Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Katalog/Expression 0923

Expression 0923


Kooperationsversicherung (gestisch)



In diese Gruppe fallen Ausdrucksweisen, mit der die Person ihrem Gegenüber ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert und ihm versichert, dass sie zusammen arbeiten möchte.

Da viele andere Expressionen den Willen zur Kooperation implizit beinhalten oder in der Grundhaltung kooperativ sind, sollen in diese Gruppe nur Ausdrücke geordnet werden, die eine willensmäßige, reflektierte Kooperationsbereitschaft beinhalten.

Obwohl die soziale Kooperation zweifellos zu einer der wichtigsten menschlichen Leistungen zählt, gibt es in diesem Bereich keine Geste, die als genetisch veranlagt bezeichnet werden könnte. Die Kooperation scheint bei Primaten aus den Handlungen und Verhältnisausdrücken zueinander hervorzugehen. So verlassen sich soziale Affen darauf, dass ihre Gruppenmitglieder mit ihnen kooperieren, wenn sie reichlich und freundlich mit ihnen kommunizieren. Diese Kommunikation vermittelt dann wohl insgesamt eine Kooperationsbereitschaft, die sich an Handlungen messen lässt, so dass sich eventuell aus diesem Grunde keine eigenen Versicherungsausdrücke entwickelt haben. Jedenfalls fehlen diese beim Menschen völlig. Vorhanden sind nur memetische Kooperationsausdrücke.

Zugeordnete Musterschlüssel Bearbeiten

  • schwarter Text = Musterbeschreibung
  • grauer Text = Interpretationen

In diesem Abschnitt werden die Ausdrucksmuster mit schwarzem Text neutral beschrieben. Über diese Ausdrucksmuster sollte es wenige Meinungsverschiedenheiten geben. Mit grauer Text werden inhaltliche Bedeutungen, Angaben zu Herkunft nd Verbreitung und anderen Merkmalen der Ausdrucksmuster beschrieben. Hier kann es verschiedene Ansichten geben, die einander gleichberechtigt gegenüber gestellt werden.


.90905 Europäischer Handschlag Bearbeiten

  • Lokalisationsklasse: Armgeste
  • Replikationsklasse: Memetisch
  • Kombinationsklasse: nicht definiert

Allgemeine Beschreibung Bearbeiten

Als Europäischer Handschlag bezeichne man ein Ausdrucksmuster, bei dem die Person ihrem Gegenüber die Hand reicht, worauf dieser sie mit der eigenen Hand ergreift, drückt und wieder los läßt. Die gereichte Hand kann ausgestreckt oder je nach Gewohnheit leicht gekrümmt sein. Beide Beteiligten verwenden die selbe Körperseite, zumeist rechts. Die Hände kommen mit den Handflächen in Berühung und können sich entweder mit ausgestreckten Fingern berühren, oder mit Fingerkrümmung umfassen. Das Ausdrucksmuster ist relativ frei und kann in jeder Körperlage ausgeführt werden.

Entscheidend für die Ausdruckskraft ist das Berühren beider Handflächen sowie der Griff. Eine Berührung der Handrücken kommt nicht vor.

Ausdrucksverstärkung Bearbeiten

Ausdrucksinformation sind enthalten in

  • der Stärke des Händedrucks
  • der zeitlichen Länge
  • Werden während des Handschlags andere Ausdrucksverhalten oder Zweckbewegungen ausgeführt, werden sie vom Gegenüber verstärkt wahrgenommen und ggf. in die Bewertung des Kontakts einbezogen.

Die Ausdrucksstärke kann gesteigert werden, indem die Beteiligten die Hände schütteln, d.h. einander festhalten und auf und ab bewegen. Darin liegt eine zusammengeschlossene, gleichgerichtete Bewegung, die beide Beteiligten für kurze Zeit gemeinsam ausführen.

Beispiele Bearbeiten

Herkunft und Bedeutung Bearbeiten

Diese memetische Geste könnte entwicklungsgeschichtlich vom Vorzeigen der leeren Hand (ausdruckstragendes Zweckverhalten) stammen, also einem Beschwichtigungsverhalten gleichkommen, mit dem Menschen in Situationen, bei denen Misstrauen angezeigt ist, beweisen, dass sie keine Waffe führen. Die Berührung verstärkt das, denn sie stellt einen taktilen Beweis dar. Auch heute werden manchmal memogestisch die Handflächen vorgezeigt, wenn eine Person verdeutlichen möchte, daß sie mit einem Übel oder einer schlimmen Tat nichts zu tun habe. Ob dieses ausdruckstragende Zweckverhalten tatsächlich Ursprung des Handschlages ist, sei dahingestellt. Sicher ist, dass sowohl mit einer vorgezeigten, als auch mit einer zum Handgriff ausgestreckten Hand anzeigt werden kann, dass sie leer ist.

