Wir betrachten ein (wiederholbares) ZE, das -mal durchgeführt wird. Bei jeder Durchführung wird beobachtet, ob ein bestimmtes (vorher festgelegtes) Ereignis eintritt oder nicht. Abkürzend sagt man:
Wichtig ist dabei, dass die einzelnen Durchführungen
Man fasst den gesamten Vorgang nun als ein ZE auf. Die ZV , die die Anzahl der Treffer beschreibt, nennt man dann binomialverteilt mit Versuchszahlund Trefferwahrscheinlichkeit und es gilt:
Dies lässt sich wie folgt begründen:
Für eine bestimmte Abfolge von Treffern und Nicht-Treffern ist die Wahrscheinlichkeit (entsprechend einem Pfad in einem Baumdiagramm) das Produkt aus -Faktoren, von denen Faktoren sind und Faktoren . Sie hat also den Wert .
Es gibt jedoch mehrere Pfade, in denen genau Treffer vorkommen. Da diese Treffer an von Stellen vorkommen können, sind es insgesamt Möglichkeiten.
(Ziehen mit Zurücklegen) Aus einer Lostrommel, die Kugeln enthält, von denen rot sind, werden nacheinander mit Zurücklegen Kugeln gezogen. Die ZV für die Anzahl roten Kugeln unter den Gezogenen ist binomialverteilt mit Versuchszahl und Trefferwahrscheinlichkeit .
Wenn man -mal würfelt, ist die ZV für die Zahl der gewürfelten -en binomialverteilt mit Versuchszahl und Trefferwahrscheinlichkeit .
Wenn ein Medikament, das mit einer Wahrscheinlichkeit von eine bestimmte Nebenwirkung verursacht, von Patienten eingenommen wird, ist die ZV für die Zahl der Patienten, bei denen die Nebenwirkung auftritt, binomialverteilt mit Versuchszahl und Trefferwahrscheinlichkeit .
Die Wahrscheinlichkeit für eine Mädchengeburt betrage . Unter Neugeborenen ist dann die ZV für die Zahl der Mädchen binomialverteilt mit Versuchszahl und Trefferwahrscheinlichkeit .
Bei einem Multiple-Choice Test gibt es bei jeder der 20 Fragen 4 Antwortmöglichkeiten, von denen genau eine Antwort richtig ist. Ein unvorbereiteter Teilnehmer kreuzt willkürlich jeweils eine Antwort an. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er
richtig beantwortet?
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit beim 10-maligen Werfen von 2 Würfeln
Auf dem Weg zur Arbeit ist eine Ampel jeden Tag mit der Wahrscheinlichkeit rot. Berechnen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Ampel an genau von 7 Tagen Rot ist .
Ein Bäcker knetet in einen Teig für 100 Rosinenbrötchen 200 Rosinen gut unter. Dann wird der Teig in 100 gleiche Teile geschnitten. Mit welcher Wahrscheinlichkeit enthält ein rein zufällig ausgewähltes Brötchen dieser Charge
Rosinen? Zusatzfrage: Wie viele Rosinen muss der Bäcker in den Teig für 100 Rosinenbrötchen kneten, damit ein auf gut Glück ausgewähltes Brötchen mit einer Mindestwahrscheinlichkeit von mindestens eine Rosine enthält?
Erwartungswert und Varianz einer binomialverteilten ZVBearbeiten
Für eine binomialverteilte ZV mit Versuchszahl und Trefferwahrsch. gilt:
Ist eine binomialverteilte ZV mit Versuchszahl und Trefferwahrscheinlichkeit , so beschreibt die ZV die relative Häufigkeit des Ereignisses "Treffer" in der Versuchsserie.
Bei dem Spiel Kniffel würfeln Sie mit fünf Würfeln (normalerweise bis zu dreimal, dies soll der Einfachheit wegen vernachlässigt werden). Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit,
ein Kniffel (fünf Gleiche) zu würfeln.
einen Vierer-Pasch (mindestens zwei Vierer) zu werfen.
Bestimmen Sie auch Erwartungswert und Varianz für das Werfen einer bestimmten Zahl.
Bisher können wir die Wahrscheinlichkeit dafür berechnen, dass die Trefferzahl in einem bestimmten Bereich liegt, wenn wir die Trefferwahrscheinlichkeit kennen. In der Praxis ist man häufig aber mit folgender Situation konfrontiert:
Die Versuchszahl steht fest und ist bekannt. (In vielen Fällen kann man sogar selbst festlegen.)
