Projekt:Politik der Wende/Bausteine/Joachim Auer
Wegen Untreue in mehreren Fällen verurteilte das Landgericht Magdeburg Auer im Dezember 1997 zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Er hatte als DSU-Fraktionsvorsitzender Gelder der Fraktion in Höhe von insgesamt 110.000 DM für private Zwecke ausgegeben.
Joachim Auer (* 12. Juli 1953 in Heidelberg; † 4. Februar 2017 in Ilsenburg[1]) war ein deutscher Politiker (CDU, DSU). Er war von 1990 bis 1994 Mitglied im Landtag von Sachsen-Anhalt und dort nacheinander Vorsitzender der CDU-Fraktion, der „Freien Fraktion“ und der DSU-Fraktion.
Leben
BearbeitenJoachim Auer besuchte von 1964 bis 1972 das Bismarck-Gymnasium Karlsruhe und von 1972 bis 1973 ebenfalls in Karlsruhe das Friedrich-List Gymnasium. Nach dem Abitur arbeitete er von 1974 bis 1979 bei der Bundeswehrverwaltung (Wehrbereichsverwaltung V Stuttgart). Von 1975 bis 1979 war er Beamter in der Bundeswehrverwaltung. Danach war er von 1979 bis 1990 im Bereich Wirtschaftsberatung und Finanzdienstleistung selbständig tätig.
Auer wurde bei der ersten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1990 im Landtagswahlkreis Bitterfeld I mit 45,5 % der Stimmen direkt in den Landtag gewählt. Bei der konstituierenden Sitzung der CDU-Fraktion am 16. Oktober 1990 wurde er zum Vorsitzenden der CDU-Fraktion gewählt. Er setzte sich mit 31 Stimmen gegen Peter Schenk und Michael Liwowski durch, die je acht Stimmen erhalten hatten. Auer war Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstandes der CDU und Mitglied des Koalitionsausschusses der ersten Landesregierung von Sachsen-Anhalt. Außerdem gehörte er dem Stasi-Untersuchungsausschuss des Landtages an.
Auer kritisierte in der Öffentlichkeit Ministerpräsident Gerd Gies wegen dessen Umgang mit belasteten Regierungsangestellten und trug damit zu dem Rücktritt von Gies 1991 bei. Auer sprach sich gegen die Wahl von Werner Münch zum neuen Ministerpräsidenten und später auch zum Landesvorsitzenden der CDU aus, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auf dem Wolmirstedter Parteitag der CDU Sachsen-Anhalt Ende November 1991 wurde Münch mit 134 von 247 abgegebenen Stimmen gewählt. Daraufhin erklärte Auer seinen sofortigen Rücktritt als Fraktionsvorsitzender und seinen Austritt aus der CDU.
Am 18. Dezember 1991 bildete er mit den bisherigen CDU-Abgeordneten Gerhard Mitschke, Karsten Knolle und Bernd Scheffler sowie dem früheren SPD-Parlamentarier Jürgen Angelbeck die „Freie Fraktion“ und war bis Januar 1992 deren Vorsitzender. Die Fraktion löste sich auf, nachdem Knolle zur CDU zurückgekehrt war. Am 6. Januar 1992 trat Auer der Deutschen Sozialen Union (DSU) bei, die von der bayerischen CSU unterstützt wurde. Daraufhin verließ auch Angelbeck die Freie Fraktion. Anfang Mai 1992 bildeten Auer und Mitschke, der CDU-Abgeordnete Braun, die SPD-Abgeordnete Bärbel Ballhorn und der PDS-Parlamentarier Hans-Gerd Glück die DSU-Fraktion. In dieser fungierte Auer wiederum als Vorsitzender. Anfang Mai 1993 schloss sich Eckhard Schneider der DSU-Fraktion an, woraufhin Auer austrat. Im Sommer 1993 gründete er auf dem Brocken die Mitteldeutsche Partei.[2] Im Februar 1994, kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, bildete Auer mit Ballhorn, Glück, Mitschke sowie den ehemaligen FDP-Mitgliedern Gerd Brunner und Wilfried Hofmann die Fraktion Unabhängiger Abgeordneter (FUA). Mit der Landtagswahl 1994 schied er aus dem Parlament aus.