Andere Erklärungen gehen von verschiedenen Traditionen aus, die sich in prähistorischer Zeit lokal gebildet und ausgebreitet haben könnten. Im germanischen Kulturkreis galt der Handschlag als allgemeine Gelöbnisgeste, ähnlich der zum Schwur erhobenen Hand, die später auch in Zusammenhang mit abgeschlossenen Verträgen verwendet wurde. Vermutlich wurde ihr Inhalt generalisiert und auch im Sinne eines Versprechens verwendet, einen Vertrag einzuhalten und nicht zu brechen. Die Geste könnte sich so unter Verlust ihres ritualisierten Charakters dann weiter verbreitet haben, bis sie heute, entkleidet vom ausgestorbenen germanischen Glaubensinhalt, als bloßes Symbol der Kooperationsbereitschaft funktioniert. Sie dient auch heute noch als vertragsbesiegelnde Geste, die das gegenseitige Einvernehmen zeigt, welches zum Schluß mündlicher Verträge nötig ist. Als Vertragsgeste ist der Handschlag sehr weit verbreitet, ebenso im arabischen Raum, im vorderen Orient, Nordafrika und natürlich in allen europäischen Bevölkerungen.

Der Handschlag ist weltweit keine Grußgeste und wird nur im deutschsprachigen Raum zur Begrüßung und Verabschiedung gezeigt. Die Person vermittelt zu Beginn des Treffens ihre Kooperationsbreitschaft und zu Ende des Gesprächs erneut, dass sie die Kooperation weiterführen wird, auch wenn der Gegenüber nicht mehr anwesend ist.

Informationsgehalt Bearbeiten

Ähnlich wie bei der Verbeugungsgebärde, die in Asien verbreitet ist, gibt es beim Handschlag eine feine Abstufung in Bezug auf Länge und muskulärer Druckstärke, der je nach Konstellation und Person kraftvoll oder lasch ausgeführt werden kann und vielfältig Auskunft über Umstände und Individualität des Gegenüber gibt.

Im Gegensatz zu den Unterwerfungsgebärden der Japaner wird jedoch ein veränderter Handschlag nicht als unhöflich empfunden. Die zeitliche Länge des Handkontakts ist ausdruckstragend. Langes Handhalten kann vertraulich wirken oder, wenn keine echte Vertraulichkeit zwischen den Personen vorliegt, aufdringlich, anzüglich oder zu nahetretend. Ein starker Druck wirkt willensfest und entschlossen. Ein zu starker Druck kann resolut empfunden werden. Bei neurotischen oder energischen Personen kann mitunter ein fast knochenbrechender Handschlag beobachtet werden. Auch der lasche Handschlag kann vorkommen, der die Hand nur flüchtig hinhält, nicht zugreift oder umfasst, sondern rasch wieder sinken lässt. All das wirkt jedoch höchstens merkwürdig, aber es gehen niemals ernsthafte Verstimmungen daraus hervor. Dies kommt daher, dass es sich beim Handschlag um eine Geste handelt, die in der europäischen Kultur nicht konventionell festgelegt wurde und eine Variation im Ausdrucksmuster wird deshalb nicht als Bruch einer (moralhaften) Konvention empfunden. Wer nur lasch die Hand gibt, der bricht keine Regel, sondern zeigt nur eine individuelle Eigenheit.

Besonders konstruktiv und kooperativ wirkt ein offener, dynamischer Handschlag, der im Mittelmaß, jedoch kurz und kräftig zufasst, doch dies liegt auch im Eindruck des Gegenübers.

Vorkommen Bearbeiten

  • Wenn die Person ihrem Gegenüber Kooperationsbereitschaft ausdrücken möchte.
  • Deutschland vor allem bei Aufnahme und Ende von sozialen Kontakten.
  • In England nur als Vertragsgeste, eher selten.

Die Verbreitung des Handschlages ist im gesamten europäischen Raum zu beobachten und kommt darüber hinaus auch in anderen Kulturen vor. Außerhalb des deutschsprachigen Raumes vor allem bei ernsteren Anlässen gezeigt. Die Briten grüßen sich auch im Freundeskreis selten mit dem kooperativen Handschlag, der dort schnell als anzüglich empfunden wird, wenn er nicht wichtige Dinge ankündigt oder besiegelt. Treffen sich Freunde nach langer Trennung, so geben sie sich dort die Hand, wo sie sich in Deutschland eher umarmen würden. In angelsächsischen Filmen sieht man den Handschlag zwar öfter, aber im Alltagsleben spielt er keine Rolle. Die Franzosen geben ebenfalls selten die Hand, empfinden das Angebot jedoch nie störend. Dies mag aber daher kommen, weil die Franzosen - wie die mediterrane Bevölkerung - keine übermäßig große Distanz zur Körperberührung haben.

Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Katalog/.00905


.90907 Gemeinschaftlicher Handschlag Bearbeiten

  • Lokalisationsklasse: Armgeste
  • Replikationsklasse: Memetisch
  • Kombinationsklasse: nicht definiert

Allgemeine Beschreibung Bearbeiten

Als Gemeinschaftlicher Handschlag bezeichne man ein Ausdrucksmuster, bei dem mehrere Personen einander die Hände reichen. Dabei stehen sie kreisförmig bei einander und halten die Hände zusammen. Entscheidend für das Ausdrucksmuster ist, dass die Handflächen der hinzu kommenden Personen auf die bereits handschlagenden Hände gelegt werden und diese drücken. Bei vielen Beteiligten entsteht ein Knäul.

Das Ausdrucksmuster ist weitgehend offen und nicht an eine Körperseite gebunden. Es können rechte, linke und auch beide Hände verwendet werden. Dieser gemeinsame Ausdruck entsteht oft aus dem Europäischen Handschlag .00905, wenn sich zusätzlich weitere Beteiligte anschließen.

Ausdrucksverstärkung Bearbeiten

Ausdrucksinformation sind enthalten in

  • der Stärke des Händedrucks
  • der zeitlichen Länge

Die Ausdrucksstärke wird seltener und nur bei stärkerer Erregung der Beteiligten durch rhytmisches Schütteln gesteigert.

Beispiele Bearbeiten

Vorkommen Bearbeiten

  • Wenn die Beteiligten einander Kooperationsbereitschaft signalisieren wollen.
  • Oft in erregten oder angespannten Situationen.
  • Oft im Sport oder bei gemeinschaftlichen Aktivitäten, vor gefährlichen oder anstrengenden unternehmungen zur gegenseitigen Motivation oder beim Zusprechen von Mut.

Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Katalog/.00907


.90910 Handhalten Typ 1 Bearbeiten

  • Lokalisationsklasse: Armgeste
  • Replikationsklasse: Memetisch
  • Kombinationsklasse: nicht definiert

Allgemeine Beschreibung Bearbeiten

Als Handhalten Typ 1 bezeichne man ein Ausdrucksmuster, bei der die Person ihren Gegenüber an der Hand fasst, so dass ihre distalen Fingerglieder auf der Handkante der Hand des Gegenübers bleiben. Die Person ist dabei immer aktiv und der Gegenüber gibt seine Hand lediglich her. Es kommt niemals vor, dass die distalen Fingerglieder der Person im Daumen-Zeigefinger-Spann zu liegen kommen. In dieser Haltung können beiden dann umher gehen oder sich aufhalten, je nach Art und Weise der zusätzlichen Zweckbewegungen, die sie ausführen.

Dieses Ausdrucksmuster liegt nur vor, wenn es von zwei Menschen mit unterschiedlichen Körperseiten ausgeführt wird. Varianten, bei der beide Menschen mit der selben Körperseite agieren, werden nicht zu diesem Typ 1 gezählt. Arme und Hände werden immer entspannt gehalten, im sequentiellen Ablauf kommen keine Anspannungen vor, die den Gegenüber umstandsbewegen.

Ausdrucksverstärkung Bearbeiten

Ausdrucksinformation sind enthalten

  • im sequentiellen Ablauf, der auf viele Weise verändert sein kann

Die Ausdrucksstärke wird durch gemeinsames Hin- und Herschwingen der Hände gesteigert.

Beispiele Bearbeiten

Vorkommen Bearbeiten

Vermutlich weltweit.

Es handelt sich um ein eigenständiges Ausdrucksmuster, das nicht mit den Zweckbewegungen verwechselt werden sollte, wie sie beim Herumführen von Kindern oder Schutzbedürftigen vorkommt, denen der Weg gezeigt werden soll oder die nicht davon laufen sollen. Insbesondere kommt bei diesem Muster niemals Ausreißversuche oder Ziehen und zerren vor. Die Hände von Person und Gegenüber werden bereitwillig und locker gehalten. Keiner der beiden bringt den anderen in stärkere Umstandsbewegungen.

Interpretation Bearbeiten

Als eigenständiger Ausdruck steht hier m.E. die Zusicherung der Kooperation im Vordergrund, auch dann, wenn er fürsoglich von einem Elter zu seinem Kind gezeigt wird. Das Muster könnte auch als eine Zusicherung der Fürsorge -0905 interpretiert werden, die als asymmetrische Kooperation verstanden werden kann.

Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Katalog/.00910


Abgrenzung dieser Expression Bearbeiten

Fußnoten Bearbeiten