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Lernen durch Lehren (LdL): Partizipation im Unterricht - von Joachim Grzega, Johannes Guttenberger und Manuel Grupe

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Einleitung

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Verschiedene Beiträge zur Informations- und Wissensgesellschaft legen nahe, dass erfolgreiche Gemeinschaften solche sind, deren Mitglieder unter anderem folgende Kompetenzen aufweisen (vgl. z.B. den Überblick in Grzega/Waldherr 2007 und Grzega/Schöner 2008):

  • Sachkompetenzen: über ein breit gefächertes, vernetztes Wissen (“kognitive Landkarten”) verfügen, das jemandem ermöglicht, sich rasch in ein temporäres Spezialwissen einzuarbeiten
  • Unschärfekompetenz: Unbestimmtheiten bzw. Unschärfe aushalten können
  • Attraktionskompetenz: Aufmerksamkeit erregen können
  • Fragekompetenz: Fragen stellen können
  • Vernetzungskompetenz I: Menschen vernetzen können
  • Vernetzungskompetenz II: Informationen in verschiedenen (auch verschieden sprachlichen) Quellen finden, bewerten und vernetzen sowie in Wissen umwandeln können; Kreativität bei einer Problemlösungsfindung zeigen
  • Kommunikationskompetenz I: empathisch in einer Atmosphäre von Verständnis, Vertrauen, Kooperation und Effizienz kommunizieren können
  • Kommunikationskompetenz II: Expertenwissen in einer für einen Adressaten verständlichen Sprache darstellen können (= “vertikale Kommunikation”1)
  • Kommunikationskompetenz III: in verschiedenen Sprachen kommunizieren können, zur Verständigung zwischen Nationen und Kulturkreisen (= “horizontale Kommunikation”)

Ein didaktisches Modell, das das Training dieser Kompetenzen ermöglichen will, ist Lernen durch Lehren (LdL). LdL ist ein von Jean-Pol Martin (vgl. vor allem Martin 1985 und Martin 1994) entwickeltes Unterrichtsmodell, im Rahmen dessen Schüler als Teilzeit-Experten Teile des Unterrichts selbst – mit Hilfe der Lehrkraft – vorbereiten und durchführen. Die Schüler treten somit zeitweise in die Rolle des Lehrenden, sollen den neuen Stoff aber nicht in Referatsform vortragen, sondern die übrigen Schüler wieder möglichst viel aktivieren und diese den Stoff im wahrsten Sinne des Wortes “begreifen” lassen. Das Modell geht davon aus, dass Begreifen am besten gelingt, wenn man selbst “be-greifen” muss. Dabei erwerben die Schüler, die eine Unterrichtssequenz leiten, auch Schlüsselkompetenzen wie Moderationsfähigkeit, Teamfähigkeit usw. Inhalte werden somit erst a posteriori in eine Linearität gebracht, d.h. erst am Ende der Unterrichtseinheit in eine endgültige Struktur gebracht. Die Aufgaben der Lehrkraft sind die Stoffvorbereitung (die Lerner müssen wissen, was die Ziele bzw. Zielkompetenzen einer Unterrichtseinheit sind) und die Begleitung vor der Unterrichtseinheit (durch didaktische Tipps) und das Stützen während der Unterrichtseinheit und die Anregung zu größtmöglicher Aktivierung der Lernenden. Dies bedarf einer partnerschaftlichen, sehr kommunikationsreichen (dialogischen, besser "polylogischen") Beziehung zwischen Dozent, den Teilzeit-Experten und der übrigen Lernergruppe - am Besten sind Tische und Stühle dazu in Hufeisenform aufgestellt. LdL darf nicht mit Referaten oder Frage-Antwort-Spielen verwechselt werden; es geht um größtmögliche Aktivierung aller Lerner. Die Methode erfüllt alle Anforderungen an einen effektiven Unterricht: sie gibt Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und zum Erleben von Glücksmomenten, sie fördert die Mitbestimmung von Lernern bei der Stoffauswahl (Lernerautonomie!), sie fördert das Vermitteln von Stoff in lernernaher Sprache und das aktive "Begreifen" von Stoff und sie fördert das Lernen in Gemeinschaft.