Wegen Untreue in mehreren Fällen verurteilte das Landgericht Magdeburg Auer im Dezember 1997 zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Er hatte als DSU-Fraktionsvorsitzender Gelder der Fraktion in Höhe von insgesamt 110.000 DM für private Zwecke ausgegeben.[3][4]
Quellen
Bearbeiten- Klaus-J. Holzapfel (Hrsg.): Landtag von Sachsen-Anhalt: 1. Wahlperiode, 1990–1994 (Volkshandbuch), Stand: 15. Februar 1992, 1992, ISBN 3-87576-271-1, Seite 9
Weblinks
Bearbeiten- Eigene Homepage
- 20 Jahre CDU-Fraktion (PDF; 1,9 MB)
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Traueranzeige in Volksstimme.de
- ↑ Ute Semkat: Steiler Aufstieg, tiefer Fall oder Die Karriere eines "Königsmörders". In: Die Welt, 13. November 1997.
- ↑ Die unglaubliche Dreistigkeit des Scheins. In: Die Welt, 3. Dezember 1997.
- ↑ Harald Kreibich: Parteien: Schwarzes Schaf will wieder in die Herde. In: Mitteldeutsche Zeitung, 19. Januar 2001.
Die Welt 13.11.1997
BearbeitenDIE WELT
Steiler Aufstieg, tiefer Fall oder Die Karriere eines "Königsmörders"
Veröffentlicht am 13.11.1997 | Lesedauer: 3 Minuten
Magdeburg: DSU verklagt Ex-Chef Joachim Auer - Der Mann aus dem Westen führte einst drei Landtagsfraktionen im Osten
Magdeburg - Dieses Kunststück ist wohl niemandem vor Joachim Auer gelungen: Drei Landtagsfraktionen innerhalb nur einer Legislatur führte der Baden-Württemberger im Magdeburger Nachwende-Parlament an. Doch dem Aufsteiger widerfuhr sehr bald ein unaufhaltsamer Abstieg, der morgen vor den Schranken des Magdeburger Landgerichts endet. Dem heute 44jährigen wird vorgeworfen, zwischen Mai 1992 und Mai 1993 in 69 Fällen Fraktionsgeld veruntreut zu haben. "Für Auer waren wir nur dumme Ossis", glaubt seine zeitweilige Stellvertreterin in der DSU-Fraktion Bärbel Ballhorn, die mit der Strafanzeige die juristischen Ermittlungen in Gang brachte. Karriere und Fall des smarten "Wessis" sind eine - freilich kuriose - Facette der Wiedervereinigungsgeschichte: Der Fall der innerdeutschen Grenze lockte den gebürtigen Heidelberger, den das Landtagshandbuch als "Vorstand Wirtschaftsberatung-Finanzdienstleistung" ausweist, in den östlichen Teil Deutschlands. Eher zufällig geriet der Christdemokrat auf eine Parteiveranstaltung des Bitterfelder Kreisverbands, der dringend nach einem Direktkandidaten suchte. Nachdem Auer forsch und redegewandt den staunenden Ost-Christdemokraten die soziale Marktwirtschaft erklärt hatte, wurde er vom Fleck weg für die Landtagswahl aufgestellt. In Bitterfeld fuhr der jungenhaft nett aussehende Altbundesbürger elf Tage nach der deutschen Wiedervereinigung 45,6 Prozent aller Wählerstimmen ein. Im Landesdurchschnitt Sachsen-Anhalt hatte die CDU rund 39 Prozent erreicht. Zum Direktmandat kam im Landtag der Fraktionsvorsitz. Auch hier stieß Auer durch flotte Sprüche zunächst auf Wohlgefallen bei seinen Kollegen, von den 48 CDU-Abgeordneten hatten 46 eine DDR-Biographie. Doch nachdem Auer wiederholt gegen die "Blockflöten" zu Felde gezogen war, wurde der vorlaute Vormann zum Störenfried bei der innerparteilichen Vergangenheitsbewältigung. Und als der christdemokratische Ministerpräsident Gerd Gies, nach Auers Lesart ebenfalls eine "Altlast", nach nur acht Monaten vom Amt zurücktrat, gelangte sein Fraktionschef in den Ruf des "Königsmörders". Auers Abstieg begann mit dem Aufstieg eines anderen ehrgeizigen "West-Imports": Werner