Max Ulrich von Boehn (* 5. Februar 1860 in Potsdam; † 17. Mai 1932 in Berlin): "Die Mode: Menschen und Moden im neunzehnten Jahrhundert." Band 1: 1790–1817. 3. Auflage, 1919

Einleitung

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Das Bild der Mode menschlich und ohne Verzerrung zu geben, hat dieses Bändchen sich zum Ziel gesetzt. Der Text schildert als Parallele dazu die Menschen und das Leben in seinen geistigen, politischen und künstlerischen Faktoren, kurz alles, was die Abbildungen schuldig bleiben müssen. Ganz ineinander aufgehen können Bild und Wort hier naturgemäß nicht. Niemand wird vernünftigerweise zu allem, was an kulturellen Regungen einer Zeit besprochen wird, eine Illustration aus der Mode erwarten dürfen, so wenig, wie es notwendig scheint, zu einem Bilde, das sich von selbst erklärt, nochmals eine Paraphrase in Worten zu geben. Wo es anging, wie in dem Kapitel, das die Kleidung behandelt, ist versucht worden, Abbildungen und Text möglichst ineinander greifen zu lassen.

Aber nur wer Text und Bild als ein Ganzes nimmt, wird das, was der Titel verspricht — » Menschen und Moden« — finden.

Für eine kurze Spanne Zeit ist hier versucht, was für die gesamte Kostümgeschichte geleistet werden sollte: die äußere Erscheinung einer Epoche im Spiegel ihrer Kunst zu geben, aufrichtig, aber ohne die Schärfe oder Übertreibung, die bisher fast stets in Kostümgeschichten beliebt worden ist. Denn nicht die Kuriosa und Absonderlichkeiten in dem Bilde früherer Zeiten sollte man suchen, sondern das Typische,

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Normale und gesetzmäßig Entwickelte der Tracht. Wer sich wirklich mit Empfinden und Gehaben einer Epoche vertraut machen kann, wird auch für die unserem Gefühl widersprechenden Formen der älteren Moden nicht die besser wissende Kritik und den Spott erübrigen können, in denen lange Zeit das Interesse an diesem Teil der Kulturgeschichte sich erschöpft hat.

So wurde hier versucht, neben der Mode und der geistigen Erscheinung der Zeit zugleich soviel wie anging von der Szenerie des Lebens in Wohnungen, Möbeln, Gärten anzudeuten, kurz die Kunst als Zeugin für das gesamte Leben aufzurufen. Denn die Maler sind die unbefangensten und zuverlässigsten Schilderer.

Noch ein Vorteil bot sich hier, der für die meisten früheren Epochen fehlt: wir wissen aus Modebildern, was für die Kleidung gewünscht und erstrebt wurde, nicht immer von einer Meisterhand wie der des jüngeren Watteau, der Künstler von der »Gallery of fashion« und dem »Repository« oder Gavarnis aufgezeichnet, aber wenn auch ungeschickt, so doch handwerkstechnisch aufs klarste ausgesprochen. Und zu diesem von der Schneiderphantasie entworfenen Idealbild geben uns die Maler das Korrektiv im Leben. Zeigen die Modebilder, wie nach dem Wunsche der Kleiderkünstler die Menschen aussehen sollten, so stellt die Kunst in ihren Bildern neben dies Ideal die Wirklichkeit.

In dieser Parallele zwischen Erstrebtem und Erreichtem, zwischen Wunsch und Erfüllung mag ein besonderer kulturgeschichtlicher Reiz liegen. Vielleicht ist er stark genug, manchen Leser in die Sammlungen zu locken und ihn an die allzuwenig erschlossenen Quellen zu führen, denen dies Buch seine Illustrationen verdankt.

MAX V. BOEHN OSKAR FISCHEL

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Far das Abbildungsmaterial sind die Vorlagen besonders folgenden Samm-

lungen entnommen:

Der Freiherrlich Lipperheideschen Kostttmbibliothek,

dem Kgl. Kupferstichkabinett Berlin,

der Kgl. Nationalgalerie Berlin,

dem Hohenzollern-Museum in SchloC Monbijou Berlin,

der Kgl. Neuen Pinakothek München,

dem Kgl. Kupferstichkabinett München,

der Bibliotheque nationale Paris,

dem Cabinet des Estampes Paris, dem Museum Versailles,

dem British Museum London und

dem South Kensington Museum London.


Auch an dieser Stelle sei dem Dank des Herausgebers und des Verlags

für das Entgegenkommen, mit dem von staatlicher und privater Seite das

Unternehmen unterstiitzt wurde, Ausdruck verliehen.

Ganz besonderen Dank schulden die Herausgeber und die Verlagsbuchhand-

lung der Direktion der Kunstgewerbe-Museums- und Lipperheidischen Kostüm-

bibliothek, Berlin.

Durch seinen sachkundigen Rat hat Dr. Doege die Herausgeber aufs freund-

schaftlichste unterstützt.

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Am 14. Juli 1789 erstürmte das Volk von Paris die Bastille und diese erste »Tat« der Revolution bezeichnet den Beginn einer neuen Zeit. Man kann die Ideen, welche den Ausbruch der Revolution vorbereitet haben, bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen und wird schon im Jahre 1713 einem päpstlichen Anathema des Modernismus begegnen, aber die berühmte Bulle Unigenitus Clemens XI. hat den Jansenisten so wenig geschadet, wie die Urteile des französischen Parlaments 50 Jahre später den Schriften Rousseaus. Was sich an neuen und fruchtbaren Ideen aus dem Gezänk der Theologen in die spekulativen Köpfe einiger Philosophen gerettet hatte, wurde rasch Gemeingut der denkenden Menschheit; den Frivolen bewies Voltaires eleganter Zynismus die Unnatur und Verkünstelung der bestehenden, den Denkenden zeigte Rousseau die Möglichkeit besserer, auf dem Naturrecht aufgebauter Zustande. Der Widerspruch der neuen Ideen, die Sehnsucht nach Natur und Vernunft wurde mit jedem Jahr, welches das Jahrhundert vorrückte, lebhafter, die Unmöglichkeit des Weiterbestehens der erstorbenen äußeren Formen, in denen das Staatsleben der europäischen Völker

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S. 4

sich fortschleppte, mit jedem Jahre deutlicher; aufgeklärte Monarchen, wie Kaiser Joseph, wie Karl III. von Spanien, versuchten durch eine Erziehung ihrer Völker eine Reformation des Bestehenden, vergebens, im Feudalstaat war eine Geltendmachung der neuen Ideen unmöglich. Die Unzufriedenheit wuchs und mit ihr die Wünsche, aber noch waren sie nur theoretisch laut geworden, hatten den papiernen Boden der Literatur und der schönen Reden nicht verlassen, als die Pariser an jenem berühmten Julitage ihre Forderungen auf die Straße trugen und mit der Erstürmung der Bastille das Signal zum Fall eines ganzen Regimes gaben. Der Feudalismus fiel und mit ihm die Monarchie und staunend sahen die Zeitgenossen den unaufhaltsamen Untergang von Zustanden, deren jahrhundertelanges Bestehen allein sie schon fragwürdig gemacht hatte. Was bis zu diesem Tage nur der vornehmen Gesellschaft ein artiges Spiel der Phantasie gewesen war, das stand nun auf einmal mitten im Leben, die Ideale des Rousseauschen Naturrechts versuchten sich der Wirklichkeit anzupassen; der in finsterer Hoffnungslosigkeit dahinlebenden bürgerlichen Gesellschaft strahlte wie blendende Leuchtkugeln im Nachthimmel der betörende Zauber »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!«

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Revolutionsschwärmerei

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Heute, wo wir jene Zeit im Zusammenhang übersehen, wo wir wissen; wie wenig die Ereignisse der Folgezeit jenem ersten Aufschwung entsprochen haben, heute, wo wir überzeugt sein müssen: que jamais le peuple ne verra le lever du soleil — da mögen wir über die Begeisterung jener Tage lächeln, für damals aber kann man sich die Wirkung dessen, was in Paris geschah, nicht groß, nicht gewaltig genug denken. In der Schwärmerei für die französische Revolution trafen sich der alte Klopstock und der jugendliche Schiller; Fichte begrüBt in ihr den Anbruch einer neuen Zeit, Hegel den Sonnenaufgang einer herrlichen Epoche. Kant sah in der französischen Revolution die tatsachliche Bürgschaft dafür, daB die Mensch-

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heit in einem beständigen Fortschritt zum Besseren begriffen sei; Johannes von Müller sagte, der 14. Juli 1789 sei »der schönste und wichtigste Tag seit dem Untergang der römischen Weltherrschaft«. Campe ging mit Wilh. von Humboldt 1791 nach Paris, um der Leichenfeier des französischen Despotismus in Person beizuwohnen. Graf Fritz Stolberg erblickte in dem Bastillensturme die herrliche Morgenröte der Freiheit. Schlozer, dessen Staatsanzeiger die Geißel der kleinen deutschen Reichsfiirsten genannt wurde, glaubte nun, die Engel im Himmel ein Tedeum singen zu hören ; Georg Forster, Gentz, Gorres, Posselt, glauben ihre kühnsten Träume der Erfüllung

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nah. Als Goethe bei der Rückkehr aus der Campagne von 1792 Düsseldorf besuchte, fand er, daß in Jacobis Garten in Pempelfort die Büsten von Lafayette und Mirabeau »göttlich« verehrt wurden. Die sentimentale Sophie La Roche macht sich Stechbücher aus Mirabeaus Reden und die Bewegung beschränkt sich durchaus nicht auf die Kreise der Literaten und Schöngeister, Heinrich Steffens erzählt es anschaulich, wie die Aufregung über die unerhörten Geschehnisse bis in die Häuser, in die Familien einfacher Bürger, selbst in die Schulen drang. Auf der Karlsakademie entstand ein Freiheitsklub, der den Jahrestag des Bastillensturmes in jährlichen Festen feiern wollte. Knigge erzählt, daß man den 14. Juli in Hamburg öffentlich feierte. Alle Damen waren weiß gekleidet und trugen weiße Strohhüte mit den französischen Nationalfarben. Klopstock las zwei neue Oden vor; »kein Fürstenknecht war eingeladen«. In Deutschland pflanzte sich die Bewegung bis in den hartgedrückten Bauernstand fort, in Hannover, Baden, Hessen-Kassel, Kursachsen, Oberbayern mußten Aufstande mit Gewalt unterdrückt werden. Wie ein Taumel reißt das Evangelium der Freiheit die Menschen fort, ein deutscher Prinz, Karl Konstantin von Hessen, wird als citoyen Hesse ein feuriger Parteigänger der Jakobiner; die Prinzessin Rosalie Lubomirska hält es nicht länger auf ihren polnischen Gütern, sie eilt nach Paris, um — den Tod auf dem Schafott zu finden, den, ein tragisches Schicksal, Friedrich von der Trenck, selbst ein Opfer des Despotismus, mit ihr teilt.

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Der Adel

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Wer sich die Zustände Deutschlands am Ende des 18. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen sucht, wird sich nicht mehr über die Begeisterung wundern, mit der die französische Revolution, zumal in den Kreisen des gebildeten Bürgertums, aufgenommen wurde; das Deutschland von dazumal war noch weit mehr als heute ein Kastenstaat, in dem Adel und Bürgertum durch unüberbrückbare Schranken getrennt waren. Im Staat waren Macht und EinfluB, und mit ihnen Ehren und Einkünfte, dem Adel allein vorbehalten, der Bürgerliche, mochte er selbst reich und geistig bedeutend sein, war ipso facto ein zweitklassiges Geschöpf, ausgeschlossen vom höheren Dienst in Verwaltung und Heer, ein Staatsgrundsatz, der sich im Leben ebenso stark wie verletzend geltend machte.

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vgl. stechbuch, n. orakelbuch mit allmöglicher lebensweisheit, in welches der neugierige mit einer nadel hineinsticht, um den so getroffenen spruch dann für sich auszudeuten (s. stechen 1 k und vgl. oben stechblatt):

wer weisz, wie manche schaar stern, stechbuch, spiel und karten

und weyhnachtnüsse fragt: vor welches schöne kind

die blumen deiner gunst hinfort gewidmet sind?

Günther ged. (1735) 392. (Günther, Joh. Christian *1695 Striegau †1723 Jena.)

https://www.dwds.de/wb/dwb/stechbuch

sammlung von ... theils noch nie gedruckten, theils schon herausgegebenen, deutschen und lateinischen gedichten. Frankfurt u. Leipzig ³1726. (1.) fortsetzung. Frankfurt u. Leipzig ²1726; 2. fortsetzung oder dritter theil. Frankfurt u. Leipzig 1727. die folgenden ausg. v. 1735, 1739, 1746 sind bis einschlieszl. s. 1102 seitengleich.

[333.70] dass. von ... bis anhero edirten ... deutschen und lateinischen gedichten, auf das neue übersehen ... nebst einer vorrede von den ... eigenschafften der poesie. Breslau u. Leipzig 1735. — QV I —.

https://www.dwds.de/wb/dwb/bibl/g#guenther

Buch, das (zB. durch zufälliges Aufschlagen einer Seite und Ausdeutung des dort vorgefundenen Textes oder Bildes) eine Zukunftsweissagung ermöglichen soll

leute-betrieger, so mit glücks-rädern, stech-büchern, würffel-bretern, glücks-töpffen ... dem gemeinen mann zum verlust ihres geldes ... anlaß zu geben pflegen

1692 Samml Verordn Hannov. II 224

  • SammlVerordnHannov. Sammlung der Verordnungen für das Königreich Hannover aus der Zeit vor dem Jahre 1813 / hrsg. von Christian Hermann Ebhardt. - Hannover.

Erschienen: 1 (1854) - 3 (1855) - https://drw.hadw-bw.de/drw-cgi/zeige?db=qv&term=sammlverordnhannov.&einzelband=II&index=siglen

jener ungeschickte scabinus hatte ein stech-buch, in welchem staup-besen, galgen, rad, schwerdt, landes-verweisung und dergleichen mehr angeschrieben war, und welche von diesen strafen nachgehends von ihm beruͤhret wurde, die muste der fragende richter seinen inquisiten anthun lassen Der Welt Urtheile I (Leipzig 1706) 5

https://drw.hadw-bw.de/drw-cgi/zeige?index=lemmata&term=stechbuch

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In der schönen Literatur von damals wird in Romanen wie Schauspielen der Konflikt mit Vorliebe dadurch herbeigeführt, daß die Liebenden ungleichen Standes sind, eine Tragik, der Wir heute, wo allein das Geld Gleichheit oder Ungleichheit bedingt, verständnislos gegenüberstehen. Damals aber ging ein Adliger, der eine Bürgerliche heiratete, nicht nur für sich, sondern auch für seine Nachkommen zahlloser Vorteile verlustig, die mit der Reinhaltung des Stammbaumes verknüpft waren; er riskierte den Verlust von Majoraten, Lehnsgütern, Stiftsstellen, Ritterorden, ungerechnet die zahllosen gesellschaftlichen Kränkungen, denen er sich und die Seinen aussetzte. Man denke z. B., daß auf den Assembleen im Redoutenhause in Mainz nur Adlige Eintritt hatten, welche 16 Ahnen nachweisen konnten ; daß bei den Mittwochsgesellschaften des Kurfürsten bürgerliche Offiziere zwar zugelassen wurden, aber — stramm stehen mußten, während ihre adligen Kameraden sitzen durften! Im Theater in Mannheim hatten bei gleichem Entree die Bürgerlichen nur Anspruch auf die letzten Bänke, in Linz wartete man mit dem Beginn der Vorstellungen, bis der Adel seine Plätze eingenommen hatte. Auf der Karlsakademie, wo Schiller erzogen wurde, aßen die adligen und die bürgerlichen Zöglinge an getrennten Tischen und in Berlin mußte eine bürgerliche Dame, kam sie öffentlich je mit einer Gräfin zusammen, mindestens sechs Stühle

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weit von dieser entfernt sitzen. In Pyrmont tanzten auf den Bällen der Badegesellschaft nur Adlige, Bürgerliche mußten zusehen; ja, in Freienwalde haben sich 1798 die pommerschen und märkischen Junker ehrenwortlich verpflichtet, nicht mit bürgerlichen Damen zu tanzen! In Karlsbad war der sächsische Saal für den Adel reserviert, dagegen trug man dort der Minderwertigkeit des Bürgertums wenigstens insofern Rechnung, als die Kurtaxe für adlige Badegaste 2 fl., für bürgerliche nur 1 fl. betrug.

Zumal aus PreuBen wird aus jenen Jahren Unendliches von der Geringschätzung und dem Übermut besonders der adligen Offiziere gegen die kleinen Leute berichtet, aber diese Anmaßung dokumentierte sich durchaus nicht allein in Norddeutschland: in Stuttgart z. B. ließ 1786 ein Leutnant von Boehn einen bürgerlichen Kammerrat, weil er nicht höflich genug von ihm gegrüßt worden war, auf die Wache führen und ihm fünfundzwanzig aufzählen! ein Schneid, der ihm in

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der Karriere sicher genutzt hat. Der Dichter der Räuber mußte sich adeln lassen, damit seine Frau den Hofzutritt behielt und ähnlichen Gründen, nicht ihrer geistigen Bedeutung, verdanken Goethe, Herder, Johannes von Müller das »von« vor ihren Namen. Kränkungen und Demütigungen war der Bürgerliche nur seiner Geburt wegen alle Tage ausgesetzt und wenn sich auch nicht jeder ein derartiges Vorkommnis so zu Herzen nahm, wie der junge Jerusalem, der sich in Wetzlar erschoß, weil man ihn aus der »hochadligen« Teegesellschaft bei Graf Bassenheim ausgewiesen hatte, so begreift man doch, welche Summe von Haß und Erbitterung sich in den Herzen der Menschen ansammeln mußte, die Selbstbewußtsein genug hatten, um ihren selbsterworbenen Wert gegenüber rein zufälligen Vorzügen richtig einzuschätzen. In der erzählenden Literatur, wie in Briefen und Tagebüchern jener Jahre, begegnet man häufig dem Bekenntnis, dieser oder jene sei ein »Mensch im edelsten Sinne« trotz ihres Adels.

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Der Ausbruch der franzosischen Revolution bildet nicht nur politisch einen markanten Wendepunkt im Leben der Völker, sondern er kennzeichnet sich auch durch das Entstehen einer neuen Gesellschaft, deren raison d'etre in der Betonung des Bürgerlichen bestand.

Die Gesellschaft des Rokoko war aristokratisch und exklusiv; sie lehnte ab, was auBerhalb ihrer Kreise lag und wen sie aufnahm, den assimilierte sie sich vollständig, ihr Zweck ging auf LebensgenuB auf Grund von Reichtum und geistiger Kultur.

Im Gegensatz zu ihr war die neue Gesellschaft durchaus nicht exklusiv, denn sie ging auf Bildung und nicht auf Sinnenfreude aus; sie suchte ihren Zweck nicht im Raffinement einer auf die Spitze getriebenen Pflege sinnlichen Genusses, sondern in der rein geistigen Kultur von Herz und Gemüt, und da sie die Herrschaft mit lautem Widerspruch gegen das Bestehende antrat, so ist sie auch in ihrem Stil von Übertreibung so wenig freigeblieben wie von Pedanterie. Die regellose Willkür des Rokoko hatte schlieBlich ein Unbehagen

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ausgelöst, das, seit Caylus und Winckelmann auf die Antike hingewiesen hatten, zu einem allmählichen Eindringen klassischer Formen in den Betrieb der schönen Kunst führte. Schon unter Ludwig XV. beginnen die geschwungenen Linien, die kecken Verkröpfungen wieder Lineal und WinkelmaB zu gehorchen, dringen Mäander und Palmette in die Ornamentik; die Flachen werden wieder eben, die Konturen geradlinig; der so entstehende, langsam erblühende Stil gewinnt unter Ludwig XVI. seine groBte Anmut, um unter völligem Verzicht auf Grazie unter dem Kaiserreich eine Strenge zu erreichen, die nur durch pedantische Absichtlichkeit erklärt werden kann.

Bis dahin hatten nur die schönen Künste diesem Stil gehorcht, jetzt aber sollten seine Gesetze für die gesamte Kultur, für alle Äußerungen des Lebens maßgebend sein, vom innersten Kern ihres Wesens aus wollte die neue Gesellschaft antik sein. Auch diesen Wunsch hatten Rousseaus Ideen von der Rückkehr zur

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Natur, zur Einfachheit des Lebens gezeitigt, das natürliche Wesen bürgerlichen Lebens schien der Gesellschaft im Altertum beschlossen, klassisch wollte man sein, weil man damit natürlich zu sein glaubte. Man nahm sich das Altertum zum Vorbild und leitete Regeln und Gesetze daraus ab, denen die Menschheit sich sklavisch beugte. Aber die Redner, die in der französischen Nationalversammlung von antiker Freiheit und antiker Größe rodomontierten, die Bureaukraten, welche den Kalender antikisierten, die Künstler, welche ihre Bilder nach antiken Statuen komponierten und antike Feste anordneten, die Staatsmänner, die den ephemeren Republiken, die sie schufen, antike Namen gaben, die Frauen, die sich antik zu kleiden glaubten — sie alle, alle handelten in gutem Glauben und gehorchten freiwillig einem Gesetz, dessen Strenge übertrieben war, das aber der Gesellschaft, die es sich auferlegte, Stil gab. In diesem Sinne war die Gesellschaft jener Jahre überhaupt die letzte, welche Stil besaß, denn einheitlich waren Wollen und Können, Gedanke und Ausdruck,

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Wesen und Erscheinung. Die Bedürfnisse modernen Lebens immer mit den Gesetzen des antiken Stiles in Einklang zu bringen, war eine beinahe unmögliche Aufgabe, und uns, die wir bei alleiniger Herrschaft des Nützlichkeitsprinzips längst jeden Stil des Lebens verloren haben, will es wunderlich dünken, daB man sich vor hundert Jahren auch bei der alltäglichsten Alltäglichkeit erst noch mit einer anspruchsvollen Ästhetik abzufinden bemühte. Aber selbst das Nachtkastl durfte ja kein Nachtkastl sein, es mußte einen dem Gott des Schlafes geweihten Altar darstellen und diese Weihe „Somno" gab ihm damals lange seinen Namen; der Waschtisch (von allerbescheidenstem Umfang!) war der Altar der Göttin der Reinlichkeit, der Ofen ein Altar, dem Gott des Winters geweiht.

Die Frau

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Die Frau

Man war in Gefahr, aus lauter Einseitigkeit absurd zu werden, wäre der zu weit gehende Einfluß, den man der Gelehrsamkeit im täglichen Leben einräumte, nicht durch die Frau paralysiert worden. Im gesellschaftlichen Leben Deutschlands übernimmt die Frau erst am Ende des 18. Jahrhunderts die führende Rolle; sie ist es, die das neue Ideal der Empfindung propagiert und die der neuen Gesellschaft ihre Wesenheit gibt. Mit den feinen geselligen Formen der alten Gesellschaft sucht sie die Gelehrsamkeit der bürgerlichen zu vereinen und bringt, indem sie über die Trockenheit gelehrten Wissens die Leichtigkeit vielseitiger Bildung, das Herz über den Kopf stellt, die anmutige Oberflächlichkeit zur Herrschaft.

Statt daß die Wissenschaft sich wie bisher in lange Reihen mächtiger Folianten und Quartanten ergossen, tändelt sie nun

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in zierlichen Almanachen und Taschenbüchern über sämtliche Gebiete des Wissens und noch einige. Die Frau kann sich nicht ernsthaft mit der Wissenschaft beschäftigen, aber sie darf mit ihr spielen ; sie hört gelehrte Vortrage, sie kauft fertige kleine Samm-

lungen von Naturalien, physikalischen Instrumenten, Herbarien u. dergl., sie macht das Ideal der Prinzenerziehung — von allem etwas und nichts gründlich zu verstehen — auch zu dem ihren. Vor allem aber pflegt sie doch ihr eigenstes Wesen, Phantasie und Empfindung wie eine natürliche Reaktion gegen die geistige Richtung der Zeit, die in dem herrschenden Rationalismus den Verstand in völlige Nüchternheit führt. Die Jahre der plattesten Aufklärung fallen mit denen der überschwenglichsten Empfindsamkeit zusammen.