Es liegen also folgende Prinzipien zu Grunde:

  • Lerner-Gruppe: (inter)aktives “Begreifen” durch möglichst alle
  • Lerner-als-Lehrer: “plastische” und “auffallende” Stoffvermittlung bei möglichst vielen Aktivierungsaufgaben
  • Lehrende: Lehr- und Lernberater, Kommunikationsmanager, Ergebnisgarant
  • Inhalte: 1. festes Kernwissen + 2. autonome Stoffauswahl + 3. Schlüsselkompetenzen (Selbst-, Sozial- u. Methoden-) incl. Frage-, Vernetzungs-, Wissenstransfer- und Weltverbesserungskompetenz; Linearität a posteriori (Struktur im Nachhinein)

LdL als didaktisches Modell impliziert eine neue Haltung:

  • Lernende und Lehrende als Lernpartner bzw. Lehrer als Lernhelfer begreifen
  • Lerner als Informations- und Wissensquelle sehen
  • Lebensnähe und Zukunftsnähe (auf die Gegenwart und Zukunft vorbereiten wollen!)
  • Weltverbesserung
  • Wissen schaffen im “Polylog” (kollektive Konstruktion von Wissen durch empathische Kommunikation)

LdL ist seit den 1980er Jahren zu einem didaktischen Gesamtmodell entwickelt worden. Mittlerweile gehört LdL in vielen Teilen Deutschlands und darüber hinaus zum Ausbildungskanon für Lehramtsanwärter verschiedenster Fächer. Es hat Eingang in wichtige didaktische Handbücher gefunden. Mit der Neugestaltung der europäischen Hochschullandschaft sind an einigen Universitäten sogar eigene Lehrveranstaltungen mit dem Titel “Lernen durch Lehren” geschaffen worden. Bei der Weiterentwicklung hat sich Martin an den notwendigen Qualifikationen für die Lebens- und Arbeitswelt einer Wissensgesellschaft orientiert. Davon zeugen auch Titel seiner Veröffentlichungen: “Schulklasse als Betrieb” (1999), “Komplexität reduzieren” (2005), “kollektive Lernprozesse (2002b)”, “gemeinsam Wissen konstruieren” (2006, 2007), “Europakompetenz” (2005) und “Weltverbesserungskompetenz” (2002a).

Beispiel 1: Leistungskurs Französisch (Johannes Guttenberger, Manuel Grupe)

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Im Folgenden werden einige Grundelemente des Unterrichts im Leistungskurs Französisch 2006-08 am Willibald-Gymnasium Eichstätt von Jean-Pol Martin dargestellt.
Getreu der eindringlichen Formel von Herrn Martin "Il faut travailler!" erwerben wir wichtige Grundkenntnisse in der Vorbereitung auf Tests, Stegreifaufgaben, Schulaufgaben und unsere eigenen Unterrichtspräsentationen, sowie kontinuierlich durch Hausaufgaben wie den allwöchentlichen Aufsatz. Anlässlich der US-Präsidentschaftswahlen ist die Aufgabe, nach der Lektüre eines entsprechenden, aktuellen Textes aus dem Express ein Portrait des republikanischen Kandidaten McCain in Form eines ca. 2-seitigen Aufsatzes in französischer Sprache anzufertigen. Auch hierfür nutzen wir – genauso wie für die jederzeit mögliche Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern, sowie zwischen Schülern untereinander per E-Mail oder Forum – selbstverständlich das Internet. Entgegen einem Kopieren (!) von Texten aus der Wikipedia ist es durchaus erwünscht, Informationen zu beschaffen, selektieren und angemessen darzustellen. Manchmal wird dies sogar von uns gefordert, wenn es ohne weitere Informationen heißt: “Informez-vous sur la Libération”. Aufgabe des Lehrers ist hier – analog zum Unterricht – vor allem, ein Angebot von (besonders in den Augen der Schüler) sinnvollen und relevanten Themen und Inhalten vorzugeben. Dabei beachtet er die Interessen und Wünsche der Schüler.