Münch. Als der neue Regierungschef Münch im November 1991 zudem an die Spitze der Landes-CDU trat, verließ Auer Fraktionsvorsitz und Partei und machte damit Platz für den heutigen CDU-Bundesvize Christoph Bergner. Doch Auer meldete sich schnell zurück und verkündete vier Tage vor Weihnachten die Gründung der Freien Fraktion im Magdeburger Landtag. Seine Gefolgschaft: drei frustrierte Hinterbänkler aus der CDU plus ein zugereister SPD-Mann aus dem Westen. Die Fraktion der selbsternannten Rebellen "gegen die Etablierten" löste sich nach drei Wochen jedoch wieder auf. Stehaufmännchen Auer suchte eine neue politische Heimat und fand sie bei der Deutsch-Sozialen Union (DSU), die sich gern als ostdeutsche kleine CSU-Schwester sah. CSU-Generalsekretär Erwin Huber lobte das "Enfant terrible" sehr zum Ärger der Landes-CDU öffentlich. Doch die im Mai 1992 gegründete DSU-Landtagsfraktion, der auch ein ehemaliger PDS-Mann angehörte, entzweite sich nach nur einem Jahr hoffnungslos mit ihrem Chef. Nach dem Rücktritt vom Fraktionssitz wurde Auer zur wohlgelittenen Unperson im Parlament, ohne Chance auf Wiedereinzug 1994. Ein letztes Mal gelangte Auer nach ganz oben, als er auf dem höchsten Harzgipfel, dem Brocken, im Sommer 1993 die Mitteldeutsche Partei gründete. Das Echo war Hohngelächter. Dem politischen Debakel droht jetzt das juristische zu folgen. Durch zwielichtige Beraterverträge sollen laut Auer und der ehemalige Geschäftsführer der DSU-Fraktion, Peitzmeier, laut Anklageschrift "im gewollten Zusammenwirken (. . .) Gelder der Fraktion zu ihrem eigenen Vorteil veruntreut" haben. Der Schaden wird auf 190 000 Mark veranschlagt. Weitere Fälle von Zweckentfremdung hatte bereits der Landesrechnungshof festgestellt: Möbel für Auers Wohnung im Harzstädtchen Ilsenburg, 600 Flaschen Sekt, Reisen und Benzinrechnungen für Privatfahrten sollen aus der Fraktionskasse bezahlt worden sein. Unter dem Vorwurf der Beihilfe steht Auers ostdeutsche Ehefrau mit vor Gericht. Die frühere Mitarbeiterin in der CDU-Fraktion und ihr Glücksritter hatten sich im Landtag kennengelernt.
Die Welt 3. 12. 1997
Bearbeitenhttps://www.welt.de/print-welt/article644946/Die-unglaubliche-Dreistigkeit-des-Scheins.html :
DIE WELT
Die unglaubliche Dreistigkeit des Scheins
Veröffentlicht am 03.12.1997 | Lesedauer: 6 Minuten
Urteil gegen Ex-Fraktionschef der Deutschen Sozialen Union (DSU) wird morgen erwartet
Magdeburg - Beim Verlesen des 59. der 69 Anklagepunkte kann Richter Gerhard Koeneke ein feines Lächeln nicht unterdrücken. Für 2365 Mark hatte der Angeklagte Joachim Auer sich und seiner Gattin Trachtenkleidung gekauft - und sie der Landtagsfraktion in Rechnung gestellt. Als Magdeburger Fraktionschef der Deutschen Sozialen Union (DSU), so versucht Auer eine Rechtfertigung, habe er politische Nähe zur bayrischen Schwesterpartei CSU demonstrieren wollen. Er räumt aber ein: "Aus heutiger Sicht ist das natürlich Schwachsinn." Zu einem Schmunzeln fühlten sich die Mitglieder der Wirtschaftsstrafkammer beim Magdeburger Landgericht im Prozeß gegen den ehemaligen Landesparlamentarier Auer öfter herausgefordert - trotzdem ließen sie keinen Moment Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Falls aufkommen. Der heute 44jährige Auer und sein früherer Fraktionsgeschäftsführer Norbert Peitzmeier stehen seit November wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von