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Empfindelei

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Empfindelei

Im Verkehr macht sich eine Gefühlsseligkeit geltend, eine ins All verschwimmende Rührung, welche die schönen Geister zwingt, sich beständig mit den Gefühlen und Gefühlchen des eigenen Ich zu beschäftigen. Man muß ein Tagebuch des eigenen Herzens führen, damit man es Freunden mitteilen kann; man ist auf

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Weinen trainiert, denn es schickt sich bei jeder Gelegenheit in Tränenstrome zu zerflieBen! Die Überschwenglichkeit ist guter Ton, sie verlangt eine gesteigerte Ausdrucksweise und so ist vieles, was uns in den schriftlichen Aufzeichnungen jener Zeit so geschraubt vorkommt, nichts als der Niederschlag der gesellschaftlichen Konvention von damals; heute posiert der Snob mit Skeptizismus, damals mit Gefühl. Karoiine von Dacheröden schreibt über sich selbst an ihren Brautigam : „Trage sie mit erbarmender Liebe in Deiner heiligen Seele" und Wilhelm von Humboldt antwortet ihr: »Still anbetend kann ich Dich nur in tiefer Seele empfinden.« Diese überstiegene Empfindung hindert beide nicht, einige Zeilen weiter ganz kalt und praktisch über die Behandlung von Papa und Mama, über Köchin, Bügeleisen, Wäsche u. dergl. zu verhandeln; derlei Überschwenglichkeiten hindern vor allem die hochbegabte Schreiberin nicht daran, eine vorzügliche Gattin und Mutter zu werden, die, als der Überschwang nicht mehr de rigueur ist, wundervolle Briefe voll wahrer Empfindung und feinster Beobachtung schreibt.

Diese überzarte Empfindsamkeit ist dann gelegentlich auch nichts anderes, als Maske für die Roheit. Als z. B. Kotzebue auf einer Reise nach Paris Weimar besucht und seine Frau dort lebensgefährlich erkrankt, da reist er sofort weiter, als der Arzt ihm mitteilt, daB sie sterben werde, denn es würde sein Herz brechen, müßte er beim Tode der über alles geliebten Gattin zugegen sein. Oder die Frivole hüllt sich in Empfindsamkeit, wenn eine der anmutigsten und liebreizendsten Frauen jener Zeit, Karoline (von Schelling, geschiedene Schlegel, nicht verheiratete Forster, verwitwete Boehme, geborene Michaelis), als sie mit 30 Jahren glücklich den vierten Mann hat, an eine Freundin schreibt: » Ach, ich war zur Treue geboren! « Vielleicht dachte auch Karoline von Lengefeld so über sich, die,

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an Herrn von Beulwitz verheiratet, erst Schiller glühend liebt, dann Dalberg, und sich schlieBlich scheiden läBt, um — Wolzogen zu ehelichen.

Empfindelei und Empfindsamkeit nehmen ganz eigene Formen an, wenn es sich um den Verkehr zwischen den Geschlechtern handelt, da entstehen so besondere Verhältnisse, so zärtliche Beziehungen, daß sie um so schwerer zu beurteilen sind, je ver-

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schiedenartiger Gefühl und Geist, Sinnlichkeit und Seele in diese zwischen Mann und Weib unmöglichen Freundschaften hineinspielen. Man denke nur an die wunderliche Mischung von platonischer und sinnlicher Liebe in den Beziehungen von Hölderlin und Susette Gontard, Creutzer und der Günderode, Schleiermacher und Henriette Herz, Tiedge und Elise von der Recke, Alfieri und der Gräfin Albany. Die einen sind daran zugrunde gegangen, die andern in diesen Gewissensehen ergraut. Die Moralbegriffe der Zeit waren äußerst weitherzig, sie achteten die Liebe als Band, aber nicht die Ehe. In Frankreich sprach man ganz ernsthaft von dem Sakrament des Ehebruchs, waren doch in dem ersten Jahr, nachdem 1791 eine Scheidung als gesetzlich zulässig anerkannt war, bereits 6000 Ehen geschieden worden! Der Französin genügte'als Scheidungsgrund die Maxime: car tel est notre bon plaisir!, so wechselt u. a. die schöne Therese de Cabarrus ihre Manner, weil die Veränderung ihr Freude macht. Wenn aber die Deutsche das gleiche tut, weil in ihrem Herzen der Richtigere dem Rechten folgt, wie es Therese Heyne-Forster-Huber; Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel; Sophie Schubert-Mereau-Brentano u.a. taten, so schwärmt und philosophiert sie über diesen Schritt,

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bis die Unbeständigkeit ganz hinter den herrlichsten und edelsten Gefühlen verschwindet.

Die freie Liebe predigten nicht nur die Großen: Schlegel in der Lucinde, Achim von Arnim in Hollin, Goethe in den Wahlverwandtschaften, weit pikanter schilderten sie die kleinen Erzähler und weit selbstverständlicher lebten sie die Unbekümmerten. An Goethes Verhältnis mit Christine Vulpius hat nur die Eifersucht der Frau von Stein etwas zu tadeln gefunden, des Dichters Mutter hatte ihre Freude daran. Die berühmte Giftmischerin Sophie Ursinus lebte jahrelang mit Wissen der Beteiligten in einem dreieckigen Verhältnis mit ihrem-Mann und dem Kapitän Ragay; Marianne Jung gehört Willemer lange, ehe sie seine Frau ist.

Wie dann die Ära der Napoleonischen Kriege zu schnellerem Leben trieb, zum Genusse formlich peitschte, das erfahrt man u. a. aus den ergötzlichen Erinnerungen von C. Friedrich, jenem hessischen Offizier, den seine Feldzüge in allen Ländern Europas einen frischen und fröhlichen Ritt durch die Ehebetten aller Nationen machen lassen. Er erzählt auf jeder Seite, daß zu langem Besinnen keine Zeit war und so dachte auch Frl. Beth-

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mann, als sie sich auf der Frankfurter Hauptwache die Nacht über zu dem Grafen Flavigny einsperren lieB, um ihre Familie zur Einwilligung in die Hochzeit zu zwingen; so dachte Auguste Bußmann, als sie 1807 Clemens Brentano entführte. Diese laxen Anschauungen kennzeichnet auch der erstaunte Ausruf Davousts, als ihm eine deutsche Fürstin ihre Kinder vorstellte : „on voit bien que vous demeurez a la campagne, tous vos enfants se ressemblent !"

Gräfin Marianne von der Mark, Tochter Friedrich Wilhelms II. und der Lichtenau, war dreimal geschieden, ihr erster Gatte Graf Friedrich Stolberg hatte sich ebenfalls dreimal scheiden lassen. Die Fürstin Amalie Hohenlohe geborene Gräfin Hoym, Mutter von 6 Kindern, lief mit dem Leutnant von Sacken davon. An die Abenteuer der Elise Bürger geborene Hahn, die ihrem unglücklichen Mann schon im ersten Monat ihrer Ehe die Treue brach, braucht man nur zu erinnern, ebenso wie an Zacharias Werner, der bevor er Geistlicher wurde, dreimal verheiratet und dreimal geschieden war.

Die Kirche

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Die Kirche

Empfindung und Gefühl mußten diesem Geschlecht auch den Zusammenhang mit der Kirche ersetzen, der völlig verloren gegangen war. Die Anschauungen der englischen Deisten hatte Voltaire in seinem berühmten »ecrasez l'infame« über ganz Europa hingeschrien, mit einem solchen Erfolg, daß der Unglaube der guten Gesellschaft als Modeton auch die weitesten Schichten des Bürgertums durchdrungen hatte. Nicht nur die hohe Geistlichkeit selbst war ungläubig — der letzte Kurfürst von Mainz war ein ausgesprochener Freigeist; Graf Trautson, Erzbischof von Wien, galt für einen heimlichen Protestanten; die Domherren der deutschen Hochstifte ersetzten in ihren Wohnungen die Marienbilder durch Büsten von Voltaire und Rousseau — , auch bei der Allgemeinheit hatten die Bekenntnisse sich so verwischt, daß man allen Ernstes eine Vereinigung der Konfessionen in einer Gesamtkirche mit Napoleon als Oberhirten für möglich hielt! Die Gebildeten legten gar keinen Wert auf ein bestimmtes Bekenntnis. Wilhelm von Humboldt läßt seine Kinder lutherisch, anglikanisch oder katholisch taufen, wie es gerade paBt; Savignys lassen ihre Söhne erst zu verständigem Alter kommen, damit sie sich selbst die Konfession wählen können und der eine von ihnen wird katholisch, weil — in Berlin ja ohnehin jeder dumme Junge protestantisch sei!

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Die Toleranz der Geistlichen wetteifert mit der Gleichgültigkeit der Gemeinde. Die Theologen disputieren so heftig gegen alle Wunder und Mysterien des Glaubens, daß von dem ganzen

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Christentum nichts als die Zweckmäßigkeit übrigbleibt; mit Dogmen und Symbolen verfällt die Bibel der Geringschätzung. Der Prediger Hufnagel in Frankfurt entnimmt die Texte seiner Predigten aus Hermann und Dorothea; andere behandeln zu Weihnachten den Nutzen der Stallfütterung. In Berlin predigte der Pastor Schulz, der »Zopfschulz« über die Wunder des Neuen Testaments nach der Disposition: I. Diese Geschichte ist nicht wahr. 2. Wenn sie wahr wäre, so hatte sie kein Interesse für uns. Die Trauung von Kügelgen und Lilla wird improvisiert, wie die von Vossens Luise; die Totenfeier des Herzogs Georg von Meiningen begehen 1804 Nymphen und Genien an blumengeschmückten Altären; der Religionsunterricht legt es in seiner schematischen Art förmlich darauf ab, die Gemüter der Kinder gegen das Christentum zu erkalten.

Romantik

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Romantik

Eine Reaktion gegen den Aufkläricht des Rationalismus mit seiner platten Gewöhnlichkeit, seinem nur auf das Brauchbare und Nützliche gerichteten Zweck bringt die Romantik, die zugleich als Unterströmung gegen den Stil der Zeit betrachtet werden darf. Man lebte unter dem Joch einer starren, der Antike entlehnten Regel und sehnte sich darnach, den Druck selbstgewählter Gesetze abschütteln zu dürfen. So suchte die Zeit das, was ihrem eigenen Stil an Freiheit und Willkür gebrach, im Mittelalter, und fand in Gotik und Rittertum, was sie suchte, den Reiz des Rätselhaften, Geheimnisvollen, den sie aus Leben und Gegenwart eben glücklich hinauserklärt hatte! Die Antike regiert und niemand wagt ihr zu widersprechen, aber daneben gedeiht, einer Kaprize gleich, die Gotik, und schafft sich ein Plätzchen für die aus der offiziellen Kunst vertriebene Phantasie. In Kassel baut sich der Landgraf die Löwenburg; in Wörlitz der Herzog das gotische Haus; auf der Pfaueninsel entsteht die gotische Wohnruine der Königin Luise; der österreichische Hof errichtet die Franzensburg im Laxenburger Park; in Monrepos bei Ludwigsburg werden die Schrecken der unterirdischen Kapelle im See durch zwölf Wachsfiguren von Tempelrittern erhöht, die Kapitel halten. Alle Parkanlagen füllen sich mit Ruinen und Burgen, die in ihrer Gotik so drollig und zopfig sind wie die gleichzeitigen Ritter-, Räuber-, Gespenster- und Schauerromane, mit denen Spieß, Vulpius, Jünger, Naubert u. a. Literatur und Bühne füllen und selbst den Geschmack beherrschen, wenn man nach ihren Beschrei-

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bungen Ritterfeste veranstaltet, wie das Turnier, welches der Hof 1793 in Rudolstadt gab, oder wie jenes, das Graf Hochberg 1800 in Fürstenstein der Königin Luise zu Ehren feierte, oder wie die altteutsche Ritter-Assemblee des Grafen Zichy 1807 in Wien.

Erst als wirkliche Dichter nach dem Wunderland germanischer Vorwelt auszogen, wurde Ernst aus dem kindischen Spiel. Als Clemens Brentano, Achim von Arnim dem deutschen Volke seine Lieder und Märchen, Josef Gorres, Hagen, Jakob und Wilhelm Grimm ihm seine Heldensagen, Sulpiz und Melchior Boisseree ihm seine Kunst wiedergaben, erst da haben sie die Quellen angeschlagen, deren starkes Strömen deutschen Sinn und deutsche Sitte mit unwiderstehlicher Kraft an die Oberfläche trug und Leben und Kultur für ein Menschenalter die bestimmte Richtung gab.

Der Kreis der Romantiker und Germanisten, der in Heidelberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts beisammen war, hat den Deutschen, die nach Fichte dumm und unwissend, feige, faul und niederträchtig waren, von denen Gorres nichts, was tüchtig und brav sei, erwartet, dazu geholfen, sich wieder auf sich selbst zu besinnen und im eigenen Volkstum Kraft und Würde zu finden. Sie haben nicht zum wenigsten zum Erwachen der Volksseele beigetragen, denn sie flößten ihr den Mut ein, im Vertrauen auf eine große Vergangenheit ihr alles an eine große Zukunft zu wagen, den wesenlosen Idealismus der Traume mit dem gebieterischen der Pflicht zu vertauschen.

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Die Kunst

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Die Kunst

Der Stil, den wir unter dem Namen »Empire« begreifen, der etwa von der Mitte der achtziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts an, 30 Jahre hindurch geherrscht hat, ist, wie schon erwähnt wurde, durchaus nicht erst in dieser Zeit plötzlich entstanden, sondern nur durch ein Zusammentreffen besonders glücklicher Umstande damals zu ausschlieBlicher Herrschaft gelangt. Noch stand das Rokoko in üppigster Blute, da verkündete schon und noch dazu von demselben Dresden aus, wo eben erst Pöppelmann seine köstliche Zwinger-Phantasie getraumt, ein unbekannter deutscher Gelehrter der Welt ein neues Evangelium der Kunst: die unbedingte Nachahmung der Antike. Der Weltruhm, den Winckelmann sich bald darauf erwerben sollte, gab seinen Worten um so stärkeren Nachdruck, als die Entdeckung von Herculanum und Pompeji, archäologische Expeditionen nach Sizilien, Unteritalien und Griechenland die Aufmerksamkeit der gesamten gebildeten Menschheit gleichzeitig auf die Reste des Altertums lenkten.

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Das Paradoxon, nur durch die Nachahmung der Alten könne die Kunst noch hoffen, Unnachahmliches zu leisten, fand von Paris aus ein Echo in der ganzen Welt und wurde von Ästhetik und Kritik als ein Dogma verkündet, an das die Laienwelt um so lieber glaubte, als sie damit einen bequemen MaBstab für das Urteil, eine Eselsbrücke für die eigene Verständnislosigkeit gewann. Künstler wie Mengs machten sich zu Wortführern der neuen Meinung, die eine wahrhaft »ideale Schönheit«'im Gegensatz zur rohen und gewöhnlichen Natur forderte, die immer und immer wieder auf die antike Skulptur als auf die einzig berechtigten Vorbilder hinwies. So deckte sich antik mit schön, lange schon, ehe die vorrevolutionaren Ideen antik auch synonym mit tugendhaft gemacht

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hatten, lange bevor dem Geschlecht von 1789 antik gleichbedeutend mit demokratisch geworden war. Der leidenschaftliche Terrorismus der Revolutionsmänner wollte nicht nur mit der Tradition, nein, er hatte am liebsten mit der ganzen Zivilisation überhaupt gebrochen, um die neue Kultur des freien Volkes auf einem Boden zu begründen, den keine monarchische Vergangenheit besudelte! Nur im klassischen Altertum glaubten sie überhaupt Beziehungen zu der Größe des eigenen Heroismus finden zu können und so knüpften sie die Ideen von Vaterland, Freiheit, Pflicht, welche die modernen gallischen Republikaner erfüllten, unmittelbar an jene der Heldenzeit der römischen Republik.

Malerei

Der Kunst als solcher hätten sie sich willig entäußert, wäre

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sie nicht ein Mittel zum Zweck gewesen und hätten sie nicht einen Mann unter den ihren gefunden, dessen machtvoller Persönlichkeit es gelang, der Kunst als solcher nicht nur ihren Platz zu behaupten, sondern dem es auch gelang, seine Kunst als die allein würdige, allein republikanische durchzusetzen. Dieser Mann war Jacques Louis David, ein Künstler, dem der Stil seiner Werke zum Ausdruck seiner Überzeugung wurde, den eine enthusiastische Bewunderung des Altertums zum fanatischen Republikaner machte. Seit 1784 war er berühmt, denn in seinem Schwur der Horatier hatte er wie in einer Formel den Ausdruck für die Sehnsucht seiner Zeitgenossen nach Tugend und heroischer Größe gefunden, hatte er ausgesprochen, was alle dachten. Das Bild des damals 36jahrigen war in sei-

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nem Vorwurf, wie in der Strenge seiner Linien, der Herbheit seiner Farbe ein lauter Protest gegen das Treiben der herrschenden Gesellschaft, es stellte sie durch seine heftig betonten Kontraste ebenso an den Pranger, wie Beaumarchais' Barbier von Sevilla es tat.

Als dann den Jakobinern Kunst und Künstler wegen ihrer bis dahin ausschlieBlich im Dienste des Adels und der Geistlichkeit ausgeübten Tätigkeit in höchstem Grade verdächtig wurden, da konnte David mit Recht auf seine eigenen Werke hinweisen und dem Konvent das Versprechen ablegen, daß die Kunst yon nun an nicht mehr im Dienst der Despotie stehen, sondern ausschließlich solche Stoffe behandeln werde, die der Blicke eines freien Volkes würdig seien. Er hat mehr getan. Wenn er in seinen Bildern den ermordeten Marat zeigt, den Heldentod des jugendlichen Barra schildert, so schreibt sein Pinsel flammende Manifeste echt republikanischer Gesinnung; durch seinen Schwur im Ballhaus weht das gesteigerte Pathos einer erregten Zeit, die ihren Theorien zuliebe alles, sogar die Vernunft opfert. Der Jakobiner, der Königsmorder David bekennt sich durch diese Werke zu den gleichen wilden Ideen, wie sein Freund Robespierre auf der Tribüne; der seiner Seele natürliche Fanatismus des Republikaners reiBt auch den Künstler in ihm zur Natur fort, der Antikomane vergiBt alle seine Regeln und packt die Wahrheit, die Natur so direkt, so unmittelbar wie möglich. Das Überzeugende dieser Bilder liegt in dem völlig Ungekünstelten der Mache; wie ein leidenschaftlicher Schrei wirken sie, als sei in ihre Farbe ein Ton der empörten Erregung jener furchtbaren Zeit hineingebannt, wie in der leeren Muschel das dumpfe Brausen des Meeres noch an die ferne Brandung erinnert. Diese Werke, die in David den großen Realisten künden, sind jung geblieben und frisch, wie seine Bildnisse nach dem Leben, während diejenigen, in denen er am meisten er selbst zu sein glaubte, in denen er als Philosoph mit einer ausgebreiteten Kenntnis des Altertums ganz Römer zu sein meinte, völlig veraltet sind. Die Horatier, der Tod Senecas, der Raub der Sabinerinnen u. a. wirken in ihrer frostigen ausgeklügelten Art neben jenen anderen wie ein am Studiertisch ausgetipfeltes Programm neben der vom Augenblick geborenen Beredsamkeit eines Volksredners. Ihm selbst aber, der die

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Kunst seiner Zeit mit der Allmacht eines Dictators beherrschte, dessen Schüler nach Hunderten zählten, dessen EinfluB über die Welt reichte, der als Hofmaler des Kaisers die großen Ereignisse der an solchen wahrlich nicht armen Zeit darzustellen hatte — ihm galt die antiquarische Maschine als das Höchste, als einzig wahre und berechtigte Kunst. Der Siebziger schreibt 1820 ermahnend an Gros, daß er immer noch kein seiner würdiges Bild gemalt:»vite, vite, feuilletez votre Plutarque.« Und .dieser, "der seine glänzendsten Werke längst geschaffen, der seinen Pinsel größeren Taten geliehen, als je Plutarch sie beschrieben hatte, glaubt dem beruhmten Meister mehr, als der eigenen Begabung, er wird von Gewissensbissen gepackt, daß er mit seinen Bildern, die so eindrucksvoll auf Tatsachen, Leben, Bewegung, Farbe ausgehen, ein schlechtes Beispiel gegeben habe; auch er traumt nur noch von Mythologie und alter Geschichte und geht an einem solchen Werk ganz traurig zugrunde.

Ein anderer David-Schuler hat ebenfalls sein ganzes Leben lang bedauert, daß ihn sein Geschick nicht zur groBen Kunst kommen lasse, sondern beim Porträt festhalte: zum Glück! Denn die Nachwelt zieht Gerards Bildnisse seinem mythologischen Zuckerwerk bei weitem vor. Sein einst so berühmtes Bild der Psyche, nach deren Ausstellung alle Damen nur noch weiß auflegten, um ebenso ätherisch auszusehen, zeigt zur Genüge, daß er Körperlichkeit, Leben und Wahrheit unbedenklich zum Opfer brachte, wenn es galt, ideal zu sein, während er in seinen Porträts

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sich naher an die Wahrheit hielt. Er verstand es, Geist in seine Modelle hineinzusehen und ihnen eine Anmut zu geben, die ein feiner und delikater Geschmack in der Ausführung, eine vornehme und reiche Farbe zur bestechendsten Wirkung brachte. Nichts charakterisiert Gerards weiche anmutige Begabung im Vergleich zu Davids herber Strenge besser, als die Bilder der schönen Juliette Recamier, die beide Meister porträtiert haben. Bei David eine Vestalin, kalt und unnahbar, bei Gerard hingebend, unwiderstehlich, ganz und gar bezaubernd. Kein Wunder, daB er Modemaler wurde, nicht nur unter dem Kaiserreich, sondern auch noch Jahrzehnte spater; der Erfolg blieb ihm treu, ebenso wie Thomas Lawrence und Mme. Vigee-Lebrun, mit denen er sich in die Gunst der groBen Welt teilte.

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Lawrence, in England der Erbe von Reynolds' Ruhm und Klientel, ist auf dem Kontinent erst nach Napoleons Sturz bekannt geworden, als er für SchloB Windsor eine Sammlung ausführte, wie George Dawe für die Eremitage: die Bildnisse rivalisierender Herrscher und Heerführer, die ein gemeinsamer Gegner solange zu inniger Freundschaft verbunden hatte, als er noch zu bekämpfen war.

Das spöttische Urteil, das die Humboldts über das Portrat ihres »rosenwangigen« Vaters fällten, substantiierte einen Vorwurf, der dem Künstler allgemein gemacht wurde, daB er sich nämlich beim Inkarnat seiner männlichen Bildnisse in Rosa übernähme. Der vornehme Geschmack der Reynolds und Gainsborough wird unter den geschickten Händen dieses letzten der

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großen englischen Porträtisten zu einer etwas marklosen Eleganz, der die blühende Palette dann noch einen Stich ins Herzige mitteilt, der fatal wirkt.

Mme.Vige'e-Lebrun war beim Ausbruch der Revolution, trotzdem sie erst 34 Jahre zählte, schon eine gefeierte Malerin. Sie war unter den ersten, die emigrierten, und hat in einem Wanderleben von zwölfjahriger Dauer, das sie allmählich an alle Höfe zwischen Neapel und Petersburg führte, die schönsten Frauen und lieblichsten Kinder ihrer Zeit gemalt. Sie hat den berühmten Bildern von Marie Antoinette, die sie in Frankreich zurücklieB, die Konigin Luise, die Kaiserin von RuBland, österreichische Erzherzoginnen und russische GroBfürstinnen angereiht; alle durch das gemeinsame Element der Anmut und Eleganz, Naivitat und Grazie einander ähnlich. Darf man ihren Eigenbildnissen trauen, so glaubt man gern, daß die Künstlerin selbst noch verführerischer wie ihre Kunst gewesen sein muß. — Die Französin ist Weltdame, die »gute« Angelika Kauffmann dagegen ganz Blaustrumpf; in ihren Historien, z. B. Hermann der Cherusker, geradezu unerträglich vor lauter Ziererei, während in ihren Porträts, z. B. dem der vielberufenen Lady Hamilton oder dem weltbeliebten der Prinzessin Maria von Kurland als Vestalin ein mit Schwärmerei gepaarter Liebreiz, eine schon von Goethe anerkannte Leichtigkeit und Gefälligkeit in Form und Farbe, Anlage und Behandlung bestechen.

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Wie ein lebender Anachronismus ragt sie in dieses Zeitalter hinein, gerade wie Fragonard und Greuze, deren einst hoch gefeierte Kunst jetzt mitleidslos als »Schande des französischen Volkes« bezeichnet wurde. Man empfand diese Rokoko-Art als ein »wunderliches Laster«, wahrend man ganz übersah, daB Prudhon, den man laut als den Maler-Dichter pries, sein Können doch auch aus dem 18. Jahrhundert mitgebracht hatte. Das Liebenswürdige und Zärtliche seiner Kunst, ja, gerade das Bestechende in den falschen Tönen seiner Palette waren doch ganz und gar Rokoko, ebenso die ihm eigene spielende Leichtigkeit der Erfindung, wie die tändelnde Pikanterie der Gestaltung. David huldigte den Musen, Prudhon den Grazien, der ernste David strebte nach dem Lorbeer antiker Tugend, der schelmische Prudhon nach den Rosen junger Liebe.