Alle Themenkomplexe des Leistungskurses Französisch 2008 finden sich in der Unterrichtsdokumentation unter „de.wikiversity.org“ , Suche nach „Cours“


Der Unterricht im Kurs findet üblicherweise in Form von Präsentationen statt. Teams von je ein bis drei Schülern (Achtung: bei mehr Schülern sinkt die Produktivität!) bereiten eine Unterrichtssequenz vor, wobei Umfang und Vorbereitungszeit je nach Brisanz, Reihenfolge und angemessener Intensität der einzelnen Themen schwanken. Eine Präsentation wird sowohl zu Hause, als auch im Unterricht geplant, wo die einzelnen Teams vom Lehrer bei Bedarf mit methodischen und inhaltlichen Tipps, sowie mit Materialien versorgt werden: Während der Vorbereitung auf Präsentationen über Kunstepochen teilt uns Herr Martin beispielsweise Folien mit passenden Gemälden aus, stellt den Gruppen spezielle Kunstbücher zur Verfügung und arrangiert Stifte und Plakate. Wir wählen (u.a. daraus) passende Elemente aus und entwickeln ein inhaltliches und methodisches Konzept: Unsere Mitschüler sollen in einer 6-minütigen Partnerarbeit die wichtigsten Merkmale und Maler von der Rennaissance bis zu Picasso nochmals aufbereiten und anschließend knapp darlegen, um daran anknüpfen zu können ...


Beispiele für die methodische Vielfalt an Elementen im Unterrichtsgeschehen: Tafelbilder, Plakate, Folien, Fragekärtchen, szenische Darbietungen, Sitzordnung „Bühne“, im Kreis oder Stuhlkreis, Reden als fiktiver Repräsentant, Instruktionen des Lehrers, Erörterungen im Plenum, Gruppen- und Partnerarbeiten, Präsentationen, Projektvorhaben, Erstellen von Bilder, Traumdeutungen, etc.


Ähnlich wie eine Präsentation ereignet sich auch die Verbesserung der Hausaufgaben über McCain: Der Lehrer wählt einen oder zwei Schüler aus, wohl aufgrund der Kompetenz und sozialen Anerkennung meist solche mit besonders guten Texten oder Ideen. Diese nimmt er zu Beginn der Stunde kurz beiseite und erklärt ihnen in etwa, was ihre Aufgabe sein wird: Sie als Spezialisten sollen spontan den Text über McCain nochmals gemeinsam mit der Klasse lesen und daraufhin unter Zuhilfenahme eines Arbeitsblattes mit Musterlösung wichtige Fehlerquellen verbessern. Während dieser kurzen routinemäßigen Absprache treffen die übrigen Schüler im Klassenzimmer ein und stellen ihre Tische der besseren Kommunikation wegen in Kreisform um.
Die Leiter der Stunde wissen, was „lesen“ heißt: Nicht vorlesen lassen und dann als ‚gekonnt’ zu den Akten legen, sondern den Gehalt des Textes erfassen und aufnehmen. Generell liegt es im Ermessen des Präsentationsteams, wie wir die unserer Meinung nach zentralen Gesichtspunkte herausarbeiten wollen. Freiraum ausdrücklich gestattet, jedoch Kreativität und Abwechslungsreichtum gefragt! Während der Verbesserung der McCain-Hausaufgabe wird der Text abschnittsweise gelesen bzw. vorlesen lassen, teils laut, teils leise, gemeinsam oder in Partnerarbeit (Abwechslung und Aktivierung!), nach jedem Abschnitt fasst ein Schüler die wichtigsten Gedanken zusammen und es werden Nach- und Kontrollfragen zum Abprüfen und Beseitigen von Unklarheiten gestellt – alles auf Französisch, versteht sich. Der Lehrer erfüllt währenddessen mehrere wichtige Funktionen: Falls nötig, fordert er diverse, aktivierende Elemente (vgl. oben), um Dynamik und Interesse in der Klasse bestmöglich zu erhalten und immer wieder diskursiv Informationen auszutauschen und zu bewerten. So werden alle beteiligt und die Ressourcen aller genutzt. Um die Informationen gut zu verinnerlichen, setzt er Akzente: Er weist (das Präsentationsteam) ggf. auf essenzielle Punkte hin und stellt (ihm) Materialien bereit, er insistiert ab und an und hakt prüfend um des gegenseitigen Verständnisses willen nach. So sorgt er dafür, dass der rote (Sinn-) Faden erhalten bleibt und sich wichtige redundante Schemata herauskristallisieren und einprägen, die zum Rüstzeug beispielsweise im Umgang mit unterschiedlichen Menschen oder Weltbildern werden.