Fraktionsgeldern vor Gericht - gemeinsam, doch gegeneinander: Bei dem Versuch, sich die Anstiftung einander in die Schuhe zu schieben, wurden aus Duzfreunden erbitterte Feinde. Morgen ergeht das Urteil; das Verfahren gegen Auers ostdeutsche Ehefrau Ute - der Beihilfe angeklagt - wurde Anfang der Woche eingestellt. Die 36jährige Fotografenmeisterin verpflichtete sich zu einer Schadenersatzzahlung in Höhe von 10 000 Mark. Aus heutiger Sicht sei er sich des Unrechts bewußt, gab Auer am zweiten Verhandlungstag unvermutet zu. "Aus heutiger nur?" fragte der Richter nach. Auer, einlenkend: "Mir war damals schon mein Unrecht bewußt." Die Beweislast ist zu erdrückend. Sogar Auers Verteidiger Eckhart Hild, einer der Anwälte des Baulöwen Jürgen Schneider, muß in seinem Plädoyer einräumen: "An Untreue besteht nicht der geringste Zweifel." Von "erheblicher Dreistigkeit" der beiden Angeklagten spricht Oberstaatsanwalt Wolfram Klein. Für ihn gilt es als erwiesen, daß sich der heute vom Einkommen seiner Frau lebende Joachim Auer mit Hilfe Peitzmeiers zwischen Mai 1992 und Mai 1993 großzügig aus der Fraktionskasse bedient hat. "Da geht es um Geld des Steuerzahlers", gibt der Staatsanwalt zu verstehen. Von 69 Anklagepunkten beschränkte sich das Gericht am Ende auf 15. Zum Beispiel auf diesen: Statt den Dienstwagen zu benutzen, jettete DSU-Star Auer mal eben nach München zu einem "kurzfristigen Termin bei Stoiber". Auch der Flug für die Ehefrau wurde aus der Fraktionskasse bezahlt. Die rund 10 000 Mark teuren Schlafzimmermöbel des frisch verheirateten Paars wurden ebenso aus dieser Kasse bezahlt wie ein mehrere tausend Mark teures Taschenensemble. Ute Auer stellte der Fraktion ihres Ehemanns eine Fotochronik in Rechnung - fertigte sie allerdings nie an. Bei kleineren Fotoarbeiten für die DSU habe sie "sicherlich die Rechnungen überzogen", gibt sie zu; davon habe ihr Ehemann aber nichts gewußt. Die bislang unbescholtene Frau, die ihren Mann 1990 als Pressereferentin der CDU-Fraktion kennenlernte, würde ihm gern aus der Patsche helfen. Doch Auer fällt ihr ritterlich ins Wort: "Ich will nicht, daß meine Frau mich aus der Schußlinie nimmt." Insgesamt addiert Oberstaatsanwalt Klein aus den einzelnen Unregelmäßigkeiten einen Gesamtschaden für das Land von 117 152 Mark. Bei Prozeßbeginn ging es noch um 190 000 Mark, aber viele "Kleinigkeiten" verhandelte das Gericht nach dem Geständnis der Auers nicht weiter, weil sie für das Strafmaß unerheblich sind. Zum Beispiel die 600 im Auerschen Keller "zwischengelagerten" Sektflaschen mit DSU-Aufkleber. Auer dazu: "Ich trinke gar keinen Sekt." Den schwersten Mißbrauch sieht Oberstaatsanwalt Klein darin, daß durch einen von den Angeklagten verabredeten Scheinvertrag ein Jahr lang Monat für Monat 5000 Mark Beraterhonorar an Ute Auer durchgereicht wurde. Eine Gegenleistung wurde nicht erbracht. Das Geld erhielt Ute Auer nicht direkt von der DSU-Fraktion, sondern als vorgebliche Angestellte des Peitzmeierschen Steuerberatungsunternehmens. Peitzmeier wiederum stellte der Fraktion den Betrag als Honorar für seine Firma in Rechnung. Diese "Größenordnung" solcher Honorare sei doch üblich, meinen die Angeklagten während des Prozesses. Der Oberstaatsanwalt stellt besorgt fest, daß in deutschen Parlamenten bei Beraterverträgen "offenbar unkontrolliert sehr großzügig mit Steuergeld