Projekt:Altes Dresden/Goethe in Dresden

Einleitung Bearbeiten

Zwischen seinem 18. und seinem 63. Lebensjahr ist Goethe etwa vierzig Tage in Dresden gewesen. Das ist wenig, gemessen an seinen fast drei Jahren in Leipzig, den sechzehn Monaten in Straßburg, den vierzehn in Rom. Doch sein ganzes Leben wird er in Erinnerungen, Briefgesprächen und Begegnungen der Stadt verbunden bleiben. Gewiß, er hat ihr kein so eindrucksvolles Denkmal gesetzt wie Leipzig im Urfaust. Aber es gibt, anders als in vielen Darstellungen seiner Zeitgenossen, auch keine abwertenden oder spöttischen Bernerkungen; sondern stets nur Anerkennendes und Freundlichkeiten.

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-02862-4_10

Zum Andenken an Hans Mattersdorff, geb. 1886 in Dresden, gest. 1954 in Los Angeles/Californien, vertrieben aus Deutschland 1938. Hans Mattersdorff war von 1928 bis 1935 Schatzmeister der Goethe-Gesellschaft in Dresden.

Der 18jährige Leipziger Jurastudent entschloß sich im Mai 1768 zu einem spontanen Ausflug von knapp zwei Wochen.1 Ökonomische Erwägungen hatte er kaum anzustellen. Vom Vater erhielt er monatlich 100 Gulden, etwa das zehnfache Einkommen eines sächsischen Dorfschulmeisters. Die gelbe Kutsche - die ordinäre Post, mit der er reiste - brauchte bis Dresden 36 Stunden. Diese erste Begegnung im Mai 1768 war wohl in einem besonderen Maße prägend für sein Bild von der Stadt.

  • 1. War es außer einer Kunstreise auch eine Flucht vor Käthchen Schönkopf, wie der Brief an Behrisch vom März 1768 vermuten läßt? Vgl. auch Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. I: 1749–1790. München 1995, S. 93 f.

Zwölf? (22!) Jahre später kehrte er zurück: 1790, in Zeiten einer politischen Krise zwischen PreuBen und Osterreich, folgte er seinem Herzog ins schlesische Feldlager und stieg nach einer nächtlichen Fahrt von Nossen über Wilsdruff am 28. Juli, an einem Mittwochmorgen 1/2 8 Uhr, im "Hotel Pologne" auf der Schloßgasse ab. Schon am Sonntagmorgen fuhr er weiter, war aber auf der Rückreise vom 25. September bis 3. Oktober erneut hier. Im Gegensatz zum ersten Besuch war der Umgang mit Christian Gottfried Körner lebhafter und freundlicher, Kants Philosophie Ausgangspunkt anregender Gespräche, sogar einige Römische Elegien wurden zum besten gegeben.2 Zusammen mit dem sächsischen Hofmarschall Joseph Friedrich von Racknitz holte er vermutlich den Herzog Carl August in Schandau ab; gemeinsam fuhr man auf der Elbe bis Dresden. Es war die Zeit von Goethes naturwissenschaftlichen Studien: der Farbenlehre,

  • 2. Körner an Schiller, 6.10.1790 (Briefe von und an Schiller stets nach SNA)

der Pflanzen, der Tiere. Im Naturalienkabinett fertigte er Notizen und Zeichnungen zur Anatomie, auch des Zwischenkieferknochens, an. Das Tagebuch ist lapidar:

2 : 16 Antiken

-: 16 Thurn

2 : 10 Porzellan

5 : - Gallerie

-: 16 Thurn

- : 2 Barbier3,

  • 3 WA III, 2, S. 21 (Briefe und Tagebücher Goethes stets nach WA).

Ende Juli 1794 begleitete er seinen Herzog bis Dessau und erreichte mit ihm über Wörlitz und Leipzig am 2. August Dresden. Mehrmals besuchte er mit dem Kunsthistoriker Johann Heinrich Meyer Galerie und Skulpturensammlungen; vom Hofgärtner Johann Heinrich Seidel empfing er im "Botanischen Garten"4 Anregungen zur Metamorphose der Pflanzen. Am 11. August reiste er mit dem Herzog ab.

  • 4 Gemeint ist der »Herzogin-Garten" auf der Ostra-Allee. Der botanische Garten wurde erst seit 1818 am Zeughausplatz angelegt.

Erst 16 Jahre später, nach einem viermonatigen Kuraufenthalt in Karlsbad und Teplitz, weilte er vom 18. bis 21. September 1810 wieder hier, um erneut Galerie und Rüstkammer aufzusuchen und mit Seidel botanische Studien zu treiben.

Auch 1813 sind seine beiden Aufenthalte (vom 20. bis 25. April und vom 10. bis 13. August Teil einer Reise nach Teplitz - diesmal wohl nicht allein wegen der Kur, sondern zugleich der kriegerischen Unruhen halber. Spätere Legendenbildungen wissen von einem gemeinsamen Aufenthalt Goethes und Schillers, die in Körners Wohnung lachend und stampfend Xenien gedichtet haben sollen.5 Doch sie sind sich hier nie begegnet.

  • 5 Gustav Parthey: Jugenderinnerungen. Zweiter Teil. Berlin 1890, S. 50ff.