Anmerkung: Gerade wenn von uns Schülern nicht ausreichend Impulse kommen, ist die Versuchung groß, den Unterricht zunehmend lehrerzentriert zu gestalten. Oft ist hier vermutlich ein wenig Hartnäckigkeit und viel Begeisterungsfähigkeit des Lehrers gefragt!


Durch zahlreiche Präsentationen entwickeln auch wir langsam ein gewisses Gespür, sog. „Netzsensibilität“, im Umgang mit neuronalen Netzen wie der Schulklasse: Als die Thematik um McCain am folgenden Schultag fortgeführt wird, befinden wir uns bereits in der 8. Unterrichtsstunde. Für das Präsentationsteam stellt sich in erster Linie die Frage: Wie können wir Interesse und Aufmerksamkeit unserer Mitschüler gewinnen? Ein "Spezialist" stellt einen vielleicht bizarren, aber genau deshalb Aufmerksamkeit erregenden Vergleich zwischen Meursault, der Hauptfigur in Camus' Roman „L’étranger“, und dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten an. Er bitte darum, sich kurz während einer Minute Bedenkzeit mit seinem Banknachbar über die Gemeinsamkeit (Krise beider durch Freiheitsentzug) klar zu werden. Dann ruft er jemanden auf, der die Erkenntnisse seiner Gruppe kurz vorträgt. Fast nebenher gelingt es ihm so, die Atmosphäre aufzulockern, seine Mitschüler zu aktivieren und einen Zustand des "Wachseins" herzustellen, sowie an Vorwissen anzuknüpfen. Hierbei trifft der Lehrer bestmöglich Vorsorge für absolute Ruhe und Konzentration auf Gesprächspartner und Inhalte – in erster Linie durch so scheinbar banale Dinge wie die erwähnte Themenselektion und Abwechslung, zur Not durch Ermahnungen und Versetzungen. Noten werden auf Mitarbeit während des Unterrichts nicht vergeben. Vielmehr schafft der Lehrer Konditionen, die allen Schülern eine gute Bedürfnisbefriedigung (vgl. Maslowsche Bedürnfispyramide) erlauben, wenn sie gut arbeiten. Das führt z.B. dazu, dass unser Unterricht geprägt ist von fast überschwänglichen positiven Beteuerungen auf fast alle guten Aktionen unsererseits: Beinahe nach jeder Stunde sucht Herr Martin den Kontakt zu den "Spezialisten", um mit ihnen kurz ein paar Gedanken über ihre Präsentation auszutauschen – womit sie zufrieden sind, womit unzufrieden etc – und um sie meist zu loben und bekräftigen: "Mais c'était bien! Vraiment bien!"

Teil 2: Beispiel aus dem Wahlkurs International Business English 10.-13. Klasse (Joachim Grzega)

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Bei Einführungsveranstaltungen zu LdL wird immer wieder die Befürchtung geäußert, dass bei dieser Methode die Schüler-Experten zwar viel lernten, der Rest der Gruppe aber besser bedient wäre, wenn der Stoff “professioneller”, von der Lehrkraft, vermittelt würde. Die Ziele von LdL gehen weit über das hinaus, was mit schulischen Prüfungen ermittelt wird; und die Ziele werden bei richtiger Anwendung auch erreicht (cf. Grzega/Schöner 2008). Wenn jedoch der Erfolg bei schulischen Prüfungen im Mittelpunkt stehen soll, dann ist dies auch mit solchen herauszufinden.

