Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 26/latex

\setcounter{section}{26}

In den verbleibenden Vorlesungen konzentrieren wir uns auf den holomorphen Standpunkt, insbesondere deshalb, weil man in der holomorphen Kategorie deutlich mehr Isomorphismen zur Verfügung habt, mit deren Hilfe man nahe verwandte Situationen ineinander überführen kann. Der hier relevante Unterschied zwischen der polynomialen \zusatzklammer {algebraischen} {} {} und der holomorphen Situation kommt schon darin zum Ausdruck, dass es zwar eine holomorphe Version des Satzes über implizite Abbildungen gibt, aber keine algebraische. Deshalb kann man rein algebraisch verschiedene glatte gleichdimensionale Punkte auf Varietäten nicht ineinander überführen, oft sind verschiedene Funktionenkörper der Varietäten ein Hindernis dafür \zusatzklammer {formal algebraisch, wenn man mit Komplettierungen arbeitet, ist das wiederum möglich} {} {.} Wir besprechen hier die sogenannte Rechtsäquivalenz von holomorphen Funktionen \zusatzklammer {und der Singularitäten auf den dadurch definierten Hyperflächen} {} {} und Kriterien dafür, wann Rechtsäquivalenz vorliegt. Die Theorie der endlichen Bestimmtheit erlaubt es in vielen Fällen, zu zeigen, dass \anfuehrung{kleine}{} algebraische Manipulationen den Rechtsäquivalenztyp nicht ändern. Die Frage, wie viele unterschiedliche Singularitäten bei einer Deformation einer holomorphen Funktion bzw. einer Hyperfläche auftreten können, führt zum Konzept der einfachen Singularitäten. Damit ergibt sich überraschenderweise eine neue Charakterisierung der ADE-Singularitäten.






\zwischenueberschrift{Rechtsäquivalenz}




\inputdefinition
{}
{

Es seien \maabb {f_1} {U_1} { {\mathbb C} } {} und \maabb {f_2} {U_2} { {\mathbb C} } {} \definitionsverweis {holomorphe Funktionen}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U_1,U_2 }
{ \subseteq }{ {\mathbb C}^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{,} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{U_1,U_2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f_1(0) }
{ = }{f_2(0) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann heißen
\mathl{f_1,f_2}{} \definitionswort {rechtsäquivalent}{} \zusatzklammer {im Nullpunkt} {} {,} wenn es offene Teilmengen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{V_1 }
{ \subseteq }{U_1 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{V_2 }
{ \subseteq }{U_2 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und eine \definitionsverweis {biholomorphe Abbildung}{}{} \maabbdisp {\varphi} {V_1} {V_2 } {} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f_1 }
{ =} { f_2 \circ \varphi }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gibt.

}

Es liegt dann ein kommutatives Diagramm
\mathdisp {\begin{matrix}V_1 & \stackrel{ \varphi }{\longrightarrow} & V_2 & \\ & \!\!\! \!\! f_1 \searrow & \downarrow f_2 \!\!\! \!\! & \\ & & {\mathbb C} & \!\!\!\!\! \!\!\! \\ \end{matrix}} { }
vor. Man beachte, dass man dabei die offenen Definitionsbereiche durch kleinere ersetzen darf. Typischerweise wird diese Verkleinerung stillschweigend durchgenommen, man ändert die Bezeichnung der offenen Menge nicht. Statt von einer biholomorphen Abbildung spricht man auch von einer \zusatzklammer {holomorphen} {} {} \stichwort {Transformation} {} oder einem \zusatzklammer {holomorphen} {} {} \stichwort {Koordinatenwechsel} {.} Von Rechtsäquivalenz spricht man, da die vermittelnde biholomorphe Abbildung rechts steht. Mit der Umkehrabbildung $\varphi^{-1}$ gilt dann die Beziehung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f_1 \circ \varphi^{-1} }
{ = }{ f_2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} was die Symmetrie dieses Konzeptes sicherstellt. Insgesamt liegt eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Paare
\mathl{(U,f)}{} bzw. auf der Menge der holomorphen Abbildungskeime vor.

Wenn man sich nicht auf den Nullpunkt konzentrieren möchte, so gilt eine entsprechende Definition, bei der dann $\varphi$ den Punkt $P_1$ auf den Punkt $P_2$ abbilden muss und wo im Bildraum ${\mathbb C}$ noch die Bildpunkte ineinander verschoben werden.