Diese sieben Aufenthalte hat Woldemar von Biedermann in gültiger Weise vorgestellt, Weiteres findet man bei Robert Steiger: Goethes Leben von Tag zu Tag (Bd. 1-V).6 Dies darf als bekannt vorausgesetzt werden und soll, in Anlehnung an die Darstellungen bei Francois Etienne und Hagen Schulze," auf eine Topographie von Goethes Erinnern bezogen und von daher befragt werden. - Was waren in Dresden die Topoi seiner Wahnehmung und seines Gedächtnisses, die loci memoriae, die nicht allein um ihrer Gegenständlichkeit willen gesehen, sondern durch einen Überschuß an Symbolkraft bestimmt wurden? Was erwies sich fUr ihn als so bemerkenswert, daß er sich auch später daran erinnerte und es mitteilte? Was hat sein Schaffen geformt, erweitert, bereichert? Auf den ersten Blick scheint das Ergebnis eher enttäuschend, was die Stadt anlangt. Nie hat er sie in ihrer spezifischen Urbanität beschrieben. Seine "kognitive Karte"8 verzeichnet wenig von dem, was zum Lektüreprogramm der Reisenden gehörte: nicht die berühmte Brücke, die mittelalterliche Wucht des Pirnaischen Tores, den ostasiatischen Charme des Schlosses in Pillnitz. Nur beiläufig wird im Tagebuch vom 24.September 1810 ein Besuch der "Brülische[n]Terrasse" vermerkt


  • 6 Woldemar Freiherr von Biedermann: Goethe und Dresden.Berlin 1875; Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik von Robert Steiger. Zürich, München 1982ff.
  • 7 Deutsche Erinnerungsorte. Bd. I-III. Hrsg. von Etienne Francois U . Hagen Schulze. München 2001.
  • 8 Roger M. Downs/David Stea: Maps in minds [Kognitive Karren. Die Welt in unseren Köpfen]. New York 1982.


Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.

1768 Bearbeiten

Frühjahr 1768 Aufenthalt in Dresden.

w:de:Johann Gottfried Haucke war ein Sohn von George Gottfried Haucke, er wurde in Dresden getauft. Er wohnte mit seiner Frau in der Friedrichstraße 5 in der Friedrichstadt, die damals noch eine Vorstadt von Dresden war. 1768 wohnte Goethe während seines ersten Besuchs in Dresden bei ihm. In "Dichtung und Wahrheit" setzte er ihm ein Denkmal, ohne seinen Namen zu nennen.

https://www.stadtwikidd.de/wiki/Johann_Gottfried_Haucke


Der 18jährige Leipziger Jurastudent entschloß sich im Mai 1768 zu einem spontanen Ausflug von knapp zwei Wochen.l Ökonomische Erwägungen hatte er kaum anzustellen. Vom Vater erhielt er monatlich 100 Gulden, etwa das zehnfache Einkommen eines sächsischen Dorfschulmeisters. Die gelbe Kutsche - die ordinäre Post, mit der er reiste - brauchte bis Dresden 36 Stunden. Diese erste Begegnung im Mai 1768 war wohl in einem besonderen Maße prägend für sein Bild von der Stadt.

  • 1. War es außer einer Kunstreise auch eine Flucht vor Käthchen Schönkopf, wie der Brief an Behrisch vom März 1768 vermuten läßt? Vgl. auch Nicholas Boyle: Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. I: 1749–1790. München 1995, S. 93 f.

Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.

1790 Bearbeiten

Zwölf? (22!) Jahre später kehrte er zurück: 1790, in Zeiten einer politischen Krise zwischen Preußen und Österreich, folgte er seinem Herzog ins schlesische Feldlager und stieg nach einer nächtlichen Fahrt von Nossen über Wilsdruff am 28. Juli, an einem Mittwochmorgen 1/2 8 Uhr, im "Hotel Pologne" auf der Schloßgasse ab. Schon am Sonntagmorgen fuhr er weiter, war aber auf der Rückreise vom 25. September bis 3. Oktober erneut hier. Im Gegensatz zum ersten Besuch war der Umgang mit Christian Gottfried Körner lebhafter und freundlicher, Kants Philosophie Ausgangspunkt anregender Gespräche, sogar einige Römische Elegien wurden zum besten gegeben.2 Zusammen mit dem sächsischen Hofmarschall Joseph Friedrich von Racknitz holte er vermutlich den Herzog Carl August in Schandau ab; gemeinsam fuhr man auf der Elbe bis Dresden. Es war die Zeit von Goethes naturwissenschaftlichen Studien: der Farbenlehre,

  • 2. Körner an Schiller, 6.10.1790 (Briefe von und an Schiller stets nach SNA)


der Pflanzen, der Tiere. Im Naturalienkabinett fertigte er Notizen und Zeichnungen zur Anatomie, auch des Zwischenkieferknochens, an. Das Tagebuch ist lapidar:

2 : 16 Antiken

-: 16 Thurn

2 : 10 Porzellan

5 : - Gallerie

-: 16 Thurn

- : 2 Barbier3,

  • 3 WA III, 2, S. 21 (Briefe und Tagebücher Goethes stets nach WA).

Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.


Juli - Oktober 1790 Reise nach Schlesien, Krakau und Czenstochau.

"Bei der Herreise langte Goethe am 28. Juli [1790; d. R.] früh halb acht Uhr in Dresden an, da er der Mittagshitze wegen Tags vorher in Rochlitz die Reise unterbrochen hatte und die Nacht hindurch gereist war. Er besuchte nach seiner Ankunft sogleich den Hausmarschall Freiherrn von Racknitz. Diesen vieseitig gebildeten Mann hatte Goethe 1786 ebenso wie den hiesigen Professor an der medicinisch-chirurgischen Akademie Titius in Karlsband kennen gelernt; [...]. [...] In Dresden 1790 wurde Goethe vom Grafen Geßler zu dem befreundeten Appellationsrath Körner auf dessen Weinberg in Loschwitz gebracht. Es steht noch nicht fest, ob Goethe den Genannten hier zuerst kennen lernte. Wahrscheinlich ist es, da nicht bekannt ist, daß er mit ihm früher zusammengetroffen wäre, auch Schiller am 1. November 1790 an Körner schreibt, Goethe habe sehr die persönliche Bekanntschaft mit ihm gerühmt und mit Wärme von dem angenehmen Aufenthalt bei Körners und überhaupt in Dresden gesprochen. Dagegen theilt freilich Körner Schillern unterm 13. August mit, er habe "wieder" eine halbe Stunde lang ein interessantes Gespräch über Kunst mit Goethe gehabt. Möglicherweise liegt hier ein Druckfehler vor (vielleicht für "über"). Sonst schreibt Körner: Goethe sei aufgethaut und zuletzt sehr mittheilend gewesen, doch habe seine Art sich anzukündigen immer etwas Kaltes und Zurückscheuchendes.

