Goethes Faust. Eine heitere Tragödie. Hexenküche.


Mephistopheles hat Faust in die Hexenküche geführt für eine Verjüngungskur. Zwar hat der Teufel die Rezeptur des Verjüngungstranks ersonnen, doch kann er ihn bei seiner unsteten Art nicht herstellen. (2376 - 07) Für die langwierige Zubereitung braucht es die Hexe. Zu Fitness durch geregelte Lebensweise und körperliche Betätigung (22351 - 61) - als Alternative von Mephistopheles vorgeschlagen - kann sich Faust nicht bequemen.

Mephistopheles
So muß denn doch die Hexe dran. (2365)

Die ist außer Haus. Anwesend sind nur ihre wunderlichen Haustiere, ein Meerkatzenpaar mit seinen Jungen. Mephistopheles plaudert mit den Affen. Die männliche Meerkatze möchte mit ihm würfeln, um an Geld zu kommen.

Mephistopheles
Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
Könnt’ er nur auch ins Lotto setzen! (2400 - 01)

In der grotesken Umgebung ist Faust ein Spiegel aufgefallen. Er tritt mehrfach an ihn heran und wieder zurück. Plötzlich erkennt er in dem Zauberspiegel (2430) den hingestreckten Leib eines schönen Weibes.[1] Faust ist überwältigt von der erotischen Wirkung und will seines Gleichgewichts willen schon fliehen, als die Hexe durch den Schornstein hereingefahren kommt. Sie erkennt Mephistopheles nicht und bespritzt ihn, Faust und das Getier wütend mit dem Sud, der auf dem Herd kocht. Aus den Spritzern zucken beim Auftreffen Flammen.

Der Teufel gibt sich mit Radau zuerkennen. Die Hexe wundert sich:

Hexe
Seh’ ich doch keinen Pferdefuß.
Wo sind denn eure beiden Raben? [...] (2490 - 91)

Mephistopheles lenkt ein.

Mephistopheles
Für diesmal kommst du so davon; (2492)
[…]
Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen;
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen? (2495 - 98)

Die Hexe laboriert auf Geheiß ihres Herrn und Meister an dem Zaubertrank und zelebriert das Hexen-Einmaleins.

Faust
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber. (2553)
Hexe
Die Hohe Kraft
Der Wissenschaft,
Der ganzen Welt verborgen!
Und wer nicht denkt,
Dem wird sie geschenkt,
Er hat sie ohne Sorgen. (2567 - 72)

Wissenschaft, d. h. Wissen schaffen, beruht auf Intuition und Entdeckung.[2]

Nach obszöner Schäkerei mit der Hexe verlangt Mephistopheles nach dem Verjüngungstrank.

Hexe
Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wisst ihr wohl, nicht eine Stunde leben. (2526 - 27)

Mephistopheles beruhigt die Hexe, auf die Affinität der Geisteswissenschaftler zu geistigen Getränken anspielend.

Mephistopheles
Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck getan. (2581 - 82)

Mephistopheles führt Faust, nachdem er eine Schale des Zaubertranks geleert hat, hinaus. Faust will einen letzten Blick in den Zauberspiegel werfen.

Mephistopheles
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir sehn. (Leise)
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe. (2601 - 04)


Theater des Grotesken und Absurden [3] um eine Märchenfigur. Wie häufig, hat auch hier Mephistopheles das letzte Wort und schließt die Szene mit einer kaustischen Pointe ab.


  1. Die Konfrontation des Geistesmenschen Faust mit Schönheit und Eros bereitet das Helena-Motiv im zweiten Teil der „Tragödie“ vor.
  2. Das gilt für Naturwissenschaften. Ähnlich verhält es sich mit der Philosophie: Tiefe Wahrheiten nämlich lassen sich nur erschauen, nicht errechnen (Schopenhauer, Parerga und Paralipomena 1851, S. 459). Literaturwissenschaft dagegen läuft, sieht man genauer hin, auf Interpretation und Quellennachweis hinaus. Sie vermittelt lediglich zwischen dem berühmt gewordenen Autor und dem Leser. Der Literaturwissenschaftler profilert sich, wie übrigens auch der Kritiker, an fremder Leistung. Neues Wissen schafft er nicht. Und doch kann auf Literaturwissenschaftler und Kritiker nicht verzichtet werden. Ohne sie bleibt die Literatur ungeordnetes Terrain.
  3. Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe Faust Kommentare. Frankfurt am Main: Klassiker Verlag 1994, S.282


weiter
Übersicht
zurück