umgegangen" werde. Fünf Jahre liegen die Ereignisse zurück, die nun vor Gericht verhandelt wurden - es war eine Zeit, in der Joachim Auer als politischer Hasardeur für Schlagzeilen sorgte. Der gebürtige Heidelberger wollte nach dem Fall der Mauer im Osten neue Claims für seine Finanzdienstleistungsfirma abstecken. Eher zufällig geriet der Christdemokrat auf eine CDU-Veranstaltung in Bitterfeld und fand sich nach einer markigen Rede über die soziale Marktwirtschaft als Direktkandidat für die Landtagswahl wieder. Am 14. Oktober 1990 holte der "Wessi" das Direktmandat. Auer heute: "Damals hätte man eine Vogelscheuche im Wahlkreis aufstellen und CDU draufschreiben können, die wäre auch gewählt worden." Der junge Mann vom Typ "Netter Junge von nebenan" schaffte es sofort zum CDU-Fraktionschef im Magdeburger Landtag. "Ich habe an vorderster Front das Land Sachsen-Anhalt mit aufgebaut", sagt er im Gerichtssaal pathetisch. Sein Stern sank mit dem Aufstieg des nicht minder ehrgeizigen Niedersachsen Werner Münch, der als Nachfolger von Gerd Gies im Sommer 1991 Ministerpräsident und im darauffolgenden Herbst CDU-Landesvorsitzender wurde. "Da wurde für mich die Luft dünn in dieser Partei", erklärt Auer dem Richter. Als der inzwischen aus der Politik ausgestiegene Angeklagte seinen Rücktritt vom Fraktionssitz im November 1991 schildert, klingt das Mitleid heischend. Um nach seinem Austritt aus der CDU nicht für den langen Rest der Legislaturperiode auf einer Hinterbank im Parlament schweigen zu müssen, schmiedete der umtriebige Auer mit anderen Enttäuschten erst eine "Freie Fraktion" mit drei Wochen Lebensdauer, danach die DSU-Fraktion - "wegen meiner Liebe zu Franz Josef Strauß". Als er aus jener besseren Zeit über seine Einladungen "beim ganzen CSU-Vorstand" berichtet, fragt Richter Koeneke, auf die Trachtenkostüme anspielend: "Und was hatten Sie da an?" Von der CSU ist Auer heute maßlos enttäuscht, weil sie nicht den erhofften Schulterschluß mit der kleinen DSU vollzogen habe. Bevor diese aber in die Bedeutungslosigkeit versank, war es mit Auers Politkarriere bei den Deutschen Sozialen schon vorbei. Er verließ die Fraktion im Krach, nachdem seine Selbstbedienung aufgeflogen war: Eine Mitarbeiterin hatte kein Gehalt überwiesen bekommen, durch Nachfrage bei der Hausbank offenbarte sich ein dickes Minus auf dem Fraktionskonto. Beim Kassensturz fand sich "ein Pappkarton voll unsortierter Quittungen", wie die Hauptzeugin Bärbel Ballhorn vor Gericht erzählt. Auers ehemalige Stellvertreterin stellte ihn zur Rede, wurde aber "unwirsch" abgetan: "Er sagte, das stehe ihm alles zu. Als Ossis wüßten wir doch gar nicht, welche Macht und Möglichkeiten ein Fraktionschef hat." Daraufhin brachte Bärbel Ballhorn, heute 56 Jahre alt und Hausfrau, die Sache zunächst vor den Landesrechnungshof - und zeigte dann ihren Chef an. Bis dahin hatten sich allerdings Auers vier DSU-Kollegen wenig Gedanken gemacht, was aus monatlich 68 000 Mark Fraktionszuschuß eigentlich wurde. Den Angeklagten sei es "sehr leichtgemacht" worden, plädiert Oberstaatsanwalt Klein und befürchtet, ähnlichem Verhalten werde durch zu geringe Kontrollen "Tür und Tor geöffnet". Die Staatsanwaltschaft hat für beide Angeklagte eine zweijährige Freiheitsstrafe auf Bewährung beantragt. Peitzmeier soll zudem 50 000 Mark Schadenswiedergutmachung leisten, Auer 500 Stunden gemeinnützige Arbeit.