In Körners Frau und ihrer Schwester, der Malerin Dora Stock, fand Goethe alte Bekannte aus Leipzig wieder. Sie waren die Töchter des von Nürnberg nach Leipzig übergesiedelten Kupferstechers, welchem Goethe als Student Unterricht im Radiren gehabt hatte. [...] Ferner war Goethe jetzt abermals häufig mit Körner zusammen, dem es gelungen war ihm näher zu kommen und der ihn nun mittheilender fand. Ihre Unterhaltungen waren mannigfacher Art. Aus der Kritik der teleologischen Urtheilskraft von Kant, mit dessen Philosophie Körner sich viel beschäftigte, schöpfte Goethe Nahrung für seine philosophischen Ansichten; er sprach dabei Gesichtspuncte über Stil und Classicität in der Kunst aus, die Körner als fruchtbar anerkennen mußte, obschon sie mit dessen Theorie der Ideale nicht übereinstimmten. Namentlich berdankte Körner Goethen manche treffliche Winke über den Genuß der Werken der bildenden Kunst. Goethe trug ihm auch einige um diese Zeit gedichteten Elegien vor und sandte halb nachher deren noch einige aus Weimar. Von dort aus dankte er Körnern am 21. October 1790 brieflich für die ihm erwiesene Freundschaft und Güte, versicherte, daß ihm Körner und dessen Gattin mehr gegeben, als er hätte wünschen dürfen [....].

Auszüge aus: Biedermann, Woldemar von, Gothe in Dresden, Leipzig 1875, S. 4-35.

1794 Bearbeiten

Juli, 26 – August, 12 Reise Goethes mit Herzog Carl August nach Wörlitz, Dessau, Dresden und Leipzig.

Goethe und Schiller 1794–1805

Daten zum besseren Verständnis

https://www.reclam.de/data/media/Schiller-Goethe_Daten.pdf ihres Briefwechsels


Ende Juli 1794 begleitete er seinen Herzog bis Dessau und erreichte mit ihm über Wörlitz und Leipzig am 2. August Dresden. Mehrmals besuchte er mit dem Kunsthistoriker Johann Heinrich Meyer Galerie und Skulpturensammlungen; vom Hofgärtner Johann Heinrich Seidel empfing er im "Botanischen Garten"4 Anregungen zur Metamorphose der Pflanzen. Am 11. August reiste er mit dem Herzog ab.

4 Gemeint ist der »Herzogin-Garten" auf der Ostra-Allee. Der botanische Garten wurde erst seit 1818 am Zeughausplatz angelegt.

Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.

1796 Bearbeiten

Tieck und Wackenroder lernten über Karl Philipp Moritz die Goethesche klassische Antikenrezeption. So war es kein Zufall, dass sie sowie auch Goethe persönlich 1796/97 die neu eingerichtete Mengs'sche Sammlung im Untergeschoß des Dresdner ehemaligen Marstalles aufsuchten.

ausweislich Goethes Briefe aus dem Jahre 1796 hielt er sich größtenteils in Weimar, mehrfach in Jena und einmal in Ilmenau auf - die Zeit war kriegerisch und unsicher - lt. den Gesprächen 1796 im Dezember mit dem Herzog in Leipzig

Erster Koalitionskrieg - 1797 konzentrierte sich Napoleon auf den Italienfeldzug

Goethe an Friedrich Schiller

"Meyer hat wieder geschrieben, wahrscheinlich ist er jetzt über der Aldobrandinischen Hochzeit. Er hat die Art, die Antiken zu beobachten, die er in Dresden angefangen hatte, fortgesetzt; er schreibt: Nun kommt es auf zarte Bemerkungen an der Zeichnung der Augen, der Art, wie die Linien sich schwingen und sich begegnen, wie der Mund gezeichnet und gearbeitet ist, wie die Haare angesetzt sind, was für Kenntnisse der Künstler gehabt, welcher Theorie er gefolgt sey.

Er hofft auch dem Raphael noch eine neue Seite abzugewinnen.

W. d. 13. Febr. 96."


Johann Heinrich Meyer

Heinrich Meyer (Maler): (* 16. März 1760 in Stäfa bei Zürich; † 14. Oktober 1832 in Jena) war ein Schweizer Maler und Kunstschriftsteller. Der Füssli-Schüler ging 1784 nach Rom, wurde 1787 Goethes Freund, lebte ab 1791 in Weimar, wirkte dort ab 1806 als Direktor der Fürstlichen freien Zeichenschule und war Goethes rechte Hand in Kunstangelegenheiten. Heinrich Meyer ist als Kunschtmeyer oder auch als Goethemeyer bekannt.

1795 wurde er Professor und 1806 Direktor des Weimarer Freien Zeicheninstituts. 1795 folgten zweijährige Kunststudien in Florenz und Rom.


"Die Dresdner Geschmäcke sind nun auch herausgekommen und die illuminirten Kupfer mit außerordentlicher Delicatesse und Reinlichkeit vollendet. Das ganze Werk qualificirt sich Prinzen und Prinzessinnen vorgelegt zu werden, wie es denn auch dem Churfürsten dedicirt ist. Was Schuricht in dieser Art machen kann hat er geleistet und hätte bey einer vernünftigern Idee, und einer weniger freyherrlichen Leitung, noch was besseres und schicklicheres hervorgebracht.

Das Ägyptische Zimmer ist im höchsten Grade abgeschmackt, in den übrigen aber manches gute und brauchbare, durchaus aber besticht einen die verwundersame Reinlichkeit und Zierlichkeit. Der Text sieht aus wie ein altes Heft eines Schulrectors von vor 20 Jahren.

