Kurs:Mathematische Modellbildung/Themen/Modellierung des Infektionsgeschehens durch SARS-CoV-2/Modellierungszyklus 3

Das SI-Modell Bearbeiten

 


  • Anteil der Nicht-Infizierten   (Susceptible) an der Gesamtbevölkerung N: Eine Zahl zwischen 0 und 1
  • Anteil der Infizierten   (Infected)

In der Gruppe   befinden sich Individuen, welche einmal durch den Erreger infiziert wurden (unabhängig davon, ob sie Symptome zeigen oder nicht).

Susceptibles können von dem Kompartiment   durch eine Infektion in das Kompartiment   wechseln.

Die Individuen in den Kompartimenten werden also lediglich durch das Merkmal "Besitz eines Erregers" unterschieden.

Bei diesem einfachen Modell kehren Individuen nicht aus dem   -Kompartiment zum   -Kompartiment zurück.


Die Infektionsfunktion Bearbeiten

Im Kompartiment-Bild zeigt ein Pfeil an, dass Individuen von einem Kompartiment zu einem anderen wechseln.

Eingehende Pfeile zeigen eine Zunahme an. Entsprechend werden ausgehende Pfeile aus einem Kompartiment negativ gezählt.

Wir definieren eine Infektions-Funktion  , die den Wechsel der Individuen in das Infected-Kompartiment mit einer bestimmten Rate beschreibt.

Diese Rate entspricht der Ableitung von   nach der Zeit:

 

Exponentielles Wachstum Bearbeiten

Eine sehr einfache Annahme besteht darin, dass jeder Infizierte Susceptibles (aus einem unendlichen Vorrat) mit einer festen Rate infiziert.

Dann hätten wir als Infektions-Funktion

 

umgeformt

 

Dies ist eine Differentialgleichung mit der Lösung

 ,

also exponentielles Wachstum mit einer Infektionskontaktrate   und   als Anteil an Infizierten am Tag 0.


Berücksichtigung endlich vieler Susceptibles Bearbeiten

Während die Annahme eines unendlichen Vorrats an   zu Beginn einer Epidemie noch gültig sein mag, ist bei weiterem Fortschreiten zu erwarten, dass der Anteil der   zurückgeht.

Die Infektions-Funktion wird dann sowohl proportional zu   als auch zu   angenommen:

 


Dann haben wir eine Gleichung für den Zufluss

 

und eine Gleichung für den Wegfluss

 

Diese beiden Gleichungen müssen wir jetzt in einen Zusammenhang bringen.

Nimmt man nun die Infektionszahlen für den Tag Null (24. Februar 2020, 16 Infizierte) und am Tag 10 (5.März 2020, 400 Infizierte). Dadurch ergibt sich   analog zu der Rechnung aus Zyklus 2.

Lösung der Gleichung mit Maxíma Bearbeiten

Das Prinzip der Berechnung basiert auf dem Verfahren von Euler.

Zu Beginn setzen wir einen Startwert   in die Differentialgleichung ein und erhalten den Wert der Ableitung an der Stelle  :

 

Damit können wir den Wert von   berechnen über:

 

Mit dem Wert für   gehen wir wieder in die Differentialgleichung und bestimmen den Wert  , um daraus wiederum   zu berechnen.

Dieses Vorgehen wird solange wiederholt, bis "der gewünschte Blick in die Zukunft" weit genug ist.

Lösung der Gleichung mit Maxíma Bearbeiten

Wir verwenden bei Maxima eine Variante des Euler-Verfahrens, das Runge-Kutta-Verfahren.

Für die Verwendung des Runge-Kutta-Verfahrens muss die Differentialgleichung nach der höchsten vorkommenden Ableitung aufgelöst sein, was in unserer Gleichung bereits der Fall ist.

Bei Maxima steht beim zugehörigen rk()-Befehl in der ersten eckigen Klammer die rechte Seite der Differentialgleichung.

In die zweite eckige Klammer kommt der Name der zu integrierenden Variablen ( ), gefolgt vom Startwert.

In der letzten eckigen Klammer steht zuerst der Name der unabhängigen Variablen, gefolgt von der Untergrenze, danach die Obergrenze und schließlich die Schrittweite der Integration:

Lösung der Gleichung mit Maxíma Bearbeiten

/*SI-Modell*/
beta: 0.3219;
I0: 1.93E-07;
sol: rk([-beta*I*(I-1) ],[I],[I0],[t,0,100,0.1])$   
plot2d ([[discrete,makelist([p[1],1-p[2]],p,sol)],
         [discrete,makelist([p[1],p[2]],p,sol)]],
         [xlabel,"t"],
         [legend,"Susceptibles","Infected"],
         [color, blue, red],
         [gnuplot_preamble, "set key box at 95.,.6" ])$

 

Das SIR-Modell Bearbeiten

Beim vorigen SI-Modell infiziert ein Mitglied von   mit einer konstanten Infektionskontaktrate   "endlos" weiter.

