Esquirol (1827) Tafel IV
Esquirol, J. E. D.: Allgemeine und spezielle Pathologie und Therapie der Seelenstörungen. Frei bearbeitet von K. C. Hille. Nebst einem Anhange kritischer und erläuternder Zusätze von J. C. A. Heinroth. Mit XI lithographierten Tafeln. Leipzig: C. H. F. Hartmann 1827. Deutsche Übersetzung im Jahr der französischen Erstausgabe.
Diagnose: Melancholie bei angeborenem Blödsinn
"Dieser Kopf zeichnet sich vorzüglich durch seinen Umfang und durch die hervorragende Stirn aus, wodurch der Winkel der Gesichtslinie an 90 Grad hat, aber durch die Disharmonie mit den übrigen Theilen von Schönheit weit entfernt ist. [Hydrozephal konfigurierter Schädel]
Ein Mädchen von langem Wuchse, kastanienbraunen Haaren, blauen Augen, rothem Gesicht und einer stieren Physiognomie, die manchmal eine dummes Lachen veränderte, wurde den 27. Mai 1811 in die Salpetriere aufgenommen. wo sie bereits zwei und zwanzig Jahre alt war. Von ihrer frühesten Kindheit an hatte man schon bemerkt, daß ihre Seelenkräfte sich nicht gleichzeitig mit dem Körper entwickelt hatten, und so blieb sie auch, ohne daß sie deutlich sprach, noch sonst etwas lernte. In ihrem vierzehnten Jahre wurde sie menstruiert, wuchs sehr und hatte Convulsionen, vorzüglich um die Zeit ihrer Periode, obgleich die Regeln sehr stark waren. Seit ihrem Eintritte in die Anstalt schien sie aber immer einer guten Gesundheit zu genießen. […] Sie hatte soviel Verstand, daß sie die ersten Bedürfnisse des Lebens begriff, aber auch weiter nichts: nie war sie zornig geworden, doch schien sie für Mißvergnügen und Kummer empfänglich zu seyn. Im Monat Juli 1812 wurde sie von einer ihrer Gefährtinnen geschlagen, worüber sie sich so kränkte und ärgerte, daß sie nicht mehr essen wollte, nur Wasser trank, sehr abmagerte, und nachdem sich noch scorbutische Flecken zeigten, sehr schwach ward; im September mußte sie ganz liegen bleiben, brach Blut, verweigerte jedes Heil= oder Nahungsmittel, ein schleichendes Fieber ergriff sie, und sie starb den 31. Oktober 1812."