Wundershalben lasse ich Ihnen den Anfang des Elogii abschreiben, wodurch das Werk im Modejurnal introducirt wird, eigentlich sollte dieses Specimen im Chinesischen Zimmer vorgelesen werden.

Um von dem Etrurischen Wesen etwas zu reden, so sagen Sie mir doch was nennen Sie Griechische Werke späterer Zeit? von denen sich die Graburnen in der Florentinischen Sammlung im Styl nicht unterscheiden.

Auf die Beschreibung der Zimmer der Prinzessin Altieri bin ich voller Verlangen ...

Den 8. August 1796."

Goethe an Johann Heinrich Meyer

Joseph Friedrich von Racknitz: Darstellung und Geschichte des Geschmackes der vorzüglichsten Völker. In Beziehung auf die innere Auszierung der Zimmer und auf die Baukunst. Verlegt bei Georg Joachim Göschen, Leipzig 1796

  • von Joseph Friedrich Freyherrn zu Racknitz, Sr. Churfürstl. Durchl. zu Sachsen Hausmarschall, des Johanniter-Maltheser-Ordens Ritter, der Königl. Preuß. Akademie der Künste und mechan. Wissenschaften, der naturforschenden Gesellschaft zu Berlin, und der ökonomischen Societät zu Leipzig Mitgliede. Leipzig, bey Georg Joachim Göschen 1796

w:de:Christian Friedrich Schuricht: Nach seiner Rückkehr nach Dresden im Jahr darauf erhielt Schuricht viele Aufträge für Zeichnungen, so in "Grohmanns's Ideenmagazin für Gärten und englische Anlagen" und für die "Geschichte des Geschmacks" von Joseph Friedrich von Racknitz. Für Racknitz fertigte Schuricht zudem ein Porträt an.

1608.

1796, 16. Mai.


Bei Schillers

Es kam eben wie ich [die Stein] da war, eine kleine Victoria von Dresden für ihn an. Er setzte sie am Tisch vor sich und meinte, beim Essen und Trinken sei am besten von der Kunst zu sprechen. Er nahm auch wirklich an nichts viel weiter Antheil, und zuletzt hatte er das Glas Wein in der einen Hand und die Victoria in der andern.

  • Charlotte von Stein. Ein Lebensbild von H. Düntzer. Stuttgart 1874. II, 35. S. 44. (Aus Brief von Frau v. Stein an ihren Sohn Fritz.)


1796, 30. December (?)


Mit Christian Felix Weiße

Vor kurzem war der Geheime Rath Goethe mit dem Herzog von Weimar hier [in Leipzig], und wir sprachen ein Langes und Breites davon.

  • Chr. G. Schütz. Darstellung seines Lebens etc. Hrsgg. von F. K. J. Schütz. Erster Band. Halle 1834. S. 86.

In: Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896., Bd. 10


160. An Schiller, Mai 1796 Schillerarchiv

(Jena, im Mai 1796.)

Ich will mich heute Abend und vielleicht morgen den ganzen Tag in der künstlichen Wüste halten, um zu sehen wie es geht und ob ich vielleicht in Ihrer Nähe bleiben kann, welches ich so sehr wünschte. Grüßen Sie die Freunde schönstens. Könnte Körner nicht bald nach Dresden schreiben und die Victoria kommen lassen? Er könnte den Besitzer ersuchen, den genauesten Preis anzuzeigen, und zusichern, daß er entweder die Statue oder das Geld selbst mit zurück bringen wolle. Nur wäre zu bitten, daß sie recht gut eingepackt würde. Leben Sie recht wohl. [Goethe]

261. An Schiller, 21. Dezember 1796

Den dritten Feiertag gehe ich mit dem Herzog nach Leipzig. Sagen Sie es außer Humboldten niemand und fragen Sie diesen Freund, ob er mir außer Professor Ludwig und Magister Fischer noch jemand zu sehen empfiehlt? Da wir wahrscheinlich auch auf Dessau gehen, so kommen wir unter zwölf bis vierzehn Tagen nicht zurück; wünschten Sie also vor meiner Abreise noch etwas von mir, so haben Sie die Güte mir es bald zu sagen. [Goethe]


"Der Jenaer Steuerrevisor J. E. Wölfel habe seine Erbschaftsangelegenheit in Dresden leicht ohne K.s. Hilfe regeln können. - K. F. Graf von Geßler leide in Italien sehr unter dem allgemeinen Mistrauen gegen Fremde. Zum Ärger von J. A. Riedel habe A. L. Hirt, der aus Rom gekommen ist, äußerst nachteilig über die Dresdner Galerie und die von ihr herausgestellten Stücke gesprochen. Diese Orakelsprüche seien von der Fürstin Luise von Anhalt-Dessau gesammelt worden."

1796 September 28. Körner, Christian Gottfried

Regestausgabe "Briefe an Goethe", Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Dresden

1797 Bearbeiten

Auch Johann Wolfgang von Goethe besuchte dann 1797 häufig die Gemäldegalerie und die Antiken, noch häufiger aber die Gipsabgüsse in Dresden, für welche er ein besonderes Interesse entwickelt hatte.[1] Während seines zweiten Romaufenthaltes häuften Goethe und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein in Tischbeins Atelier eine Unmenge an Gipsabgüssen von Antiken an. Im Bericht April 1788 seiner Italienische Reise beschreibt Goethe, dass die Juno Ludovisi am meistens wertgeschätzt wurde. Er hatte sie im Original in der Villa Ludovisi, den heutigen XVI. Rione (Stadtteil) Ludovisi[2] von Rom, persönlich gesehen und schrieb äußerst beeindruckt:

„…wovon das Original in der Villa Ludovisi steht… Es ist wie ein Gesang Homers.“ (Italienische Reise, 6. Januar 1787)