https://www.welt.de/print-welt/article644946/Die-unglaubliche-Dreistigkeit-des-Scheins.html
MZ 19.1.2001
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PARTEIEN
Parteien: Schwarzes Schaf will wieder in die Herde
Von Harald Kreibich
19.01.2001, 18:21
Magdeburg/MZ. - An manchen Tagen neigt Joachim Auer gern zur Untertreibung. "Es gibt doch nun wirklich Wichtigeres als den Umstand, dass ich wieder das CDU-Parteibuch haben will", versucht er sich als unbedeutenden Durchschnittsbürger darzustellen. Wer dem wortgewandten Mann eine Weile zuhört, könnte meinen, dass er zwar seit Jahren schon in Sachsen-Anhalt lebt, aber hier nie eine Rolle gespielt hat. Dieser Eindruck freilich ist falsch.<$7>, denn Auer steht wie nur wenige Personen für die Wirren und politischen Querelen der Anfangsjahre. <$7>Eigentlich hatte alles ganz verheißungsvoll begonnen. Kurz nach der Wende kommt der gelernte Verwaltungsbeamte nach Bitterfeld. Er engagiert sich in der CDU und startet eine Blitzkarriere. Bei der Landtagswahl 1990 gewinnt Auer als Spitzenkandidat seiner Partei fast die Hälfte aller abgegebenen Stimmen. Im Parlament setzt sich der Aufstieg fort. Die Mitglieder der CDU-Fraktion wählen ihn zum Vorsitzenden.
Mit dem Durchmarsch in die erste Reihe des Parlaments allerdings kommt die Karriere des gebürtigen Heidelbergers ins Stocken. Sein Verhältnis zu Werner Münch, der 1991 nach dem Sturz von Gerd Gies den Thron des Ministerpräsidenten besteigt, gilt als wenig freundschaftlich. Als Münch im Dezember auch noch den Landesvorsitz übernimmt, kommt es zum offenen Bruch. Auf dem Parteitag erklärt Auer den Delegierten, dass er sein Amt als Fraktionschef niederlegt. Kurz darauf verlässt er die Fraktion und die Partei. "Das ist natürlich ein großer Fehler gewesen", gesteht der heute 47-Jährige ein. Inzwischen wisse er natürlich, "dass man die Volksparteien stark machen muss und nicht die Randgruppen." Und als ob er ein Klischee bedienen müsste, fügt er in reumütig klingendem Unterton hinzu: "Ich war damals halt ein junger Wessi." Programmatisch allerdings, will Auer vermerkt wissen, habe er sich der Union stets verbunden gefühlt.
Viele seiner früheren Parteifreunde sehen das noch immer anders, denn nach seinem Bruch mit der CDU übt sich Auer keineswegs in politischer Enthaltsamkeit. Mit anderen Abtrünnigen zusammen gründet er im Landtag die "Freie Fraktion" und wird deren Vorsitzender. Von Abzockerei ist die Rede, denn die neue Truppe bekommt die gleichen finanziellen Zuschüsse wie eine "normale" Fraktion. Als die "Freie Fraktion" nach wenigen Wochen zerfällt, ist es wieder Auer, der die Bildung einer neuen Fraktion vorantreibt. Diesmal firmieren er und seine Mitstreiter als "Deutsche Soziale Union" (DSU). Das "in erster Linie materiell orientierte Zweckbündnis", wie es ein Abgeordneter nennt, der die Wirren damals miterlebt hat, hält bis 1993.
Die Nachwirkungen indes reichen bis 1997. Das Magdeburger Landgericht verurteilt den früheren Frontmann der DSU-Landtagsriege zu 15 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass er Fraktionsgelder für private Zwecke ausgegeben hat (siehe Hintergrund). Laut Staatsanwaltschaft beläuft sich der entstandene Schaden auf rund 110000 Mark.