Dies ist natürlich eine grobe Vereinfachung, der man durch die Einführung der Klasse   (Removed) im Kompartiment-Modell abhelfen will.

 


Die Erhaltungsgleichung wird um den Anteil   erweitert:  .

Die Infektionsfunktion übernimmt man unverändert aus dem SI-Modell.

Die Gesundung-Funktion Bearbeiten

Die Gesundungs-Funktion führt nun Anteile aus   nach   mit einer Genesungsrate   über:

 

Statistisch gesehen wird hier eine Exponentialverteilung mit dem Erwartungswert einer Gesundungsdauer   beschrieben.

Ist der Erwartungswert der Genesungsdauer beispielsweise 7 Tage, dann beträgt der Anteil der Infizierten nach 7 Tagen (angenommen, es sind keine weiteren Infektionen hinzugekommen), noch  .

Das SIR-Modell Bearbeiten

Beim SIR-Modell kommen also zum einen neue Infizierte hinzu ( , genauso wie beim SI-Modell), andere wechseln in die Gruppe ( ):

 

Die Differentialgleichungen Bearbeiten

Damit haben wir ein kleines System von Differentialgleichungen mit

 
 
 

Wegen   ergibt sich  .

Damit ergibt sich die dritte Differentialgleichung auch aus  . Sie braucht daher nicht integriert zu werden.

Lösung des Gleichungssystems mit Maxima Bearbeiten

Auch Differentialgleichungssysteme lassen sich mit der rk()-Funktion leicht lösen. In den Klammern werden lediglich mehrere Gleichungen hintereinander eingefügt und durch Kommata getrennt:

/*SIR-Modell*/
beta: 0.3219;
gamma: 0.1;
I0: 1.93E-07;
sol: rk([ -beta*S*I ,
           beta*S*I-gamma*I],
           [S,I],
           [(1-I0),I0],
           [t,0,160,1])$
plot2d ([[discrete,makelist([p[1],p[2]],p,sol)],
         [discrete,makelist([p[1],p[3]],p,sol)],
         [discrete,makelist([p[1],1-p[3]-p[2]],p,sol)]] ,
         [xlabel,"t"],
         [legend,"Susceptibles","Infected","Removed"],
         [color, blue, red,green],
         [gnuplot_preamble, "set key box at 155.,.6" ])$

 

Lösung des Gleichungssystems mit Maxima Bearbeiten

Nach dieser Berechnung liegt bei 75 Tagen das Maximum der Infektionen. Hiernach wären beängstigende 30% der Bevölkerung infiziert.

Die Basisreproduktionszahl Bearbeiten

Eine oft genannte Kenngröße bei Epidemien ist die Basisreproduktionszahl  . Sie gibt an, wie viele Andere eine Infizierte Person während der Phase der Infektiosität durchschnittlich ansteckt.

Beispielhafte Basisreproduktionszahlen sind:

  • Malaria: mehr als 1000
  • Masern: 15 bis 18
  • Pocken, Polio: 6 bis 8
  • Keuchhusten 14
  • Grippepandemie von 1918: 2 bis 3
  • COVID-19 (geschätzt): 2,4 bis 3,3

Für das SIR-Modell gilt :

 .

Mit den Werten für   und   würden wir als   erhalten. Dies liegt innerhalb der Schätzwerte  .


Fazit SIR-Modell Bearbeiten

Grenzen des Modells:

  • Man betrachtet lediglich zwei Prozesse. Die Infektion und die Genesung. Missachtet werden beispielsweise Sterbefälle, Geburten, Einreisen und Ausreisen und, dass die Immunisierung durch die Entwicklung der Krankheit nicht dauerhaft ist.
  • Mittlere Krankheitsdauer ist schwer festzulegen, da diese sehr stark abweichen und je nach gesundheitlichem Zustand des Infizierten variieren.


Positives des Modells:

  • Das Infektionsgeschehen wird auf die 2 Hauptprozesse vereinfacht, die die Epidemiologie interessieren. Nämlich auf die Infektion und die Gesundung.
  • Mit dem Modell lässt sich eine Herdenimmunität vorhersagen.

Herdenimmunität Bearbeiten

Betrachten wir nun Covid-19 als eine Erkrankung mit dauerhafter Imumnisierung. Bei unserem Modell tritt die Herdenimmunität ein, sobald die Infektionszahlen nicht weiter anwachsen.

Dies ist der Fall, wenn :  .

Mit  

Da   folgt  .

Daraus folgt  .

Setzt man nun ein erhalten wir

 

Das bedeutet, sind weniger als 31% empfänglich für eine Infektion, so klingt die Krankheit ab und wir erreichen die Herdenimmunität.

Dies kann auch erreicht werden, indem man die Bevölkerung impft und diese Geimpften von S in R springen, ohne infiziert worden zu sein.