Winckelmann, Herder, Goethe, Schiller, Wilhelm von Humboldt und andere sahen in dem Junokopf den Inbegriff griechischer Idealität, "das Symbol griechischer Kunst schlechthin", weil er für ein Kultbild der Hera, Schwester und Gemahlin des Zeus, gehalten wurde. Aus dieser Ansicht heraus entwickelte sich eine höchste Verehrung. Goethe bezeichnete diese Kolossalbüste gar als seine „erste Liebschafft in Rom“, andere schrieben Gedichte wie Wilhelm von Humboldt[3], Friedrich Hebbel[4] und Paul Heyse[5]. 1845 schrieb Hebbel an Elise:

"Ich war nun schon zweimal in der Villa Ludovisi … und habe dort gesehen, was über alles, was man sehen kann, selbst in Rom, hinausgeht, die Juno."[6]

Darüber hinaus gab es in der Tischbeinschen Wohnung in Rom an Gipsabgüssen

einige kleinere Junonen [...] zur Vergleichung, [...] vorzüglich Büsten Jupiters und [...] ein guter alter Abguss der Medusa Rondanini.

Neben vielen unerwähnten Gipsen hob Goethe noch einen Herkules Anax hervor,

so kräftig und groß, als verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider Originale sich jetzt in England befinden.

Selbst Abgüsse von den ägyptische Obelisken waren dabei. Vieles davon blieb in Rom, so die Tischbeinschen Besitzungen, aber auch bei anderen Künstlern, besonders bei Friedrich Bury, der Goethes Quartier bezog und noch bis 1799 in Italien blieb.

Auch in Deutschland galt Goethes Interesse den Antiken. Die Juno aus Rom schenkte er bei seiner Abreise 1788 Angelika Kauffmann. Ein Mittransport über die Alpen schien unmöglich. Der Abguß im Junozimmer im Goethehaus am Frauenplan stammt vom Berliner Staatsrat Christoph Friedrich Ludwig Schultz und kam erst 1823 nach Weimar.[7]

Allein siebenmal weilte Goethe im Wörlitzer Park, von 1776 angefangen bis 1796.[8]

Hier steht mit dem von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff zwischen 1769 und 1773 errichteten Wörlitzer Schloss der Gründungsbau des deutschen Klassizismus und eines der wenigen deutschen Bauwerke des Palladianismus. Fürst Franz und von Erdmannsdorff hatten auf der fürstlichen Grand Tour von 1765 bis 1767 nach Italien, Frankreich, in die Schweiz, nach Holland und England umfangreiche kulturhistorische und ökonomische Studien betrieben und auch die damals neuen Ausgrabungsfunden in den untergegangenen Städten Pompeji und Herculaneum besucht. Diese Kavalierstour zählt zu den beispielhaften Reisen aufgeklärter Fürsten des 18. Jahrhunderts. In Neapel begegnete er dem Diplomaten und Kunstsammler William Hamilton, was insbesondere Einfluss auf die Gestaltung der Insel Stein im Wörlitzer Park haben sollte.

Am Nymphäum, dessen Original in Rom zu bewundern ist, saß Goethe besonders gern, so daß hier eine Inschrift angebracht wurde:

Hier ist´s jetzt unendlich schön. Mich hat´s gestern Abend, wie wir durch die Seen, Kanäle und Wäldchen schlichen, sehr gerührt, wie die Götter dem Fürsten erlaubt haben, einen Traum um sich herum zu schaffen. Es ist, wenn man so durchzieht, wie ein Märchen, das einem vorgetragen wird, und hat ganz den Charakter der Elysischen Felder. In der sachtesten Mannigfaltigkeit fließt eins in das andre, keine Höhe zieht das Aug´ und das Verlangen auf einen einzigen Punkt, man streicht herum ohne zu fragen, wo man ausgegangen ist und hinkommt. Das Buschwerk ist in seiner schönsten Jugend, und das ganze hat die reinste Lieblichkeit. Goethe an Charlotte von Stein, Wörlitz, 14. Mai 1778

1810 Bearbeiten

Gerhard von Kügelgen, Johann Wolfgang von Goethe, 1808-1809

Mai - September 1810 Aufenthalte in Karlsbad, Teplitz und Dresden.

Erst 16 Jahre später, nach einem viermonatigen Kuraufenthalt in Karlsbad und Teplitz, weilte er vom 18. bis 21. September 1810 wieder hier, um erneut Galerie und Rüstkammer aufzusuchen und mit Seidel botanische Studien zu treiben.

Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.

Nachdem eine im Sommer 1805 beabsichtigte Reise nach Dresden nicht zu Stande gekommen war, unternahm Goethe eine solche erst wieder 1810, und zwar Mitte Septembers von Teplitz aus, nach seines damaligen Begleiters Riemer Mittheilung war er am letztern Orte bis zum 16 diesen Monats, an welchem Tag abends in Dresden eintreffen zu wollen er dem Herzog unterm 10. schrieb. [...] Goethe verweilte 1810 zehn Tage in Dresden, reiste über Freiberg, Chemnitz und Löbichau, wo er überall kurze Aufenthalte machte, zurück, und langte am 3. October in Weimar an. Ueber sein Treiben in Dresden schreibt er am 7. October nur ganz allgemein an den französischen Gesandten in Cassel, Reinhard, daß Dresden mit seinen Kunst- und Naturschätzen bei herrlichem Wetter dazu beigetragen habe, ihm eine sehr unterhaltende und erfreuliche Rückreise von Teplitz zu geben. Haußtsächlich ist aus jenem Dresdner Aufenthalte der Verkehr mit dem Maler von Kügelgen zu verzeichnen. [...] Eine schmerzliche Erinnerung an den Dresdner Aufenthalt von 1810 verursachten Goethe noch längere Zeit - wie Frau von Schiller am 1. November d. J. der Erbprinzessin von Mecklenburg-Schwerin schreibt - ein Paar in Dresden gefertigter, zu enger Schuhe."

Auszüge aus: Biedermann, Woldemar von, Gothe in Dresden, Leipzig 1875, S. 4-35.

