Projekt:Politik der Wende/Glossar/Wilhelm Knabe

Knabe beim Landesparteirat der Grünen in Mülheim (2014)

Wilhelm Erich Knabe (* 8. Oktober 1923 in Arnsdorf, Amtshauptmannschaft Bautzen; † 30. Januar 2021 in Mülheim an der Ruhr) war ein deutscher Forstwissenschaftler und Politiker. Er war Mitbegründer der Partei Die Grünen und von November 1982 bis Dezember 1984 einer der drei Bundessprecher, zudem erster Sprecher (Landesvorsitzender) der Landespartei in Nordrhein-Westfalen. Von 1987 bis 1990 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Als Forstwissenschaftler trat Knabe vor allem in der Waldschadensforschung hervor.

Jugend- und Kriegsjahre

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Wilhelm Knabe war das siebte von neun Kindern. Bereits in seiner Kinder- und Jugendzeit hielt er sich gern im Wald auf und entwickelte seine Liebe zur Natur. Als er 16 Jahre alt war, verlor er seinen Vater, Erich Knabe. Dieser war Leiter einer Anstalt mit schwer Erziehbaren und Epileptikern, hatte sich in der Zeit des Nationalsozialismus gegen den Abtransport der Kranken gewehrt und starb zwei Tage nach einem Verhör durch die SS.[1] Wilhelm Knabe besuchte in Leipzig eine Volksschule und die Nikolaischule. Sein Abitur legte er 1942 an der Fürstenschule Meißen ab. Danach absolvierte er seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe. Aus Krieg und Gefangenschaft kehrte Knabe 1945 als überzeugter Pazifist zurück.[1] Aufgrund seiner christlichen Überzeugung trat er im Frühjahr 1946 in die Christlich-Demokratische Union Deutschlands ein.

Forststudium und wissenschaftliche Karriere

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Er studierte von 1946 bis 1950 Forstwirtschaften an der Forstlichen Fakultät der Technischen Hochschule Dresden in Tharandt. In diesen Jahren engagierte er sich in der Evangelischen Studentengemeinde und in der von Forststudenten gegründeten Arbeitsgemeinschaft „Wald und Volk“, die vor allem bei Lehrern das Verständnis für den Wald fördern wollte.[1] Sein Forststudium schloss Knabe als Diplom-Forstwirt ab. Aus ideologischen Gründen erhielten die Mitglieder seines Abschlussjahrgangs ihr Zeugnis erst, nachdem sie sich verpflichtet hatten, die Forstfacharbeiterprüfung nachzuholen.[1]

Anschließend arbeitete Wilhelm Knabe von 1951 bis 1959 als Wissenschaftlicher Assistent von Georg Pniower am Institut für Gartenkunst und Landschaftsgestaltung der Humboldt-Universität zu Berlin.[2] Von diesem erhielt er den Auftrag für seine Dissertation ein Verfahren zur Begrünung der sterilen "Mondlandschaften" des Braunkohlenbergbaus zu entwickeln. Hierbei knüpfte er an die Vorarbeiten von Rudolf Heuson aus den 1920er-Jahren an.[3] Bereits 1952 fasste er in einem ausführlichen Beitrag alle bisherigen Forschungsergebnisse zusammen und gab Anleitung zur bestmöglichen Wiedernutzbarmachung.[4] 1957 wurde er an der Landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät in den Fächern Landespflege, Bodenkunde und Agrargeographie zum Dr. agr. promoviert. Seine Dissertation trug den Titel Untersuchungen über die Voraussetzungen der Rekultivierung von Kippen im Braunkohlebergbau, die 1959 unter dem Titel Zur Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau. Allgemeine Darstellung des Problems der Wiederurbarmachung und spezielle Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenbergbau veröffentlicht wurde. Hierin beschrieb er erst das "Schwarzkollmer Verfahren und später das "kombinierte Domsdorfer Meliorationsverfahren", die erste industriell anwendbare Methode um die sterilen Kippen wieder nutzbar zu machen.