Nun habe ich von Oktober 2007 bis Februar 2008 am Willibald-Gymnasium Eichstätt zwei Wahlkursgruppen International Business English durchgeführt. Unter anderem wurden in zwei aufeinander folgenden Doppelstunden die Themen "Small Talk" und "Big Talk/Hauptgesprächsthema" in verschiedenen Ländern wie USA, China, Russland behandelt, und zwar in den beiden Gruppen auf unterschiedliche aktivierende Weisen. Gruppe A bekam das Thema "Small Talk" mit aktivierenden Mitteln, aber lehrerzentriert vermittelt, das Thema "Big Talk" dagegen lernerzentriert, nach LdL. In Gruppe B war die Verteilung genau umgekehrt. Es wurden pro Gruppe zwei Expertenpaare auserwählt, die für je einen Teil der Stunde verantwortlich sein sollten. Beim Thema "Small Talk" wurden die Experten erst in der Stunde ausgewählt und mit Musterlösungen zu den von mir vorbereiteten Aufgaben versehen; für die "Big Talk"-Stunde wurden die Experten bereits eine Woche vorher mit Materialien versehen.

In der Sitzung, die diesen beiden folgte, wurde dann unangekündigt ein Test geschrieben. Der Test bestand für den Small-Talk-Teil aus dem den Schülern bekannten Aufgabentyp, Behauptungen zu bestätigen oder zu korrigieren (“Statements: True or False?”). Der Bereich “Big Talk” wurde durch einen unbekannten Aufgabentyp abgeprüft, nämlich durch die Ergänzung von englischen Dialogen zu unterschiedlichen Geschäftssituationen. Im ersten Teil konnten 7 Punkte, im zweiten Teil 17 Punkte, insgesamt also 24 Punkte erzielt werden.

Zunächst galt die Aufmerksamkeit den Schüler-Experten, bei denen man erwarten könnte, dass sie Punktsummen im oberen Drittel erzielen. Bei den Schüler-Experten scherte ein Schüler aus, der ursprünglich wegen der bevorstehenden Klassenarbeit gar nicht erscheinen wollte und nur auf meine Bitte hin, ohne von einem Test zu ahnen, vorbeigekommen war (im Gegensatz zu einer anderen Schüler-Expertin, die leider nicht zu dieser Stunde erschien). Alle anderen anwesenden Schüler-Experten erzielten mindestens 70 Prozent in ihren Expertenbereichen.

Viel wichtiger aber war festzustellen, dass, obwohl es sich um ein Wahlfach am Nachmittag handelte und der Test nicht angekündigt war, alle Schüler mindestens 8 Punkte, also erfreuliche 33,3 Prozent, erzielt haben. Dies mag man auf den grundsätzlich handlungsorientierten Unterricht zurückführen. In jedem Falle zeigt sich damit auch, dass LdL den Erfolg der Nichtexperten keineswegs beeinträchtigt. Es traten bei den Gruppenergebnissen keine signifikanten Leistung-Methode-Korrelationen zu Tage. Gruppe A hatte im Small-Talk-Teil durchschnittlich 5,89 P., im Big-Talk-Teil 8,78 P., insgesamt 14,67 P.; Gruppe B erzielte 4,79 P. bzw. 8,36 P., also insgesamt 13,14 P. Wie bereits erwähnt, ist aber die Beherrschung des Stoffes nur eine Fähigkeit, die mit LdL trainiert werden soll.

Teil 3: Beispiel aus dem Wahlkurs Basic Global English 2. Klasse (Joachim Grzega)

