als Open Science veröffentlicht.