Die »klassische Marmorbraut«, wie Muther so hübsch sagt, erschien gleichzeitig auch den Deutschen und erstickte in ihrer tödlichen Umarmung die Malerei; an Stelle des Bildes tritt die Zeichnung, der Stift an Stelle der Farbe, Asmus Carstens beginnt die Karton-Ära. Die hohe Kunst darf die Schönheit

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nur im fernen Altertum suchen. An die Spitze derjenigen, die sie in dies gelobte Land führen wollen, stellt sich der alte Goethe, der den »Weimarischen Kunstfreunden« (d.h. sich selbst und dem Kunscht-Meyer) gar zu gern eine führende Rolle im deutschen Kunstleben errungen hatte. Die Preisaufgaben, die er eine Reihe von Jahren zu freier Konkurrenz stellt, sind natürlich ausschließlich dem Kreis der griechischen Sagenwelt entnommen, als Paris und Helena, Hektors Abschied von Andromache, Achill auf Skyros, Perseus und Andromeda, und es ist ergötzlich, wie der Weimarische Olympier in seinem umständlichen Altersstil über die Ausstellungen orakelt. Während die weimarischen und andere Freunde die Kunst ganz in den Bann eines öden Klassizismus treiben, geht unbeachtet neben der offiziellen klassischen eine naturalistische Strömung einher, nicht wie jene abseits vom Leben, sondern mitten darin und eben darum übersehen oder gering geschätzt. Sie verbürgte der im Prokrustesbett falscher Ideale mißhandelten Kunst eine gesunde Zukunft und wies aus der gespreizten unwahren Theaterei der posierenden Römer und Griechen

  • vgl. Prokrustesbett - womit ein Schema gemeint ist, in das etwas gekünstelt hineingezwängt wird. Prokrustes

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in den hellen Tag von Leben und Wirklichkeit. Da schafft in Berlin noch der alte Chodowiecki in der guten Gewohnheit einer in Zeit und Ort festwurzelnden Art und weist in seiner sauer erarbeiteten handwerksmäBig tüchtigen Kunst über Carstens hinweg auf die Krüger und Menzel, die ihm folgen werden; da malt der alte Graff in Leipzig noch immer seine nüchtern sachlichen Porträts, da pflegt in Dresden Friedrich eine Landschaft, die, seiner Zeit ganz unverständlich, ihm erst ein Jahrhundert zu spät die verdiente Anerkennung bringt; da ist der Hamburger Runge, der Münchener Edlinger, die in aller Stille und Verborgenheit die gute Tradition fortpflanzen. Vor allem lebt damals Goya, der im Zeitalter einer in Regeln und Formen eingeschnallten Kunst um alle die toten Paragraphen unbekümmert nur mit den Problemen von Luft, Licht

 
Caspar David Friedrich: Wallfahrt bei Sonnenuntergang, 1805, Klassik Stiftung Weimar
 
Caspar David Friedrich: Herbstabend am See, 1805, Klassik Stiftung Weimar
  • Aus seiner offensichtlichen Lebenskrise heraus gelang Friedrich 1805 ein erster bedeutender künstlerischer Erfolg. 1805 wurde ihm die Hälfte des ersten Preises der Weimarer Kunstfreunde zugesprochen. Obwohl die beiden eingereichten Landschaften Wallfahrt bei Sonnenuntergang und Herbstabend am See den Vorgaben, eine antike Sage zu illustrieren, nicht entsprachen, verfügte Goethe die Auszeichnung. Der begehrte Preis schloss die Präsentation in einer Ausstellung und eine Besprechung durch Heinrich Meyer in den Propyläen ein. (1807 entstanden die ersten Ölbilder, die gegenüber den Sepien die gestalterischen Möglichkeiten erweiterten.)
  • Die späten Werke standen außerhalb der aktuellen Kunstentwicklung, von der Kritik und dem Publikum immer weniger beachtet. Der Verkauf der Bilder war schwierig geworden. Die Familie lebte in finanzieller Not. Am 26. Juni 1835 erlitt der Maler einen Schlaganfall mit Lähmungserscheinungen. Er machte eine Kur in Teplitz, die er sich nur durch den Verkauf einiger Bilder über den Dichter Schukowski an den russischen Zarenhof leisten konnte. ... Im letzten Lebensjahr kam die Arbeit zum Erliegen. Carl Gustav Carus und Caroline Bardua kümmerten sich um den Freund. Bei einem Besuch von Schukowski bat der Maler um finanzielle Unterstützung durch den russischen Zaren, die aber erst nach seinem Tod eintraf. Friedrich starb mit 65 Jahren am 7. Mai 1840 in Dresden und wurde auf dem Trinitatisfriedhof beigesetzt.

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und Bewegung ringt, die er erst entdeckt, der, von lauter Pseudo-Römern und Pseudo-Griechen umgeben, Spanier ist und Spanier bleibt und in der RiesengröBe und Einsamkeit seiner Kunst von unserer Zeit aus gesehen wie ein Fanal wirkt, dessen blendender Schein die finstere Nacht um ihn herum noch dunkler erscheinen läßt.

Skulptur

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Skulptur

Wie David die Malerei, beherrschte Canova die Skulptur. Die kokette Eleganz seiner Gestalten mit ihrem leicht sentimentalen Anflug begeisterte die Zeitgenossen; seinen Perseus stellte man als Gegenstück zu dem Apollo in das vatikanische Belvedere. Kaiser und Päpste machten sich den Künstler streitig, der in der Seele, die er dem Marmor mitteilte, ihnen die Antike zu übertreffen schien. Sein Einfluß umspannte die Welt,

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der Däne Thorwaldsen, der Spanier Alvarez, der Englander Flaxman, wie der Deutsche Rauch sind die Träger seines Geistes, die Apostel seines Evangeliums.

vgl. Christian Daniel Rauch

Baukunst

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Baukunst

Der Baukunst haben jene Jahre verhältnismäßig wenig Gelegenheit geboten, die Erinnerung an ihre Bestrebungen in Monumentalschöpfungen festzuhalten, zum Bauen braucht man Zeit und Geld und an beiden fehlte es damals Privaten wie Regierungen. Die klassische Richtung blieb der Architektur noch fast ein Jahrhundert zu eigen, aber weder der Republik, noch dem Kaisertum war es vergönnt, über groBe Projekte hinauszugelangen. Das »Pantheon« war schon vollendet, als die Nationalversammlung ihm seine Bestimmung gab, aber trotz seiner herrlichen Verhältnisse gewahrt es in der Disharmonie seiner Fresken, der Stillosigkeit der Aufmachung doch nur den Eindruck einer ausgeräumten Kirche. Wie eine Ironie hat das Schicksal dem heidnischen Ruhmestempel unverwischbar den Charakter eines christlichen Gotteshauses aufgedruckt, wie zum Hohn hat es dann aus Napoleons Lieblingsschöpfung, der Ruh-

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meshalle der Großen Armee, wieder eine Kirche gemacht, als zeige das Geschick mit dem Finger auf Anfang und Ende: von der Kirche kommt ihr doch nicht los! War es aber einem begabten Architekten jener Jahre vergönnt, seine Ideen auszuführen, so läBt sich ein Zug ins Große nicht verkennen, wie z. B. bei dem Brandenburger Tor, das Langhans von 1788 — 91 erbaute und dem das mittlerweile zur Reichshauptstadt gewordene Berlin an Monumentalität auch nach länger als einem Jahrhundert noch wenig Gleichwertiges an die Seite zu setzen hat.

In jenen Jahren erringt sich ein neues Material seine Geltung, wenn auch noch nicht seinen Stil: das Eisen. Die in England zuerst ausgeführten Eisenkonstruktionen erregten bei Technikern wie Publikum die staunendste Bewunderung; 1803 erhielt Paris seine erste eiserne Brücke, den Pont des Arts; Deutschland besaB eine solche bereits seit 1796, in welchem Jahre Graf Burghauß von englischen Ingenieuren für 7700 Taler eine Eisenbrücke bei Laasan in Schlesien über das Striegauer Wasser hatte erbauen lassen.

Innendekoration

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Innendekoration

Den architektonischen Stil der Zeit bringt weit mehr, als es der Baukunst gegeben war, die Innendekoration zum Ausdruck, deren leichter zu behandelndes Material ein schnelles Arbeiten, ein Hand in Hand gehen mit den Ideen des Tages ermöglicht. Gegen den Stil Louis XVI., der ja selbst schon ausschließlich mit antiken Elementen arbeitet, in ihrer Verwendung aber eine weitgehende Selbständigkeit und große Anmut entfaltet, zeigt

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derjenige dieser Periode eine ins Nüchterne fallende Strenge, ja, dadurch, daß er die Symmetrie in übertriebener Weise betont, etwas trocken Pedantisches. Große ungebrochene Wandflächen, magere Profile, gerade Linien, auf die Farbe wird zugunsten von WeiB und Gold ganz verzichtet, das macht den Gesamteindruck wohl ernst und feierlich, aber auch unsäglich langweilig; die Farbenscheu dieser Zeit hat man erst am Ende des 19. Jahrhunderts angefangen, wieder zu überwinden. Die Einrichtung war damals so gut ein Bekenntnis, wie die Kleidung, man wollte viel in ihr ausdrücken, ja, zu viel. So kam man zu einer aufdringlichen Anwendung der Allegorie, die durch das unumgänglich vorausgesetzte Wissen, die Kenntnis von tausenderlei mythologischen Beziehungen etwas ungemein Frostiges bekommt und je länger, je mehr in der Schablone erstarrt. Die höhere Weihe, welche das Leben des freien Bürgers durchdringen sollte, teilte auch den Wohnraumen ein gesteigertes Pathos mit, man richtete sich nach einem Programm ein, nicht nach Bequemlichkeit und Komfort. Alles Notwendige, Naturliche mußte zurückstehen, man schämte sich seiner Bedürfnisse und versteckte sie, denn am liebsten hätte man aus

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jedem Bürgerzimmer einen Tempel gemacht! Unter allen Wohnraumen war der »Schlaftempel« der wichtigste, insofern man darin seine Besucher empfing und Gesellschaften abhielt. Das Bett stand frei, umgeben von Altären, die mit Opfergerät besetzt waren; das Schlafzimmer des Malers Odiot stellte einen Dianentempel im Wald vor; das von Vivant Denon einen ägyptischen Tempel, der einem Original in Theben genau nachgebildet war; die Wohnungseinrichtung des Baron Blumner auf SchloB Frohburg entsprach dem Doppelprogramm der vier Jahreszeiten als der vier Lebensalter usw.

Das Mobiliar

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Das Mobiliar

Die Künstler gaben das Beispiel, vor allem David, der sein Atelier nach seinen eigenen Entwürfen von Georges Jacob neu einrichten ließ, ein Ereignis, welches Sensation machte und dem neuen strengen Stil mit wahrhaft revolutionärer Gewalt Bahn brach. — Das Möbel wird logisch zweckmäßig aufgebaut und nach rein architektonischen Gesetzen konstruiert; die überreich verwendete Säule gibt Schränken, Stühlen, Tischen den monumentalen Charakter des unerschütterlich Standhaften. Das Mahagoni drangt alle andern Zierholzer in den Hintergrund, verschwenderisch angebrachte Beschlage in vergoldeter Bronze erhöhen den Eindruck des Reichen und Prächtigen,

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ermüden aber schließlich durch die ganz konventionelle Wiederholung der ewig gleichen Kränze, Palmetten, Lyren usw. So entstehen unter Zugrundelegung spatrömisch antiker Formen Möbel von großer Pracht, wenn auch nicht geringer Schwerfälligkeit, wie etwa die des Nationalkonvents, die von George Jacob 1793 ausgeführt wurden, oder der Schmuckschrank der

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Kaiserin Marie Luise, der Napoleon 55000 Francs kostete. Jacob Desmalter, der ihn anfertigte, war einer der berühmtesten Ebenisten seiner Zeit; von ihm rühren auch die Einrichtungen der kaiserlichen Schlosser in Malmaison, Mainz, Antwerpen, Rom, Florenz, Venedig usw. her, ebenso lieferte er das Bett der Kaiserin Marie Luise, das mit Spitzen für 120000 Francs garniert war; er hatte Kommoden für 4000, Schreibtische für 350 bis 3000, Teetische für 300 bis 2000 Francs usw. vorrätig. So ließ sich die Marschallin Ney die Einrichtung ihres Parisers Palais mehr als eine Million kosten.

Künstler, wie Girodet, entwarfen das Mobiliar für Compiegne, Prudhon die Prachteinrichtung des Toilettezimmers der Kaiserin Marie Luise, die, ein Geschenk der Stadt Paris, von massivem vergoldetem Silber angefertigt, 1832 eingeschmolzen wurde! Von Thomire rührt die Wiege des Königs von Rom

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her; den größten Einfluß aber übten auf Kunst und Kunstgewerbe die kaiserlichen Hofarchitekten Percier und Fontaine, unter deren Anregungen sich eine ganze Generation von Künstlern gebildet hat. Sie haben die Bauten Napoleons geleitet, seine Feste angeordnet, seine Möbel gezeichnet und schließlich auch noch die Modelle für die Porzellanfabrik in Sevres geliefert. Der Konvent hatte bei der Ausraubung der königlichen Schlosser angeordnet, daß Porzellane, soweit sie nicht in ihren Formen der Einfachheit und Linienstrenge etruskischer Vasen glichen, nicht des Aufhebens wert seien, — so war die Manufaktur in Sevres dem Untergang nahe, als ein Machtwort Napoleons ihr neuen Glanz verschaffte. Den groBen Luxus, den das Kaiserreich wieder mit kostbarem Porzellan trieb, drücken am besten die Preise aus, die man bezahlte, z. B. für eine von Mme. Jaquotot gemalte Tasse bis zu 500 Francs ; für Vasen mit Malereien von Swebach, Bergeret oder Isabey 6000, 10000, 15000, ja in einzelnen Fallen 50000 Francs! Der französische Geschmack ging über die ganze Welt, Desmalter richtete die Eremitage in St. Petersburg und das KaiserschloB in Rio de Janeiro ein, Percier und Fontaine machen Entwürfe für Kassel, Moreau möbliert in Wien das Palais des Grafen Johann Palffy in der Wallnergasse und errichtet den Apollosaal, das berühmte Vergnügungslokal der vornehmen Welt, wo das Entree 5 fl. und das Kuvert ohne Wein ebensoviel kostete.

Der Ofen

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Der Ofen

Die Innendekoration und das Möbel der Empirezeit gestalten Räume von feierlicher, wenn auch etwas steifer Pracht, wenn es sich darum handelt, im großen Stil zu schaffen, aber sie versagen völlig, sollen sie den Ansprüchen des Bürgerhauses genügen. Die Ästhetik der Zeit, die das gesamte Leben in klassisches Römertum hinaufschrauben wollte, die immer auf Stelzen ging, ist in Verlegenheit, wenn sie sich mit dem alltäglichen Hausrat abzufinden hat; wie man sich da zu helfen suchte, wie schamhaft man seine Bedürfnisse zu maskieren trachtete, ist schon oben gelegentlich an dem Beispiel des Nachtkastls gezeigt worden, und dieses Unglücksmobel ist nicht der einzige Gegenstand des Kopfzerbrechens für Ästhetik und Kunsthandwerker der Zeit gewesen. Ein Ofen z. B. war in nördlichen Klimaten in den Zimmern gar nicht zu entbehren, aber wo fand sich im ganzen Altertum ein Kachelofen?! Da mußte wieder der Allerweltsaltar helfen; in Wörlitz z. B. war

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der Ofen als Altar des Winters gedacht, oder man machte ihn zum Monument; das Kunstgewerbemuseum in Breslau besitzt einen eisernen Ofen dieser Zeit in der Gestalt einer antiken Ägypterin, unter dem Hüftschurz ist der Einwurf für die Kohlen; im Hotel des Malers Isabey in Paris war der Ofen in eine Statue der Minerva gesteckt; die Firma Höhler in Berlin brachte Öfen in den Handel, deren Farbe alle Marmorarten nachahmte und deren Formen denen antiker Denkmaler nachempfunden waren. In Wels in Oberösterreich fand Karl Julius Weber einen Ofen, der einen Bücherschrank vorstellte, innen mit den Opera Lutheri, Zwinglii, Calvini gefüllt, deren Ketzereien also jeden Tag aufs neue verbrannt zu werden schienen!

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Dieser beständige, ermüdende Konflikt zwischen Ästhetik und Notdurft mußte natürlich zu einem Protest gegen die herrschende, so unbequeme Richtung führen und diesen Widerspruch vertritt auf das Glücklichste und Erfolgreichste das englische Möbel. Im Gegensatz zu dem kontinentalen Bestreben gewaltsamer Unterordnung unter die Antike, einer gezwungenen Anpassung an ungeeignete Formen, berücksichtigt der englische Hausrat vor allem die Bequemlichkeit. Das englische Möbel ist zweckmäßig, solide gearbeitet und nur sparsam verziert; dieses Zusammentreffen guter Eigenschaften hat es denn auch seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem Kontinent eingebürgert. Der Stil, den die englischen Möbel seit Sheraton und Hepplewhite annehmen, eine eigentümliche Verquickung von Elementen Chippendaleschen Rokokos, zopfi-

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ger Gotik und pseudoklassischer Formen, hat auf das Biedermeiermöbel der nächsten Periode dann ebenso starken Einfluß geübt, wie das eigentliche Empire. Den spärlichen Vorrat des Bürgerhauses an Mobiliar hat die Zeit um mehrere wichtige Stücke bereichert. Da tritt zum Wandspiegel die »Psyche«, der in einem Gestell freistehende und gleichzeitig bewegliche Spiegel, an dessen Anfertigung erst gedacht werden konnte, seitdem die Technik gelernt hatte, Gläser von genügender GroBe zu schleifen; da taucht ferner der Waschtisch auf, dessen Existenz erst durch das neue Bedürfnis der Reinlichkeit bedingt wird.

Reinlichkeit

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Reinlichkeit

Es ist bekannt, wie geringen Wert man im 16., 17. und 18. Jahrhundert auf Sauberkeit legte. In Spanien war das Baden als

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heidnischer Greuel verboten; die durch ihr galantes Leben berühmte Königin Margarete von Navarra wusch sich höchstens einmal in der Woche, und auch dann nur die Hände; der Sonnenkönig wusch sich nie und die einzige Badewanne, die zu seiner Zeit in Versailles existierte, wurde, da das Badezimmer als überflüssig zu anderen Zwecken eingerichtet worden war, erst ganz zufällig zu den Zeiten der Pompadour wieder entdeckt, aber nie benutzt, sondern als Springbrunnen im Garten aufgestellt. Bei solchen Gewohnheiten begreift man die Mißbilligung, mit der Napoleon nachgesagt wurde, er bade zu viel! und das Erstaunen, mit dem Mercier im Jahre 1800 konstatiert, daß die Seife in Paris wirklich ein ganz allgemeiner Gebrauchsartikel geworden sei, und man fühlt Reichardt die Verwunderung nach, mit der er 1804 die Franzosen so viel sauberer findet, als vor 20 Jahren! Gleichzeitige Berichte von Engländern allerdings lauten wesentlich anders: sie gaben ja zu, die Französinnen seien hübsch anzusehen, aber — mit der Nase dürfe man ihnen nicht zu nahe kommen! In Spanien rechnete die Erlaubnis, ihr — das Ungeziefer absuchen zu dürfen, zu den größten Gunstbeweisen, die eine Schöne ihrem Geliebten erzeigen konnte und Klinger erzählt, wie er seinen Offizieren in St. Petersburg einst ein Mikroskop gezeigt und ein gewisses kleines Tierchen als passendes Demonstrationsobjekt bezeichnet habe, da seien ihm in einem Augenblick von den Hörern so viele dieser kleinen Geschöpfe dargeboten worden, daB er in die peinlichste Verlegenheit geraten sei.

Als der Maler Ludwig Emil Grimm von Georg Brentano 1816 auf eine Reise nach Italien mitgenommen wird, mokiert er sich in seinem Tagebuch beständig über ihren dritten Reisegefährten den Maler Prestel, der jedesmal, sobald sie in einer Stadt ankamen, sofort Toilette machen müsse, »viel Wasser und Handtücher« dazu brauche, Seife und Bürsten sogar immer bei sich habe und er sei doch gar nicht mehr jung!? Geradezu ergötzlich lesen sich die Artikel von Hufeland, der 1790 einen förmlichen Feldzug gegen die Unsauberkeit eröffnet. Es sei nicht recht, sagt er z. B., daß man die Kinder nie bade, selten wasche und sie noch seltener die Wäsche wechseln lasse, das sei ungesund, — und in diesem Stil predigt er Jahrzehnte hindurch seinen Zeitgenossen die Urelemente der Körperkultur. München hatte bei 40000 Einwohnern 17 Klöster, aber nur

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5 Badeanstalten mit insgesamt 130 Wannen; Frankfurt a. M. erhielt sein erstes Badeschiff im Main 1800 durch einen Dr. Kohl und Berlin sein erstes FluBbad durch General von Pfuel erst nach 1813.

Wozu hatten wohl Leute, die sich nicht wuschen, einen besonderen Waschtisch gebraucht?! Erst mit der beginnenden Reinlichkeit erscheint auch er, zuerst nur in sehr bescheidenem Umfang, am liebsten als DreifuB gebildet, Waschbecken und Wasserkrug von geradezu diminutiven Verhaltnissen.

Die große Blumenliebe der Engländer hat uns mit dem Blumentisch beschenkt und der Empfindsamkeit, die der Flora holde Kinder sich zu Lieblingen erkor, gesellt sich der Luxus, der mit seltenen Pflanzen oder mit Blüten außerhalb ihrer Jahreszeit prunken will. In Paris erscheint die Blumenliebe erst nach der Schreckensherrschaft, wo sie besonders durch die Kaiserin Josephine, die eine leidenschaftliche Blumenfreundin war, geradezu in Mode gebracht wird; verdanken wir ihr doch die Einbürgerung der Hortensie in unseren Garten. Man ließ schon damals im Winter blühende Blumen aus Nizza und Genua kommen; ja, Napoleon selbst war bei Mme. Bernard auf Bukette abonniert. Für 600 Francs im Jahr erhielt er täglich einen frischen Strauß.

Bei der Bekleidung der Innenraume macht der Empirestil, indem er zur einfachen Tünche oder dünnmustrigen Papiertapete

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greift, geradezu aus der Not eine Tugend. Die früher allgemein übliche Vertäfelung war mit der zunehmenden Abholzung der Wälder und der Verteuerung des Holzes, die schon zur Einführung von Sparherden und Sparöfen gezwungen hatte, dem Bespannen der Wände mit Stoff gewichen, sei es nun in Form von Gobelins, gewirkter Seide oder schlieBlich bedruckter Kattune.

Neben den Altären, Monumenten und Säulentempeln aber, mit denen der neue Geschmack die Zimmer füllt, neben den dünnbeinigen Stühlchen, all dem klassischen Apparat der Sphinxe, Greife, Löwenkopfe, Karyatiden usw. muBte die Wand so kalt und so neutral wie möglich gehalten sein. Die Zimmerwände werden weiß gestrichen, allenfalls mit abgesetzter Borte; Boiserie wird weiß lackiert, Papiertapeten in hellen Farben gehalten und nur ganz schwach gemustert. Sparsamen und Freunden einer aparten Dekoration wurde 1796 in Paris vorgerechnet, daß sie am billigsten zu einer neuen Tapete kamen, wenn sie sich 24 Francs Bargeld in Assignaten umwechselten, für diese Summe empfingen sie Papiergeld im Nennwert von 45000 Francs, hinreichend, um die Wände eines mittelgroßen Zimmers damit zu bedecken!

Die einseitige Vorliebe der Zeit für die weiße Farbe, die angenommene Farblosigkeit der antiken Tempel und antiken Statuen verschaffte dem grellen WeiB die Ausnahmestellung des allein ästhetisch Zulässigen, hat man ja in so unendlich vielen Kirchen und Wohngebäuden die farbenfrohen Fresken der Vorfahren damals mit Kalktünche bedeckt. Auf die matt und flach gehaltenen Wände des bürgerlichen Wohnzimmers paßten keine Ölbilder, deren stark perspektivische Wirkung und schwere Rahmen ganz aus der übrigen leichten Dekoration herausgefallen waren, sie verlieren somit an Wertschatzung und werden für lange Zeit vom Kupferstich, und zwar vom Farbstich verdrängt.

