Manuskript für NeuroTransmitter 1. Februar 2010 ( Zwischenspeicherung)

H. - P. Haack
Zusammenfassung: Agitation ist ein obligates depressives Symptom. Ihrer Ausprägung reicht von innerer Unruhe (subklinische Agitation) bis manifeste psychomotorische Unruhe (agitierte Depression). Bei Verdacht auf eine leichte oder mittelschwere depressive Episode muss immer nach innerer Unruhe gefragt werden, um die Diagnose abzusichern.
Summary: Agitation is an obligated depressive symptom. Of their stamping it reaches from internal restlessness (subclinical agitation) to psychomotor restlessness (agitated depression). With suspicion on a light or moderately depressive disorder should be always asked for internal restlessness to secure the diagnosis.
(20. Februar 2010)
Schlüsselwörter: Depressive Kernsymptome - Burnout-Syndrom – maskierte Depression


Die unvollständige Trias

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U. Hegerl, H.-J. Möller und F. Holsboer (die Initiatoren des «Kompetenznetz Depression», gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) geben als depressive Grundsymptome Freudlosigkeit, Antriebsverlust und Tagesschwankungen an. [1] Diese Trias klammert Agitation aus. Agitation jedoch ist ein obligates depressives Symptom von hoher diagnostischer Signifikanz. Ihre Intensität reicht von innerer Unruhe (subklinisch) bis zu psychomotorischer Unruhe (manifest). Der Verfasser teilt hier seine Depressions-Definition mit, die er sich als freiberuflicher Nervenarzt zwischen 1977 und 1985 erarbeitet und bis 2005 strikt angewendet hat. [2] [3] Seine Definition der Depression läuft auf einen somatogenetisch determinierten Depressionsbegriff hinaus, der zugleich die Indikation für Antidepressiva beinhaltet.

Vier depressiven Kernsymptome

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Das Konstrukt der vier depressiven Kernsymptome widerspricht der Darstellung von ICD-10, wonach die Depressive Episode mit psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit einhergeht.

Depressive Kernsymptome sind

  • Antriebshemmung bei gleichzeitiger
  • Agitation (von subklinischer bis zu psychomotorischer Unruhe),
  • Stimmungseinengung und
  • Tageschwankungen.

Liegen diese vier Kernsymptome vollzählig vor und bestehen sie mindestens zwei Wochen, ist eine Depression gesichert, eine Depression, die so ziemlich dem entspricht, was im zurückliegenden Sprachgebrauch unter einer endogenen Depression verstanden wurde. Allerdings finden sich diese vier Kernsymptome auch bei leichten depressiven Episoden.

Auf die zu erwartende Kritik, diese Grenzziehung sei zu eng, ist zu erwidern, dass es durchaus unvollständige Konfigurationen aus diesen vier Symptomen gibt. Offen bleibt, ob bei diesen unscharf definierten, depressiv anmutenden Krankheitsbildern Antidepressiva ebenso anschlagen, wie bei dem Vorhandensein aller vier depressiven Kernsymptome.

Subklinische Agitation

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Der Terminus «subklinische Agitation» kategorisiert das Leibgefühl «innere Unruhe» bei leichten (und mittelgradigen) depressiven Episoden.

Freudlosigkeit und Energieverlust sind diagnostisch indifferent. Sie finden sich auch beim Burnout-Syndrom und der Dysthymia (früher neurotische Depression genannt). Ein dynamisches Defizit wird erst dann zum depressiven Symptom, wenn es mit Agitiertheit einhergeht. [4] Anders gesagt: Das Paradox aus simultaner Erschöpfung und innerer Unrast tritt bei körperlicher und psychischer Gesundheit nicht auf. Für eine Depression dagegen ist dieser Zustand pathognomonisch.

Das diagnostische Konstrukt der vier depressiven Kernsymptome trennt sicher zwischen Burnout-Syndrom und leichter depressiver Episode. Subklinische Agitation (Volksmund: innere Unruhe) besteht vor allem bei leichter (und mittelgradiger) depressiver Episode. Der Patient muss nur darauf angesprochen werden. Zum Burnout-Syndrom gehört subklinische Agitiertheit nicht, wie auch Tageschwankungen nicht zum Burnout-Syndrom gehören.

