Kurs:Analysis III/Kapitel II: Grundlagen der Funktionalanalysis/§9 BV-Funktionen und Stieltjes-Integral

Wir wollen uns ein weiteres Daniell-Integral, das Stieltjes-Integral, anschauen. Dazu müssen wir zuvor Funktionen beschränkter Variation behandeln.

Definition 1

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Eine Funktion heißt Funktion von beschränkter Variation in , in Zeichen , wenn für alle Zerlegungen
von die Ungleichung
mit einer Konstanten richtig ist.

Bemerkung 1

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Für eine Zerlegung in und setzen wir

Wir erklären dann

(1)

und erhalten die Aussage

(2)
Eine Funktion ist beschränkt und es existieren die Grenzwerte . Weiter gilt die Ungleichung
für beliebige mit , insbesondere also
In (3) tritt Gleichheit genau dann ein, wenn die Funktion schwach monoton steigend bzw. fallend ist.

1. Für eine beliebige Zerlegung in mit und gilt

(4)

Damit existiert insbesondere eine Konstante mit der Eigenschaft

(5)

so dass beschränkt ist.

2. Wegen (5) gibt es eine Folge mit

(6)

Nun gilt für jede weitere Folge mit , dass

richtig ist.
Indirekter Beweis: Anderenfalls gibt es ein , ein und eine Folge mit

Wegen (6) gibt es ein , so dass

gilt. Aus den Punktmengen

und

konstruieren wir nun eine Zerlegung in mit der Eigenschaft

und

wobei beliebig ist. Seien nun und (bzw. umgekehrt) zwei benachbarte Elemente der so konstruierten Folge, so erhält man

Aufsummierung über ergibt

Da beliebig war, erhalten wir mit (2) einen Widerspruch zur Voraussetzung . Also existiert . Analog zeigt man die Existenz des Grenzwertes .

3. Da die Ungleichung

nach (4) gilt und die Limites existieren, folgt nach Grenzübergang

Falls nun schwach monoton ist, gilt in (4) wegen (bzw. ) für alle das Gleichheitszeichen, also

für alle Zerlegungen . Nun folgt

4. Falls dagegen nicht schwach monoton ist, können wir ein und eine Zerlegung in so finden, dass

sowie

gelten. Somit folgt

woraus sich

ergibt.

q.e.d.

Definition 2

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Für beliebige Zahlen mit erklären wir die Funktionen beschränkter Variation im Intervall wie folgt:
Seien ferner und mit für alle , so setzen wir
(7)

Hilfssatz 1

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Seien und , so gilt

ohne Beweis

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Satz 2 (Zerlegungssatz für BV-Funktionen)

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Jede Funktion lässt sich in der Form
(8)
darstellen. Dabei sind monoton nicht fallende, beschränkte Funktionen.

Nach Hilfssatz 1 ist

monoton nicht fallend. Ferner gilt

(Beschränktheit).

Betrachten wir zusätzlich die Funktion

so haben wir die gewünschte Zerlegung (8), wenn wir noch die schwache Monotonie und Beschränktheit von zeigen. Da und beschränkt sind, gilt dies auch für . Für gilt die folgende Ungleichung

womit die schwache Monotonie bewiesen ist.

q.e.d.

Da eine Funktion beschränkter Variation gemäß (8) in schwach monotone Funktionen zerlegbar ist, wollen wir uns nun mit monotonen Funktionen befassen.

Satz 3 (Unstetigkeitsstellen monotoner Funktionen)

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Sei eine monoton nicht fallende, beschränkte Funktion.
(i) ist genau dann in einem Punkt unstetig, wenn für die Sprunghöhe
gilt. Dabei sind
die rechts- bzw. linksseitigen Grenzwerte.
(ii) Die Funktion hat höchstens abzählbar viele Unstetigkeitsstellen.

ohne Beweis

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An vielen Stellen in der Analysis sind Auswahlsätze von entscheidender Bedeutung. Sie lassen sich in der Regel als Kompaktheitskriterien interpretieren. Für kompakte Mengen im haben wir den Weierstraßschen Satz, für die Klasse der gleichgradig stetigen Funktionen den Satz von Arzelà-Ascoli und für die Klasse der BV-Funktionen die folgende Aussage.

Satz 4 (Hellyscher Auswahlsatz)

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Sei eine gleichmäßig beschränkte Funktionenfolge mit gleichmäßig beschränkter Variation, d.h. es gibt eine Konstante , so dass
für alle
und
für alle
gelten. Dann gibt es eine Teilfolge mit , welche in jedem Punkt gegen eine beschr¨ankte Funktion konvergiert, d.h.
für alle .
ist wiederum eine Funktion aus .

ohne Beweis

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Für Funktionen und , eine Zerlegung in und Zwischenwerte erklären wir die Riemann-Stieltjes-Summe wie folgt:

(9)

Eine Zerlegungsfolge nennen wir ausgezeichnet, falls

und

gelten.

Definition 3 (Stieltjes-Integral)

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Seien und . Dann erklären wir gemäß
(10)
das Stieltjes-Integral von bzgl. . Dabei ist eine beliebige ausgezeichnete Zerlegungsfolge und sind beliebige Zwischenwerte.

Bemerkung 2

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1. Man kann zeigen, dass der in (10) verwendete Grenzwert existiert und von der Wahl der ausgezeichneten Zerlegungsfolge und der Zwischenwerte unabhängig ist, so dass die Definition des Stieltjes-Integral gerechtfertigt ist.

2. Seien gegeben und . Setzen wir in (10) die Funktion

mit

ein, so erhalten wir mit

das Stieltjes-Integral über das Intervall .

3. Sei eine monoton nicht fallende Funktion mit

und

sowie der folgenden Eigenschaft: Es gibt eine Folge von Punkten, so dass

richtig ist. Dann gilt für das Stieltjes-Integral von

Wegen

liefert die Funktion eine diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung. Derartige Stieltjes-Integrale finden auch in der Physik Anwendung, z. B. bei der Betrachtung von Punktladungen. Falls nur bei einen Sprung der Hö0he 1 hat, erhält man das sogenannte Dirac-Maß.

Seien und . Weiter sei gemäß Satz 2 zerlegt in

Dann gilt für das Stieltjes-Integral

Betrachten wir nun mit eine beliebige monoton nicht fallende, beschränkte Funktion, so erhalten wir ein Daniellsches Integral