1813 Bearbeiten

Mai - September 1812 Aufenthalte in Karlsbad und Teplitz.

April - August 1813 Aufenthalt in Naumburg, Dresden und Teplitz.

Auch 1813 sind seine beiden Aufenthalte (vom 20. bis 25. April und vom 10. bis 13. August Teil einer Reise nach Teplitz - diesmal wohl nicht allein wegen der Kur, sondern zugleich der kriegerischen Unruhen halber.

Dresden als Erinnerungsort für Goethe

Günter Jäckel

Goethe-Jahrbuch 2002, S. 148 bis 164.

"8. Goethe. Nach den Preußen unter Blücher rückte Tschernitscheff nach Dresden vor. Die schöne Zeit des Onkels kehrte wieder. Russische Garden zogen ein, an ihrer Spitze Kaiser Alexander und der König Friedrich Wilhelm. Gleichzeitig aber fand sich noch ein anderer hoher Gast ein, ein Machthaber und Gewaltiger sondergleichen, der zwar über Roß und Reiter nicht verfügte, dessen Stimme auch im Rate der Monarchen nicht gehört ward, der aber dennoch in einer anderen Sphäre fast unumschränkte Macht ausübte. Solange ich denken konnte, hatte der Name Goethe in dem Freundeskreise unseres Hauses einen mehr als königlichen Klang gehabt. Er war ja auch der Jupiter des deutschen Olymps, seine Worte waren Sprüche von kanonischer Bedeutung, sein Urteil die letzte Instanz in allen Gebieten des Schönen, in der Gedankenwelt und aller Weisheit der Menschen. Goethe war der einzige deutsche Dichter, an welchem mein Vater Geschmack fand, weil er der einzige sei, der deutsch schreibe, sagte er, und so weit ging er in der Wertschätzung seines Lieblings, daß er den Goetheschen »Faust«, ihn gleich an die Bibel reihend, für das zweitbeste Buch der Welt erklärte.

Nicht so die Mutter. Für sie waren die Dichtungen des großen Meisters mannigfach verletzend. Zwar erkannte sie die Pracht und Wahrheit der Goetheschen Darstellung, den Wohlklang und die Einfalt der Sprache vollkommen und vielleicht mit größerem Verständnis an als die meisten unbedingten Anbeterinnen jenes geistigen Leviathans; aber es schien ihr diese hohe Meisterschaft zumeist an unwürdige Stoffe verschwendet, und es betrübte sie, allerlei Unsauberkeit der Sünde mit derselben, ja mit noch größerer Liebe behandelt zu sehen als sittlich Reines und Schönes. Sie wollte, daß so herrliche Kräfte allein im Dienste Gottes tätig wären, wie sie dies an Klopstocks und Herders Muse rühmte, die sie deshalb entschieden vorzog.

Dagegen nahm mein Vater seinen Liebling aufs wackerste in Schutz. Er entgegnete etwa, daß Goethe weder Schulmeister noch Pfaffe, sondern Dichter und als solcher wie alle Künstler nur mit seinem eigenen Maß zu messen sei. Er schildere die Dinge weder, wie er wünsche, daß sie sein möchten, noch wie Gott sie etwa fordern möge: er stelle sie vielmehr ganz einfach bloß nach ihrer Wahrheit dar, so wie sie wirklich wären, ohne sich ein Richteramt darüber anzumaßen. Was allen bekannt sei, was jeder habe und besitze, heiße es nun Glück oder Unglück, Gutes oder Böses, das stelle er als Wirkliches oder Unausweichliches dar, und zwar in einem versöhnlichen Lichte, bei dessen Schönheit und Liebenswürdigkeit man sich beruhigen könne.

Inzwischen blieb die Mutter bei ihren Sätzen. Wenn Dichter nur nach ihrem eigenen Maß bemessen werden dürften, sagte sie, so habe keiner einen Vorzug vor dem anderen. Überdem sei es keine Kunst, den Glücklichen mit seinem Lose auszusöhnen. Wem es wohlgehe in dieser Welt, wie dem Besprochenen selbst, der sei gar leicht befriedigt. Unglückliche aber würden schwerlich Trost in Goethes Schriften finden und sittlich Verirrte keine Stütze. Die letzteren aber mit ihren Zuständen noch obendrein versöhnen zu wollen, sei ganz unverantwortlich.

So stritt man hin und wieder mit vielem Recht auf beiden Seiten; aber dem Ruhm des großen Mannes geschah dadurch kein Abbruch. Der Dichter, wie ihn meine Mutter suchte, fand sich aber nirgends, und immer blieb es wahr, daß, wenn Künstler nur nach eigenem Maße zu bemessen seien, allein das Maß des Genies, nicht das des moralischen Wertes ihrer Werke oder Personen entscheiden dürfe.

In meinen Kinderaugen gewann der Vielbesprochene durch solche Diskussionen nur an Bedeutung. Ich hatte nichts von ihm gelesen, und doch erschien er mir auf Autorität des Vaters hin wie eine Sonne, vor deren Glanz jedwedes andere Gestirn verbleichen müsse. Ja, er war allgemach in meiner Vorstellung zu einem solchen Koloß angewachsen, daß ich selbst für den einziehenden Kaiser Alexander nur ein halbes Auge hatte, da ich zwei Minuten vorher den hochgefeierten Dichter gesehen, an seiner Seite gestanden und freundliche Worte aus seinem Munde vernommen hatte.

Goethe war nämlich am Morgen des Einzugs der Monarchen ganz zutraulich bei uns eingetreten, und da er den Vater, der ihn anderwärts suchte, nicht zu Hause fand, hatte er die Mutter um Erlaubnis gebeten, bei ihr bleiben zu dürfen, um aus ihren Fenstern und vom Straßengedränge unbelästigt den erwarteten Einzug mit anzusehen. Er werde in keiner Weise stören, hatte er hinzugesetzt, wolle sich ganz still verhalten und bitte, keinerlei Notiz von ihm zu nehmen.