Zur Entstehung des Konstrukts der vier depressiven Kernsymptome

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Der Verfasser war von 1975 bis 2005 in Heidelberg tätig, ab 1977 in eigener Praxis. Heidelberg war damals eine Hochburg der psychodynamischen, psychosomatischen und psychoanalytischen Medizin. Dieser Strömung konnte er sich nicht anschließen. Ihm schien das psychopathologisch disziplinierte Denken in der Tradition Kurt Schneiders, der Respekt vor der Wertigkeit des definierten Symptoms, redlicher und stringenter, als psychodynamische Interpretationen. Auch der Politisierung der Psychiatrie in den siebziger und achtziger Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts, eine Folge ihrer Psychologisierung und geisteswissenschaftlichen Vereinnahmung, konnte er nichts abgewinnen.

Ab 1985 hat der Autor die Diagnose einer Depression nur noch gestellt, wenn in der psychiatrischen Exploration auch innere Unruhe bejaht wurde.

Das Leit-Symptom Freudlosigkeit

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Stimmungseinengung wird gegenwärtig von den Initiatoren «Kompetenznetz Depression» als das Leitsymptom für Depression propagiert. Der Verfasser hält dieses Symptom jedoch für nur bedingt hilfreich in der Allgemeinarzt-Praxis. Bedeutung hat die depressive Gestimmtheit für die Differential-Diagnose zwischen affektiven, schizoaffektiven und schizophrenen Erkrankungen. Diese Klassifikation ist ein wichtiger Arbeitsbereich der Klinik-Psychiatrie. Für das Erkennen einer behandlungsbedürftigen leichten oder maskierten Depression taugt Stimmungseinengung nur bedingt.

Das depressive Syndrom

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Antrieb und Stimmung repräsentieren einen psychischen Fundamentalbereich, den W. Janzarik seelische Dynamik genannt hat. [5] Mit der Depression ist eine dynamische Restriktion eingetreten, bei der Manie eine dynamische Expansion. Diesen psychopathologischen Ansatz integrierend, erweist sich das Basisgeschehen der Depression, ob nun monopolare oder bipolare affektive Störung, als dynamische Restriktion (Antriebs-, Stimmungshemmung), Agitation und Balance-Störung des chronobiologischen Rhythmus. Eine Symptomverbindung, die pathophysiologisch anmutet und auf eine Somatogenese hindeutet.

Fehlt bei depressiv getönten psychischen Erkrankungen innere Unruhe (Agitation), handelt es sich um Entitäten, die früher als neurotische Depression bezeichnet wurden, gegenwärtig als Dysthymie. Bei ihnen ist - so die therapeutischen Erfahrungen des Verfassers - mit Antidepressiva wenig zu erreichen, umso mehr dafür mit Psychotherapie.

Die Wahl des Antidepressivums

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Innere Unruhe stellt keine Kontraindikation dar für die Gabe eines Antidepressivums mit Antrieb steigernder Komponente. Häufig ist es gerade dieses Symptom, das zusammen mit den Schlafstörungen als erstes abklingt. Für eine sedierende initiale Nebenwirkung hält der Verfasser diesen Effekt nicht.


Literatur und Anmerkungen siehe Hauptartikel.


Ablehung des Drucks (4. Februar 2010)

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"Sehr geehrter Herr Kollege Haack,

vielen Dank für die Zusendung Ihres Artikels zur Problematik der Agitation als wesentliches Kriterium für die Diagnose einer Depression.

Ich kann Ihre Arbeit in dieser Form leider nicht im NeuroTransmitter [Fachblatt des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte] veröffentlichen. Ich finde sie als klinische Bemerkung durchaus interessant, jedoch fußt sie so sehr ausschl. auf persönlichen Diagnosegewohnheiten, mögen diese auch erfolgreich gewesen sein, dass sie nicht allgemeingültige Aussagen zulässt, wie es natürlich für eine so entscheidende Ergänzung zum gängigen Symptomspektrum erforderlich wäre.

Mit freundlichen Grüßen

PD Dr. A. Zacher"

(Priv.-Doz. Albert Zacher, Regensburg, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Zusatzbezeichnung: Psychoanalyse und Schriftleiter des Fachblatts NeuroTransmitter.)


Im Klartext: Ich, PD Dr. A. Zacher, Schriftleiter des Fachblatts des Berufsverbands der Nervenärzte kann die Dignität dieses Erfahrungswissens nicht beurteilen, bin aber auch nicht bereit, es in dem von mir redigierten Periodikum zur Diskussion zu stellen.


Das 2010 abgelehnte Manuskript ist im Oktober 2012 als Monographie erschienen ISBN 978-3-86672-065-7 --Hans-Peter Haack (Diskussion) 16:21, 25. Okt. 2012 (CEST)

Leseprobe als elektronische Ressource der Deuschen Nationalbibliothek