Auf politischen Druck durch die SED-Machthaber sollte er als Reserveoffizier zur Nationalen Volksarmee gehen, was Knabe jedoch ablehnte. Auch ging er zu keiner Wahl, was ihn ebenfalls suspekt machte.[1] Schließlich entschied sich der junge Familienvater, mit seinen Angehörigen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland zu fliehen. Dort begann Wilhelm Knabe 1959 als Geschäftsführer des Deutschen Pappelvereins und Lignikultur in Bonn und Düsseldorf einen beruflichen Neuanfang, wurde jedoch 1961 von Professor Johannes Weck an das Institut für Weltforstwirtschaft der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) in Reinbek berufen. Dort befasste er sich weltweit mit Fragen der Rekultivierung von Industrieödland und setzte seine Karriere als internationaler Experte für Rekultivierung im Steinkohlenbergbau von Ohio in den Vereinigten Staaten fort, wobei er seine Erfahrungen aus der DDR einbrachte.[5] Auch in England, Frankreich, Schottland und Wales forschte er zu Bergbaufolgen.[6] 1968 übertrug er seine ostdeutschen Forschungsergebnisse auch auf die bergbaubedingten Umweltprobleme seiner neuen westdeutschen Heimat, in dem er 1968 das erste wissenschaftliche Buch zur Haldenbegrünung im Ruhrgebiet publizierte.[7]

Anschließend kehrte Knabe nach Deutschland zurück. Zum Thema Luftreinhaltung suchte die Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz in Essen einen Forstmann, und so war er bei dieser Einrichtung von 1966 bis 1976 als Oberregierungsrat und Regierungsdirektor tätig. 1976 wechselte der Umweltforscher als Regierungsdirektor an die Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung (LÖLF) in Düsseldorf und Recklinghausen, wo er bis 1987 blieb. In dieser Zeit beschäftigte sich Knabe vor allem mit der Waldschadensforschung und war an der immissionsökologischen Waldzustandserfassung in Nordrhein-Westfalen (IWE 1979) beteiligt. Unter dem Schlagwort „Waldsterben“ wurde die Problematik ab Anfang der 1980er Jahre dann auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert.

Wilhelm Knabe hatte in den Jahren 1963 bis 1987 verschiedene Lehraufträge an Universitäten in Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Saarbrücken, Wien und Dortmund. Seit 1991 gab er Blockvorlesungen zum Thema Ökologie an der Technischen Universität Dresden. Weiter beschäftigte er sich mit dem zeitgeschichtlichen Forschungsprojekt „DDR und Grüne“, veranstaltete Umweltseminare, war Vorsitzender der Mülheimer Kreisgruppe der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Mitarbeiter der Gaia Society, Oxford, und Fördermitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, deren Archiv „Grünes Gedächtnis“ er auch einen Teil seines wissenschaftlichen und politischen Nachlasses überließ.[8][9]

Wilhelm Knabe war verheiratet und Vater von vier Kindern. Einer seiner Söhne ist der Historiker Hubertus Knabe.

Politischer Werdegang

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Wilhelm Knabe war von 1946 bis 1959 Mitglied der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) in der DDR und von 1959 bis 1966 der CDU in der Bundesrepublik Deutschland. Als Anfang und Mitte der 1970er Jahre die ersten Bürgerinitiativen aufkamen, die sich für eine Verbesserung der Umwelt einsetzten, schrieb Knabe 1976 die etablierten Parteien CDU, SPD und FDP an mit dem Tenor: „Wir haben in Essen eine aktive Umweltgruppe. Wir wollen etwas tun und wir können Sie in diesen Fragen beraten.“[1] Auf seine Briefe bekam er zwar höfliche Antworten, aber keine der Parteien zeigte Interesse.

 
Wilhelm Knabe (zweiter von rechts neben Otto Schily) bei einer Pressekonferenz zur Bundestagswahl 1983

Daraufhin gehörte der eher Konservative 1978 zu den Mitbegründern der kurzlebigen Grünen Liste Umweltschutz (GLU) und war später deren Sprecher. In den Jahren 1979/1980 gründete er die Partei Die Grünen sowohl auf kommunaler als auch auf Landes- und Bundesebene mit und war von 1982 bis 1984 Sprecher der Bundespartei. Zunehmend geriet er mit seiner politischen Betätigung und der Verpflichtung als Landesbeamter in Konflikte. Dies ging so weit, dass seine Abteilung bei der LÖLF, die sich seit 15 Jahren mit der Waldschadensforschung auseinandergesetzt hatte, 1982/83 bei der durch die „Waldsterben“-Debatte veranlassten Personalerhöhung der LÖLF in diesem Bereich leer ausging. Laut Knabe „begründete“ der damalige LÖLF-Präsident Albert Schmidt dies später ihm gegenüber mit dem Satz „Ich kann ja nicht zulassen, dass Sie jeden Tag im Fernsehen erscheinen“.[1]