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LdL lässt sich schon bei Grundschülern anwenden. Hier ein Beispiel mit Basic Global English (BGE). Das Konzept BGE vermittelt die wichtigsten Kenntnisse für Gespräche mit anderen Nichtmuttersprachlern (http://www.basicglobalenglish.com). Von April bis Juli 2007 fand in der Grundschule Am Graben in Eichstätt ein Wahlkurs BGE mit knapp 30 Schülern der 2. Klassen statt (vgl. den Bericht in Grzega/Schöner 2007, mit Videoaufnahmen). Die "Lehrerrolle" ("mini-teacher") wurde zum einen durch eine sogenannte "teacher-role rotation" durchgeführt: ein Schüler darf eine oder mehrere "Lehrerfragen" stellen, dann kommt der nächste dran (z.B. Rechenaufgaben oder Kurzinterviews zu persönlichen Angaben). Zum anderen durften Schülerpaare gar eine 10- bis 20-minütige Sektion übernehmen (z.B. Wiederholung oder Vokabeleinführung). Dafür hatten sie in der Stunde vorher eine Anweisung zur Durchführung erhalten (wobei Möglichkeiten zur freien Gestaltung eingebaut waren). Im BGE-Unterricht wurde so bewusst neben der Verbesserung der Sprachkompetenz auf das Einüben von Sozialkompetenz (z.B. einander und aufeinander achten, zuhören, sich höflich ausdrücken, Hilfestellung geben, Empathie entwickeln) und Methodenkompetenz (z.B. mit anderen Worten oder mit Gesten erklären, laut sprechen, mehrere Schüler in die Lösungsfindung einbeziehen) geachtet. Bei der ersten LdL-Sequenz muss der Lehrer als Regisseur noch öfter eingreifen, doch die Schüler begreifen die Vorgehensweise auf ihrer Bühne relativ schnell. Sie sollen etwas vormachen, erklären, jemanden höflich aufrufen, die anderen bei der Erstellung oder Bewertung einer Lösung mit einbeziehen. Für das Gelingen ist es wichtig, den Schülern ausreichend Zeit zur Formulierung von Äußerung zu geben, so genannte "Fehler" zuzulassen (bei BGE werden alle Formen akzeptiert, die in der internationalen Kommunikation nachweislich als erfolgreich einzustufen sind) und ggf. um Erklärungen für Lösungen zu bitten.

LdL-Tipps

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Wie steige ich in LdL ein?

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  • zu Halbjahresbeginn: Stoff portionieren (Fordern!) und didaktisch-methodische Ideen notieren (Fördern!)
  • für eine erste LdL-Stunde: Sitzordnung in Hufeisen-Form sowie Aufgabe für Partnerarbeit (Bearbeitung: x Min.) →
(1) 2 Lernende als Leitungsteam für die Besprechungsphase herausgreifen und während der Bearbeitungsphase (x Min.) didaktisch und inhaltlich instruieren (Lösungsblatt + Didaktikblatt!)
(2) Besprechungsphase (1½ -2x Min. in sprachlichen und gesellschaftlichen Fächern, ⅓x Min. in mathematisch-technischen Fächern): Lehrer als Supervisor (Wird auf Fragen eingegangen? Werden Fragen richtig beantwortet? Werden Antworten begründet? Herrscht Disziplin? Aber: nicht zu oft und nicht zu früh intervenieren)
(3) abschließende Zusammenfassung des Lehrers, falls nicht ausreichend vom Studententeam geschehen

Und dann...?

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  • Stoffvergabe an Leitungsteams aus 2-3 Personen:
    • wichtigste zu erarbeitende Punkte
    • Quellenhinweise
    • didaktische Tipps (Interaktive Techniken! Zeitrahmen! Bezug zur Lebenswelt der Lernenden! Fordern und Fördern!) (es sollten für einen gewünschten Lerneffekt effiziente Methoden gewählt werden; nicht jede Frage muss mit einer interaktiven Gruppenarbeit beantwortet werden; reine Datenabfragen eignen sich oft nicht für eine Diskussion; andererseits sollen anspruchsvollere Aufgaben aus Unterschätzung der Klasse nicht vom Lehrer oder Schülerexperten einfach beantwortet werden)
  • Vorbereitungsphase: innerhalb oder außerhalb der Sitzung (Nicht überfordern!); Verfügbarkeit für Lernende per eMail oder Internet-Forum
  • im Unterricht:
    • auf gute Atmosphäre achten
    • auf “Fehler” mit Verständnis und Empathie reagieren (die Bewertung von Antworten muss sich nach dem gewünschten Effekt richten - sollen inhaltlichen oder formale Strategien im Vordergrund stehen?)
    • Zeit zu Formulierungen geben
    • an Schülervorschlägen dranbleiben, Begründungen liefern lassen und Reaktionen mit Begründungen einfordern
    • Linearität a posteriori garantieren
  • Kommunikation und Stoffintensivierung außerhalb des Unterrichts: Diskussionsforum, Wikiversity (auch für Projekte geeignet)
  • Evaluations- und Metaphasen einbauen: Bedürfnisse eruieren und gemeinsam Strategien zur Befriedigung erarbeiten
  • neben “echten” Leistungsnachweisen: gelegentlich Tests mit Info-Note