Die Trefferwahrscheinlichkeit liegt fest, ist aber nicht bekannt.
Die Trefferzahl ist zufällig.
Situation vor und nach der DatenerhebungBearbeiten
Sie wird vor Erhebung der Daten durch die ZV beschrieben. Nach der Datenerhebung liegt dann eine Realisierung der ZV vor.
Schätzungen für können nur auf der konkreten Realisierung (Trefferzahl) basieren. Da der Schätzung also die zufällige Trefferzahl zugrunde liegt, ist folglich auch die Schätzung vom Zufall abhängig.
Sei eine binomialverteilte ZV mit (bekannter) Versuchszahl und (unbekannter) Trefferwahrscheinlichkeit .
Eine Punktschätzfunktion für ist eine Abbildung:
Punktschätzfunktion vor und nach DatenerhebungBearbeiten
Eine solche Punktschätzfunktion kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden:
Vor der Durchführung des ZE ist die Trefferzahl eine ZV. Da die Trefferzahl in die Schätzfunktion eingesetzt werden soll, kann man so auch die Schätzung selbst als ZV interpretieren.
Nach dem Feststellen einer konkreten Trefferzahl kann man diese einfach in die Schätzfunktion einsetzen und erhält so in der Praxis eine konkrete Schätzung für .
(Relative Häufigkeit ist Punktschätzfunktion für ) Die Abbildung:
ist eine Punktschätzfunktion für .
Es stellt sich nun die Frage nach einer sinnvollen Punktschätzfunktion für (es liegt nahe, die relative Häufigkeit aus Beispiel Beispiel 1.1 zu betrachten) bzw. allgemeiner was überhaupt sinnvolle Eigenschaften für eine solche Schätzfunktion sind. Um dies zu beurteilen, sollte man den Standpunkt vor der Datenerhebung einnehmen.
Neben den schon genannten Qualitätskriterien für Punktschätzfunktionen (Erwartungstreue, Effizienz und Konsistenz) gibt es noch einen anderen Zugang, die sogenannte Maximum-Likelihood-Methode. Dabei wird für den unbekannten Parameter (hier die Trefferwahrscheinlichkeit ) der Wert geschätzt, für den die beobachteten Daten (hier die Trefferzahl ) möglichst wahrscheinlich waren.
Die Wahrscheinlichkeit wird bei Treffern in Versuchen also als der Wert geschätzt, für den die Wahrscheinlichkeit für genau Treffer maximal ist.
Man kann zeigen, (vergleiche die folgenden Beispiele) dass stets gilt. Auch mit dieser Methode erhält man also die relative Häufigkeit als sinnvolle Schätzung für .
Ein (für die Praxis relevantes) Problem bei den bisher behandelten Punktschätzungen für ist, dass es sich bei den Gütekriterien (Erwartungstreue, Effizienz und Konsistenz) für die Schätzfunktionen lediglich um qualitative Aussagen handelt.
Ziel ist es nun, Schätzungen für zu formulieren, die man auch quantitativ beurteilen kann. Eine solche hat die Form:
Wir betrachten die folgende Situation:
Zu einer binomialverteilten ZV ist die Versuchszahl fest und bekannt und die Trefferwahrscheinlichkeit fest, aber unbekannt. Basierend auf der vom Zufall abhängigen Trefferzahl soll nun eine Intervallschätzung
Erneut nehmen wir die folgenden beiden Standpunkte ein:
Vor der Durchführung des ZE ist die Trefferzahl eine ZV. Da die Trefferzahl in die Intervallschätzfunktion eingesetzt werden soll, hängt somit auch das berechnete Intervall
vom Zufall ab. Damit ist es auch vom Zufall abhängig, ob die resultierende Aussage wahr oder falsch sein wird.
Nach dem Feststellen einer konkreten Trefferzahl kann man diese einfach in die Schätzfunktion einsetzen und erhält so in der Praxis eine konkrete Intervallschätzung für . Die Aussage ist dann nicht mehr vom Zufall abhängig, sondern entweder wahr oder falsch. (Leider weiß man nicht, welcher der beiden Fälle eingetreten ist, da man nicht kennt.)