Die Graphische Kunst

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Die Graphische Kunst

Wie der Kampf um die Photographie in natürlichen Farben durch das 19. Jahrhundert, so zieht sich die Geschichte der Versuche, Kupferplatten in Farben abzuziehen, durch das 18. Jahrhundert. Von Jacob Christoph Le Blon, einem in Frankfurt a.M. geborenen Kinde refugierter Franzosen, erfunden, haben eine ganze Anzahl französischer Künstler an der Weiterentwicklung dieser mühseligen Technik gearbeitet, einem Verfahren, das

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um so undankbarer, als der den Stich Ausführende in bezug auf die Wirkung seines Blattes ganz und gar von demjenigen abhängig ist, der die Platte einfärbt und abzieht. Gautier d'Agoty hat anatomische Bilder in größtem Format, Alix schone Porträts geliefert, Debucourt und Janinet haben das Sittenbild gepflegt und uns die höchst absonderlichen Erscheinungen der damaligen Gesellschaft in Szenen aufbewahrt, die in der Übertreibung des Stils so leicht karikiert wirken.

Auf die Höhe dessen, was mittels des Farbstiches geleistet werden kann, gelangt das Verfahren erst, als die Engländer es auszuüben beginnen, gerade wie auch englische Künstler die von Deutschen erfundene Schabkunst erst auf die Höhe einer nicht mehr zu übertreffenden Meisterschaft geführt haben. Sie haben auch aus dem Farbstich alles herausgeholt, was diese Technik an Reizen besitzt, alle Wirkungen zur Geltung gebracht, die doch bei ihm innerhalb sehr eng gezogener Grenzen liegen, denn sie gehen nie über die Anmut hinaus. Für die schmelzende Grazie der professional beauties nach Reynolds und Gainsborough haben sie in den weichen Lagen ihrer Striche und Punkte, den zartgestimmten Tönen ihrer gebrochenen lichten Farben ebenso den passenden Ausdruck gefunden, wie sie die Lieblichkeit der Clarissa Harlowe, Caroline Lichfield, das Verführerische der Lovelace und Grandison aus der Phantasie der Romanwelt heraus in die herzige Sichtbarkeit von Rosa und Himmelblau übersetzten. Eine ungemeine Liebenswürdigkeit spricht aus allem, was die Hoppner, Singleton, Morland, Smith, Ward, White, die völlig englisierten Bartolozzi, Cipriani, Schiavonetti u. a. uns von dem englischen Leben von damals erzählen.

Man befindet sich bei ihnen in der besten und vollkommensten der Welten, wo alle hübsch, wohlgekleidet und gesund sind, wo so brave Hunderln, so süBe Kinder und so gute Eltern leben, wo hinter jeder Tür eine Freude wartet, wo alle Träume von Glück eine schöne Wirklichkeit geworden! Diese mit technischer Vollendung und großem Geschmack vorgetragene Kunst fand eine begeisterte Aufnahme und langdauernde Gunst, sogar Goethe machte sich in den Propylaen zu ihrem Herold, und besonders beliebte Darstellungen, wie George Morlands Geschichte der Lätitia, die 1789 zum erstenmal herauskam, muBte 1811 mit modernen Kleidern überarbeitet, nochmals aufgelegt werden.

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Das Panorama

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Das Panorama

Aus England kam dem Kontinent damals eine weitere künstlerische Offenbarung, das Panorama, dessen malerisch-plastisch-optisches Gaukelspiel bald eine der beliebtesten Unterhaltungen wurde. Der erste Panorama-Maler war Robert Barker in London, der in einem eigenen Haus am Leicester Square 1793 eine Ansicht von Portsmouth mit der englischen Flotte ausstellte, der er 1795 Lord Howes Seesieg über die Franzosen, 1799 die Schlacht von Abukir folgen lieB. Die gebrauchten Panoramen waren dann zur Ausstellung in Hamburg und auf den Leipziger Messen noch gut genug! Ein bezeichnendes Charakteristikum für deutsche und englische Art ist es doch, daß das erste etwa 1800 in Berlin aufgestellte Panorama eine von Tielker und Breysig gemalte Ansicht der Stadt — Rom war! In Berlin wurde nach 1811 Gropius' Diorama eine Hauptsehenswürdigkeit, für die ein Schinkel Entwürfe machte. Zu seinen Glanzleistungen gehörte der Brand von Moskau, den man schon drei Monate nach dem Ereignis, zu Weihnachten 1812, ausstellen konnte; manches bedrückte Gemüt mag sich damals an seinem Anblick besserer Zeiten getröstet haben. Die Münchener lernten das erste Panorama 1809 kennen und bewunderten darin das Ziel ihrer steten Sehnsucht — Wien!

Die Museen

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Die Museen

Eine Errungenschaft verdankt die Kunst der Revolution: das Danaergeschenk der öffentlichen Museen, die so unendlich viel zur Verbildung, zum Verdrängen des Kunstgeschmacks durch das Kunstwissen getan haben. Die bisherigen Sammlungen der Fürsten und Mäzene basierten auf der Eitelkeit ihrer Besitzer oder ihrer persönlichen Freude am Kunstwerk; das Volk hatte so wenig Verständnis für ihren Inhalt, wie Recht auf ihren Besuch. In Paris passierte es vor der Revolution, daß Barthelemy, der Kustos der königlichen Antikensammlung, als er nach Italien reiste, die Schlüssel seines Instituts einfach mitnahm! — Die Revolution änderte das, nicht sowohl, weil es ihr um die Kunst, als weil es ihr um die Erziehung des Volkes zur Freiheit zu tun war. So weit ihr der Kunstbesitz der königlichen Schlosser zu diesem Zweck dienlich erschien, vereinigte sie ihn seit 1792 im Louvre, wobei es allerdings angesichts des politischen Grundzuges der ganzen Maßregel eigentümlich genug zugegangen ist. Gegenstände, die »unsittlich« waren, wie etwa die Bilder Bouchers, oder die das Unglück hatten, an das verhaßte Königtum und seine für ewig abgeschafften Zustände

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zu erinnern, Bilder, welche wie die der Vlamen der idealen Kunst schadeten, wurden kurzerhand zur Vernichtung verurteilt, der sie teilweise nur dadurch entgangen sind, daß sie für ein Spottgeld — und meist ins Ausland — verkauft wurden. Übrigens standen die Franzosen in dem Unverständnis, mit dem sie alte Kunstwerke behandelten, durchaus nicht allein; in Prag hat man damals aus dem Kopf des in den Graben des Hradschin geworfenen Ilioneus Stockknopfe gedreht; in der Wiener Hofbibliothek von den Büchern des Prinzen Eugen die kostbaren Maroquin-Einbande entfernt und durch Papierkartons ersetzt . . . usw. !

Die Auktionen, die 1793 den konfiszierten Besitz der Emigrierten, das köstliche Mobiliar der königlichen Schlosser, Bronzen, Por-

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zellane, Gobelins u. a. in alle Welt zerstreuten, haben dem französischen Staat nur Assignaten, nur wertloses Papier eingebracht, während unersetzliche Werte verloren gingen oder zerstört wurden. Aus Trümmern, die in Magazinen zurückblieben, hat dann Alexandre Lenoir das erste historische Museum begründet und jahrelang mit nie ermüdender Sorgfalt und Hingebung gepflegt, bis der kurzsichtige Unverstand der Restaurationszeit es auflöste und seinen Bestand verschleuderte. Unter dem Kaiserreich wurde das Musee Napoleon dann für einige Jahre durch den Kunstraub in Italien, Spanien und Deutschland zu dem ersten derartigen Institut der Welt, und sein ÜberfluB hat von 1803 — 05 noch hingereicht, einige 20 Provinzmuseen innerhalb Frankreichs zu begründen. Dieses Beispiel war auch für das Ausland nicht verloren, wenn eine systematische Befolgung in Deutschland auch erst in den nächsten Jahrzehnten einsetzt. England steht in den Fragen der Kultur allein, geht doch die Entstehung des British Museum bis in das Jahr 1752 zurück.

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Damenmode

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Reformkleid von Chodowiecki aus dem » Frauenzimmeralmanach « 1786

Die Mode

Der Ruf Rousseaus nach der Zurückführung der staatlichen und gesellschaftlichen Zustande auf die Natur bedeutete für die Kleidung den Sieg des Gesunden, Vernünftigen und Zweckentsprechenden über das Geschnürte und Verkünstelte. Das Kraftgefühl des zum Bewußtsein erwachenden Menschentums sprengte die in veralteten Formen erstarrte Gesellschaft, aber lange bevor diese auch äußerlich zusammenbrach, fand die Sehnsucht der Menschen nach neuen Lebensformen ihren Ausdruck schon in der veränderten Kleidung. Der selbstverständlichste, weil jedem am nächsten liegende Ausdruck individuellen Strebens nach Schönheit und Harmonie, nach einem Ausgleich zwischen Charakter und Erscheinung ist die Art, sich zu kleiden. Die neuen Ideen von Natur und Freiheit drückten sich also folgerichtig am ersten in der Opposition gegen die herrschende Hoftracht aus. Die Revolution begann mit einer Empörung gegen Schnürleib und Reifrock, Puder und Stöckelschuh !

Den ersten Vorteil von dieser Bewegung hatten die Kinder. Nicht nur, daß eine Hochflut pädagogischer Reformen hereinbrach, die den alten, ganz einseitig auf Stärkung des Gedächtnisses angelegten Unterricht davontrug, um an Stelle der bloßen Dressur Willen und Verstand auszubilden, daß ganze Reihen

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von Padagogen, wie Basedow, Salzmann, von Rochow, Campe, später Pestalozzi und Niemeyer eine auf Natur basierende Erziehung in Systeme brachten, nein, man beginnt vor allem auf eine natürliche Entwicklung und Pflege ihres Körpers zu halten.

Bis 1780 etwa waren die Kinder wie Erwachsene gekleidet worden; der Knabe frisiert und gepudert, wie der Vater, das Mädchen geschnürt, wie die Mutter, ihre Kleider waren von gleichem Stoff und Schnitt, wie die der Erwachsenen. Man sehe nur auf den Porträts oder den Bildern von Chardin,

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Chodowiecki u. a.,wie drollig und ehrpusselig die Kleinen da aussehen, wie steif sie sich halten müssen im Zwange ihrer unbequemen Tracht. Das wird jetzt mit einem Male anders. Von England aus kommt eine vernünftige, dem kindlichen Körper angepaBte Kleidung; alles Einschnürende fällt fort. Man fatscht die Säuglinge nicht mehr, läßt die Größeren am liebsten mit bloßem Kopf und bloßen FüBen gehen und die reisenden Mütter, die damals England besuchten, können sich gar nicht genug wundern, über die englischen Kindern gewährte Freiheit und ihr blühendes Aussehen. Der Endzweck des Gesunden hat die Verbreitung der englischen Kinderkleidung so befördert, daB dieser bereits vernunftmäBig gekleideten Generation Gutsmuths 1793 seine Gymnastik für Kinder bescheren darf.

Aus England, woher den Kindern das Heil gekommen war, kam es nun auch den Erwachsenen. Der bürgerliche Zuschnitt des Lebens dieses Volkes, das seinen Aufenthalt mit Vorliebe in die freie Natur verlegte, bedingte eine ganz andere Art der Kleidung, als es das Hofkleid kontinentaler Salonmenschen war, einfacher, zweckmäBiger, gesunder. Unter diesem Gesichtspunkt traf sich die englische Mode mit Bestrebungen, welche die damaligen Ärzte zu einem Feldzuge gegen das Gesundheitsschädliche der männlichen und weiblichen Kleidung ver-

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anlaBten. Auf eine Anregung aus Schnepfenthal hin redete 1788 der berühmte Anatom Sommering den »deutschen Weibern, die noch echt deutschen Charakter haben« wegen der Schädlichkeit der Schnürbrust ins Gewissen, machte sie der ebenso berühmte Camper auf die Nachteile der hohen Absätze

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aufmerksam und eine ganze Reihe minder berühmter Arzte schloß sich ihnen an, so Josef Frank und Walter Vaughan, die gegen die engen Beinkleider der Männer schrieben. Schon die eben mitgeteilte Widmung von Sommerings Schrift, die das »deutsche« so stark betont, läßt erkennen, daß die Bestrebungen, die auf eine »natürliche« Kleidung abzielten, ipso facto in Opposition gegen die französische Mode waren und das Natürliche auch gern mit dem Nationaldeutschen verbunden hatten. 1786 erörtert Bertuch schon die Frage: »Ist eine teutsche Nationalkleidung einzuführen nützlich und möglich?« ohne zu einem Resultat zu gelangen, während der auf das Praktische gerichtete Herausgeber des Frauenzimmer-Almanachs, Franz Ehrenberg in Leipzig, Daniel Chodowiecki 1785 zu dem Entwurf eines »deutschen Frauen-Reform-Kleides« veranlaBt. Die von dem liebenswürdigen Künstler »in griechischem Geschmack« entworfenen Haus-, Besuchs- und Staats-

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kleider haben aber nichts mit jenem »Reformkleid« zu tun, jenem traurigen Kompromiß zwischen Nachthemd und Malschurze, das wir, die wir leben, schaudernd entstehen sahen, die schlampete Fahne, unter der sich alle armen Hascherln zusammenfanden und zu einem neidvollen Kampf gegen Grazie und Schick verschworen!

Diese mit einer »Nationalkleidung« spielenden Gedanken sind nicht wieder zur Ruhe gekommen. Wir werden im Laufe unserer Darstellung noch wiederholt Bestrebungen begegnen, welche in Zeiten besonderer politischer Erregung in Frankreich sowohl wie in Deutschland immer wieder den Wunsch nach »patriotischer«, »nationaler« Kleidung außern. Im Gegensatz zu unserer heutigen Anschauung, welche der Kleidung nur eine ganz nebensächliche Bedeutung zuerkennt, werden wir in diesen Bewegungen (wie resultatlos sie auch jedesmal verlaufen sein mögen) doch einen Beweis dafür erkennen müssen, welch hoher psychologischer Wert, wenn auch unbewuBt, gerade der Kleidung innewohnt. Frühere Epochen

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haben das dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie die Stände sich verschieden kleiden ließen. Nicht nur die Berufe, etwa Geistlicher und Soldat waren zu unterscheiden, nein, auch der Edelmann trug sich anders, als der Bürgerliche, die vornehme Dame anders, als die Kaufmannsfrau, die Frau des Handwerkers anders, als die Angehörige der dienenden Klasse. So blieb es bis zur großen Revolution, wenigstens auf dem Kontinent, denn in England fällt es schon vorher den Reisenden, die vom Festland kommen, auf, daß die Stände sich dort in ihrer Kleidung durchaus nicht voneinander unterscheiden, ohne daß doch der Höherstehende deswegen an Würde einbüße! So wäre wohl auch in England unmöglich gewesen, was sich in Frankreich ereignete, als im Mai 1789 endlich die Stände zusammentraten. Der Oberzeremonienmeister, Dreux de Breze,

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griff nämlich auf das Hofzeremoniell von 1614 zurück und schrieb den Mitgliedern der Versammlung eine Tracht vor wobei er mit besonders glücklichem Takt den Angehörigen des tiers-etat ein in seiner Farb- und Schmucklosigkeit geradezu beleidigendes Kostüm gab! Dieses Meisterstück eines feinen Hofmannes ließ die Versammlung schon mit einer starken Verstimmung zusammentreten und trug von vornherein einen gereizten Ton in ihre Verhandlungen. Mirabeau erhielt dadurch die billige Gelegenheit zu seiner ersten Kraftrede gegen die Ungleichheit der Kleidung. Eine der ersten Taten der Nationalversammlung war denn auch die feierliche Abschaffung aller Standesunterschiede in der Kleidung. Der Edelmann, der so eifersüchtig Federn, Stickereien, rote Absatze an den Schuhen u. dergl. für sich allein beansprucht hatte, mußte zusehen daß die Burger erklärten, sie legten ferner keinen Wert mehr auf solche Lappalien, sondern überließen sie gern den — Lakaien. Das bedeutete für den dritten Stand den Sieg auf der

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ganzen Linie, das erste Vorrecht der privilegierten Klasse war gefallen, ihm folgten alle andern mit beängstigender Schnelle. Für uns hat das noch die Folge gehabt, daß die ganze Pracht und Herrlichkeit der Männerkleidung von vor 1789 für immer verschwand. Sie geriet in Mißkredit, weil sie das Kennzeichen einer verhaßten Klasse war. Alle Bemüihungen Napoleons um

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ihre Wiedereinführung haben den geradezu verheerenden Einbruch des Schwarz nicht mehr aufhalten konnen ! Ein geistreicher Oberzeremonienmeister hatte die schwarze Kleidung den verachteten Bürgerlichen als eine Zurücksetzung zugedacht, — sie machten, allen Hofschranzen zum Trotz, ein Ehrenkleid daraus! Die demokratische Strömung, die dadurch zur Geltung kam, ist seitdem an Stärke nur gewachsen. Der plebejische Zug der Gleichmacherei hat es nach 100 Jahren glücklich so weit gebracht, daß nicht allein die Männerkleidung zu einer trostlosen Uniformität gelangte, sondern auch die weibliche

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Kleidung alle Unterscheidungsmerkmale von Rang und Stand notgedrungen aufgeben mußte.

Die Demokratisierung der Kleidung hatte sich in England ganz in der Stille vollzogen; als aber die Franzosen sich dieses Gedankens bemächtigten, inszenierten sie seine Betätigung mit einem Knalleffekt und der Kontinent glaubte, verführt durch die lärmende Mache, Frankreich zu folgen, während er in Wahrheit in Englands Spuren trat. Wie die Gedanken der englischen Deisten durch Voltaire, so haben auch die englischen Moden erst ihre Verbreitung gefunden, wenn sie in Paris Namen und Anerkennung erhalten hatten. Noch heute gilt das lange Beinkleid, das für das Einsetzen der neuen Mode so überaus charakteristisch ist, für eine franzosische Neuerung, wahrend es in Wahrheit nichts anderes als die Hose der eng-

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lischen Matrosen war und seinen Namen »Pantalon« jenem bekannten Typ der italienischen Stegreifkomödie, dem Pantalone, entlehnte, den uns schon Callot zu Beginn des 17. Jahrhunderts in diesem Kleidungsstiick vorführte. In der Aneignung, geschickten und geräuschvollen Verarbeitung fremder Gedanken haben die Franzosen ohne Zweifel Bedeutendes geleistet. Wir werden später sehen, daB auch das sogenannte griechische Kleid der Revolution ursprünglich aus England gekommen ist.

Das Kostüm der Frauen, welches die Revolution vorfand, war etwa seit dem Jahre 1780 entstanden. Ungefähr mit diesem fielen der Reifrock und die hochgetürmten Frisuren, aber die Mode müßte nicht Mode d. h. systematische Übertreibung sein, wenn

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sie wirklich geduldet hatte, daß an Stelle des die Hüftbreite so kolossal steigernden, sehr breiten und dabei ganz flachen Reifrocks nicht irgend ein anderer Körperteil des Weibes in übertriebener Weise zur Geltung gebracht worden wäre. Sie wählte den Busen. Die Röcke blieben weit und lang, sehr faltig und ringsum schleppend, wie sie in ihrer kleidsamsten Form etwa die Bilder von Reynolds und Gainsborough zeigen. Die Zaraco genannte SchoBtaille mit halblangen Ärmeln wird sehr eng und dabei hochschnürend getragen, so daß der Busen stark zur Geltung gebracht wird. Der halboffene Ausschnitt wird mit leichten Flortüchern, Fichus, bedeckt, die anfangs nur bauschig gesteckt, später immer höher gezogen und immer gewölbter getragen werden, um als »Trompeusen« schlieBlich fast das Kinn zu erreichen, wobei sie in der Leichtigkeit ihres Aufbaus durch gorges postiches von Atlas gestützt werden. Den Riesenaufbau der Haare, der schlieBlich eine Höhe erreicht hatte, daß man behauptete, bei einer Eleganten läge das Gesicht in der Mitte ihres Körpers, trug die Mode um die gleiche Zeit ab; wie die Anekdote will, weil Marie Antoinette bei der Geburt des ersten Dauphins so viel Haar verloren habe, daß es nicht mehr möglich gewesen sei, sie in der alten Art zu frisieren. Man türmte das Haar nicht mehr so auf, aber die vollen üppigen Locken, die den Kopf umgaben, fielen nun dafür in Fluten bis

  • vgl. Gorge postiche [gɔrʒ pɔsˈtiːʃ; französisch »falscher Busen«] die, - -/-s -s,. in der Frauenmode um 1790 Bezeichnung für ein Busenpolster, das unter dem zu dieser Zeit bis an den Hals reichenden Brusttuch getragen wurde. (Brockhaus)

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in die Taille hinab. Die Damen fuhren fort, sich zu pudern, aber die in das Haar geflochtenen Coiffüren, all die Bänder, Spitzen, Blumen, Federn, Aigretten usw., zu deren Arrangement der Friseur oft mehrere Stunden gebraucht hatte, blieben fort. Um sich derselben nicht völlig zu berauben, packte man den ganzen Staat auf die Hüte, deren Form, Umfang und Aufputz nun ebenso extravagant wird, wie es eben noch die Coiffüren waren. Je einfacher und glatter mit der Zeit der Rock wird, um so phantastischer und überladener wird die Kopfbedeckung. — Diese Mode hat sich dann zunächst wenig geändert. Man wählte für die Farben wohl andere Namen, man nannte sie nicht mehr: caca Dauphin; vomissement de la reine; Cardinal sur la paille — sondern wählte freiheitliche Bezeichnungen : a la Republicaine; a l'Egalite; a la Carmagnole; man trug —

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schon weil es gefährlich war, es nicht zu tun ! — Überall die Nationalkokarde; der Schnitt aber blieb der gleiche. Die Röcke werden enger, die Brust steigt, bis sie etwa um 1793 eine Höhe erreicht hat, die allen Damen das Aussehen von Kropfleidenden gibt!

Der auffällendste Unterschied ist der Wechsel der Stoffe. Der in Paris durch die Not herbeigefiihrte Ersatz von Seide und Atlas durch bedruckten Kattun und gemusterte Baumwolle pflanzt sich auch in das Ausland fort, soweit es der französischen Mode folgt, und bewirkt in Frankreich den völligen Ruin der Seidenweberei.

Jetzt scheint die Mode eine Weile stille zu stehen. Den Damen, welche sonst in Paris die Mode gemacht hatten, fehlte es teils an Zeit, weil sie sich in die Politik stürzen muBten, teils an Geld, teils an Gelegenheit, weil sie emigriert waren. Schon im Juni 1790 schreibt ein Berichterstatter aus Paris,

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daß sich Unerhörtes ereignet habe: es seien seit 6 Monaten keine neuen Moden erschienen! Bis zum Januar 1793 fristet zwar Le Bruns Journal de la mode et du gout noch seine Existenz, dann aber hört es auf, der Schrecken hat alles verschlungen. Auch die ersten Schneider und Schneiderinnen sind emigriert. Die berühmte Mlle. Bertin, Modistin Marie Antoinettes, begibt sich 1792 nach Mainz, wird von der Kaiserin nach Wien engagiert, zieht aber schließlich London zu dauerndem Aufenthalt vor. Auch die Mode verfällt der Demokratie, wofür ein erster Beweis das Einsetzen der Konfektion ist, die gleichmäßig die Bedürfnisse aller befriedigen kann. Seit 1791 gibt es in Paris Magazine fertiger Kleider, Quénin jeune für Bürger, Mme. Teillard für Bürgerinnen, beide versenden auch schon gedruckte Preiskurante und finden bald

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auswärts Nachfolger, in Hamburg seit 1799, wo Korn & Hosstrup fertige Herrengarderobe vorrätig halten.

Die Mode schlagt ihren Thron nun in England auf, nicht in Paris. In dem stockkonservativen England geht die Revolution in der Kleidung vor sich, von hier nimmt das neue — das antike Kleid seinen Ausgang. Die Entstehung dazu ist eine höchst komische. Als die bei Hofe und in der Gesellschaft äußerst beliebte Herzogin von York 1793 das erstemal in andere Um-

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stande kam, wurde es bei Frauen und jungen Mädchen modern, gestopfte Haarkissen vorn unter dem Gürtel zu tragen; man nannte sie in England pads, in Deutschland ventres postiches. Diese — gelinde gesagt — eigentümliche Mode hat den AnstoB zu der kurzen Taille gegeben, die, seit 1794 in England allgemein getragen, sofort ihren Weg auf den Kontinent findet und den Taillenschluß vorn unter die Brust und hinten direkt unter die Schulterblätter verlegt.

