Benutzer:Lernstratege/Technik:Rollen, Perspektiven & Modi des Autors

Wissenschaftliche Autoren vernachlässigen seit der Mitte des 20.Jh. die Unterscheidung zwischen Handeln und Verhalten sogar dort, wo das an Zwecken und Zielen orientierte Handeln das wissenschaftliche Thema erst konstituiert.[1] Seit mich Peter Janich darauf aufmerksam gemacht hat, achte ich auf Erscheinungsformen und Nebenfolgen dieser Selbstvergessenheit.

Ein einfaches Beispiel dafür ist das Verschwinden des Wortes „Ich (Autor)“ aus wissenschaftlichen Texten und die Zunahme unpersönlicher Wendungen wie „es wurde gezeigt...“. Ich bedauere daran, dass kaum mehr ein Wissenschaftler sich zu seinem Standpunkt bekennt, von dem aus er Ansprüche auf Geltung und Wahrheit erhebt, vertritt und in sichtbarer Auseinandersetzung mit seinen Kollegen begründet, revidiert oder fortschreibt. Unter der Etikette überzogen sachlicher Dinstanz erstickt der Diskurs, bleiben markante Positionen und Ansätze ohne Advokaten, gerät die Auseinandersetzung zum Kampf zwischen Phantomen: „‚epistemologische Paare‘ komplementärer Positionen“, ...„wie sie von Gegnern, die in Wirklichkeit Komplizen sind und sich gegenseitig als Alibi dienen,“ in ihren Polemiken verwendet werden.[2]

Hier versuche ich einen für Wissenschaft und Öffentlichkeit tauglichen Gegenentwurf. Wissenschaftliche Prosa inszeniert Gedankengänge, die zugleich vorbildlich, nachvollziehbar und anschlussfähig zu belastbaren Ergebnissen führen sollen.[3] Was spricht dagegen, die Mittel der erzählenden Kunst zu diesen Zwecken nutzbar zu machen? Wikiversity ist stärker als eine Präsenzuniversität auf die Kraft der Sprache angewiesen, da wir hier auf die direkte Begegnung in einer typischen Lehr- und Lernsituation weitgehend verzichten müssen. Die pädagogische Beziehung muss durch eine gepflegte narrative Beziehung ersetzt werden.

Dieser Ansatz geht davon aus, dass Wissenschaft erzählt (also im Medium der Sprache inszeniert) wird und nutzt nur zufällig die gleichlautenden Schlagworte Person, Rolle, Perspektive, Modus, die auch vom bekannten typlogischen Modell der Erzählsituationen nach Franz K. Stanzel verwendet werden. Bitte nicht verwechseln!

Zweck dieser Technik

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Ich will wissenschaftliche Prosa als inszenierte Gedankengänge verstehen und beschreiben, mir Mittel dieses Inszenierens aneignen, um die Gedankengänge vorbildlich, nachvollziehbar und anschlussfähig zu präsentieren.

Dabei will ich Risiken wie rhetorische Verführung, polemische Entgleisung, verspielte Beliebigkeit, angehübschte Belanglosigkeit erkennen und vermeiden.


Niemand kann aus seiner Haut fahren, und niemand fällt aus seiner Biographie. Auch der klügste und geschickteste Wissenschaftler kann nur mit dem Wissen und mit der Technik arbeiten, die ihm persönlich verfügbar sind, d.h. mit seinen Kenntnissen und Fertigkeiten. Der dadurch begrenzte Handlungshorizont kann nach drei Richtungen erweitert werden.

Arbeit (ver)teilen und zusammenarbeiten

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Zunächst kann unser Protagonist noch eine biographische Entwicklung durchmachen, etwa dazulernen, Erfahrungen sammeln, Entscheidungen treffen, sich zu Entschlüssen durchringen, in den Genuss einiger weniger Entdeckungen und Erfindungen kommen. Auch Verzicht, Beschränkung und Verlust gehören zur Biographie, in der ein Wissenschaftler seine Untersuchungen anstellt (und andere unterlässt).

Sodann kann er Mittel einsetzen, die ihm von anderer Seite zur Verfügung gestellt werden, etwa an ältere Arbeiten anknüpfen, vorbereitetes Material verwenden, Techniken und Werkzeuge übernehmen, zu denen dann freilich auch Werkzeuge des Denkens (Denkzeuge) gehören. Dieses Instrumentarium ermöglicht dem Wissenschaftler, seine Untersuchungen anzustellen (und begrenzt deren Umfang).

Schließlich kann er mit anderen zusammenarbeiten, indem er mit ihnen leistungsfähige Schnittstellen vereinbart, an denen die Erzeugnisse verteilter Bemühungen wechselseitig weitergegeben werden. Die organisatorische Kunst besteht dann darin, räumlich, zeitlich und personal verteilte Arbeiten in ein überzeugendes Gefüge zu integrieren. Die Zusammenarbeit wird miteinander ausgehandelt (im ganzen Spektrum von ausdiskutieren bis ausboxen) und beschleunigt gemeinsam vereinbarte Projekte (Mainstream) zu Lasten der persönlichen, eigensinnigen und abweichenden.