Über die Landesliste in Nordrhein-Westfalen gewählt war Knabe von 1987 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort gehörte er dem Innerdeutschen Ausschuss an und hatte wieder mit der DDR zu tun. Dabei suchte er auch intensiv den Kontakt zu Umweltgruppen oder Friedensgruppen. Er schmuggelte eine Druckmaschine zur Umwelt-Bibliothek im Bezirk Prenzlauer Berg, der Zentrale der Umweltgruppen in der DDR.[1] Über einen Spitzel in der Gruppe erfuhr die Staatssicherheit der DDR von der Aktion. In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1987 startete das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die „Aktion Falle“, in der die Bibliothek durchsucht wurde und mehrere Mitarbeiter verhaftet wurden.[10] Im Zuge dieser Razzia beschlagnahmte die Staatssicherheit Geräte, wobei auch die Druckmaschine als Stein des Anstoßes konfisziert wurde und nie wieder auftauchte.

Während seiner Zeit als Mitglied des 11. Deutschen Bundestags gehörte Knabe auch der Enquête-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ an. Später war er von 1994 bis 1999 zweiter Bürgermeister in Mülheim an der Ruhr. Er war Mitglied der Vereinigung ehemaliger Abgeordneter des Bundestages und Europaparlaments sowie der Grünen-Seniorenorganisation „Grüne Alte“. Seit Mai 2011 war er Mitglied des Länderrats der grünen Bundespartei als Delegierter des Landesverbands Nordrhein-Westfalen[11].

Nach dem Tod von Hanns Theis am 22. Dezember 2020 war Knabe der älteste lebende ehemalige Bundestagsabgeordnete. Am 30. Januar 2021 starb er mit 97 Jahren infolge einer COVID-19-Infektion.[12]

Schriften

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  • Wiederurbarmachung des Kippengeländes, in: Kirst, Ernst: Braunkohlenbergbau. Anleitung für Planung und Betrieb, Berlin 1952, S. 60–112.
  • Untersuchungen über die Voraussetzungen der Rekultivierung von Kippen im Braunkohlenbergbau Dissertation. Berlin 1957.
  • Zur Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau. Allgemeine Darstellung des Problems der Wiederurbarmachung und spezielle Untersuchungen im Lausitzer Braunkohlenbergbau. Berlin 1959.
  • als Mitverfasser: Haldenbegrünung im Ruhrgebiet. Nr. 22 der Schriftenreihe Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk. Essen 1968.
  • Immissionsökologische Waldzustandserfassung in Nordrhein-Westfalen (IWE 1979). Fichten und Flechten als Zeiger der Waldgefährdung durch Luftverunreinigungen. Heft 37 der Reihe Forschung und Beratung. Reihe C, Wissenschaftliche Berichte und Diskussionsbeiträge. Münster 1983.
  • mit Gerd Cousen et al.: Regionale Verteilung einiger Nähr- und Schadstoffgehalte in Fichtennadeln. Schätzungen anhand von Analysen dreijähriger Nadeln aus der bundesweiten „Immissionsökologischen Waldzustandserfassung 1983“. Heft 360 der Schriftenreihe des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Reihe A, Angewandte Wissenschaft. Münster-Hiltrup 1988, ISBN 3-7843-0360-9.
  • Erinnerungen – Ein deutsch-deutsches Leben. Mülheim an der Ruhr 2019, ISBN 978-3-9813807-3-6.[13]

Auszeichnungen

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Wilhelm Knabe war Ehrenvorsitzender des Kreisverbands Bündnis 90/Die Grünen Mülheim an der Ruhr.[8]