Diese anfangs nur »englisch« genannte Mode wird in Paris mit Begeisterung aufgenommen und tritt von hier ihren Siegeszug um die Welt an, als 1795 nach dem Sturz der Schreckensmänner die schöne Frau Tallien, allgemein nur »Notre Dame du Thermidor« genannt, den verwaisten Thron der Mode ein-

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nimmt. Die vom Druck der Schreckensherrschaft erlösten Pariserinnen, die sich sofort in die lang entbehrten Vergnügungen stürzen, treiben die neue Mode sofort zur äußersten Extravaganz. Sie machen unter dem Vorwand, antik sein zu wollen, aus der »englischen« alsbald die »nackte« Mode! Nicht nur das Korsett und die Unterrocke fallen, auch das Hemde folgt — die Mondaine trägt an den bloßen FüBen Ringe, seidene Trikots und als einziges Kleidungsstiick die bis zum Knie offene, durchsichtige »Chemise«. Unter den halbtollen Eleganten entsteht ein Wettstreit, welche von ihnen imstande ist, am wenigsten anzuziehen! Man sprach nicht von »gut angezogen«, son-

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dern von »gut ausgezogen« und begann als Gesellschaftsspiel, die Anzüge der Damen zu wiegen. Die gesamte Kleidung einer Frau inkl. Schuhen und Schmuck durfte im Jahre 1800 das Gewicht von 16 Lot nicht überschreiten! Den Rekord hatte Mme. Hamelin erreicht, die schöne Frau eines reichen Schweizer Bankiers, die einst, nur mit einem Gazeschleier bekleidet, im Garten der Tuilerien spazieren ging, bis sie die Zudringlichkeit des Publikums nach Hause trieb, aber Mlle. Saulnier schlug ihn, denn — sie trat als Venus in dem Ballett »Das Paris-Urteil« ganz nackt auf!

Wie nun das »englische« Kleid, das langärmelig und bis an den Hals geschlossen über den Kanal nach Paris gezogen war, »griechisch« zurückkam, bis zur Unmöglichkeit dekolletiert und ärmellos, da lehnten die Engländerinnen es ab. Als Mrs. Jordans es im Drury Lane-Theater auf die Bühne zu bringen

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wagte, warf man ihr aus dem Parkett Taschentücher zu, um sich zu bekleiden, und zwang sie, sich umzuziehen. — Dafür haben die Engländerinnen an diesem Kostüm noch festgehalten, als man es auf dem Kontinent schon längst abgelegt hatte, so daß Gabriele von Bülow einmal bemerkt, die Engländerinnen seien so wunderbar angezogen, daB man immer an eine Maskerade denken müBte, — aber sie trugen es so dezent, daB eine Dame gelegentlich aus London schreibt, das, was man in England unter »totaler Rocklosigkeit« verstehe, wäre immerhin in Leipzig oder Berlin für drei Damen noch übergenug!

In Hannover hat 1801 eine Dame gewettet, sie würde, nur mit Hemd und Halstuch bekleidet, spazieren gehen, ohne daB man es bemerken würde, — und sie gewann glänzend. Schwerer kann man sich jedenfalls vorstellen, daB 1799 auf einer Maskerade in Bückeburg ein Pärchen als Adam und Eva erschien, in »Nichts, als seine Unschuld« gehüllt! Anständig oder unanständig, kleidsam oder nicht — die Mode war- jedenfalls viel zu neu und überraschend, als daß sie nicht sofort hatte zündend wirken müssen. 1794 hatte ein Berliner Kritiker der Schauspielerin Baranius noch vorgeworfen, sie gehe in die Grenzen

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der rohen Natur zurück, sei der Moralität zuwider, beleidige die Sittsamkeit, ja, erwecke Ekel — und das alles nur, weil sie es wagte, mit bloBen Armen auf der Bühne zu erscheinen und — im Jahr darauf sind die Schnürleiber, samt langen Ärmeln und Trompeusen schon verschwunden und die »nackte« Kleidung triumphiert allerorten. In RuBland führte die Malerin Mme. Vigee-Lebrun die neue Mode ein, teils durch ihre Bilder, teils persönlich. Sie kleidete 1795 die Großfürstin Elisabeth nach der neuen Mode zu einem Hofball, aber die Kaiserin war empört. An einigen besonders rückständigen Höfen, wie dem von S. James, bleibt die alte Hofkleidung, sogar der Reifrock für die Gala noch bestehen. Bis zum Tode der Königin Charlotte mußten die Damen den unförmlichen Reifrock von Wachstuch mit Fischbeinstaben beibehalten für die groBe Cour. Sie trugen dazu hochstehende Straußfedern im Haar; sieben genügten, erzählt Gräfin Boigne, die Regel aber waren zwölf bis fünfzehn, manche brachten es auf 25 Stück. Am längsten hielt der Hof in Dresden an dem alten Kostüm fest. Den Besuchern, die in den zwanziger Jahren nach Dresden kamen, schienen König, Prinzen und Prinzessinnen wie Gespenster der Vergangenheit. In Berlin kleiden sich die Königin und die Gräfin Voß schon zur Huldigung 1798 »a la Romaine". Königin Luise war jung und hübsch, also putzsüchtig,

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was ihr manche Zeitgenossen zum Vorwurf machten. »Luise liebte den Putz mehr als nötig war,« schreibt F.A.L.v. d. Marwitz, »sie konnte dem König nie modisch und elegant genug gekleidet sein. Die Mode war die sogenannte griechische Kleidung. Die Frauenzimmer hatten nur ein Hemde und ein möglichst dünnes Kleid an, in welchem alle ihre Formen sichtbar waren. Die Königin ging in dieser Mode voran.« »Ich begreife nicht, wie dieser liebe König seiner koketten Frau erlauben kann, sich so anzuziehen, wie sie es tut«, schrieb Gräfin Tina Brühl am 10. Marz 1799 ihrem Mann. »Das ist nicht mehr der elegante Anzug eines eleganten Hofes, sondern der einer sehr niedlichen Schauspielerin, dekolletiert nach der Möglichkeit und coiffiert in einer Weise, wie sie nur einer so hübschen Person stehen

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kann wie diese allerliebste Königin ist.« Königin Luise war damals in einem weißen Kleide erschienen, hatte nach einer Stunde den Anzug gewechselt, um ihn vor Tische noch einmal mit einem dritten zu vertauschen !

Ungefahr zehn Jahre behält das Frauenkleid die Form bei, welche es im Jahre 1794 erhalten: Rock und Taille aus einem Stück, ganz glatt, wirklich nur wie ein Hemd, so daß man auch damals nicht von einer Robe, sondern immer nur von der Chemise sprach. Der enge Rock endet in einer Schleppe, die an Länge zunimmt, für die Straße 6 Ellen, für Gesellschaften bis zu 14 Ellen!

Mit dem Erscheinen der Schleppe setzt auch a tempo der Kampf gegen sie ein, ebenso lächerlich und ebenso übertrieben, wie vor wenigen Jahren bei uns; hat doch beim SemesterschluB der Königl. Realschule in Berlin 1795 ein Schüler die »Bitte eines Jünglings an die Schönen Berlins wegen der Schleppen« vorgetragen! Die »Schönen Berlins« waren jeden-

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falls weniger einfältig oder geduldiger denn wir haben nicht erfahren — weder damals, noch jetzt — daß sie den SpieB umgedreht und eine Bitte an die Jünglinge wegen des Rauchens gerichtet hätten! Jedenfalls bequemten sich die Damen auch damals schon

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dazu, ihre Schleppen zu tragen. Sie wickelten sie mehrmals um den Körper und nahmen nur den äuBersten Zipfel in die Hand, oder sie legten sie, z. B. beim Tanzen, dem Herrn über die Schulter. Das ging um so eher, als man nur ganz leichte Stoffe trug: Musseline, Linon, Battist, Popeline u. dgl. und die Röcke nicht mit schweren Garnituren besetzt, sondern nur en plein gestickt oder mit eingewirkten Bordüren verziert waren. Dafür, daß auch die Einfachheit noch kostspielig war, sorgten dann schon die Schneider. Ein Kleid von indischem Perkal

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kostete in Paris z. B. 2000 Fr.; — gestickt und mit Schleppe aber 6 — 8000 Fr.! Ein mit Stahlperlen besticktes Kleid der Prinzessin von Württemberg kostete 3000, eine gestickte Redingote derselben Dame 900 Fr. Der Trousseau der Kaiserin

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Marie Luise enthielt viele gestickte Kleider, eins in Gold- und Silberlahn für 7400, eins in rosa Tüll für 4500 und ein Blondenkleid für 6000 Fr. Daß bei dieser vogue der leichten Stoffe die Spitzenkleider zu Ehren kommen, läßt sich denken. In Paris waren die von Mlle. Lange besonders berühmt, die als Maitresse des Kommissars Mandrin alle Spitzen Marie Antoinettes in ihren Besitz gebracht hatte. Später besaß die Kaiserin Josephine die kostbarsten, im Preise zwischen 40000 und 100000 Fr. variierend. Um das Jahr 1800 herum begann man, der glatten langen Rocke überdrüssig, den Rock zu teilen. Man öffnete ihn entweder vorn über einem Unterkleid von anderer Farbe oder anderem Stoff, oder schnitt ihn rückwarts auf, so daß der Oberrock wie eine Schürze wirkte; dieses Oberkleid nannte man, da es mit der Taille zusammenhing, Caraco tablier. Vielfach schnitt man auch den oberen Rock etwa in Kniehöhe ab, wodurch eine Tunika entstand, die man glatt oder gerafft trug. Zu diesen Oberkleidern wählte man für Gesellschaften wieder schwere Stoffe, Samt, Seide, Atlas, bei Hofe mit reichen Stickereien. Die Mode der langen Schleppen war etwa 1804 auf ihrem Höhepunkt. Sie fiel in Paris zusammen mit den prachtvollen Krönungsfesten Napoleons, die auf seinen ausdrücklichen Befehl mit dem größten Pomp begangen wurden. Seine und der

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Kaiserin Krönungskleider, die bei Leroy und Mme. Raimbaud angefertigt wurden, kosteten zusammen 1 123000 Fr., aber auch jede Hofdame der Kaiserin erhielt für ihre Toiletten 10000 Fr. angewiesen, und die mußten sie gefälligst auch ausgeben, denn, wenn Napoleon bei Empfängen einer Dame zweimal in demselben Kleid begegnete, so konnte er sie anschnauzen, wie ein preuBischer Unteroffizier seine Rekruten. Frau von Remusat erzählt denn auch mit Stolz, wie wunderschön sie alle bei der Krönung ausgesehen hatten, und da sie es von ihren Freundinnen sagt, darf man es da wohl bezweifeln?! Josephine gab als Kaiserin txber eine Million jährlich für ihre Toilette aus, in 5 1 /2 Jahren hatte sie 6 647 580 Fr. für Putzartikel vertan. Sie besaß 600 Kleider und ließ sich jedesjahr 100 bis 140 neu machen. Mme. Maret, die eleganteste Frau des Hofes, besaß eine groBe Robe für 1500 Fr., die übrigen blieben unter 600 Fr. Im Gegensatz zu Josephine hat Marie Luise, die monatlich 30000 Fr. für ihre Toilette ausgeben durfte, von dieser Summe noch Ersparnisse gemacht. Ihr Trauungskleid hatte 12000 Fr. gekostet, ihr Trousseau enthielt als Kostbarstes ein großes Hofkleid für 8000, vier Kleider mit Schleppen zwischen 1200 und 12500 und sechs Ballkleider für 600 bis 2500 Fr. Man trug zuweilen auch zwei Kleider. So erzählt Reichardt, daß er einst Frau Recamier in einer prachtvollen Sammetrobe in Gesellschaft getroffen habe, und als es dann zum Tanzen kommt, zieht sie dieselbe aus und hat darunter ein gesticktes Ballkleid von weiBer Seide an!

Die Taille, wenn man von einer solchen überhaupt noch sprechen kann, behielt ihren tiefen Ausschnitt und die kurzen Ärmel. Sie erhält aber ein anderes Aussehen durch »romantische« Elemente; die Ärmel werden gepufft und das Decollete mit einer hochstehenden Spitzenkrause umgeben. Solchen Reminiszenzen an das Mittelalter begegnet man in Berlin schon 1793, als die Schauspielerin Unzelmann Ritterkragen in die Mode bringt und wieder 1796, als die Berlinerinnen sich a la Jane Grey mit Puffärmeln und Schnebbenhaube tragen, immer mit der kurzen Taille. In die Weltmode aber bringt erst wieder England die Kragen um 1801 durch die »Betsies«, nach der Queen Bess getaufte Spitzenkrausen, die, von Brabanter Kanten gefertigt, in London 15 bis 20 £ kosteten. Diese altmodischen Betsies lanciert Paris als neuestes unter dem Namen

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Cherusses, deren allein echte und antike Form der berühmte Schneider Leroy nach eingehenden Studien auf der Bibliothek festgestellt hatte. Diese Krausen verdichten sich allmählich um den Hals, die kurzen Armel puffen nach und nach bis an das Handgelenk und so bildet sich etwa 1805 ein neuer Schnitt, der von dem bisherigen zwar die kurze Taille beibehält, auf alle seine sonstigen Vorzüge aber verzichtet. Vor allem fällt die Schleppe fort, der Rock bleibt eng, wird aber rund, um 1808 fuBfrei und nach 1810 knöchelfrei! Das Kleid scheint heraufzurutschen, denn was es unten an Länge verliert, setzt es oben zu, es bedeckt Schultern und Arme und kraust sich in dicken Wulsten um den Hals. Die schlanken ätherischen Nymphen und Göttinnen sind verschwunden und haben grotesk verhüllten Alraunchen Platz gemacht, deren Erscheinung kaum noch an Menschen erinnert!

Die Höhe der Geschmacklosigkeit erreicht Wien etwa 1817, wo das Kleid, ohne TaillenschluB am Hals ansetzt, en dents de loup ausgezackt weit über den Knöcheln aufhört und den in gestickten Vapeurstreifen endigenden Spitzenhöschen erlaubt, etwa noch handbreit darunter hervorzusehen. Dazu die Hüte von damals — und die Vogelscheuche ist fertig! Das Überraschendste an der Mode der kurzen Taille ist jedenfalls der Umstand, daß die Frau so lange auf das Schnürleib Verzicht geleistet hat, denn ein Leibchen von 20 Fischbeinstäben hat ihr doch unmöglich die gleichen Dienste leisten können, und das Eisengerüst, das sich 1811 als Korsett in Paris hervorwagt, findet keinen Anklang; weniger vielleicht weil Canova sich heftig dagegen erklärt, als weil die Trägerin sich gar nicht darin bewegen kann!

Sicherlich hat sich die Frau nie unvorteilhafter gekleidet, als es etwa zwischen 1811 und 1817 der Fall war. Man steht in der Erwägung, daß doch der einzige Lebenszweck der Frau der ist, schön zu sein und zu gefallen, diesen Erscheinungen ganz fassungslos gegenüber und versteht gar nicht, daß Moden, die so unkleidsam waren, sich doch immerhin jahrelang behaupten konnten! Vielleicht war es nur ein Reiz mehr für den Mann, zu untersuchen, was für ein Kern wohl in diesen wunderlichen Gehäusen stecke. Wer weiB? Jedenfalls hat sich damals auch unter den Frauen selbst keine gefunden, die ihre Schwestern auf das Unharmonische und Groteske ihrer Er-

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scheinung aufmerksam gemacht hatte. Heute wäre das nicht mehr möglich, wo die täglich zunehmende Betätigung der Frau auf literarischem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiete den glänzenden Beweis für die — unendliche Nachsicht und Geduld des Mannes erbracht hat!

Die große Vorliebe für die leichten Stoffe ließ dieselben auch im Winter tragen. Es war Mode und unvernünftig, zwei Gründe, gegen welche die Ärzte mit all ihren Warnungen nicht aufkamen. Sie nannten die katarrhalischen nur noch Musseline-Krankheiten und schoben die Verheerungen der Schwindsucht damals allgemein der zu leichten Kleidung zu. Als die Influenza 1803 erstmals in Paris grassierte, zahlte man bis 60000 Kranke täglich, eine Ziffer, deren Höhe ebenfalls dem Musseline zur Last gelegt wurde. Immerhin suchte man doch einen Schutz gegen die Unbilden der Witterung und so verbreitet sich seit 1796 auf dem Kontinent der englische Flanell, für den einzelne Arzte,

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wie Vaughan geradezu begeistert agitieren. Seit 1802 wird auch von London aus Reklame für wasserdichte Stoffe gemacht. Die Abneigung gegen das Verhüllen der Formen bringt den Mantel so gut wie ganz außer Gebrauch, verhilft dagegen dem Kaschmirschal zu einer geradezu despotischen Herrschaft. Dieses Toilettenstück besaß aber auch alle Vorzüge, die ein weicher, warmer Stoff, geschmackvolle Muster, hoher Preis und kleidsame Handhabung nur gewähren konnten; er hat sich in verschiedenen Formen denn auch ungefähr ein Jahrhundert hindurch behauptet. Er erscheint zuerst in der Form des Longschals (6 Ellen lang, 2 Ellen breit) etwa seit 1786 in London, kostet 100 bis 200 Taler und kommt so in Aufnahme, daß er für die ärmeren Klassen sogleich in bedruckter Baumwolle imitiert wird. Gegen die Begeisterung der Französinnen für den Schal war selbst ein Napoleon machtlos

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Auf die Einfuhr des echten Kaschmir standen hohe Strafen, aber das war natürlich nur ein Reiz mehr und der Kaiser mußte dulden, daß Josephine 300 — 400 Kaschmirschals besaß, das Stück im Preise von 15000 bis 20000 Fr., — wenn er sie auch gelegentlich höchst eigenhändig in Wut und Zorn zerschnitt! Auch im Trousseau der Kaiserin Marie Luise befanden sich noch solche von 1200 bis 5000 Fr. und für die minder hochstehenden Damen hielt Corbin sein Lager in der Rue de Richelieu, wo man schon ganz hübsche Schals für 600 Fr. haben konnte. Die Schals, die nur 50 Louisdors gekostet hatten, schreibt Frau von Remusat, wurden verachtet, man rühmte sich der Preise, die man für die seinen ausgegeben hatte. Die Beliebtheit dieser Mode rührte nicht nur davon her, daß der Besitz ein großer Luxus war, in dem man mit Nebenbuhlerinnen rivalisieren konnte, nein, das Tragen des Schals war eine Kunst, eine ganz persönliche Kunst! Den Schal zog man nicht an, wie einen Mantel, man drapierte sich damit und besaß die Möglichkeit, im spielenden Gebrauch desselben seinen individuellen Stil zu zeigen, im Enthüllen und Verhüllen Grazie, Anmut und Geschmack zu entfalten. Man sagte damals auch nicht: die Dame ist gut angezogen; man sagte: sie ist schon drapiert. Von der Kaiserin Josephine schreibt Frau von Remusat: sie drapierte sich mit einer Grazie wie ich sie nur

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an ihr gesehen habe. Wäre wirklich eine Trägerin im Zweifel darüber gewesen, ob sie selbst den Schal nicht am elegantesten zu handhaben wisse, so hatte sie bei Mme. Gardel darin Unterricht nehmen konnen; diese Künstlerin trat nicht nur in Paris öffentlich im Schaltanz auf, sondern gab auch Stunden in Attitüden! — Erst um 1808 kommen in Paris Pelzmäntel für Damen auf, die man Witzschoura nannte, weil sie ursprünglich aus RuBland stammten. Der Schal behauptet sich aber neben ihnen, 1812 kommen von Wien aus die türkischen quadratischen Schals zu 2000 bis 3000 fl. in Aufnahme.

Den Wechsel des Kleides begleitet naturgemäß ein Wechsel in der Frisur. Man tragt die Haare flacher auf dem Kopf und sucht sich besonders von antiken Statuen Formen der

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Haartracht anzueignen, so daß die wüste chevelure a la sauvage von 1796 ganz langsam ihre Wildheit ablegt. Die Haare werden eng um den Kopf gelegt, auch in Netze gefaßt, Löckchen flach in die Stirn gedreht, Zöpfe geflochten. Die Haare, die den Kopf lange völlig versteckten, betonen jetzt seine Form so weit als möglich. Konnte die Frau 1796 gar nicht so viel Haar besitzen, wie sie brauchte, so konnte sie schon 1806 kaum wenig genug haben!

Viele Jahre hing die Eleganz der Erscheinung wesentlich von der Frisur ab. Man plünderte Altertum und Mittelalter, um auf immer Neues bieten zu können, und weil das eigene Haar ja doch schließlich nicht genug Abwechslung bot, trug man ganz allgemein Perücken. Das ist so weit gegangen, daß um das Jahr 1800 herum wohl kaum eine Dame ihr eigenes Haar getragen hat. Man wechselte nicht allein die Art der Frisur, man wechselte auch die Farbe, — trug morgens blonde, abends schwarze Haare usw.! Mme. Tallien besaß allein 30 verschiedene Perücken, von denen jede 10 Louisdor kostete. Der Haarhandel kam dadurch in ordentlichen Schwung; das Pfund blondes Haar wurde vom Kopf weg mit 70 Fr. bezahlt. In den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts hört auch allmählich

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das Pudern der Haare auf. Duplan, der Friseur der beiden französischen Kaiserinnen, erhielt 42000 Fr. Gehalt im Jahr. Die veränderte Frisur begleiten die Hüte, die schon 1794 kleiner werden und für einige Zeit die Form antiker Helme annehmen: Casquets a la Minerve mit Girlanden von Lorbeer garniert; Turnierhelme von schwarzem Sammet mit hochstehenden Straußfedern bilden den Übergang zu den Schuten, die sich dann so lange behauptet haben. Das früheste Erscheinen derselben ist bis 1797 zurück zu verfolgen, wo Dlle. Mees in Hamburg in Gretrys Oper »La caravane du Caire« zum ersten Male eine Schute auf der Bühne trug. Sie hat dann Formen angenommen, welche das wagrecht liegende Ofenrohr mit dem senkrecht stehenden vertauschten, den Kopf völlig einhüllten und das Gesicht zwischen gigantischen Scheuklappen verschwinden ließen, so daß damalige Witzblätter die Damen als die »Unsichtbaren« verhöhnten!

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Im Stoff nahm man die Gestelle aus Stroh, gezogenem Tüll oder leichtem Filz und putzte sie mit senkrecht stehenden Blumen oder wehenden Federn, hüllte sie wohl auch ganz in Schleier ein, im Sommer 1814 schmückten die Berlinerinnen ihre Hüte sehr sinnig mit Palmwedeln und Lilien! Neben diesen Ungeheuern behaupten sich aber auch Toques und Baretts, die besonders pikant wirken, wenn sie etwa eine Feder über die Stirn auf das rechte oder linke Auge fallen lassen; auch begegnet man Formen wie umgekehrten Blumentöpfen und sehr hohen Zylindern ohne Krempe. 1805 bringt Mme. Belmont als Fanchon die lose gesteckten Kopftücher auf, während die glatt über das Haar gelegten Iphigenien-Schleier den Spanierinnen entlehnt waren. Im Winter 1804 zu 1805 kam nach Frau von Remusat die Mode der Turbane bei Hofe auf. Man wickelte sie aus weißem Musselin oder noch lieber aus recht farbenprächtien türkischen Stoffen. Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bürgert sich das Häubchen ein, das, den Kopf eng umschließend, das Gesicht mit einer Spitze umrahmte und solchen Beifall findet, daß in Berlin 1815 auch die jüngsten Mädchen, die noch lange nicht »unter

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die Haube« kommen können, doch nicht auf das Tragen derselben verzichten wollen.

Diese Art Gleichmacherei, die nicht nur Standes-, sondern auch ebensogut Altersunterschiede in der Kleidung aufhebt, ist damals schon den Zeitgenossen mißliebig aufgefallen. Reichard z. B. schreibt seiner Frau 1803 aus Paris, daß nicht nur Mutter und Tochter Kleider von gleichem Schnitt und gleicher Farbe tragen, sondern daß er auch einmal auf der Bühne 5 Männer verschiedenen Standes und Alters ganz gleich angezogen gesehen habe.