Grundsätzlich können die ersten beiden Richtungen als andere Sichtweisen der dritten aufgefasst werden. Sie zeigen Aspekte des poietischen Handelns, bei dem Ergebnisse einer Handlung in einer anderen Handlung verwendet werden. Das kann zu anderer Zeit, an anderem Ort und von einer anderen Person geschehen. Poietische Handlungen arbeiten einander zu.

Tendenz zu Selbstläufern

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Arbeits(ver-)teilung und Zusammenarbeit haben einen gemeinsamen Ursprung. Sie wirken ambivalent (förderlich und hinderlich), diskriminierend (indem sie eine Grenze erzeugen) und subtil (unterschwellig) in allen drei Richtungen. Im Rahmen der Biographie geht Bekanntes, Geübtes und Gewohntes leichter von der Hand als Fremdes, Neues und Ungewöhnliches. Der Wissenschaftlicher orientiert seine Arbeit an persönlichen Leitmotiven (i.S.v. Bildern wie i.S.v. Antrieben) und markiert sie dadurch. Im Rahmen des Instrumentariums ist es einfacher, den Bestand weiter zu nutzen (und ggf. weitere Verwendungen dafür zu suchen), als für das persönlich Wichtige neue Mittel zu ersinnen. Der Wissenschaftler stellt seine persönlichen Werte regelmäßig hinter das pragmatisch Mögliche zurück. Im Rahmen der Zusammenarbeit haben gemeinsam vereinbarte Projekte eine günstigere Prognose (verfügen über mehr Mittel, können sich leichter Gehör verschaffen, werden institutionell stabilisiert und disziplinieren ihre Mitarbeiter). Der Wissenschaftler muss immer wieder zwischen Mitmachen, Abweichen und Loslösen abwägen, wenn er noch persönliche Ziele verfolgen will.

Ich habe versucht, die Positionierung in diesen Spannungsfeldern noch offen zu lassen, um ein möglichst weites Spektrum der persönlichen Entscheidungen und Entschlüsse dem Wissenschaftler sichtbar zu machen. Freilich sind dies schwierige Entscheidungen, deren Folgen und Reichweite niemand ernsthaft abschätzen kann. Zugleich will ich auf eine Leitfrage aufmerksam machen:



In wieweit besteht hier die (absichts- und verantwortungslose) Tendenz zu unreflektierten Selbstläufern und in wieweit kann Wissenschaft als verantwortlich betriebenes Geschäft (das zu schaffen, zu bewältigen ist) organisiert werden?



Standpunkt bekennen und vertreten

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Wieso hole ich so weit aus? Wissenschaft wird handelnd von den daran Beteiligten Personen vollzogen. Für die Beurteilung der Handlungen (vom einzelnen Gedankengang bis zu gigantischen Forschungsprojekten) kommt es darauf an, wer was wie, zu welchen Zwecken und mit welchen Folgen und Nebenwirkungen tut, d.h. vollzieht oder unterlässt.

Wir Menschen kommen nicht umhin, andauernd Handlungen zu beurteilen – spätestens wenn jemand Zeit, Geld (stellvertretend für alle anderen Mittel) oder sogar Risiken an Leib und Leben dafür einsetzt. Das mag für einzelne Gedankengänge übertrieben wirken, ist aber für große Projekte zweifellos gegeben. Der einzelne Gedankengang steht hier stellvertretend für beispielhafte einfache Handlungen, an denen das Urteilsvermögen (zu Beurteilung von Handlungen) geschult und erprobt werden kann. Scheitert ein Konzept (hier: Handlungen beurteilen) schon an einfachen Handlungen, so haben wir keine Aussicht, dass es uns für Monsterhandlungen (wie Projekte und eingeübte Praxen) weiterhilft.

(überleiten)

Ich erachte es jedoch als unredlich, wenn ein Wissenschaftler versucht, seine an Zielen und Zwecken orientierten Manipulationen und Kognitionen ständig hinter einer versachlichenden, distanzierenden Rede zu verstecken, als ob ein entrückter Historiker (wörtlich: Erzähler einer Geschichte) prinzipiell geeigneter ist, über ein Ereignis zu berichten als ein Beobachter oder gar ein Teilnehmer. Redlich hingegen ist es, seine Zwecke und Ziele mitzuteilen und dadurch den gesamten Handlungszusammenhang einer Kritik durch andere zugänglich zu machen.

(Vorschau)

Heute ist es nicht mehr üblich, wissenschaftliche Gedanken dialogisch zu inszenieren. Das war einmal gänzlich anders. Platon oder Galilei sind bekannte Beispiele für dialogische Dramaturgie. Ein Rest dessen ist noch in Lehrbeispielen zu finden. (zur Kommunikation (Watzlawick), zur Argumentationslehre(Peirce), zur Sprachphilosophie(Wittgenstein II)) Sprachunterricht verwendet gerne Rollenverteilte Texte (als Übungsgelegenheit).