\inputfaktbeweis
{Holomorphe Funktion/Rechtsäquivalenz/Regulärer Punkt/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es seien \maabb {f_1} {U_1} { {\mathbb C} } {} und \maabb {f_2} {U_2} { {\mathbb C} } {} \definitionsverweis {holomorphe Funktionen}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U_1,U_2 }
{ \subseteq }{ {\mathbb C}^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{,} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{U_1,U_2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f_1(0) }
{ = }{f_2(0) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Für beide Funktionen sei $0$ ein \definitionsverweis {regulärer Punkt}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann sind \mathkor {} {f_1} {und} {f_2} {} zueinander \definitionsverweis {rechtsäquivalent}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Da die Rechtsäquivalenz eine Äquivalenzrelation ist, können wir annehmen dass $f_2$ die Projektion \maabbeledisp {} { {\mathbb C}^n } { {\mathbb C} } { \left( x_1 , \, \ldots , \, x_n \right) } { x_1 } {,} die Projektion auf die erste Koordinate ist. Dann folgt die Aussage direkt aus der holomorphen Version des Satzes über implizite Abbildungen.

}

Insofern ist das Konzept Rechtsäquivalenz hauptsächlich für kritische Punkte von holomorphen Funktionen relevant. Im rein algebraischen Kontext gibt es keinen Satz über implizite Abbildungen und dort gibt es im Allgemeinen keinen Isomorphismus zwischen regulären Ringen gleicher Dimension.




\inputfaktbeweis
{Holomorphe Funktion/Rechtsäquivalenz/Biholmorphe Nullstellenmenge/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es seien \maabb {f_1} {U_1} { {\mathbb C} } {} und \maabb {f_2} {U_2} { {\mathbb C} } {} \definitionsverweis {holomorphe Funktionen}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U_1,U_2 }
{ \subseteq }{ {\mathbb C}^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{,} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{U_1,U_2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f_1(0) }
{ = }{f_2(0) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktvoraussetzung {Die beiden Funktionen seien \definitionsverweis {rechtsäquivalent}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann sind die Hyperflächen \mathkor {} {f_1^{-1} (0)} {und} {f_2^{-1} (0)} {} im Nullpunkt zueinander \definitionsverweis {lokal analytisch isomorph}{}{} und es liegt ein ${\mathbb C}$-\definitionsverweis {Algebraisomorphismus}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{{\mathcal O}_n/ { \left( f_1 \right) } }
{ \cong }{{\mathcal O}_n/ { \left( f_2 \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} vor.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die biholomorphe Abbildung \maabb {\varphi} {V_1} {V_2 } {,} die es aufgrund der Rechtsäquivalenz gibt, überführt die Faser
\mathl{V_1 \cap f_1^{-1}(0)}{} unmittelbar in die Faser
\mathl{V_2 \cap f_2^{-1}(0)}{.} Die biholomorphe Abbildung definiert dabei einen ${\mathbb C}$-\definitionsverweis {Algebraisomorphismus}{}{} \maabbeledisp {} {{\mathcal O}_n} {{\mathcal O}_n } {h} { h \circ \varphi } {,} der $f_2$ in $f_1$ überführt. Dies induziert einen ${\mathbb C}$-Algebraisomorphismus \maabbdisp {} {{\mathcal O}_n/ { \left( f_2 \right) } } { {\mathcal O}_n/ { \left( f_1 \right) } } {.}

}





\inputbeispiel{}
{

Eine nichtkonstante \definitionsverweis {holomorphe Funktion}{}{} \maabb {f} {U} { {\mathbb C} } {} in einer Variablen $y$ \zusatzklammer {mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{U }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{}} {} {} ist im Nullpunkt \definitionsverweis {rechtsäquivalent}{}{} zu einer Potenz
\mathl{y^k}{.} Die Potenzreihenentwicklung von $f$ im Nullpunkt hat die Form
\mathdisp {a y^k + g y^k} { }
mit
\mathbed {a \in {\mathbb C}} {}
{a \neq 0} {}
{} {} {} {,} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{g }
{ \in }{ {\mathfrak m} }
{ = }{ (y) }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann ist in einer offenen Umgebung von $0$ die Funktion
\mathl{a+g}{} nullstellenfrei und daher ist auf einer offenen Umgebung der $0$ auch eine Wurzel
\mathl{\sqrt[k] {a+g}}{} wohldefiniert und holomorph. Daher ist dort durch
\mathl{y \mapsto y \sqrt[k]{a +h}}{} eine biholomorphe Abbildung gegeben, die $f$ und $y^k$ als rechtsäquivalent erweist. Verschiedene Potenzen sind untereinander nicht rechtsäquivalent nach Lemma 26.3.