Da es keine Unterröcke mehr gibt und die Kleider keine Taschen haben, wären die Damen gezwungen gewesen, ihre sieben Zwetschgen in der Hand zu tragen, würden sie nicht vorziehen, dieselben in einem reticule zu sammeln und mit sich zu führen. Seitdem die Gelehrten konstatiert haben, daß schon die alten Athenerinnen Ridiküls trugen, nimmt auch die Pariserin keinen Anstand mehr, dies öffentlich zu tun. Man fertigt sie gern in der Gestalt antiker Urnen aus Pappe, lakkiertem Blech und dergl. und schmückt sie wie etruskische Vasen, so daß die schöne Trägerin sich immer als Priesterin fühlen darf.

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Die antikisierende Kleidung in der Einfachheit ihrer Linien und Farben schrie formlich nach Schmuck und man hat denselben denn auch fast im Übermaß getragen. Mit Vorliebe wählte man anfangs Kameen und die Requisitionen an kostbaren antiken Stücken, die angeblich für die französischen Museen gemacht wurden, führten ganze Kabinette römischer Fürsten nach Paris, wo sie dann durch Josephines verschwenderische Hände den Weg in die Schatullen ihrer Freundinnen fanden. Man trug Armbänder um Hände und FüBe, Ringe an Fingern und Zehen, Ketten 6 — 7 mal um den Hals, Ohrringe mit 3 Pendelocques, Kämme und Diademe im Überfluß. Kaiserin Josephine liebte die Kameen über alles und zog sie den Diamanten vor. Der Juwelier Nitot machte ihr einen Schmuck von 46 Kameen, 36 Intaglios und 82 Diamanten, der herrlich ausfiel aber — zu schwer war, um ihn tragen zu können.

Die Gräfin Potocka besaB außer 300 kostbaren Schmuckstücken allein 144 Ringe und als während eines Balles die Gräfin Schwichelt ihrer Freundin, Frau von Demidoff, für 40000 livres Diamanten stiehlt, hat sie ihr nur einen kleinen Teil ihres Vorrats genommen! Als die Grafin Voß

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in ihr Tagebuch schreibt, daß sie am preußischen Hofe schon lange keine Edelsteine mehr gesehen habe, schätzt man in Paris auf einem Hofball, der den Zug der Peruaner nach dem Sonnentempel darstellt, den Schmuck der Damen auf 20 Millionen Fr.! Mme. Duroc besaß für 100 000 Taler Diamanten, Mme. Ney für 100 000 Fr.; die Damen Maret und Savary für je 50000 Fr. Der Familienschmuck des Fürsten Nicolaus Esterhazy besaB einen Wert von 7 Millionen Gulden. Seine ungarische Parade-Uniform, die ganz mit Perlen gestickt war, erforderte nach jedem Tragen eine Reparatur, die 8000 Gulden kostete, man schätzte diese Uniform auf 4 Millionen Gulden. Die Ritterdamen der berühmten Ritter-Quadrille, die bei dem Wiener KongreB in der Hofburg stattfand, trugen zusammen für 30 Millionen Francs Juwelen, davon Fürstin Esterhazy allein für 6 Millionen. Bezeichnend zugleich für den Geschmack der Parvenus am französischen Hofe ist der Umstand, daß Perlen nicht beliebt waren, während man damals den Amethyst noch als Edelstein bewertete, da die an diesen Steinen so reichen brasilianischen und russischen Gruben noch nicht erschlossen waren. Als die preuBischen Frauen 1813 das Wenige, was ihnen die

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Franzosen noch gelassen, gutwillig dem Vaterland zum Opfer brachten, da gaben sie »Gold für Eisen« und trugen eisernen Schmuck, wie ihn der Medailleur Loos in Berlin in den Handel brachte. Als ein charakteristischer Zug jener Zeit, die selbst dem Putz etwas doktrinär Pedantisches ankleben muBte, erscheint der lithologische Ring, den 1793 Dresdener Mineralogen, Dr. Greß und Dr. Titius, in den Handel brachten; er bestand aus einem goldenen Ring, dessen Stein zum Wechseln eingerichtet war; mit 30 verschieden assortierten Steinen kostete der Ring 14 — 19 Taler.

Einen weniger aufdringlichen Luxus als mit Schmuck treibt das Kaiserreich mit Wäsche. Kotzebue schrieb 1804 aus Paris, eine elegante Frau müsse zwar 600 Kleider besitzen aber nur 12 Hemden. Darin ging den hieran gar nicht gewohnten Franzosen das Kaiserpaar mit gutem Beispiel voran. Zum größten Erstaunen seiner Umgebung wechselt Napoleon täglich seine Wasche. Josephine besaß 498 Hemden und wechselte sie dreimal am Tage, sie zog kein Paar Strumpfe zweimal an. Ihrer Nichte, Frl. Tacher de la Pagerie, gab sie, als sie dieselbe ausstattete, für 25000 Fr. Leibwasche in den Trousseau! Marie Luise führte die Calegons in Paris ein, die sie aus Wien mitgebracht hatte. Die greise Marquise von Coislin, die 1817 im Alter von 85 Jahren starb, äußerte sich in dieser Zeit schon ungehalten zu Chateaubriand über die neue Mode des Wäschewechsels: zu meiner Zeit, sagte sie, hatten wir kaum zwei Hemden und man kaufte ein neues, wenn das alte verbraucht war, aber dafür waren wir in Seide gekleidet und sahen nicht aus wie Grisetten! — Für die Schnupfer gibt es bunte Sacktücher, 1812 macht man sie aus Perkal und bedruckt sie mit Landkarten; 1814 sind sie aus Baumwolle und tragen Apotheosen Wellingtons oder Spottbilder Napoleons.

Die Herrenmode

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Die Revolution der Männerkleidung geht dem politischen Umsturz voraus; so wie der Mann sich 1789 trug, hatte ihn Goethe

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schon I5 Jahre früher im Werther beschrieben. Der Unterschied der Kleider gegen früher lag indessen weit mehr in den Stoffen und Farben, als im Schnitt; man trug Tuch und Leder statt Seide und Sammet, dunkle Töne von Braun und Blau statt Rosa, Violett, Lichtgrün. Der Frack hatte seinen ursprünglichen Schnitt nur insoweit verändert, als er über die Brust geknöpft werden konnte und breitere Schöße erhielt, das'Beinkleid blieb die enganliegende Kniehose. Die stärksten Nuancen der Veränderung lagen darin, daß der Mann begann, immer Stiefel zu tragen, statt der Schuhe; daß er einen runden glatten Hut statt des goldbordierten, federgeschmückten Dreispitz aufsetzte und sein eigenes Haar offen trug, statt sich zu frisieren und zu pudern. Als nun zu diesen Allüren die französische Revolution noch das Tragen des langen Pantalons aufbrachte, da erkannten die Zeitgenossen, daß der Untergang der alten Gesellschaft nicht mehr aufzuhalten war, Kleid und Tracht des gemeinen Mannes erober-

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ten sich den Salon. Nur die Ärmsten hatten ihr Haar ungepudert lassen müssen, nur Fuhrknechte hohe Stiefel, nur Matrosen lange Beinkleider und runde Hüte getragen und mit diesen Kennzeichen ordinärer Leute nahmen die Herren nun auch deren Allüren an. Wer in Escarpins geht, den Galanteriedegen an der Seite, den Kopf sorgfältig frisiert und gepudert, Hut unterm Arm, wer lichte Seide und helle Kniestrümpfe trägt, wird und muß sich in der Sorge um Kleidung und Frisur anders benehmen, als der, welcher unbekümmert sein Haar den Winden überläßt und seinen Weg geht, ob es schmutzig ist oder nicht. An dieser gegen früher so veränderten Haltung, an dem neuen

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Benehmen der Herren nahm die Zeit — sagen wir gleich die alten Leute — den stärksten AnstoB und je lauter der Widerspruch der Beharrenden war, um so stärker wurde auch die Opposition der jungen Leute, deren Axiom: nun erst recht! war. Der Pantalon der Sansculotten (was ohne Kniehosen — beileibe nicht ohne Hosen bedeutet!) setzt sich langsam durch. 1791 tragt man ihn bis zur Mitte der Wade, 1793 hat er den Schuh erreicht, er gilt für unschicklich, aber seit Friedrich Wilhelm III. von Preußen im Bad Pyrmont 1797 auf der Promenade in langen Beinkleidern erschienen ist, mißbilligt man den Pantalon zwar noch, aber man muß ihn dulden. Friedrich von Raumer schreibt in seinen Erinnerungen : es galt 1801 in Berlin für revolutionär, daß Kriegsrat von Schütz und

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ich die ersten waren, welche die Zöpfe abschnitten und statt kurzer lange Beinkleider trugen. Neben dem Pantalon versucht die Kniehose sich zu behaupten; von denen bevorzugt, die im Besitze schöngeformter Beine dieselben auch zu zeigen lieben. Kaiser Alexander I., erzählt Theodor von Bernhardi, hatte einen sehr entschiedenen Glauben an seine eigene bezaubernde Schönheit, aber er hatte schiefe und dünne Beine. Trotzdem trug er so enge Beinkleider, daB er, wie Gräfin Anna Potocka verrät, sich nicht setzen konnte, sondern am liebsten stand. Bettine erzählt da niedliche Geschichtchen vom alten Jacobi, aber mehr und mehr tragen sie nur noch die alten Manner, seit 1815 ist sie aus der Öffentlichkeit ganz verschwunden. Man hat den Pantalon ganz weit oder ganz eng getragen, in letzterem Fall kaschiert man etwaige Mangel durch falsche

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Schenkel und Waden, gerade wie die Damen 1796 falsche Arme unter ihren langen Handschuhen trugen (eine Nachricht aus London will 1798 sogar von ganzen Büsten aus Wachs wissen!). Eitle Herren trugen, wenn sie »auf Taille« schwuren, das Schnürleib, welches die Frau eben abgelegt hatte. Auf dem Neujahrsball des russischen Gesandten in Berlin stürzte 1801 Herr von Dorville, während er mit Frl. Emilie von Zeuner walzte, leblos um; er hatte sich an Knie, Taille und Hals aus Eitelkeit direkt zu Tode geschnürt!

In einer Parallelbewegung mit dem Pantalon wird aus dem breitschößigen Reitfrack, dem riding-coat der Engländer, der Redingote der Franzosen. Die Schöße wachsen nach der Breite und nach der Länge, sie erreichen 1791 bereits den Boden und

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da man auswärts die fremden Moden gern auch noch übertreibt, so tragen die Herren in Hamburg ihre RockschöBe so lang„ daß sie dieselben bei Regenwetter aufheben und in der Hand tragen mußten, wie Damen ihre Schleppen ! — Die Schöße werden dann später wieder kürzer, aber sie bleiben doch so breit, daß sie vorn übereinandergehen; um 1800 bereits hat der Redingote schon annähernd die Form erreicht, die ihm dann geblieben ist, die Form, wie sie Rauchs Statuette des alten Goethe zeigt. Die Mode beschäftigt sich weniger mit der Form dieses Kleidungsstücks, als mit seinem Ausputz; statt der am Alltagskleid ganz verschwundenen Stickereien trägt man bunte Kragen daran, z. B. die Berliner Herren rote Kragen und Aufschläge zu dunkelblauen Röcken, oder man trägt auch mehrere übereinanderfallende Kragen, damals Capot a la Polonaise genannt, was dann noch lange für die Livreen der Kutscher in Gebrauch blieb.

Die Farbe der Herren-»Spenzer« wird immer dunkler, bouteillengrün, braun, grau, schwarz oder jenes schmutzige Pfeffer- und Salzgemisch, das man 1797 »FliegensteiB« nannte! Der

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Luxus der Männerkleidung beschränkte sich schon seit dem Anfang der neunziger Jahre auf die Westen. Aus der alten Weste, die in breiten Schößen bis zur Hälfte des Oberschenkels reichte, wurde allmählich das kurze Gilet, das ganz hoch hinaufrutscht und zur Zeit, als die Damen die kurzen Taillen tragen, den Herren kaum bis auf die Brust reicht. Dafür tragt man es dann dreifach, d.h. man gibt ihm drei Klappen, die, aufgelassen, das Vorhandensein dreier Gilets fingieren, in der Farbe natürlich verschieden, z. B. 1791 sehr Schick: Grün, Gelb und Perlmutter. Dann gibt man dem Gilet einen hochstehenden Kragen, so daß er über den flachen Rockkragen hinaussteht und wechselt besonders so häufig als möglich mit Stoffen und Mustern. Die Berliner trugen 1814 weiße Piquewesten, die mit eisernen Kreuzen und den Namen der Empfänger des eisernen Kreuzes erster Klasse bedruckt waren. Als die Damen durch ihre Trompeusen Kröpfe vortäuschen, tragen die Herren ebenfalls ungeheuer dicke Halstücher, die durch um den Hals gebundene seidene, mit Baumwolle ausgestopfte Kissen gehalten werden. 1793 wird dies Halstuch über das Kinn hinauf und darüber eine Mousseline-Krawatte gebunden, über welche noch ein buntseidenes Tuch zu liegen kommt;

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in Verbindung mit Jabot und dreiteiligem Gilet sahen die Herren dann ebenso hochbusig aus wie die Damen! Von diesen Ausschreitungen abgesehen, hat das Gilet seine endgültige Form, d. h. die Taille nicht nach unten überschreitend, ungefähr zur gleichen Zeit gefunden, als auch die beiden andern Hauptbestandteile der heutigen Männerkleidung, der Pantalon und der Rock ihre definitive Gestalt annehmen. Alle drei sind etwa 1815 fertig vorhanden, festgelegt auch schon in ihrem wesentlichsten heutigen Charakteristikum: dem Vermeiden jeder Extravaganz. Mäntel sind für Herren wenig gebräulich, sogar als in dem strengen Winter von 1809 in Paris Herrenpelze aufkommen, ist ihre Erscheinung so ungewöhnlich, daß die Träger derselben auf der StraBe insultiert werden.

Die Vereinfachung der Kleidung hat die Elegants nicht gehindert, immer ultra chic zu sein. In Wien kleideten sich die »Zierbengel«, wie Carl J. Weber sehr unfreundlich sagt, nicht nur zwei bis dreimal täglich um, sondern hatten auch Kontrakte a 3000 — 4000 fl. mit Schneidern, wofür sie jede Woche oder jeden Monat neue Anzüge empfingen, im Tausch gegen die alten, die sie zurückgaben. Dieselbe Einrichtung existierte auch um 1805 schon in Paris, wo die Herren allerdings darauf halten mußten, Röcke nur bei Catin, Beinkleider nur bei Acerby

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und Westen nirgendwo anders als bei Thomassin zu kaufen. Das Halstuch und der schwierige Knoten, in den es geschlungen werden mußte, verlangten ein besonderes Talent. Man erinnert sich, daß in London Beau Brummel nicht nur dafür seinen unbestrittenen Ruf hatte — in Paris hatte 1804 Etienne Demarelli großen Zulauf, der in einem sechsstündigen Kursus, die Stunde zu 9 Fr., jedermann die Kunst beibrachte, sein Halstuch zu knüpfen. Neben dieser in der Einfachheit ihrer Farbe und Unauffälligkeit des Schnittes das Bürgerliche betonenden Kleidung erhalt sich besonders für Festkleider und für höfische Gala das alte kostbare gestickte Hofkleid, das am Hofe von St. James für große Zeremonien de rigueur, auch von Napoleon wieder eingeführt wird. Der österreichische Wahlbotschafter in Frankfurt, Graf Metternich, wendet 1790 nur an die Livreen seiner Dienerschaft 36000 fl., den Duke of Bedford kostete sein Hofkleid zum drawing-room des Königs 1791 £ 500, wofür er dann

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auch die Genugtuung hatte, daß es am Tage drauf im London Chronicle bis aufs Tipfelchen beschrieben wird. 1801 wendet Lord Courtenay bei der gleichen Gelegenheit £ 50 an die Livree jedes seiner Bedienten und £ 500 an seinen eigenen Frack. Auch die Akzidenzien des Männeranzuges, Hut und Stiefel, entstammen wie Reitrock und lederne Reithose ursprünglich England, auch sie sind in erster Linie praktisch und bequem, wie jene. Der runde, „matelotartige" Hut hat unendliche Variationen durchgemacht, ehe Kopf und Krempe die Gestalt annahmen, die ihn zum Vater unseres Zylinders gemacht haben, ebenso die hohen Stiefel, wie sie schon Werther trägt. Seit sie 1790 in Paris Mode wurden, einmal, weil sie aus England kamen, dann, weil sie bei dem Pariser StraBenschmutz praktisch waren und drittens, weil man seine silbernen Schuhschnallen auf den Altar des Vaterlandes legen mußte, setzten sie sich auch im Ausland soweit durch, daß z. B. die Berliner Herren sie den ganzen Tag nicht mehr ablegen und sie sogar in Gesellschaft

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anbehalten, wozu das Raffinement, welches englische Stutzer, wie der schöne Mr. Skeffington und Oberst Matthews, auf glänzenden Lack derselben legen, nicht unwesentlich beitragt. Von England aus kamen auch sofort die besten und glänzendsten Schuhwichsen in den Handel.

Das Haar, welches die Herren noch 1789 in tausend gebrannten Löckchen rings vom Kopf abstehend trugen, fällt 1791 schon lang und schlicht bis auf den Kragen, am Hinterkopf oft noch in ein Zöpfchen oder englischen Haarbeutel gefaßt. Jean Paul, der durch das Abschneiden des eigenen Zopfes in Hof und in Weimar das unliebsamste Aufsehen erregte, hat noch 1800 den Helden seines Titan mit einem falschen Zopf ausgestattet. In Oberitalien haben aristokratische Familien ihre

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Söhne enterbt, ja aus den Schulen wurden die jungen Leute ausgeschlossen, die auf den Einfall kamen, sich den Zopf abzuschneiden. In Berlin fiel die Mehrzahl der Zöpfe beim Zivil erst 1806 — 07, Gustav Parthey erzahlt sehr drollig wie schmerzlich berührt sie als Kinder waren, als der Friseur ihrem Vater sein schönes Zopfhaar abschnitt. 1798 beginnt man das Haar ganz kurz zu scheren und aufwarts zu sträuben, gleichzeitig locken es andere und stecken es mit großen Kämmen, die mit Flittern besetzt sind, in die Höhe. 1806 tragt man es »au coup de vent«, hinten ganz kurz, vorn alles bis über die Augen ins Gesicht, 1809 frisiert man sich in kleine Löckchen »en cherubin«, schlieBlich ist man über den Titus zum rund geschnittenen Kopf gekommen, der die geringste Mühe verursacht und den kein Hut verderben kann.

Die Eleganz der damaligen Herrenkleidung bestand wesentlich in der scheinbaren Nachlässigkeit derselben, darin suchte die Jugend ein Zeugnis abzulegen für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit ihres Denkens und darin fand sie selbstverständlich auch die schärfste Mißbilligung der Alten, die sich Schlamperei nicht als Genialität aufdrängen lassen wollten. Dieser Widerspruch zwischen dem Alter, das auf ein gemessenes Betragen in feiner Kleidung halten und der Jugend, die stürmisch in bequemem Gewand daherfahren wollte, hat dann eine Verquickung von Mode und Politik herbeigeführt, die uns sonderbar berührt. Was, ehe die Ereignisse des Jahres 1789 in Paris eintraten, an den Trägern vielleicht nur als eine gewisse Extravaganz als Affektation genial sein wollender Kopfe betrachtet worden war, galt seitdem als Manifestation einer politischen Überzeugung, es war nicht mehr bloß unschicklich, es machte verdächtig. Lange Beinkleider statt der Kniehose, hohe Stiefel statt der Schuhe, offenes Haar statt des frisierten und gepuderten zu tragen war nicht bloß Geschmacksache, sondern es wurde zum Bekenntnis einer Meinung und dieses Zeugnisablegen vor der Öffentlichkeit war ganz und gar nicht ungefährlich.

Als die Schreckensherrschaft im August 1792 in Paris begann, da wagte niemand, sich sorgfältig oder reinlich zu kleiden, aus Furcht, sich dem Verdacht der Schreckensmänner auszusetzen. Viele von denen, die damals statt der langen Hose der Sansculotten die höfische Kniehose trugen, haben diese Majestäts-

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beleidigung der öffentlichen Meinung auf dem Schafott gebüßt. Und den Frauen ging es nicht besser als den Männern; diejenige Dame durfte von Glück sagen, die, wenn sie etwa durch demonstrative Knöpfe Ärgernis erregt hatte, mit einer öffentlichen Züchtigung durch die Fischweiber der Halle davonkam; eine beschimpfende Schamlosigkeit, welche Theroigne de Mericourt den Verstand gekostet hat. Als nach den Ereignissen vom 9. Thermidor die Royalisten sich wieder zu zeigen wagten, und die reaktionäre Jugend der besseren Kreise, von den Gegnern als »Muscadins« verspottet, durch ihr gepudertes Haar und den schwarzen Kragen ihres Rockes demonstrierte, da opponierten die Jakobiner, indem sie ihr eigenes Haar und rote Kragen trugen. Beide Parteien lieferten sich in den Pariser Straßen blutige Schlachten, und als auf Anordnung der Re-

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gierung das Militär sich in diesen Prügeleien auf Seite der Rotkragen stellte, da hat mancher seinen schwarzen Kragen mit dem Verlust der Freiheit bezahlt, denn man steckte Muscadins und Incroyables unbarmherzig unter die Soldaten. Später wieder gelten die geschorenen Kopfe für Chouans und ihre Träger

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sind Mißhandlungen ausgesetzt, und als nach dem Sturze Napoleons die Restauration voll Argwohn und Mißtrauen den Erinnerungen an das Kaiserreich gegenübersteht, da haben Staatsanwalte, Richter und Polizisten die hochwillkommene Gelegenheit, ihre Gesinnungstüchtigkeit durch das Wüten gegen »aufrührerische Knöpfe« zu betätigen.

Unter Pitt trieben die Kosten des fortwährenden Krieges gegen Frankreich die Steuern in England zu fast unerschwinglicher Hohe, im Jahre 1795 wurde nun auch noch eine Taxe auf den Gebrauch des Puders gelegt; wer sein Haar pudern wollte, mußte die Erlaubnis dazu mit £ 1 erkaufen! Von da an galt es als loyal, Puder zu tragen, wahrend die Oppositionellen, an ihrer Spitze der Herzog von Bedford, sich das Haar abschnitten, um es nun gerade ungepudert tragen zu können. Das Haar- und Moden-Regulativ, welches die Pariser Polizei 1797 gegen die fliegenden Haare erläßt, findet sehr merkwürdigerweise ein Echo in St. Petersburg. Katharina II. lag im Sterben, da erhielten die Hofdamen bereits den Befehl sich russisch zu kleiden und sie war am 6. November 1796 kaum gestorben, da liefen schon die Polizisten in St. Petersburg herum, schlugen den Herren die runden Hüte vom Kopf und rissen sie entzwei, schnitten ihnen die Revers der Fracke und

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Mantel ab und schonten in ihrem Eifer nicht einmal die Ausländer, die den Gesandtschaften attachiert waren. Paul I. hatte, wahrend er noch GroBfürst war, bereits in Gatschina alle Träger runder Hüte und hoher Halsbinden verfolgen und einsperren lassen. Kaiser Paul I. untersagte das Tragen der runden Hüte, weil sie einen »Schlupfwinkel der Verworfenheit und Schande verborgener Jakobiner« bildeten. Als dieses Verbot seine Untertanen nicht schnell genug aus den Winkeln der Verworfenheit und Schande trieb, da erließ der Kaiser 1798 einen neuen Ukas, der verordnete, daß von nun an jedermann sich nach der Mode von 1775 zu tragen habe! König Ferdinand von Neapel sah einmal im Theater einige zwanzig Herren mit ungepuderten Kopfen. Der Polizeipräfekt Cancellieri lieB das Haus umstellen und sieben junge Leute aus den ersten Familien wurden, weil sie Frisuren ohne Puder und lange Beinkleider trugen, zur Strafe unter das Militär gesteckt. In Deutschland begegnete die neue Tracht selbstverständlich

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ebenfalls der Abneigung aller Alten und Beharrenden, während sie ebenso selbstverständlich von der Jugend sofort befolgt wurde, sogar von königlich preußischen Beamten im Dienst. Diesen wurde 1798 eröffnet, daß Pantalons unanständig, rund geschnittene Kopfe und eigenes Haar dem Ernste und der Würde eines königlich preuBischen Beamten nicht angemessen sei, — kein Wunder, daß sich denn seitdem die Bureaukratie auch nie mehr ihren Zopf abgeschnitten hat! — In Kassel griff der Landgraf 1799 zu einem höchst drastischen Mittel, um seinen Hessen die neue französische Mode zu verleiden: er lieB die Sträflinge, die in Ketten geschlossen die StraBen kehrten und Karren schoben, sowie die Insassinnen des Spinnhauses nach neuester Pariser Art kleiden! Pius VII. begann seine Regierung mit der gleichen Besorgnis um die guten Sitten, wie sein Vorgänger die seine beschlossen. Hatte der sechste Pius den Männern die modernen engen Beinkleider verboten, so untersagte der siebente gleich die »moderne wollüstige Kleidung« in Bausch und Bogen, gerade

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so wie zuvor, als die Franzosen Rom erobert hatten, sie sofort die Abbe-Kleidung abzuschaffen versuchten! Es war eben ein Kampf zwischen dem Kleid der Alten und der Jungen und wenn der Sieg, wie vorauszusehen, mit der Zeit doch den Jungen zufallen mußte, so ist er doch lange unentschieden geblieben. Im Jahr 1806 hört man aus Paris, dort werde alles getragen, was in den letzten 60 — 80 Jahren Mode gewesen sei, und wie weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein gelegentlich noch Kniehose und Schnallenschuh, Puder und Zopf getragen worden sind, haben uns u. a. Wilhelm von Kügelgen, Bettine, Ludw. Adr. Richter erzählt. In Esthland sah Theod. von Bernhardi noch 1815 den alten Herrn von Reutern in der Tracht des ehemaligen Hofes von Versailles. Auf einem Diner des Fürsten Hardenberg in Wien 1814 zählte Staegemann 9 gepuderte Köpfe und 4 ungepuderte. Jedenfalls haben die Verbote der neuen Kleidung natürlich so wenig Erfolg gehabt, wie die Versuche, die gleichzeitig gemacht wurden, Nationaltrachten einzuführen.