Der CDU-Kreisvorstand Wernigerode, der über das Aufnahmegesuch von Auer entscheiden muss, tut sich schwer. Schon 1996 hatte sich Auer wieder um ein Parteibuch beworben. Der Antrag wurde abgelehnt, sein drittes Aufnahmegesuch schmort seit fast einem Jahr. "Es gibt eine breite Front der Ablehnung", nennt CDU-Kreischef Rainer Schomburg den Grund, "immerhin ist Herr Auer schon zweimal in die Partei ein- und wieder ausgetreten." Da sei es verständlich, dass man mehr über die Motivation erfahren wolle. "Mitte Februar werden wir noch einmal ein Gespräch darüber mit ihm führen", verrät Schomburg.
https://www.mz.de/mitteldeutschland/parteien-schwarzes-schaf-will-wieder-in-die-herde-2966474
Berliner Zeitung 2. Februar 1994
Bearbeitenhttps://www.berliner-zeitung.de/namen-und-nachrichten-li.20654
Die Gründung der "Fraktion unabhängiger Abgeordneter" im Magdeburger Landtag hat bei den etablierten Parteien Sorge und Kritik ausgelöst. "Solche Fraktionen werden nicht aus programmatischen Gründen, sondern aus Entäuschung und Versagen gebildet", sagte CDUFraktionschef Jürgen Scharf. Es Ist bereits die vierte neue Fraktion des Landtags, dl. sich innerhalb dieser Legislaturperiode gegründet hat. Zur Fraktionsvorsitzenden wurde Bärbel Ballhorn bestimmt, die früher schon für die SPD- und DSU-Fraktion aktiv war.
https://www.berliner-zeitung.de/namen-und-nachrichten-li.20654
taz 7. Januar 1992
Bearbeitenhttps://taz.de/Stramm-rechts-Joachim-Auer-geht-zur-DSU/!1688095/ :
EBERHARD LÖBLICH
taz. die tageszeitung
vom 7. 1. 1992
Inland
S. 2
Stramm rechts: Joachim Auer geht zur DSU
Magdeburg (taz) — Die Deutsch- Soziale Union (DSU), ungeliebte Schwester der CSU in den neuen Ländern, ist seit gestern erstmals in einem ostdeutschen Landesparlament vertreten. Joachim Auer, der im November im Unfrieden aus seiner Partei ausgetretene ehemalige CDU-Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, trat gestern in die konservative Splittergruppe ein.
Sehr zur Freude des DSU-Landesvorsitzenden Rainer Münch, der mit Sachsen-Anhalts Regierungschef Werner Münch (CDU) aber weder verwandt noch verschwägert ist. Mit Auer als Zugpferd erhofft sich DSU-Münch ein besseres Abschneiden seiner Partei bei den Landtagswahlen 1994. Bei den zurückliegenden Wahlen zum Landesparlament kam die DSU in Sachsen-Anhalt auf immerhin 3,8 Prozent der Stimmen. Bis zum nächsten Urnengang will Auer weiterhin Vorsitzender der Dissidentengruppe Freie Fraktion bleiben.
„Ich will auch 1994 wieder in den Landtag einziehen, und dafür brauche ich einfach eine Partei, mit der das zu schaffen ist“, begründet Auer seinen Schritt. Und da er im Grunde seines Herzens in wesentlichen politischen Fragen ein knallharter Konservativer ist, lag die DSU nahe. Sowohl bei der Kritik an der überall viel zu laschen Sicherheitspolitik, als auch bei der Forderung nach Abänderung des Asylrechts im Grundgesetz fanden Auer und die DSU wesentliche Übereinstimmungen.
„Auch als CDU-Fraktionsvorsitzender habe ich schon immer Kontakte und Gespräche zur CSU und der Hans-Seidel-Stiftung gehabt“, erklärt Auer. Und einige Leute in München, so gibt er zu, haben auch schon seit Tagen von dem geplanten Parteieintritt gewußt. Eine bei den nächsten Wahlen in den Landtag einziehende DSU sieht Auer höchstens bei den Wahlen selbst als Konkurrent zur CDU. Danach könnte sie eher Mehrheitsbeschaffer für die Christdemokraten werden. „Die Liberalen sind ja, wie sie beim Polizeigesetz bewiesen haben, nicht immer ein zuverlässiger Koalitionspartner.“
EBERHARD LÖBLICH
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