Die Mutter glaubte zu verstehen, daß er selbst unbelästigt sein wolle. Sie überließ ihm daher ein Fenster, setzte sich mit ihrer Arbeit in ein anderes und drängte sich ihm mit keiner Unterhaltung auf. Da stand er denn, der prachtvoll hohe Mann in seinem langen Überrock und blickte, die Hände auf dem Rücken, behaglich auf das bunte Gewühl des drängenden Volkes nieder. Er sah sehr heiter aus, und meine Mutter glaubte es ihm abzufühlen, wie dankbar er ihr für die Schonung sei, mit der sie ihn gewähren ließ, denn sie wußte, wie sehr der seltene Gast bis dahin von der bewundernden Zudringlichkeit schöngeisterischer Damen belästigt und gequält gewesen. Er pflegte sonst immer von großer Cortège umgeben zu sein, und da er so allein gekommen, nahm meine Mutter an, daß es ihm gelungen, sich vielleicht, vom Gedränge begünstigt, aus seiner anbetenden Umgebung wegzustehlen und hierher zu retten, um die feierlichen Eindrücke eines geschichtlichen Ereignisses ungestörter in sich aufzunehmen.

Sie rief daher auch mich hinweg, der ich dem großen Manne immer näher rückte und ihn anstarrte, wie einer, der zum ersten Male in seinem Leben einen Walfisch oder Elefanten sieht. Er aber zog mich an sich, legte die Hand auf meine Schulter und fragte mich dies und jenes, unter anderem auch, ob ich mich darauf freue, den Kaiser von Rußland zu sehen.

Ich sagte: ja, ich freute mich darauf, weil er mein Pate wäre, und allerdings hatte ich bis jetzt in dieser glücklichen Illusion gelebt, bloß weil ich eben auch Alexander hieß. Meine Mutter gab indes sogleich die nötige Aufklärung, und Goethe fragte nun manches über Rußland. So war sie dennoch mit ihm ins Gespräch gekommen.

Indem ward heftig an der Klingel gerissen. Ich sprang fort, um die Tür zu öffnen, und herein drang eine unbekannte Dame, groß und stattlich wie ein Kachelofen und nicht weniger erhitzt. Mit Hast rief sie mich an: »Ist Goethe hier?«

Goethe! Das war kurz und gut. Die Fremde gab ihm gegen mich, den fremden Knaben, weiter kein Epitheton, und kaum hatte ich die Zeit, mein einfaches Ja herauszubringen, als sie auch schon, mich fast übersegelnd, unangemeldet und ohne üblichen Salutschuß, wie ein majestätischer Dreidecker in dem Zimmer meiner Mutter einlief.

Mit offenen Armen auf ihren Götzen zuschreitend, rief sie: »Goethe! ach Goethe, wie habe ich Sie gesucht! Und war denn das recht, mich so in Angst zu setzen?« Sie überschüttete ihn nun mit Freudenbezeugungen und Vorwürfen.

Unterdessen hatte sich der Dichter langsam umgewendet. Alles Wohlwollen war aus seinem Gesichte verschwunden, und er sah düster und versteinert aus, wie eine Rolandssäule. Auf meine Mutter zeigend, sagte er in sehr prägnanter Weise: »Da ist auch Frau von Kügelgen.«

Die Dame machte eine leichte Verbeugung, wandte dann aber ihrem Freunde, dessen üble Laune sie nicht bemerkte, ihre Breitseiten wieder zu und gab ihm eine volle Ladung nach der anderen von Freudenbezeugungen, daß sie ihn glücklich geentert, beteuernd, sie werde sich diesen Morgen nicht wieder von ihm lösen.

Jener war in sichtliches Mißbehagen versetzt. Es mochte ihm etwa zumute sein wie einmal meiner Wenigkeit in der Mädchenpension, und ohne Zweifel würde auch er, wenn er die Wahl gehabt, ein heimliches Produkt Ruten der aufdringlichen Zärtlichkeit seiner ekstatischen Freundin bei weitem vorgezogen haben. Er knöpfte seinen Oberrock bis ans Kinn zu, und da mein Vater eintrat und die Aufmerksamkeit der Dame, die ihn kannte, für einen Augenblick in Anspruch nahm – war Goethe plötzlich fort. Entsetzt eilte die Getäuschte ihm nach, sich jeden Abschied sparend. Ob sie ihn noch erreichte, weiß ich nicht, da in demselben Moment die Ankunft der Monarchen das ganze Interesse von uns Rückbleibenden fesselte.

Während seines damaligen Aufenthaltes in Dresden habe ich indes den großen Dichter noch öfter anzustaunen Gelegenheit gehabt, und zwar stets mit einer Ehrfurcht, die sein königliches Wesen ganz von selbst hervorrief. Er schenkte meinen Eltern einen Mittag, und außerdem erinnere ich mich, daß wir die Rüstkammer miteinander besehen haben.

Diese ungemein reiche Sammlung alter Waffen befand sich damals noch in ihrem ursprünglichen Lokale, einem alten, burgartigen Gebäude auf der Schössergasse, und ward von uns Kindern jeder anderen Sammlung, auch der Bildergalerie, bei weitem vorgezogen. Wollte der Vater uns recht hoch beglücken, so ging er mit uns hin.

Gleich unten auf der dunkeln Hausflur standen vor dem Treppeneingang als Schildwachen zwei schwergeharnischte Figuren, die einen schon im voraus in die erforderliche Stimmung brachten. Dann ging es die steinerne, mit alten Hellebarden dekorierte Wendeltreppe in die Höhe durch drei verschiedene Etagen, deren Säle mit Dolchen, Schwertern, Speeren, Kampagnen- und Turnierharnischen, Fahnen, alten Feuergewehren und historischen Andenken aller Art gefüllt waren. Die Waffen standen und hingen da sämtlich noch ohne Gepränge und Ostentation, wie zu der Zeit, da sie im Gebrauch gewesen, und auch die Luft schien noch dieselbe, die Johann Friedrich und Kurfürst Moritz schon geatmet, wenn sie durch diese Räume schritten. Aber gerade dieser Moderduft schien mir das beste: er war die Melodie des Heldenliedes, das die Wände sangen.