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Nationaltrachten

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Es ist schon weiter oben von solchen die Rede gewesen und wir können hier anfügen, daß man in Frankreich, wo man alles ausrotten wollte, was an die Vergangenheit erinnerte, wo man einen neuen Kalender einführte und den Spielkarten neue Namen gab, auch versucht hat, ein neues bürgerliches Kostüm einzuführen. Aber alle dahinzielenden Vorschlage des leidenschaftlichen David sind über Versuche nicht hinausgekommen. Er hat wohl bei den von ihm arrangierten öffentlichen Festzügen die Chöre der Greise, Männer, Frauen, Jünglinge, Knaben und Mädchen nach der Antike kleiden und bekränzen können, aber er konnte nicht, wie er wollte, Hüte, Halsbinden, Manschetten und Hosen abschaffen. Er konnte die Männer nicht dazu veranlassen, in der Tunika mit bloBem Hals, nackten Armen und Beinen herumzulaufen, und wenn die Frauen sich wirklich einige Zeit, wie sie glaubten, »antikisch« kleideten, so war das nicht Davids Verdienst, sondern Schuld der »englischen« Mode. Genau die gleiche Erfahrung hat man 20 Jahre später in Deutschland gemacht, als die hochgehende patriotische Begeisterung nach einem deutschen Nationalkostüm verlangte. Da wollte Karoline Pichler die Männer und Frauen je nach ihrem Stand uniformieren; Wilhelmine von Chezy fordert eine Volkstracht für teutsche Frauen; Rudolf Zacharias Becker; L. W. Wittich u. a. erfinden echt teutsche Feyerkleider, aber

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es ist trotz der redlichsten Bemühungen, an denen sich auch Ernst Moritz Arndt mit verschiedenen Schriften beteiligte, zu nichts als einigen Versuchen gekommen, die nur wie Maskeraden zu einem bestimmten Zweck wirkten und durchaus nicht die »Mode als Sitte deutscher Tugend« eingeführt haben. Das »ächt teutsche« dieser in Vorschlag gebrachten Nationaltracht bestand in nichts anderem, als einigen Erinnerungen an mittelalterliche Moden, die selbst durchaus nicht deutschen Ursprungs gewesen waren. Da begegnen wir dem französischen Puffarmel, dem Stuartkragen, dem spanischen Barett u. a. und auch das Kostüm der teutschen Männer, zu dem sich edle Jünglinge 1815 in Frankfurt a. M. verbündeten, hat in seinem der Militär-Uniform genäherten Schnitt nichts Eigentümliches, in der äuBerst sparsamen Verwendung von Wäsche aber, die sich auf »Vatermörder« zu beschränken scheint, riecht es verdächtig- nach dem Wolljäger.

Das »Altteutsche« blieb nur eine kurze Mode, aber behende Konfektionäre wußten ihr sehr umsichtig Rechnung zu tragen. Bei Lichtenauer in Hannover gab es Leibchen zu kaufen, die jedes Kleid sofort in ein »altteutsches« umwandelten, gerade

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wie vor kurzem die Kimonos jedes Kostüm japanisierten, und die Firma Milter in Kassel zeigte Halskrausen a la Rembrandt an, für Männer zu 3, für Frauen zu 2 T 1/2 Taler. Auch die polnische Nationaltracht, welche die Warschauer 1789 annahmen, die aber nur von den Männern getragen wurde — die Polinnen fuhren fort, sich französisch zu kleiden — hat, wenigstens was die vornehme Welt betrifft, den groBen nationalen Aufschwung des Polenaufstandes unter Kosciuszko nicht überdauert. Einzelne, besonders landesübliche Kleidungsstücke, wie die spanische Mantille, konnten wohl dem Anzug einen stark gefärbten nationalen Anstrich geben, — so erschien es z. B. Frau von Humboldt, als sie 1799 durch Spanien reiste, als trügen die spanischen Frauen sich durchaus in Nationaltracht, während gerade ihre Beschreibung des Rockes mit sehr kurzem Leib auf die französische Tagesmode hindeutet. Der Nationalcharakter wurde nur durch die Mantille behauptet, welcher die Spanierinnen ja Gott sei Dank bis heute auch treu geblieben sind. Die spanische Frauenwelt der besseren Klasse trug sich durchaus nach Pariser Mode, allen voran die Königin Maria Luisa, deren Erscheinung, — den schönen Körper mit dem wüsten Gesicht! — Goya so oft, und immer in der neuesten Pariser Mode, frisiert a la fleche, festgehalten hat. Der Umstand, daß die Franzosen ihre nächsten Verwandten auf das Schafott geschleppt hatten, hat diese Herrscherin nicht abgehalten, ihre Toilette ausschließlich aus Paris zu beziehen, bis eine ihrer Damen ihr einst einen bösen Streich spielte. Die Herzogin von Alba, ebenso oft von Goya gemalt wie die Königin, hatte es erreicht, bei einer Gelegenheit aus Paris ganz dieselben Roben zu erhalten wie die Königin, und als diese sich in der neuesten Mode zuerst öffentlich zeigte, schickte die Herzogin ihre Jungfer genau ebenso angezogen auf die Promenade! Diese Bosheit zog ihr eine längere Ungnade zu. Die dreieckig vermählte Königin sandte im Jahre 1800 an Napoleon ein Geschenk von 18 andalusischen Pferden aus dem königlichen Marstall, — als Gegengeschenk empfing sie französische Kleider. Josephine war so aufmerksam, ihre eigene Schneiderin, die citoyenne Minette, zum Anprobieren mitreisen zu lassen, was diese schlaue Person zu einem guten Geschäft benutzte: statt 10 Kisten nahm sie 27 mit, um deren Inhalt an Pariser chiffons sich die Madrider Damen dann gerissen haben.

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Geselligkeit

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Wenn man sich einen Augenblick die ungeheuren Lasten vergegenwärtigt, welche alle Länder Europas in den Jahrzehnten, von denen wir hier sprechen, gleichmäBig drückten, »das fürchterliche Zusammenbrechen aller Verhältnisse« wie Goethe sagt, berücksichtigt, so wird man versucht, zu glauben, den Menschen müsse dazumal jeder Lebensmut und jede Freude abhanden gekommen sein, sie müßten erlegen sein unter dem Gewicht von Sorgen und Mühen und Unruhe. Und doch war dem durchaus nicht so — man hat sich wohl selten mehr und nie in schnellerern Tempo amüsiert, als damals, wo man nie wußte, was der morgige Tag an Überraschungen bringen würde! Der Hang zur Unterhaltung übertäubt die bitteren Gefühle. So schildert Albrecht Adam die Zustande in Wien 1809, die Galanterie der Franzosen fand bei den Damen Gnade, alles war lustig und guter Dinge. Marschall Davoust, der in Ansbach kommandierte, war nach den Aufzeichnungen K. H. von Langs ein kleines Männlein, das nicht satt werden konnte zu walzen. Wahrend Breslau bombardiert wurde, erzählt A. von Holtei, hausten die Bewohner in den Kellern, aber sie

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hörten darum nicht auf, sich zu Tee- und Kaffeegesellschaften einzuladen und ausgelassen vergnügt zu sein. Es war ein Hauptspaß, zu raten, ob herein oder herausgeschossen würde? Friedr. von Raumer richtet 1806 in Königs-Wusterhausen Bälle ein, zu denen die Wirte den Einquartierten das Essen schicken, die französischen Herren aber das Getränk bezahlen und die Musik stellen. 1809 gaben die französischen Offiziere in Fallersleben den Bürgern einen Ball, der den Gastgebern 150 Taler, ihre ganze Besoldung kostete. Goethes Mutter schreibt ihrem Sohn höchst anschauliche Berichte von der Unruhe und Unsicherheit in Frankfurt, wie die reichen Leute mit gepackten Koffern und angespannten Wagen dasitzen, jeden Moment zur Flucht bereit; sie leidet so sehr unter der Last der fortwährenden Einquartierung — die PreuBen bringen gleich Frau, Kind und Magd mit — daß sie ihr schönes Haus um jeden Preis verkauft, um nur dieser Plage überhoben zu sein, und dazwischen kommen dann Nachrichten von Gesellschaften und Theaterbesuch, und die größte Sorge der alten Dame ist die, daß sie nur auch ja das Modejournal aus Weimar erhält! In Dresden müssen Kügelgens wochenlang auf Stroh schlafen, weil das ganze Haus mit Soldaten belegt ist, neunmal starker, als gesetzmäßig! Perthes hat 1807 zwölf Spanier im Quartier; sogar Clemens Brentano, der als Zimmerherr in Landshut wohnt, bekommt zwei Mann und zwei Pferde Einquartierung! Andere entfliehen der Heimat, Schlossers erst nach Ansbach, dann nach Eutin, Jacobi aus Pempelfort nach Wandsbeck, die Fürstin Gallitzin aus Münster nach Holstein; man versteckt und vergräbt seine Kostbarkeiten oder schickt sie Vertrauenspersonen, wie z. B. Goethe aus dem Süden und Westen von Freunden um Aufbewahrung ihrer Wertsachen gebeten wird.

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Lilla von Kügelgen schreibt: Alles wankt und weicht unter unseren Füßen — und dem allem zum Trotz gehen die Vergnügungen, wie Goethe sich ausdrückt: in düsterer Folge fort; mußte doch 1807 in Frankfurt a. M. das Entree der öffentlichen Maskenbälle zweimal erhöht werden, um dem übergroBen Andrang zu wehren!

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Zeitungen

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Diese Zerstreuungen waren in erster Linie Geselligkeit und Theater, denn die Zeitung war zum Vertreiben etwaiger Langeweile noch nicht geeignet. Nur in England erschienen die Zeitungen von 12 Spalten Folio alle Tage; seit 1805, nach dem Vorgange der Times, sogar zweimal täglich. Auf dem Kontinent war man dagegen sehr zurück, sogar in den aufgeregten Zeiten der Jahre 1812, 1813 — 14 erschienen die Journale nur dreimal in der Woche und die Herausgeber hatten entsetzlich unter der blöden Zensur zu leiden, erlaubte doch in Berlin der Polizeirat Naude nicht einmal den Abdruck von Blüchers Ansprachen an seine Soldaten!

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Zu den gelesensten politischen Blättern gehörten in Deutschland Beckers Reichsanzeiger, der Hamburger Korrespondent, die Nationalzeitung, der Schwäbische Merkur; in Frankreich das Journal des Debats und der Moniteur, aber auch ihre Verbreitung war gering genug. Der Moniteur hatte 1803 nur eine Auflage von 3000, das Journal des Debats, welches für das gelesenste aller französischen Blätter galt, auch nicht mehr als 6000 Exemplare. Eine Sensation war es, als ein Pariser Journal 1803 ein Preisrätsel in seinen Spalten veröffentlichte; wochenlang beschäftigte es die öffentliche Aufmerksamkeit und der Redaktion gingen nicht weniger als 8773 Auflösungen zu!

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Ton und Manieren

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Ganz allgemein ist in jenen Jahren, zumal in Frankreich, die Klage, daß die Revolution mit den Unterschieden von Rang und Stand auch die guten Manieren, den Takt und das artige Benehmen der einstigen guten Gesellschaft unterdrückt habe. Der Spott über die schlechten Manieren der neuen Reichen, über die in die Höhe gekommenen Parvenus nimmt kein Ende und macht nicht einmal vor dem Throne halt. Napoleon selbst, dem nichts heilig ist, dem das Leben von einer Million Menschen gar nichts gilt, fürchtet sich vor dem Spott, dem Gillray einen so ätzenden Ausdruck zu geben weiß. Er, dem niemand imponiert, scheut sich vor der Gesellschaft. Weil er mit den Frauen nicht den richtigen Ton finden kann, brüskiert er sie; weil er sich nicht sicher fühlt, wenn er öffentlich eine Rolle zu spielen hat, läßt er sich Reden und Bewegungen von Talma einstudieren und seine Sorge um die Etikette geht so weit, daß der ganze Hof vor seiner Krönung eine — Generalprobe derselben in Notre Dame abhalten muß! Frau von Remusat

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fand ihn würdelos und Talleyrand, der ihn doch kennen mußte, hat einmal gesagt: »schade, daß ein so groBer Mann so schlecht erzogen ist! « Aus diesem Gefühl heraus begreift man seine Unsicherheit in allen Fragen gesellschaftlichen Taktes, er, der alle besiegt hat, kapituliert vor der Etikette. Er nötigt ganz Europa eine neue Ordnung auf, — aber für seinen Hof erholt er sich Rats bei Karolingern und Merovingern und muß bei seiner Hochzeit mit Marie Luise alles genau nach dem Zeremoniell derjenigen von Marie Antoinette richten! Die Damen der Hofgesellschaft, schreibt Frau von Remusat, nahmen Unterricht bei Despreaux, dem Tanzlehrer Marie Antoinettes. »Er lehrte uns wie wir gehen und grüßen mußten. Wir übertrugen Formen und Manieren in die Welt, die uns überall auszeichneten.« Die Gesellschaft ist mächtiger als der einzelne, sei er selbst der Größte und Höchste; sie nötigt die Parvenus, ein gesittetes Benehmen anzunehmen und zwingt sie in ihre Form, Formen nach denen sie selbst erst tastet. Nach dem Thermidor ist es in Paris durchaus guter Ton, zu trauern; die gute Gesellschaft kommt eben aus dem Gefängnis, sieht blaß und angegriffen aus — also gibt sich auch die Frau, die nicht dazu

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gehört, das air, als sei sie lange eingesperrt gewesen und habe den Tod von Verwandten zu beklagen. Zu dem hocharistokratischen »Ball der Opfer« im Hotel Richelieu wird überhaupt nur zugelassen, wer Eltern oder Geschwister unter der Guillotine verloren hatte, bloß einen Onkel oder Tante eingebüßt zu haben, war nicht genug! Man rasierte sich die Haare im Nacken, wie vor der Hinrichtung; man grüßte sich mit einem Nicker, als solle der Kopf in den Korb des Scharfrichters fallen und die Damen markierten durch ein ganz schmales rotes Halsband die Stelle ...... na, - Sie wissen schon ! — Aus dieser Frivolität fiel die neue Gesellschaft in das Gegenteil, die affektierteste Empfindelei.

Als Mme. Tallien einmal in einer ihrer Soireen eine Dame bitten will, ein Lied zu singen, kniet sie vor ihr nieder, hebt die schönen Arme empor und fleht mit gefalteten Händen um diese Gunst, verweilt auch in dieser schönen Attitude, — mit den seelenvollen Augen an den Lippen der Sängerin haftend — bis die Dame das Lied geendet hat! Alles ist von ihren Bewegungen und ihrem Ausdruck entzückt und — wer sich's traut, macht's nach! Man posiert immer; die Damen empfangen auf ihrem griechischen Bett ruhend, verharren in schonen Stellungen,

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drapieren sich, immer auf der Suche nach dem Effekt, den sie durch Ohnmachten, Nervenkrisen u. dergl. auf das Interessanteste zu steigern versuchen. Wenn Dlle. Kirchgessner auf der Harmonika konzertiert, dann haben die »nervenerschütternden Töne« dieses Instrumentes bei den Hörerinnen Nervenzufälle zur Folge; wenn Mme. Chevalier im »Blaubart« singt, werden alle Damen ohnmächtig; Kotzebues »Menschenhaß und Reue« entfesselt auch in Paris und London wahre Tränenströme usw.! Die französische Gesellschaft hatte ihren Stil verloren, diejenige der östlichen Länder hatte ihn überhaupt erst zu gewinnen. Aus Berlin, der Hauptstadt des damals halb slawischen PreuBen, wird 1791 berichtet, daß, wenn Höherstehende zu gesellschaftlich unter ihnen Stehenden eingeladen sind, sie sich schlechter anziehen, als sie sonst tun würden, der Herr geht dann ohne Degen, die Dame legt keine Brillanten an und behält den Hut auf. — Melesina Trench, eine Engländerin, die 1800 Berlin besuchte, bemerkt: es kommt mir wie eine Provinzstadt vor mit einer großen Garnison und seine Manieren stehen nicht höher wie seine Moral. Die Frauen sind ganz unglaublich borniert und besitzen nicht einmal äußere Vorzüge. Ich vergebe es ihnen, weil es eine Folge ihrer schlechten Erziehung ist, aber den

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schlechten Geschmack im Anzug und im Tanzen verstehe ich nicht, denn diese sind das Studium ihres Lebens. — 1806 schreibt Achim von Arnim über die Redoute, bei der die Königin Luise als Titania erschien, daß die Hofgesellschaft gelangweilt, das Publikum grob geworden oder stumm geblieben sei, und wieder Jahre später bleibt auch Gabriele von Bülow dabei, daß eigentliche gesellschaftliche Liebenswürdigkeit in Berlin nicht zu Hause sei, die Leute seien zu schwerfällig und es herrsche ein Mangel an Form. So bereitet Herr von Bonnay, französischer Gesandter in Berlin, seinen Attache Herrn von Cussy auf Berlin vor: »Sie werden viele brave Leute finden aber nicht einen Menschen, der Takt besitzt.«

Zu neuen Formen des Verkehrs, die sich bilden, tritt auch eine neue Art der Geselligkeit. Die gutbürgerliche Gesellschaft begründet ihre Geselligkeit nicht auf konventionellen Zwang, sondern auf freie geistige Übereinstimmung der Beteiligten; sie bringt dazu als Gegensatz zur Galanterie, dem Hauptelement der aristokratischen Gesellschaft, das Schwergewicht ihres Wissens mit. Der Endzweck ihres Zusammenseins wird Bildung; die Lesekränzchen werden Mode. Man liest Theaterstücke mit

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verteilten Rollen, oder jemand aus dem Kreise liest vor, während die anderen sich beschäftigen, die Damen mit Vorliebe Handarbeiten machen. So zeigt uns z. B. ein hübsches Bild den Weimarischen Kreis der Herzogin Anna Amalia, so hören wir von Frau Rat Goethe begeisterte Beschreibungen der Kränzchen bei Bethmanns, Schwarzkopf u. a., wo Don Carlos und Wallenstein gelesen werden. Clemens Brentano liest in Jena mit jungen Madchen die eben erschienene »Lucinde«; Goethe hat seine Mittwochsgesellschaft, wo er seinen Damen Vorträge hält; die Grimms in Kassel ihre Lesegesellschaft am Freitag; in Berlin sammelt Henriette Herz Gleichgesinnte zu: Schöngeisterei, in Halle ist das Haus des Kapellmeisters Reichardt der Mittelpunkt eines harmlosen Kreises. Wie man in ihm seine Freude hauptsächlich in der Musik suchte, so auch anderwärts; heißt doch »sich wohl fühlen« für so viele nicht anderes, als laut sein. Der gemeinschaftliche Gesang im Familien- und Freundeskreise wird mit Vorliebe gepflegt. Wir erkennen das auch aus den vielen Liedern, die sich in damalige

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Romane eingestreut finden und die bei ihrer Veröffentlichung gleich mit Kompositionen erschienen. In den Taschenbüchern und Almanachen fehlen die Musikbeilagen so wenig, wie in Goethes, Arnims u. a. Romanen.

Die Mandoline, die Gitarre sind in jedermanns Hand, Clemens Brentano wandert mit ihr rheinauf und rheinab, sich in die Herzen aller hübschen Mädchen singend und wird nur böse, wenn sie den schwarzlockigen Jüngling ungebeten küssen, wie es die Thüringerinnen in Langensalza tun! Caroline von Dacheröden berichtet ihrem Verlobten voll Stolz, wie einer ihrer Courmacher die Mandoline genommen und sie schmachtend angesungen hatte! Die Saiteninstrumente behaupten in der Hausmusik noch durchaus den Vorrang vor dem Klavier. Aus solch gesellig betriebenem Gesang entstand in Berlin die Singakademie, die anfänglich zweimal wöchentlich bei Frau Generalchirurgus Voit geb. Pappritz zusammenkam, 1794 aber in ien ovalen Saal der Akademie übersiedelte, wo sie ihre Übungen dann unter Zelter und Fasch hielt. 1797 zählt sie schon 70 Köpfe.

Teegesellschaften verdrängen den Kaffeeklatsch; in den neunziger Jahren ist die Teestunde 7 Uhr. Bei Mittagsessen wird noch in »Trachten« serviert, d. h. mehrmals nacheinander kommt in nach unseren Begriffen ganzes Diner auf den Tisch, 7 — 8

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Schüsseln, Braten, Fisch, Geflügel, Pasteten, Salate, alles auf einmal; der Wirt legt vor und nötigt. Diese Besetzung wird zwei- bis dreimal erneuert und am SchluB wird der Tisch nochmals mit einer Tracht verschiedener süßer Speisen besetzt. Natürlich waren Gemüse und Obst nur außerhalb ihrer Jahreszeit geschätzt; in Petersburg ließ sich der Herzog von Vicenza im Winter Kirschen das Stück 5 Rubel und Birnen 1 Louisdor kosten! Die zunehmende Teuerung schränkte diesen Luxus allerdings allmählich ein; 1800 schreibt eine Hamburger Dame, sie könne ihren Gästen nur noch Karpfen und Kalbsbraten vorsetzen, die Zeiten seien zu schlecht.

Als Mittelpunkt der bürgerlichen Geselligkeit bilden sich Etablissements, die Lesezirkel, Leihbibliothek, Spielsaal und Konditorei vereinigend, von den Unternehmern »Museum« genannt werden. Solcher gibt es 1802 schon recht viele: Pinther in Dresden, Beygang in Leipzig, Campe in Hamburg, Eßlinger in Frankfurt a. M. erlauben ihren Stammgasten für einen Jahresbeitrag, der 1796 in Leipzig 12 Taler betrug, an allen Veranstaltungen ihres Instituts teilzunehmen. Der antikisierende Zug, der durch die Zeit geht, macht sich vor allem in den Festen geltend. Schon vor der Revolution veranstaltete die schöne Malerin Vigee-Lebrun Symposien, wo alle Gaste antik gekleidet erscheinen mußten, auf Ruhebetten

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lagen, statt zu sitzen, wo man den Wein aus Vasen trank und schöne Knaben bedienten. Diese Spielereien brachte David dann bei den Aufzügen, die er in Paris arrangierte, in großem MaBstab zur Geltung und ihr Stil behauptete sich dann für Jahrzehnte, kein öffentliches Fest in Paris, Berlin, München, Pyrmont oder sonstwo ohne Tempel, Priesterinnen, Nymphen u. dgl.

Das setzt sich bis in die Familien fort. Als der alte Herr von Manteuffel in Kurland seinen Geburtstag feiert, da planen die Tochter als Höchstes einen künstlichen Hain mit Altar, an dem sie selbst opfern wollen; Goethe und Wolf werden in Helmstadt beim Essen von schönen Mädchen bekränzt; Fürst Borghese läßt bei einem Ball, den er 1810 in Paris gibt, ganz wie in der römischen Kaiserzeit, Saal und Gartenwege mit Rosenblättern bestreuen; Kostümballe wickeln in ihren Maskenzügen, wie sie Goethe in Weimar, Hofrat Hirt in Berlin entwerfen, ganze allegorisch-mythologische Programme ab. Der übertriebene Wert, der im Leben auf Bildung gelegt wird, bringt auch in das Vergnügen einen leicht doktrinaren Zug,

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der sich u. a. auch in dem neuen Gesellschaftsspiel: dem Stellen lebender Bilder nach berühmten Meistern äußert. In Wien aufgebracht, hat diese Unterhaltung zumal 1814 bei den großen Hoffesten des Kongresses Furore gemacht und sich von dieser Zeit an in alle Kreise verbreitet; die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft auf sich allein lenken zu können, welch Triumph der Eitelkeit !