Ich gehe davon aus, dass wir Menschen unser Sprachvermögen in Rollenverteilten Situationen eingeübt haben - und unterschwellig immer die instruktive Situation von damals mitschwingt.

  • Frager
  • Antworter
  • Referent
  • Kritiker
  • Auffordender
  • Befolgender
  • Lehrer
  • Schüler
  • Forscher

Perspektiven

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In der Literaturwissenschaft werden sogenannte Narrative (Erzählmuster) untersucht. Eine dieser Narrativen ist die Erzählperspektive.

  • Auktorialer Erzähler: Kennt alles, weiß alles, macht keine Fehler. Problematisch, verführt zur Anmaßung, zur unangemessenen Definitheit.
  • Ich (Urheber, Autor))
  • Ich (Position)
  • Ich (Rückenfigur als Identifikator für Leser)
  • Ich (Abgrenzung, Sondergut)
  • Du (Leser)
  • Du (fingiertes Gegenüber einer Rückenfigur)
  • Wir (Autoren)
  • Wir (Autor und Leser)
  • Wir alle (alle was?) - verführt zur Vereinnahmung, fühlt sich dann unangenehm an. Eher unproblematisch, wenn sich Widerspruch regt.
  • Man (wer?) Oft ein Ich-Versteck.

Peter Janich betont den Unterschied zwischen der Vollzugsperspektive, und den Beschreibungsperspektiven des Beteiligten, des Beobachters und vom archimedischen Punkt aus. (Was ist mit Betroffenen, Planenden, Nacherzählenden - sind diese Perspektiven da schon enthalten?)


Beispiele

„Guten Morgen!“ Vollzugsperspektive: Mit dieser Formel vollziehe ich einen Gruß. Allen Rollen beinhalten eine Vollzugsperspektive, deren Erleben uns bekannt ist.
„Ich habe dich freudig begrüßt.“ Beteiligten-Perspektive: Nur der beteiligte kann bekunden, was er gefühlt und beabsichtigt hat. In der Beteiligten-Perspektive deuten wir die Äußerungen anderer Beteiligter. Das ist wichtig, wenn im Zuge einer kooperativen Willensbildung die Zwecke fremder Handlungen und die Zweckmäßigkeit von Zielen und Vorgehen beurteilt werden muss.
„Einer hat den anderen lebhaft gegrüßt. Es schien, als habe er sich gefreut.“ Beobachter-Perspektive: Die wachsende Distanz löst die Beschreibung vom Handlungszusammenhang.
„Es ist zu sehen, wie einer seine Hand hebt und schwenkt. Das ist ein Gruß. Die Bewegungen sind ungewöhnlich schnell. Das ist lebhaft.“ Archimedischer Standpunkt (außerhalb der Welt): Jede mitmenschliche Einfühlung geht verloren, der Handlungszusammenhang gerät völlig aus dem Blick. Die reine Prozessbeschreibung scheitert an einer Verwechselung von Handlungen (die wir wiedererkennen und verstehen können) und Naturereignissen (für die wir eine Logik hypostasieren).

Agressive Stellungnahme

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Während dieses Lehrbeispiel offenkundig lächerlich wirkt, macht sich niemand darüber lustig, dass Geistes- und Gesellschaftswisenschaften versuchen, sich nach dem Vorbild der Physik zu organisieren. Die Lerntheorie (vergiftete Verwendung des Lernbegriffs) beschreibt Menschen als Reiz-Reaktions-Mechanismen. Die Ökonomie als unersättliche Egoisten. Die Soziologie beschreibt Streitfelder als selbstorganisierte Systeme. Die Erkenntnistheorie will bei absichtslosen Protokollsätzen anfangen. In der virtuellen Wissenskonstruktion soll sich das erkennende Subjekt als Neuron auffassen. Was haben wir damit gewonnen - außer einer nachfolgenden Relativierung, derzufolge Wissenschaft das ist, was die Community twittert und impulsed? Dann wird Wissenschaft zur medialen Machtfrage, welches Paradigma sich in der nächsten Modewelle durchsetzt.

Hilfe, wie kann ich diesen Eindruck schrittweise nachvollziehbar und anschlussfähig vortragen?

  • als (Rolle)
  • als ob (Planen, Perspektivenwechsel)
  • etwa (Konkretisierung, Beispiel)
  • eigentlich (da ist noch etwas anderes)

Anmerkungen

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  1. So sollte man erwarten, dass sich Arbeiten in Medizin, Pädagogik, Ökonomie zunächst für das Handeln der beteiligten Ärzte, Lehrer, Unternehmer oder Wissenschaftler interessieren. Einer kritischen Prüfung hält diese Erwartung jedoch nicht stand.
  2. Pierre Bourdieu (1970): Zur Soziologie der Symbolischen Formen. Frankfurt a.M.:1974ff, 7
  3. Diese Phrase soll ein methodisches Wissenschaftsideal vorbereiten. Dabei bereitet der Aspekt „vorbildlich“ noch die größten Sorgen. Er ist zu geeigneter Zeit zu präzisieren. Bis dahin steht er als Platzhalter für besondere Merkmale des wissenschaftlichen Anspruchs.