Später, nach 1830, als der Fortschritt auch in Sachsen einbrach, wollte man es besser machen und stellte diese Waffen, etwa ein Drittel davon veräußernd, um die Kosten des Umzugs zu bestreiten, in den hohen, hellen Korridoren des Zwingers auf. Man ordnete nun die alten Mordgewehre zu glänzenden Sonnen oder freundlichen Rosetten und Girlanden an den Wänden, verbannte jenen mysteriösen Geruch der Vorzeit und nahm der Sammlung endlich selbst den Namen, indem sie jetzt ganz elegant »Historisches Museum« heißt. Das ist der Fortschritt des Geschmackes.

Goethe sah die Rüstkammer noch in ihrem alten Graus und freute sich daran. Noch sehe ich seine majestätische Gestalt mit der lebendigsten Teilnahme unter den gespenstischen Harnischen herumwandeln, welche, wie lebendige Recken auf prachtvoll geschnitzten Streitrossen sitzend, in den niedrigen Räumen des alten Lokales fast riesengroß erschienen. Einer besonders imposanten Gestalt nahm Goethe den von Edelsteinen funkelnden Kommandostab aus der Eisenfaust, wog ihn in der Hand und zeigte ihn uns Kindern.

»Was meint ihr,« sagte er, »mit solchem Zepter zu kommandieren, muß eine Lust sein, wenn man ein Kerl danach ist!« und er sah gerade aus, als wenn er selbst der Kerl danach wäre.

Das sind die dürftigen Erinnerungen eines Kindes von dem größten Genius seiner Zeit. Mit ihnen will ich diesen zweiten Abschnitt meines Jugendlebens schließen."


Wilhelm von Kügelgen

Jugenderinnerungen eines alten Mannes

Zweiter Teil

8. Kapitel: Goethe


Literatur Bearbeiten

  • Woldemar Freiherr von Biedermann: Goethe und Dresden.Berlin 1875
  • Goethes Leben von Tag zu Tag. Eine dokumentarische Chronik von Robert Steiger. Zürich, München 1982ff.
  • Moritz Stübel: Goethe, Schuster Haucke und der Ewige Jude. Ein Beitrag zu Goethes Dresdner Aufenthalt im Jahre 1768. Dresden 1920.
  • Goethe. Der Dichter in seiner Zeit. Bd. I: 1749–1790. München 1995, S. 93 f.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Vgl. Charlotte Schreiter: Antike um jeden Preis. Gipsabgüsse und Kopien antiker Plastik am Ende des 18. Jahrhunderts Walter de Gruyter, Berlin 2014.
  2. 1886 verkaufte der Fürst von Piombino die weitläufige Villa Ludovisi an die Stadt Rom, die dort ein neues Wohngebiet anlegte.
  3. Du lebtest nie, hast nie dich aufgeschwungen/ Zum Göttersitz, bist niemals ihm entstiegen;/ Im Marmor ewig deine Lippen schwiegen,/ Aus Künstlers Phantasie bist du entsprungen./ Doch hast du eignes Wesen dir errungen,/ Das ruht in deinen stillen Götterzügen,/ Und keine Macht der Zeit kann es besiegen,/ Da tief es ist in Menschenbrust gedrungen./ So alle Ewigkeiten zu durchwalten,/ Dass in der Schattenmenge Traumgewirre/ Er nicht, ein Bruchstück nur des Haufens, irre/ Kann auch der Mensch zu Eignem sich gestalten./ Dem Erdenstoff ein Funken nur entsprühet,/ Die eigne Bahn er dann selbst leuchtend ziehet. + Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1. Abt.: Werke. Hrsg. von Albert Leitzmann. Bd. 9: Gedichte. Berlin.
  4. Du lässest uns die Blüte alles Schönen/ Und seines Werdens holdes Wunder sehen;/ Die Stirn ist streng, man siehts in ihr entstehen,/ Wo es noch ringen muss mit herben Tönen./ Die Wange will sich schon mit Anmut krönen,/ Doch darf sie noch im Lächeln nicht zergehen,/ Der Mund jedoch zerschmilzt in süßen Wehen,/ Dass Ernst und Milde sich im Reiz versöhnen./ Erst keusches Leben, wurzelhaft gebunden,/ Dann scheuer Vortraum von sich selbst, der leise/ Hinüberführt zur wirklichen Entfaltung;/ Und nun ist auch der Werdekampf verwunden,/ Man sieht nicht Anfang mehr, noch Schluss im Kreise,/ Und dieses ist der Gipfel der Gestaltung. + Friedrich Hebbel: Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. München: Carl Hanser 1965. Bd. 3, S. 114.
  5. Wie ein Gesang des Homer»? Und was denn sagte dies Antlitz/ Mir vom Zorn des Achill, von der Sirenen Gesang?/ Nein, kein dichtender Geist, kein irdischer Zauber beseelt dich:/ So unnahbar und kühl leuchtet der Äther allein. + Kunst und Künstler, 1877/78.
  6. Friedrich Hebbel: Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher. München: Carl Hanser 1965. Bd. 3, S. 903.
  7. Jutta Assel, Georg Jäger: Goethes Italienische Reise, Rom. Goethes Juno Eine Dokumentation auf goethezeitportal.de.
  8. Brunhild Höhling: Goethe zu Gast im Gartenreich des Fürsten Franz. In: Anhaltische Goethe-Gesellschaft (Hrsg.): Ausgewählte Vorträge, Heft Nr. 1, 2013, S. 4-21, Auszug auf anhaltische-goethe-gesellschaft.de.