Kurs:Mathematische Modellbildung/Themen/Modellierung des Infektionsgeschehens durch SARS-CoV-2/Zyklus 2 - Niveaustufe Sek. 2

Zyklus 2 - Niveaustufe Sek. 2 Bearbeiten

In Zyklus 2 betrachten wir zunächst, wieso dem Reproduktionsfaktor eine so große Bedeutung bei der Bekämpfung der Pandemie zukommt. Der Reproduktionsfaktor beschreibt, wie in Zyklus 1 bereits erwähnt, die Entwicklung der Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag oder der Woche zuvor. Diesen Reproduktionsfaktor kann man etwas genauer modellieren.

Der Reproduktionsfaktor Bearbeiten

Dazu nehmen wir an:

  mit:

  = Neuinfektionen pro Tag

  = Anzahl an Begegnungen mit Infizierten Personen

  = Wahrscheinlichkeit, dass aus der Begegnung eine Infektion entsteht

Daraus folgt


 

Um also den Wachstumsfaktor   gering zu halten muss man entweder die Anzahl an Begegnungen, oder die Wahrscheinlichkeit, dass man sich bei einer Begegnung ansteckt verringern.

Wir betrachten zunächst die Verringerung von Begegnungen.

Mit Hilfe von Teil- oder hartem Lockdown ist es möglich, die Begegnungen zwischen infektiösen und gesundem Menschen so gering wie möglich zu halten. Dies wiederum verringert wie eben beschrieben den Wachstumsfaktor. Und wieso das so wichtig ist haben wir bereits im Zyklus 1 behandelt und wird im folgenden erneut veranschaulicht.


Das Spahn-Modell Bearbeiten

Hierzu nehmen wir an, dass sich deutschlandweit 70% der Bevölkerung auf jeden Fall mit dem Coronavirus infizieren wird. Das entspricht in etwa 58 Millionen Menschen.

Zur Veranschaulichung dient die folgende GeoGebra Datei: https://www.geogebra.org/classic/dcemuzmp


Hierbei betrachten wir eine Modellierung des "Spahn-Modells", welches die monatlichen Neuinfektionen in Millionen darstellt.

Mit Hilfe des Integrals der Funktion lässt sich die Zahl der Gesamtinfektionen im angegebenen Zeitraum berechnen.

Betrachten wir das Infektionsgeschehen in einem Zeitraum von 18 Monaten mit 58 Millionen Gesamtinfektionen, so sehen wir, dass wir im Peak etwa 4,8 Millionen Neuinfektionen im Monat erreichen. Dieser Wert übersteigt deutlich die Kapazitätsgrenze des deutschen Gesundheitssystems.

Strecken wir nun jedoch das Infektionsgeschehen mit Hilfe der Verringerung der Reproduktionszahl auf bspw. 36 Monate bleiben wir bei gleicher Gesamtinfektionen mit 2,4 Millionen Neuinfektionen im Monat deutlich unter der Kapazitätsgrenze.


Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass es bei einer Begegnung zwischen gesundem und infektiösen Mensch zu einer Neuinfektion kommt müssen gewisse Hygieneregeln angewendet werden. Das Tragen von Masken, das regelmäßige Lüften in geschlossenen Räumen, das Nutzen von Desinfektionsmittel und natürlich die Impfung sind daher essentielle Faktoren, um eben eine Überschreitung der Kapazitätsgrenze des Gesundheitssystems zu verhindern.


Vom exponentiellem zum logistischem Wachstum Bearbeiten

Wie in Zyklus 1 bereits erwähnt, macht eine rein exponentielle Modellierung des Infektionsgeschehen keinen Sinn, da es natürlich eine obere Schranke gibt, die nicht überschritten werden kann. In der Epidemiologie wird daher oftmals das logistische Wachstum gewählt, um Infektionsverläufe zu prognostizieren.

Die Formel sieht folgendermaßen aus:


  mit

  obere Schranke, also 70% der deutschen Bevölkerung -> also etwa 56 Millionen

 Zeit in Tagen

  sind konstanten

Somit beschreibt   die Anzahl der Infizierten nach   Tagen ohne Eindämmungsmaßnahmen. Die Ableitung   beschreibt daher die Neuinfektionen pro Tag.

Leiten wir uns nun die Formel anhand vorangekommenen Daten her.

Wir befinden uns zu Beginn der Pandemie und betrachten 2 Zeitpunkte und deren Infektionszahlen. Zur Übersichtlichkeit halber betrachten wir   in tausend Infizierten.

Der 01.03.2020 sei   mit  .

Am 20.03.2020 sei   und  


Setzen wir nun   und   in die Formel ein erhalten wir

 

Löst man dies nach   auf so erhält man  

Nun setzten wir   und   ebenfalls in die Formel ein, so erhalten wir

 

Nach Umstellen und vereinfachen erhalten wir für  :

 

also  

Mit Hilfe dieser Schritte lässt sich nun eine Wachstumsformel aufstellen:


 

Da die Funktion logistisch ist, können wir behaupten, dass die Wendestelle genau zwischen dem Anfangswert 1 und der oberen Schranke 56.000 liegt. Also bei  .

Setzen wir dies in unsere Formel ein sehen wir, dass dieser Wert für   erreicht wird. Dies bedeutet wir haben nach 79 Tagen die Höchstzahl an Neuinfektionen erreicht, da die Wendestelle der Punkt ist, an dem die Steigung größtmöglich ist.


Modellierung mit GeoGebra Bearbeiten

Betrachten wir folgende Visualisierung mit Hilfe von GeoGebra: https://www.geogebra.org/classic/sdmp22ke


Die Funktion   beschreibt unser Modell mit  . Die Funktion   hat hingegen ein variables   im Bereich von 0 bis 0,2. Außerdem wurden Ableitungen beider Funktionen gebildet, um mit Hilfe der Hochpunkte dieser Ableitungen feststellen zu können, wieviele Neuinfektionen im Infektionsverlauf maximal auftreten können.

Bei unserem Modellierungsbeispiel mit   sind es 1.946.000 Neuinfektionen pro Tag. Bei der Funktion   lässt sich mit Hilfe des Schiebereglers die Importanz von   verdeutlichen. Verringert man diesen nämlich bspw. auf 0,04 so erkennt man, dass dieser Hochpunkt knapp 200 Tage nach hinten verschoben wird und es lediglich noch 560.000 Neuinfektionen im Peak sind.

Es lässt sich vermuten, dass   ein möglicher Infektionsverlauf gewesen wäre, wenn es keinerlei Maßnahmen gegeben hätte. Mit knapp 2 Millionen Neuinfektionen am Tag und das nach nur 80 Tagen nach Ausbruch des Virus wäre das Gesundheitssystem kollabiert.

  zeigt, dass durch verringern der Wachstumskonstante durch bspw. verschiedenste Beschränkungen und der Impfung der Infektionsverlauf deutlich milder verläuft und das Gesundheitssystem vor der Überlastung schützt.

Bewertung des logistischem Wachstum Bearbeiten

Jedoch ist auch die Wahl des logistischem Wachstums zur Vorhersage eines Infektionsverlauf nicht optimal. Sie ist zwar besser als die klassische Exponentialfunktion, da sie die Immunisierung der Bevölkerung und eine Infektionsgrenze berücksichtig. Jedoch haben wir selbst gesehen, dass sich Menschen durch Mutationen des Virus innerhalb weniger Wochen erneut infizieren können und eben nicht nach einer Infektion komplett Immun gegen das Virus sind.


Daher gibt es Kompartimentmodelle in der Epidemiologie, die den immunologischen Status innerhalb der Population betrachten.