Benutzer:H.-P.Haack/Entwicklung der Psychiatrie/Ideler 1841 Tafel VI.

Lithograpie 22 x 15 cm von Carl Resener 1841

Ideler, K. W.: Biographien Geisteskranker in ihrer psychologischen Entwicklung, Tafel 6.
Diagnose: Religiöser Wahn.


Exzerpt aus Idelers Angaben:

Dem Patienten J. R., 42 Jahre alt, wird eine robuster Konstitution und ein cholerisches Temperament von Ideler attestiert. Aufgewachsen ist er als eines von acht Geschwistern eines Kolonisten aus der Gegend von Ückermünde. Als Kind musste er im Sommer das Vieh auf die Weide treiben und nahm am Schulbesuch nur im Winter teil. Er schloss eine Lehre als Müller ab und wahr nach den Wanderjahren als solcher tätig. 1826 etablierte er in Stettin einen Mehlhandel, verbunden mit dem Verkauf von Viktualien und einer sog. Patentbäckerei. Bald darauf kaufte er eine Bäckerei in Alt-Damm [bei Stettin] für 600 Taler auf Kredit. 1827 Heirat heiratete er. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Die Familie lebte stets in bedrängten Vermögensumständen.

1831 kam es zu Pfändungen wegen Steuerschulden. Der Patient verwickelte den Gerichtsvollzieher in ein Handgemenge und wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Auf dem Weg zum Gefängnis kam es zu einer Balgerei mit den bewachenden Soldaten. Im Gefängnis hörte er Stimmen, die durch das Schlüsselloch drangen und ihn des Wahnsinns bezichtigten. Ich befiel eine ständige Vision. „welche ihm die Gestalt eines weißen Schwans vorgaukelte, über dem vier leuchtende Körper erglänzen, die er bald als Kronen, bald als Sterne bezeichnete.“ „Aus diesen Sinnestäuschungen“ entwickelte er den Wahn, er sei ein gottgesandter Prophet sei, ebenso ein zweiter Sohn Gottes und ein Nachfolger Christi.

„Im gewöhnlichen Umgang ist er freundlich, artig, dienstwillig, ja bescheiden; nur wenn sein Wahn angeregt wird, nimmt er eine stolze Haltung an, und seine Physiognomie drückt eine Geringschätzung derer aus, welche seine Heiligkeit nicht anerkennen wollen, wobei er denn zu äußern pflegt, daß den Weltkindern die göttlichen Offenbarungen verborgen seien.

Dieser Zustand religiöser Schwärmerei hat seit einer langen Reihe von Jahren nicht die geringste Veränderung erfahren, und mußte von vornherein alle Hoffnung auf Heilung ausschließen, je mehr der bezeichnete Wahn in jedem Augenblicke seine Bestätigung in den oben geschilderten Visionen findet, welche recht eigentlich die Verblendung des von Leidenschaften irre geleiteten Verstandes sind." (S. 128)

Ob der Patient in die Irrenabteilung der Charité aufgenommen wurde, ist nicht vermerktIdelers Kommentar:

„Dem Wahnsinnigen bleibt daher nichts weiter übrig, als in der Vorstellung seines erträumten Glücks zu schwelgen, und wenn auch zuweilen der Widerspruch desselben mit der Wirklichkeit ihn schmerzlich berührt, so ist er doch von der Ueberzeugung, daß seine Erwartungen in Erfüllung gehen werden, so innig durchdrungen, daß er es für unnöhtig hält, gegen die sich ihm darbietenden Schwierigkeiten anzukämpfen.“ (S. 125) Dieses schizophrene Nebeneinander von subjektiver Wahnwirklichkeit und objektiver Wirklichkeit wird Eugen Bleuler 1911 doppelte Buchführung nennen. Die Kranken lernen, mit ihrem Wahn umzugehen.

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