Um Intervallschätzungen sinnvoll beurteilen zu können, untersuchen wir die (vom unbekannten Parameter abhängige) Wahrscheinlichkeit dafür, dass man ein "korrektes Intervall" (also eines, dass tatsächlich enthält) berechnet, wenn man die (vom Zufall abhängige) Trefferzahl einsetzt.
Überdeckungswahrscheinlichkeit und KonfidenzniveauBearbeiten
Die Schreibweise ist mathematisch gleichbedeutend zu , hat aber den Vorteil, dass dabei deutlich wird, dass (und nicht ) vom Zufall abhängt. Anstatt zu sagen: ist in enthalten." formuliert man daher auch fängt ein."
Die Überdeckungswahrscheinlichkeit entspricht der Wahrscheinlichkeit dafür, dass man ein korrektes Intervall erhalten wird, wenn man die zufällige Trefferzahl in die Intervallschätzung einsetzt. Da die Überdeckungswahrscheinlichkeit vom unbekannten Parameter abhängt, kann man sie in der Praxis nicht berechnen.
Weiß man aber (aufgrund theoretischer Überlegungen), dass eine Intervallschätzung ein bestimmtes Konfidenzniveau einhält, so ist (unabhängig vom wahren Wert von ) garantiert, dass man MINDESTENS mit der Wahrscheinlichkeit ein korrektes Intervall erhalten wird, wenn man die zufällige Trefferzahl in die Intervallschätzung einsetzt.
In der Praxis sollte man nur Intervallschätzungen verwenden, von denen man weiß, dass sie ein hohes Konfidenzniveau (üblich sind oder oder ) einhalten.
Obige Bestimmungsgleichungen für und sind ohne Computereinsatz kaum zu lösen. Konfidenzintervalle nach Clopper-Pearson können aber in R direkt berechnet werden. Der Befehl
ergibt das Konfidenzintervall zum Vertrauensniveau bei Treffern in Versuchen.
Obergrenzen für die Wahrsch. für Über- bzw. Unterschätzung von :
Die Grenzen und der Intervallschätzung nach Clopper-Pearson aus Satz Intervallschätzung nach Clopper-Pearson sind so gewählt, dass die Wahrscheinlichkeiten für "Unterschätzung" und "Überschätzung" von durch dieselbe Grenze beschränkt sind. Genauer:
Dass man diesen Aussagen überhaupt eine Wahrscheinlichkeit zuschreiben kann, liegt daran dass die Intervallgrenzen und zufällig sind (und nicht etwa der unbekannte, aber feste Wert ).
Wir berechnen für verschiedene denkbare Werte von , die Überdeckungswahrscheinlichkeit (also die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Intervallschätzung korrekt ist):
Bei fester relativer Häufigkeit werden die Konfidenzintervalle mit wachsender Versuchszahl kleiner (mit mehr Versuchen erreicht man eine höhere Genauigkeit) und mit wachsendem Konfidenzniveau größer (ein höheres Konfidenzniveau "bezahlt"man mit einer ungenaueren Aussage). Man beachte die Größenordnungen dieser Veränderungen anhand der folgenden (mit R berechneten) Konfidenzintervalle:
Bemerkung Verwendung von Intervallschätzungen in der Praxis 1Bearbeiten
In der Praxis ist bei der Verwendung von Intervallschätzungen wie folgt vorzugehen:
1. Zunächst macht man sich die Situation klar: Die Trefferwahrscheinlichkeit einer Binomialverteilung ist unbekannt (aber fest, d.h. nicht vom Zufall abhängig).
2. Man legt fest:
das Verfahren, mit dem man die Intervallschätzung berechnen wird. (z.B. zweiseitiger Test nach Clopper-Pearson).
Bemerkung Verwendung von Intervallschätzungen in der Praxis 2Bearbeiten
eine Versuchszahl zu beachten: Hohe Werte von führen zu einem engeren Konfidenzintervall.
ein Konfidenzniveau zu beachten: Hohe Werte von entsprechen einer höheren Untergrenze für die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Schätzung, führen aber zu einem breiteren Konfidenzintervall. Sinnvoll ist z.B. .
Bemerkung Verwendung von Intervallschätzungen in der Praxis 3Bearbeiten
3. Man führt die Versuchsreihe durch und stellt die Trefferzahl fest. Zu beachten:
Wichtig bei einer Binomialverteilung ist, dass die einzelnen Versuche unabhängig voneinander und immer unter den gleichen Bedingungen durchgeführt werden.