}






\inputbemerkung
{}
{

Die \definitionsverweis {Rechtsäquivalenz}{}{} bedeutet insbesondere, dass es $n$ konvergente Potenzreihen
\mathl{\varphi_1 , \ldots , \varphi_n}{} in $n$ Variablen \zusatzklammer {nämlich den Komponentenfunktionen zu $\varphi$} {} {} gibt, sagen wir
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \varphi_i }
{ =} { \sum a_{\nu , i} Y^\nu }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} derart, dass die Determinante der Matrix
\mathdisp {{ \left( a_{j,i} \right) }} { }
\zusatzklammer {die ja die lineare Approximation von $\varphi$ im Nullpunkt ist} {} {} von $0$ verschieden ist und dass die Potenzreihengleichheit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f_1 }
{ =} { f_2 { \left( \varphi_1 , \ldots , \varphi_n \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gilt.

}




\inputfaktbeweis
{Holomorphe Funktion/Rechtsäquivalenz/Jacobiideal/Milnorzahl/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es seien \maabb {f_1} {U_1} { {\mathbb C} } {} und \maabb {f_2} {U_2} { {\mathbb C} } {} \definitionsverweis {holomorphe Funktionen}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U_1,U_2 }
{ \subseteq }{ {\mathbb C}^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offen}{}{,} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{U_1,U_2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f_1(0) }
{ = }{f_2(0) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktvoraussetzung {Die beiden Funktionen seien \definitionsverweis {rechtsäquivalent}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann überführt der zur biholomorphen Abbildung \maabbdisp {\varphi} {U_1} {U_2 } {} gehörende ${\mathbb C}$-\definitionsverweis {Algebraisomorphismus}{}{} \maabbeledisp {\varphi^*} { {\mathcal O} } { {\mathcal O} } {g} { g \circ \varphi } {,} das \definitionsverweis {Jacobiideal}{}{} $J_{f_2}$ in das Jacobiideal $J_{f_1}$, also
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \varphi^* J_{f_2} }
{ =} {J_{f_1} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {Insbesondere haben die beiden Funktionen im Nullpunkt die gleiche \definitionsverweis {Milnorzahl}{}{.}}
\faktzusatz {}

}
{

Aufgrund der Rechtsäquivalenz gibt es eine biholomorphe Abbildung \maabb {\varphi} {U_1} {U_2 } {} und dadurch einen ${\mathbb C}$-Algebraisomorphismus \maabbeledisp {\varphi^*} { {\mathcal O}_2 } {{\mathcal O}_1 } {g} { g \circ \varphi } {,} \zusatzklammer {die Indizes beziehen sich auf die Räume, nicht auf die Dimension} {} {.} Es seien
\mathl{x_1 , \ldots , x_n}{} die Koordinaten von $U_1$ und
\mathl{y_1 , \ldots , y_n}{} die Koordinaten von $U_2$. Nach der Kettenregel gilt die Beziehung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \left(Df_2\right)_{ \varphi(P) } \circ \left(D\varphi\right)_{P} }
{ =} { \left(Df_1\right)_{ P} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für
\mathl{P \in U_1}{} bzw., mit den partiellen Ableitungen und als Gleichheit von Funktionstupeln auf $U_1$ geschrieben,
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \left( { \frac{ \partial f_2 }{ \partial y_1 } } \circ \varphi , \, \ldots , \, { \frac{ \partial f_2 }{ \partial y_n } } \circ \varphi \right) \cdot { \left( D \varphi \right) } }
{ =} { \left( { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_1 } } , \, \ldots , \, { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_n } } \right) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Insbesondere gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_i } } }
{ =} { \sum_{j = 1 }^n { \left( { \frac{ \partial f_2 }{ \partial y_j } } \circ \varphi \right) } \cdot { \frac{ \partial \varphi_i }{ \partial x_j } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} im lokalen Ring ${\mathcal O}_1$ und das bedeutet
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_i } } }
{ \in} { J_{f_2} {\mathcal O}_1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für alle $i$, also
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ J_{f_1} }
{ \subseteq} { J_{f_2} {\mathcal O}_1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Wegen der Symmetrie der Situation gilt Gleichheit.