Um sich von der arbeitenden Mittelklasse zu unterscheiden, bevorzugt die gute Gesellschaft die späten Stunden. »Morgen«-besuche darf man 1803 in Paris nur von 2—5 Uhr nachmittags machen; zum Souper beim Grafen Lucchesini wird man um 2 Uhr des Nachts geladen; das Mittagessen nimmt man in London zwischen 6 und 7 Uhr abends, ja, Lady Giorgina Gordon läßt ihr Diner erst um 3 Uhr morgens servieren! Die

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Gräfinnen Osmond und Boigne gehen zu einer Soiree in Hertfort House nach Mitternacht und sind die Ersten! 1807 beginnt in Wien ein Ball beim Grafen Palffy erst um 11 Uhr und endet um 8 Uhr mit einem Frühstiick, dazu paßt es dann, wenn man in Hamburg zu Mittagessen vier Wochen vorher eingeladen wird!

Die Hauptunterhaltung der Jugend war selbstverständlich der Tanz, hat sich doch in jenen Jahren der Walzer seinen Platz im Ballsaal erobert. Als Goethe Werther und Lotten »wie zwei Sphären, die sich umschweben« miteinander walzen läßt, da können ihn noch die wenigsten tanzen; 20 Jahre später herrscht er fast ausschließlich. Auf Münchener Bällen werden 1810

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allein neun Walzer getanzt. Aber leicht ist es ihm nicht geworden, diesem »Alliierten der Schwindsucht und des Todes«, die Menuetts, Gavotten, Sarabanden der alten Generation zu vertreiben, nicht nur die Gesundheit soll er schädigen, hieß es, nein, er untergräbt die Moralität; der olle Sponitzer, der 1797 gegen die »Hoppstanze« wütet, nennt den Walzer verächtlich den »Tanz der Taumelfreude«.

Christian Schubert nannte 1793 den »engen Schleifer« einen sehr skandalösen und dem deutschen Ernst zur Schande gereichenden Tanz. Prinzessin Luise Radziwill erzählt in ihren Erinnerungen, daß die beiden Prinzessinnen von Mecklenburg (die spätere Königin Luise und ihre Schwester) die ersten waren, welche auf dem Hofball am 24. Dezember 1794 es wagten, im Berliner Schlosse Walzer zu tanzen. Friedrich Wilhelm II. war entzückt, die Königin aber wandte die Augen ab, um nicht zusehen zu müssen und verbot ihren eigenen Töchtern das Beispiel nachzumachen. Am Hofe in St. Petersburg führte 1798 die Maitresse Pauls I., Anna Prinzessin Lapuchin, den Walzer ein, der bis dahin verpönt gewesen war. Als der junge und noch ledige Herzog von Devonshire von einer Reise auf den Kontinent zurückkehrte, äußerte er sich entzückt

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über den deutschen Walzer. Sofort beeilten sich alle jungen Damen ihn zu lernen. Auf dem nächsten Ball sah der Herzog lange dem Walzer zu und erklärte dann, er werde nie ein junges Madchen heiraten, die walze. Man wollte gern im Tanze ein musikalisches Drama sehen und verlangte vom Tanzer, er solle ein Maler menschlicher Leidenschaften sein, bitt'schön: im 3/4 Takt!? Gesiegt hat er ja doch, der Tanz der »sehnsüchtigen Zärtlichkeit«, des »Frohsinns und der Lust«; die Franchise ist 1803 selbst in Paris schon so vergessen, daß zu Reichhardts größtem Erstaunen ihre Touren laut kommandiert werden müssen, weil sonst niemand Bescheid weiß.

Daß man Kinder die Bälle Erwachsener besuchen ließ, hat für uns etwas Erstaunliches, aber man hört nicht nur, daB Mme. Tallien Tränen der Rührung vergießt, wenn sie ihre zwölfjährige Tochter tanzen sieht, auch Frau von Humboldt schreibt einmal, daß ihre acht- und zehnjährigen Töchter auf den Bällen die gesuchtesten Tänzerinnen seien. In Paris tanzt auf den Bällen von 10 — 12 Uhr die Jugend und während diese dann soupiert, tanzen erst die älteren Leute. Das tanzlustige Paris, das 1796 geschwind die leeren Kloster zu Ball-Lokalen einrichtete, das seine Zephir-Bälle auf dem Kirchhof S. Sulpice inmitten der Grabsteine abhielt, erlebte während des Kaiserreichs seine glänzendste Saison im Winter von 1809 zu 1810, unmittelbar vor Napoleons zweiter Heirat. Die Modetanze des Kaiserreiches waren Menuett, Gavotte, Monaco und Treniz; ein guter Tänzer, berichtet Dr.Veron, war sicher, eine glänzende Karriere zu machen. Am Schluß all dieser rauschenden Festlichkeiten steht wie ein Menetekel das Fest des Fürsten von Schwarzenberg am 1. Juli 1810, das Varn-

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hagen u. a. so anschaulich beschrieben haben. Der Ballsaal ging dabei in Flammen auf und zahlreiche Damen der ersten Gesellschaft fanden, zertreten, erstickt, verbrannt einen grauenvollen Tod, u. a. die Fürstin selbst, die ihre Tochter suchte; diese war gerettet — um 40 Jahre später bei dem Prager Aufstand erschossen zu werden!

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Wenn wir uns zum Theater wenden und uns vergegenwärtigen, daß damals Goethe, Schiller, Haydn, Beethoven lebten, daß Lessing unlängst und Mozart eben erst gestorben war, so werden wir beim Durchblättern der Theaterzettel der deutschen Bühnen mit Erstaunen gewahr, daß diese klassischen Großen zu ihrer Zeit nur recht selten auf dem Spielplan erscheinen. Es war um 1790 eine Bewegung im Gange, Lessing ein Denkmal zu errichten; die Vorstellung der Minna von Barnhelm, die 1791 in Kassel zum Besten des Denkmalfonds gegeben wurde, erbrachte aber nur 15 Taler und 12 Groschen! In Berlin wurden Goethes Iphigenie, der Tasso vor leeren Hausern gespielt; 1800 bei der Erstaufführung der Iphigenie in Wien gehen Hof und Adel nach dem zweiten Akt fort; die zweite Aufführung bleibt leer und dann vergehen 15 Jahre bis zur dritten. In München erscheint Don Carlos etwa alle drei Jahre einmal und die Berliner gehen in die Rauber überhaupt nur, wenn Iffland spielt. Als Haydns »Schöpfung« 1801 in Paris gegeben wird, ist die erste Aufführung überfüllt, da es sich um ein mondaines Ereignis handelt, zu mehr als zweien kommt es aber aus Mangel an Interesse überhaupt nicht, wahrend die verschiedenen Parodien darauf, die in Pariser Theatern gespielt werden, wochenlang volle Hauser erzielen. Am 20. November 1805 ist in Wien die Premiere von Fidelio; es dauert sieben Jahre bis zur ersten Wiederholung! Den gleichzeitigen Komponisten, wie Reichardt, schien Beethoven verrückt und die Rezensenten werfen seiner Musik die »Vernachlässigung einer edlen Simplizität« vor und fanden sie im »Effekt etwa gleich ungeschliffenen Diamanten«. Dabei war der Theaterbesuch ein sehr reger; die sechs Wiener Theater waren selbst 1813 täglich ausverkauft; im Marz 1811 gab es in Berlin 16 Konzerte und alle sollen überfüllt gewesen sein; in Hamburg spielten drei Theater, ein deutsches, ein englisches und ein französisches gleichzeitig. Das Interesse am Theater war so rege, daß an Orten, wo stehende Bühnen fehlten, Lieb-

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haber für Geld spielten, wie in Bremen 1792 oder in Leipzig, wo es außer dem Stadttheater im Jahre 1800 fünf Privatbühnen gab, die dem Besuch zugänglich waren. Kästner rühmt in Leipzig besonders das ausgezeichnete Liebhabertheater des Oberhofgerichtsrat Blixmner. »Es sind 30 Liebhabertheater hier«, schreibt Bettine 1808 aus München an Achim von Arnim, »vom ersten Minister bis zum Lampenputzer spielt alles Komödie, keiner will dem andren zusehen, ein jeder will selbst spielen.« Man bevorzugte gegenüber dem klassischen Repertoire das leichtere Genre und man findet auf den Zetteln außer den vergessenen Namen der SpieB, Junger, Vulpius, Babo am häufigsten Iffland und Kotzebue. Der letztere zumal traf den Zeitgeschmack mit sicherem Gefühl und fand in seiner ungeheuren Fruchtbarkeit den Weg auf alle Bühnen, in Deutschland wie im Ausland. In Wien erhielt er für jedes neue Stuck 60 Dukaten, in London gar £ 100; seine Sonnenjungfrau, Menschenhaß und Reue, die Indianer in England u. a. waren Jahrzehnte hindurch überall Kassenstücke; seine Possen sind

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es heute noch auf Schmieren, während Ifflands bürgerliche Rührstücke, wie die Jäger, sich bis jetzt auch auf größeren Bühnen gehalten haben. Iffland galt nach Eckhofs Tode für Deutschlands größten Schauspieler; er wurde 1796 mit 3000 Taler Gage in Berlin engagiert, brachte aber viele Monate des Jahres auf Gastspielen zu. Sein Spiel galt für so wunderbar, daß einzelne seiner Rollen in ganzen Serien von Darstellungen im Kupferstich festgehalten worden sind; es war, wie dasjenige des gleichzeitigen berühmten Tragöden Talma, eine Kettenfolge wirkungsvoller Attitüden und mimischer Grimassen. Talmas Deklamation fanden deutsche Beurteiler eintönig, denn er sprang fortwährend mit der Stimme von der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe und verfiel von lautem Geschrei in dumpfes unverständliches Murmeln. Karl von Raumer schreibt im Winter 1808 — 09 aus Paris: »Als ich die erste Tragödie sah, meinte ich die Schauspieler seien toll, solch Schreien und Brüllen, solch wütende Gestikulationen! Der berühmte Talma mäBigte sich etwas und weil er ein schöner Mann war, so entstellte ihn die Art Affekt nicht so sehr.

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Destomehr entstellte sie eine häßliche Schauspielerin Mlle. Duchesnois, die im Schweiße des Angesichts Applaus erarbeitete.«

Die Oper beherrschen in diesen Jahren Mehul, Cherubini, Paer, Salieri, Winter, Weigel, Dittersdorf; als Sängerinnen feiert man Mme. Paer, die 1806 für 30000 Francs Gage für Paris gewonnen wird, und besonders Angelica Catalani. Sie erhielt in Paris für zwei Monate 100 000 Fr. und für eine season in London 240000 Fr. An einzelnen verstaubten Buhnen fristet die alte italienische Opera seria noch ein kümmerliches Dasein, wie in Berlin 1791, wo die Kastraten Concialini und Tosoni als Darius und Alexander Hauptheldenrollen singen; selbst 1811 ist in Berlin noch ein Kastrat Tombolino engagiert, dessen Stimme drei voile Oktaven umfaBt, vom tiefen bis zweigestrichenen B!

Schließlich war es damals, wie heute — man ging ins Theater, um sich zu amüsieren und etwas Hübsches zu sehen, und die Direktoren, die ihrem Publikum dafür das meiste boten, hatten den berechtigten — den Kassenerfolg für sich! So war es in Paris 1799, als das Vaudeville eine Jahresrevue spielte; so 1809 in Wien, als der Rochus Pumpernickel die Bretter betrat. In Ausstattungsstücken ließ aber England alles hinter sich, was man bis dahin gesehen oder gehört hatte. Das Drurylane Theater in London, welches 1797 den eisernen Vorhang einführte, gab 1799 ein Stück, in dem eine Pulvermine auf der Bühne ein Schloß in die Luft sprengte! Dagegen kam man in München nicht auf, wo man 1810 »"Übereilung und Argwohn« von Holbein sehr bewunderte, — weil in einem Akte fließendes Wasser bis zur höchsten Täuschung dargestellt war; eher konnte noch Berlin mit den englischen Effekten rivalisieren, wo man 1812 in Fontenelles Hekuba den Brand von Troja »schauderhaft wahr« fand! Das starke Interesse am Theater zeitigte Versuche, wie Goethes in Weimar, der Terenz in antiken Masken spielen ließ, oder solche, wie am Theatre Feydeau in Paris mit Abschaffung der Kulissen und Einführung einer stehenden Dekoration gemacht wurden. Das Interesse an den Personen der Darsteller hat die Claque ins Leben gerufen, welche im Kampf der rivalisierenden Tragödinnen Duchesnois und Georges Weymer in Paris 1804 zum ersten Male erscheint; 1799 hat das Publikum in Hamburg einmal einen Schauspieler ausge — gähnt!

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  • Claque: die Gesamtheit der Claqueure in einem Theater
  • vgl. In 1794 the Theatre Royal, Drury Lane became the first theatre to install an iron safety curtain. - "History of theatres: Eighteenth-century theatre". The Theatres Trust. Retrieved April 22, 2017. - "Theatres had mainly wooden interiors which were always at risk of fire. In 1794 the Drury Lane Theatre, London introduced the first iron safety curtain, which would eventually become a statutory requirement in all large theatres. It also had a large water tank on its roof – a feature that was adopted by other theatres – to extinguish fire in the stage area. The theatre also began to make its scenery more fire-resistant." - "Die Innenausstattung von Theatern bestand überwiegend aus Holz und war daher immer der Gefahr eines Brandes ausgesetzt. Im Jahr 1794 führte das Drury Lane Theatre in London den ersten eisernen Sicherheitsvorhang ein, der schließlich in allen großen Theatern gesetzlich vorgeschrieben wurde. Auf dem Dach befand sich außerdem ein großer Wassertank – eine Funktion, die von anderen Theatern übernommen wurde –, um Feuer im Bühnenbereich zu löschen. Das Theater begann auch, seine Kulissen feuerbeständiger zu machen."
    • Theatre Royal Drury Lane: Das erste Gebäude an dieser Stelle wurde nach der Restauration gebaut. 1663 eröffnet, wurde es von der Schauspieltruppe von Thomas Killigrew als eines der beiden Theater mit einem königlichen Patent bespielt (siehe Patent Theatre). - Weil dieses Gebäude im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht mehr den Ansprüchen entsprach, wurde es 1791 abgerissen und nach Plänen von Henry Holland ein neues gebaut, das ab 1794 genutzt wurde, aber nach nur zehn Jahren am 24. Februar 1809 abermals (wie 1672) bis auf die Grundmauern abbrannte.
    • Als Patent Theatres bezeichnet man die Theater, die in der Zeit von 1660 bis 1843 ein Monopol auf die Aufführung von Schauspielen in England hielten. Die Zensur des Theaters hatte schon eine längere Geschichte. Unter Elisabeth I. war der Master of the Revels (Zeremonienmeister) zuständig für die Zulassung von Theatern und Stücken. In der Regierungszeit Oliver Cromwells kam das Theater in England weitgehend zum Stillstand. Nach der Restauration erließ Karl II. Patente für „gesprochenes Drama“ an zwei Schauspieltruppen: die King’s Players von Thomas Killigrew, die ab 1663 das Drury Lane Theatre bespielten, und die Duke’s Players von William Davenant, die sich in Lincoln’s Inn Fields niederließen und 1671 in das neue Dorset Garden Theatre umzogen. Die Patente waren so beschaffen, dass sie jeweils auf die Erben übergehen sollten. Nachdem die Gesellschaft der King’s Players unter Thomas’ Sohn Charles Killigrew zusammengebrochen war, vereinigten sich die beiden Truppen. Bis 1695 gab es nur eine Theatergesellschaft, die das Drury Lane Theatre und Dorset Garden Theatre bespielte. Erst dann wurde vom König eine weitere Lizenz vergeben, mit der Thomas Betterton zurück nach Lincoln’s Inn Fields wechselte. 1732 ging dieses Patent an das Theatre Royal Covent Garden über.

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Zirkusvorstellungen sind auf dem Kontinent noch etwas Ungewöhnliches, 1797 besucht die Gräfin Voß in Berlin -zum erstenmal in ihrem Leben einen solchen, während sie in England, dem klassischen Land des Reitsportes, etwas längst Gewohntes darstellen. Der berühmte Zirkus Astley in London ist schon zur Pantomime vorgeschritten und führt bereits im Juli 1791 als aktuellen Vorwurf die Flucht der königlichen Familie nach Varennes auf, die kaum drei Wochen zuvor stattgefunden. Die Vorliebe der Zeit für die schöne Geste, die plastische Pose hat ein Genre von Vorstellungen gezeitigt und geschätzt, welches darin bestand, daß eine Person durch ihre Attitüden und ihre Mimik Charaktere darzustellen unternahm. Die Erfinderin dieses Genres, war Lady Emma Hamilton, die Geliebte Nelsons, welche als Sophonisbe, Iphigenie, Vestalin, Niobe, Kleopatra, Maria Magdalena u. a. durch die Schönheit ihres Körpers, den seelenvollen Ausdruck ihres Mienenspiels jeden, der sie sehen durfte — und Goethe hat auch dazu gehört — entzückte. Öffentlich trat dann das Tänzerpaar Vigano in solchen Vorstellungen auf und sie fanden viele Nachahmer, seit durch Rehberg und Schadow ihre und der Lady Hamilton Attitüden in Kupferwerken bekannt gemacht worden waren. In Deutschland waren Henriette Hendel Schütz und Elise Bürger darin berühmt, bis sie zu dick wurden und Deklamation und Drapierungskünste nicht mehr imstande waren, Alter und Fett für Anmut und Grazie auszugeben. Wilhelm von Kügelgen erzählt sehr drollig von den mimischen Exzessen der Hendel-Schütz, und eine satirische Schilderung nach dem Leben läßt E. Th. A. Hoffmann seinen Hund Berganza davon entwerfen. In Brighton produzierte sich eine Mrs. Humphries in Attitüden im Wasser und ein Herr von Seckendorf, der meist im römischen Kostüm mimte, beschloß seine Darstellungen gewöhnlich — ganz nackt als Apollo !

Den Sieg über Schauspieler, Sängerinnen und Mimoplastiker trugen aber um die Jahrhundertwende — die Wunderkinder davon. In England machte der zwölfjährige Tragöde Betty Roscius das Publikum ganz toll; in Deutschland konzertierten die zehn- und elfjährigen Violinspieler Pixis aus Mannheim und Niele aus Hannover und die neunjährige Kathinka Krebs ließ sich mit Bravour Arien bis ins eingestrichene A hören, aber vor dem Ruhm der Sängerin Karolina Stenz mußte der der anderen erblassen, diese Künstlerin konnte zwar wenig, aber sie war dafür auch erst 3 1/2 Jahre alt!

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Das Reisen war in jener Zeit kein Vergnügen; nur, wer mußte, machte eine Reise. In vielen deutschen Territorien hielt man es im 18. Jahrhundert für ein Gebot volkswirtschaftlicher Klugheit, die StraBen in schlechtem Zustand zu erhalten, denn dann blieben die Einheimischen mit ihrem Geld zu Hause, die Fremden aber muBten für Vorspann, Reparaturen, Aufenthalt usw. einen schönen Batzen dalassen. So waren die Wege absichtlich oder unabsichtlich aufs höchste vernachlässigt und wenn Napoleon auch überall schone Chausseen bauen ließ, so gerieten sie doch bald durch die unablässige Abnützung durch seine Artillerie, Train u. dgl. wieder in einen Zustand, der Reisewagen und Postkutschen sehr gefährlich wurde. Die Klagen darüber sind denn in der Literatur auch etwas Stehendes, die Berichte über Unfalle bei Reisebeschreibungen etwas ganz Selbstverständliches. Von Livland bis Neapel ist Kotzebue in einem Entsetzen über den schlechten Zustand der Posten; ob die Königin Luise von Königsberg nach Warschau, Bettina mit Lulu Jordis von Kassel nach Berlin, Humboldts von Rom nach Neapel, Kügelgens nach Ballenstedt

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reisen, ist ganz gleich — umgeworfen werden sie sicher und können noch von Glück sagen, wenn sie heil davonkommen und nicht wie Wielands, als sie mit dem Wagen über den Tiefurter Berg hinunterfallen, schwer beschädigt werden! Erbprinz Carl Ludwig von Baden verlor am 16. Dezember 1810 bei Arboga in Schweden sein Leben durch einen Sturz aus dem Wagen.

Nur England machte wieder eine Ausnahme und wer einmal dort gewesen ist, kann sich die Wege auf dem Kontinent überhaupt nicht mehr vorstellen. Die englischen Straßen sind so vorzüglich, daß die »Flugfuhren« z. B. Campe, der von Yarmouth nach London reist, sehr schlecht bekommen und er sich über das schnelle Fahren beschwert, »denn da konnte man doch von der Gegend nichts sehen«!? Dabei sind noch auf dem Kontinent der Schikanen mit Zollen und Pässen kein Ende. Auf der Elbe sind allein zwischen Dresden und Magdeburg 16 Zollstellen, auf dem Rhein 32, auf der Weser zwischen Minden und Bremen noch 22! Als Ferdinand Grimm 1812 nur von Kassel nach München will, muß er in Nürnberg eine

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Woche liegen bleiben, weil sein Paß in Kassel nicht vom bayerischen Gesandten visiert worden ist. Die Pässe der Brüder Riepenhausen, die 1802 von Göttingen nach Rom wandern, tragen einige 20 Visa, die doch alle unterwegs mit Unbequemlichkeiten und Kosten eingeholt werden mußten! Die schlechten Straßen ziehen auch die kürzeste Reise unglaublich in die Länge; daß man von Berlin nach Rom zwei Monate braucht, während das Gepäck ein Jahr unterwegs ist, — daß man von Wien nach Rom 1 Monat benötigt, ist nicht zu verwundern, aber von Cleve nach Münster reisen Sethes 1803 drei Tage; Wilhelm Grimm braucht 1816 mit dem Hauderer vier Tage von Kassel nach Leipzig! Reichardt preist sich glücklich, 1802 in nur vier Tagen von Frankfurt nach Paris zu kommen (für 185 Taler!).

Bedenkt man dann außer dem schlechten Zustand noch die Unsicherheit der Straßen und die erbärmlichen Wirtshäuser, so versteht man, daß wer nicht fort mußte, daheim blieb. Daß Frauen in Männerkleidern auf die Reise gehen, ist aus allen diesen Gründen damals etwas ganz Gewöhnliches. Die schöne abenteuerliche Mme. Gachet, das Urbild von Goethes Natürlicher Tochter, die immer unterwegs war, trug nur selten die Kleider ihres Geschlechts; Bettina und Lulu Jordis reisen als

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Männer und auch Humboldts stecken ihre vier Mädchen zur Reise nach Rom in Hosen! So liest man auch kaum von Vergnügungsreisen aus damaliger Zeit. Selbst die Naturschönheiten der nächsten Umgebung blieben lange unbekannt; Carl Julius Weber, der Deutschland von einem Ende zum andern kannte, hörte 1805 zum ersten Male von den Schönheiten des Salzkammerguts reden; 1800 erst baut Graf Stolberg das Brockenhaus und ein Besuch von 1000 Gästen im Jahr gilt für etwas Außerordentliches !

Man reiste, wenn es hoch kam, ins Bad. Die Modebäder waren Pyrmont und Karlsbad, erst um 1803 beginnt Norderney in Aufnahme zu kommen. Den Preußen war durch eine Kabinettsordre im Jahre 1799 verboten worden, ihre Gesundheit in auBerpreußischen Bädern wiederherstellen zu wollen! Uber Pyrmont ist Ende des 18. Jahrhunderts nur eine Stimme, wie schmutzig es sei, wie teuer, wie schlecht die Verpflegung, wie unaufmerksam die Bedienung usw. Der Kursaal wird nur beleuchtet, wenn ein Gast die Kerzen zahlt; aber gespielt wird mit unglaublicher Leidenschaft von hoch und nieder; in Pyrmont ist es 1812 passiert, daß ein Bedienter einen unschul-

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digen Knaben ermordete, um ihm den kleinen Finger abzuschneiden, der ihm Glück im Spiel bringen sollte!


Kurs:Dresden/Mode/Komfort