Bemerkung Verwendung von Intervallschätzungen in der Praxis 4Bearbeiten
4. Man berechnet das Konfidenzintervall mit der zuvor festgelegten Methode. (Dies kann der Computer erledigen.)
5. Man verkündet das Ergebnis: " Das Konfidenzniveau wurde eingehalten." Damit ist klar: Vor Erhebung der Daten war die Wahrscheinlichkeit ein korrektes Intervall zu erhalten, mindestens . Nach Berechnung des Intervalls kann man damit der Aussage ein gewisses Vertrauen entgegenbringen (aber keine Wahrscheinlichkeit zuweisen, sie ist entweder wahr oder falsch).
In gewissen Situationen kann es Sinn machen, die Clopper-Pearson-Methode so zu modifizieren, dass man einseitig (statt wie bisher zweiseitig) begrenzte Konfidenzintervalle berechnet.
Ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine bestimmte Maßnahme einen gewünschten Erfolg erzielt, so könnte es wichtig sein, (möglichst strikt) nach unten abzuschätzen, aber eine Abschätzung von nach oben ist nicht notwendig.
Dazu kann man linkssseitig begrenzte Konfidenzintervalle verwenden.
Ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei der Einnahme eines Medikaments eine (unerwünschte) Nebenwirkung auftritt, so könnte es wichtig sein, (möglichst strikt) nach oben abzuschätzen, aber eine Abschätzung von nach unten ist nicht notwendig.
Dazu kann man rechtsseitig begrenzte Konfidenzintervalle verwenden.
Bei Treffern aus Versuchen bestimmt man das rechtsseitig begrenzte Konfidenzintervall zum Vertrauensniveau durch
(Sonderfall: Für setze .)
Überschätzung bei linksseitig begrenzten KonfidenzintervallenBearbeiten
Linksseitig begrenzte Konfidenzintervalle dürfen den Wert von mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu überschätzen (statt wie bei den zweiseitigen Intervallschätzungen). Um dies auszugleichen, unterschätzen sie den Wert von nie (die obere Grenze ist ). Die untere Grenze kann daher im Vergleich zum zweiseitigen Test etwas besser (größer) gewählt werden.
Unterschätzung bei rechtsseitig begrenzten KonfidenzintervallenBearbeiten
Rechtsseitig begrenzte Konfidenzintervalle dürfen den Wert von mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu unterschätzen (statt wie bei den zweiseitigen Intervallschätzungen). Um dies auszugleichen, überschätzen sie den Wert von nie (die untere Grenze ist ). Die obere Grenze kann daher im Vergleich zum zweiseitigen Test etwas besser (kleiner) gewählt werden.
die Grenzen einer Intervallschätzung , die den Wert von mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens überschätzt und mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens unterschätzt.
Bei einer bestimmten Tierart kann bei bestimmten Nachkommen eine morphologische Veränderung beobachtet werden. Die genaue Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein neugeborenes Tier die morphologische Veränderung aufweisst, ist aber unbekannt und soll geschätzt werden.
In einer Studie werden dazu neugeborene Tiere untersucht. Von diesen Tieren weissen die morphologische Veränderung auf.
1. Geben Sie anhand der Daten eine Punktschätzung für ab.
2. Stellen Sie die Maximum-Likelihood-Funktion auf
3. Es soll eine Intervallschätzung für zum Konfidenzniveau abgegeben werden.
Geben Sie die Gleichungen an, anhand derer sich und bestimmen lassen (zweiseitige Intervallschätzung nach Clopper-Pearson). Verwenden Sie dazu wieder die erhobenen Daten ( Nachkommen mit morphologischer Veränderung bei untersuchten). Setzen Sie alle bekannten Zahlenwerte in die Gleichungen ein.
Erklären Sie, inwiefern die Korrektheit der Intervallschätzung vom Zufall abhängt. Was weiß man über die Wahrscheinlichkeit, dass die Intervallschätzung korrekt ist? Unterscheiden Sie bei Ihren Erläuterungen die Situation vor und nach der Datenerhebung (bzw. der Berechnung der Intervallgrenzen).
Wie ändert sich die Breite des Konfidenzintervalls, wenn man das Konfidenzniveau von auf erhöht?
Wie verändert sich die Breite des Konfidenzintervalls, wenn man statt morphologisch auffälligen von untersuchten neugeborenen Tieren eine Untersuchung mit von untersuchten neugeborenen Tieren zugrunde legt?