}






\inputbemerkung
{}
{

Das Konzept der \definitionsverweis {Rechtsäquivalenz}{}{} kann man auch rein algebraisch definieren, für Polynome oder rationale Funktionen
\mathl{f_1,f_2}{} auf Zariski-offenen Mengen
\mathl{U_1,U_2}{} im affinen Raum \zusatzklammer {oder für rationale Funktionen auf glatten gleichdimensionalen Varietäten} {} {} mit der Hilfe von \zusatzklammer {auf eventuell kleineren offenen Teilmengen definierten} {} {} Isomorphismen zwischen \mathkor {} {U_1} {und} {U_2} {.} Dabei sind aber, anders als in Lemma 26.2, noch nicht einmal glatte Punkte auf den Nullstellengebilden zueinander algebraisch rechtsäquivalent. Bei einer Isomorphie der umgebenden Räume, die die beiden algebraischen Situationen ineinander überführt, werden wie in Lemma 26.3 insbesondere auch die Nullstellengebilde ineinander überführt und diese sind daher isomorph. Einen solchen Isomorphismus kann es aber beispielsweise zwischen einer Geraden in der Ebene und der Kurve
\mathl{V { \left( X^3+Y^3-1 \right) }}{} nicht geben, da der Quotientenkörper der letzteren Kurve kein \definitionsverweis {rationaler Funktionenkörper}{}{} in einer Variablen ist.

}




\inputbeispiel{}
{

Wir betrachten das Polynom
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f }
{ = }{X^3-Y^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und das zugehörige Nullstellengebilde
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V(f) }
{ \subseteq }{ {\mathbb A}^{2}_{K} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} also die zugehörige ebenen monomiale Kurve. Wir betrachten die polynomiale Abbildung \maabbeledisp {\varphi} {{\mathbb A}^{2}_{K} } {{\mathbb A}^{2}_{K} } { (x,z)} { (x,xz) = (x,y) } {,} die einen Isomorphismus \maabbdisp {} {V_1 = D(X)} { V_2 = D(X) } {} induziert, die Umkehrabbildung ist durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{z }
{ =} { { \frac{ y }{ x } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gegeben. Dabei ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f \circ \varphi }
{ =} { X^3-X^2Z^2 }
{ =} { X^2 { \left( X-Z^2 \right) } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Somit liefert $\varphi,$ eingeschränkt auf $V_1$ bzw. $V_2$ einen Isomorphismus, der die monomialen Kurve ohne die Singularität in die Parabel
\mathl{V { \left( X-Z^2 \right) }}{} ohne den Nullpunkt überführt.


}






\zwischenueberschrift{Vektorfelder und Flüsse}

Um verschiedene Funktionen in kritischen Punkten als rechtsäquialent nachweisen zu können, brauchen wir vor allem biholomorphe Abbildungen, die diese Rechtsäquivalenz vermitteln. Eine wichtige Quelle solcher Abbildungen ergibt sich mit der Hilfe von Vektorfeldern und den zugehörigen Flüssen.






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Torus vectors oblique.jpg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Torus vectors oblique.jpg } {} {RokerHRO} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{.} Eine Abbildung \maabbdisp {F} {M} {TM } {} mit der Eigenschaft, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ F(P) }
{ \in }{ T_PM }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für jeden Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, heißt \zusatzklammer {zeitunabhängiges} {} {} \definitionswort {Vektorfeld}{.}