Schlussbemerkung

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LdL ist neben einer einfachen Technik ein Modell geworden, das es allen Beteiligten (incl. der Lehrkraft) durch den permanenten Austausch über Inhalte und Unterrichtsgestaltung ermöglicht, einen erfüllten Unterricht zu erleben. Es hat sich gezeigt, dass sich LdL in jedem Fach und bei allen Altersstufen (von der Grundschule bis zur Hochschule) anwenden lässt. Weitere Informationen incl. Erfahrungsberichten und Materialien findet man auf www.ldl.de.

Literatur

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  • Grzega, Joachim/Schöner, Marion (2007): Basic Global English (BGE) as a Way for Children to Acquire Global Communicative Competence: Report on an Elementary School Project. In: Journal for EuroLinguistiX 4, 5-15.
  • Grzega, Joachim/Schöner, Marion (2008): The didactic model LdL as a way of preparing students for communication in knowledge society. In: Journal of Education for Teaching 34(3).
  • Grzega, Joachim/Waldherr, Franz Waldherr (2007): Lernen durch Lehren (LdL) in technischen und anderen Fächern an Fachhochschulen: Ein Kochbuch. In: Didaktiknachrichten (DiNa) 11/2007, 1-15.
  • Martin, Jean-Pol (1985): Zum Aufbau didaktischer Teilkompetenzen beim Schüler: Fremdsprachenunterricht auf der lerntheoretischen Basis des Informationsverarbeitungsansatzes. Tübingen: Narr.
  • Martin, Jean-Pol (1994): Vorschlag eines anthropologisch begründeten Curriculums für den Fremdsprachenunterricht, Tübingen: Narr.
  • Martin, Jean-Pol (1999): Schulklasse als Betrieb: Zur Vorbereitung auf die Arbeitswelt in der gymnasialen Oberstufe, in: Hemmer, Ingrid / Selzer, Helmut M. (eds.), Für eine Schule der Zukunft: Fachdidaktische Beiträge, Dettelbach: Röll, 63-83.
  • Martin, Jean-Pol (2001): "Lernen durch Lehren" – Vorbereitung auf die Wissensgesellschaft. Internet-Ms.
  • Martin, Jean-Pol (2002a): "Weltverbesserungskompetenz" als Lernziel?. In: Pädagogisches Handeln – Wissenschaft und Praxis im Dialog 6: 1, 71-76.
  • Martin, Jean-Pol (2002b): Wissenscontainer: Online-Communities und kollektive Lernprozesse. In: Neveling, Christiane (Hrsg.) (2002), Perspektiven für die zukünftige Fremdsprachendidaktik. Tübingen: Narr, 89-102.
  • Martin, Jean-Pol (2005): Komplexität reduzieren: Europakompetenz im IPK erwerben. In: Glaser, Brigitte & Schnackertz, Hermann Josef (Hrsg.): Europa interdisziplinär: Probleme und Perspektiven heutiger Europastudien. Würzburg: Königshausen & Neumann, 61-74.
  • Martin, Jean-Pol (2006): Gemeinsam Wissen konstruieren: Am Beispiel der Wikipedia. In: Klebl, Michael & Köck, Michael (Hrsg.): Projekte und Perspektiven im Studium Digitale. Münster: LIT, 157-164.
  • Martin, Jean-Pol (2007): Wissen gemeinsam konstruieren – weltweit. In: Lernen und Lehren 33: 1, 29-30.