}

Ein Vektorfeld $F$ definiert für jeden Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine gewöhnliche zeitunabhängige Differentialgleichung \zusatzklammer {ein dynamisches System} {} {,} nämlich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{F( \varphi(t)) }
{ =} { \varphi'(t) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei \maabb {\varphi} {I} {M } {} die gesuchte auf einem reellen Intervall $I$ mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} definierte differenzierbare Kurve ist. Zu jedem Zeitpunkt $t$ soll die Geschwindigkeit \zusatzklammer {also Ableitung} {} {} der Kurve mit dem durch das Vektorfeld vorgegebenen Richtungsvektor im Ortspunkt
\mathl{\varphi(t)}{} übereinstimmen und es soll die Anfangsbedingung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \varphi(0) }
{ = }{P }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} erfüllt sein. Unter recht schwachen Bedingungen ist die Lösung einer solchen Differentialgleichung eindeutig. Wenn man den Punkt $P$ variiert, und die Lösungen zu jedem Anfangspunkt stets auf ganz $\R$ definiert sind, so ergibt sich insgesamt eine Abbildung \maabbeledisp {\Psi} { \R \times M} { M } {(t,P)} { \Psi (t,P) } {,} wobei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\Psi (t,P) }
{ =} { \varphi_P(t) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mathl{\varphi_P}{} die Lösung der Differentialgleichung zum Startpunkt $P$ ist. Die Abbildung $\Psi$ enthält die volle Information über das Vektorfeld und alle Lösungen der zugehörigen Differentialgleichungen und heißt der \stichwort {Fluss} {} zum Vektorfeld. Die Abbildung
\mathl{\Psi( - , P)}{} zu festem $P$ ergibt die Lösungskurve und die Abbildung \maabbdisp {\Psi( t,- )} { M } { M } {} zu festem $t$ beschreibt, wohin ein Punkt $P$ durch die Differentialgleichung hintransportiert wird. Das Vektorfeld $F$ kann man über
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{F(P) }
{ =} { \partial_t {{|}}_{t = 0} \Psi (t, P) }
{ =} { \varphi_P'(0) }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ebenfalls aus $\Psi$ ablesen. Die zu einem fixierten $t$ gegebene Abbildung $\Psi(t, -)$ ist unter gewissen Differenzierbarkeitsvoraussetzungen ein Diffeomorphismus der Mannigfaltigkeit $M$ in sich. Dies kann man wiederum als eine Abbildung \maabbeledisp {} {\R} { \operatorname{Diff} { \left( M, \, M \right) } } {t} { \Psi(t, -) } {,} auffassen. Dabei gilt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \Psi(0, -) }
{ = }{ \operatorname{Id}_{ M } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\Psi(s+t, -) }
{ =} { \Psi(s, -) \circ \Psi(t, -) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{s,t }
{ \in }{ \R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Das ist also ein Gruppenhomomorphismus der reellen additiven Gruppe in die Gruppe der Diffeomorphismen, man spricht von einer Einparametergruppe von Diffeomorphismen. Die begleitende Vorstellung ist dabei, dass die Identität mit Hilfe des Zeitparameters $t$ in einen komplizierteren Diffeomorphismus deformiert wird.

Im Allgemeinen sind die Lösungen zu einer gewöhnlichen Differentialgleichung nicht auf ganz $\R$ definiert, sondern nur auf bestimmten Intervallen, die auch noch vom Startpunkt $P$ abhängen. Typischerweise ist dann $\Psi$ nicht auf ganz
\mathl{\R \times M}{} definiert, sondern, bei gegebenem Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} auf einer Menge der Form
\mathl{I \times U}{,} wobei $I$ ein reelles Intervall mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Umgebung von $P$ ist. Der Fluss ist also immerhin in einer Umgebung des Punktes für ein gewisses Zeitintervall definiert. Die Morphismen sind von der Form \maabb {\Psi_t} { U} {M } {} und sind Diffeomorphismen auf das \zusatzklammer {offene} {} {} Bild.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{U }
{ \subseteq }{M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Teilmenge und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{0 }
{ \in }{I }
{ = }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein offenes Intervall. Eine \definitionsverweis {differenzierbare Abbildung}{}{} \maabbdisp {\Psi} {I \times U} {M } {} heißt \definitionswort {lokal einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen}{,} wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind. \aufzaehlungdrei{Für jedes
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist \maabb {\Psi_t} {U} {M } {} ein \definitionsverweis {Diffeomorphismus}{}{} auf die offene Menge
\mathl{\Psi_t (U)}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{\Psi_0 }
{ = }{ \operatorname{Id}_{ U } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{s,t }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{s+t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{\Psi_t(P) }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Psi_{s+t} (P) }
{ =} { \Psi_s ( \Psi_t(P)) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} }

}


\inputfaktbeweis
{Differenzierbare_Mannigfaltigkeit/Vektorfeld/Diffeomorphismen/Lokal einparametrige Gruppe/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und \maabb {F} {M} { TM } {} ein \definitionsverweis {Vektorfeld}{}{} auf $M$.}
\faktfolgerung {Dann gibt es eine offene Umgebung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{U }
{ \subseteq }{M }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} ein \definitionsverweis {offenes Intervall}{}{} $I$ und eine \definitionsverweis {lokal einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen}{}{} \maabbdisp {\Psi} {I \times U} { M } {,} die das Vektorfeld löst.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Dieser Satz wird in Büchern über Differentialgleichungen bewiesen.

}