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  Commons: Politik der Wende/Glossar/Wilhelm Knabe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h Ein Dunkelgrüner – Wilhelm Knabe, Pionier der Öko-Partei (Memento vom 2. Dezember 2013 im Internet Archive), WDR 5-Hörfunksendung vom 5. Oktober 2003 (Transkript); abgerufen am 18. Juli 2009
  2. Biografie (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) im „Grünen Archiv“ der Heinrich-Böll-Stiftung
  3. Wilhelm Knabe: Wiederurbarmachung des Kippengeländes. In: Ernst Kirst (Hrsg.): Braunkohlenbergbau. Anleitung für Planung und Betrieb. Berlin 1952, S. 60–112.
  4. Wilhelm Knabe: Wiederurbarmachung des Kippengeländes. In: Ernst Kirst (Hrsg.): Kirst, Ernst: Braunkohlenbergbau. Anleitung für Planung und Betrieb. Schriftenreihe des Verlages Technik, Nr. 26. Verlag Technik, Berlin 1952, S. 60–112.
  5. Wilhelm Knabe: Methods and Results of Stripmine Reclamation in Germany. In: Ohio Journal of Science. Nr. 64. Ohio 1964.
  6. Wilhelm Knabe: Erinnerungen ein deutsch-deutsches Leben. Originalausgabe, 1. Auflage. Mülheim an der Ruhr 2019, ISBN 978-3-9813807-3-6, S. 181 f.
  7. Wilhelm Knabe u. a.: Haldenbegrünung im Ruhrgebiet. Hrsg.: Siedlungsverband Ruhr. Essen 1968.
  8. a b Kurzporträt (Memento vom 5. Oktober 2015 im Internet Archive) beim Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen Mülheim an der Ruhr
  9. „Grünes Archiv“ (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) der Heinrich-Böll-Stiftung
  10. MfS-Aktion gegen die Umwelt-Bibliothek. In: Jugendopposition in der DDR. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft, Dezember 2019, abgerufen am 29. November 2020.
  11. Beschlüsse des NRW-Landesparteitags der Grünen im Mai 2011
  12. Thomas Emons: Nachruf auf Dr. Wilhelm Knabe: Ein deutsch-deutsches Leben ist in Mülheim zu Ende gegangen. In: lokalkompass.de. 30. Januar 2021, abgerufen am 30. Januar 2021.
  13. Erinnerungen. In: Lesejury. Abgerufen am 2. Januar 2020.
  14. Verdienstorden des Landes. (Nicht mehr online verfügbar.) Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, archiviert vom Original am 28. April 2016; abgerufen am 30. Januar 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.land.nrw

WDR 2003

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https://web.archive.org/web/20131202234719/http://www.gruene-mh.de/politik/wdr-knabe.htm :

Ein Dunkelgrüner – Wilhelm Knabe, Pionier der Öko-Partei Hörfunksendung „Erlebte Geschichten“ WDR 5

Sonntag, 5.10.2003, 7.20 – 7.45 Uhr und 19.05 – 19.30 Uhr

Vorspann Sprecher WDR 5

Er zählt zu den Pionieren der Umweltbewegung in Nordrhein-Westfalen, der Forstmeister und Mitbegründer der Grünen in diesem Bundesland, Wilhelm Knabe. In wenigen Tagen feiert er seinen 80. Geburtstag. Wilhelm Knabe, der in den 70er und 80er Jahren als Mitarbeiter der Landesanstalt für Ökologie in Recklinghausen vor allem während der Diskussion um das Waldsterben zu hören und zu sehen war, hat sich in den Jahren in der Bürgerbewegung engagiert. Damals als im Industrieland Nordrhein-Westfalen an vielen Stellen Stimmen laut wurden gegen Umweltzerstörung, Luft- und Gewässerverschmutzung, überzogenen Straßenbau sich zu wehren, war Wilhelm Knabe dabei. Obwohl eher aus dem konservativen Lager kommend, half er mit, die Grünen zu gründen. Für die Partei zog er auch in den Deutschen Bundestag ein als Mitglied der zweiten grünen Fraktion. Welche Geschichte der Dunkelgrüne, der Pionier der Ökopartei Wilhelm Knabe erlebt hat, hat er Ingo Zander erzählt.

Wilhelm Knabe:


Kindheit und Jugend im Dritten Reich

Ich war das siebente von neun Kindern, da gab es schon enge soziale Beziehungen untereinander. Es war so immer spannend, aber ich war insofern ein Sonderling, dass ich mich immer im Wald aufgehalten habe, lieber draußen als drinnen. Trotzdem war ich ein sehr guter Schüler, kam dann in die Fürstenschule in Meißen, wo es Stipendien gab und war dort im Internat, das einen humanistischen Stil hatte. Der trat mit den Nazis in arge Konkurrenz. Mein Versuch, ein guter Deutscher zu sein und gleichzeitig ein guter Christ, das schien nicht zusammen zu passen, das war schwierig.

Die Nazis haben auch schwer in meine Familie eingegriffen. Mein Vater war Leiter einer Anstalt mit schwer Erziehbaren und Epileptikern, ähnlich wie Pfarrer Bodelschwingh in Bethel. Als diese Menschen, die Epileptiker, abtransportiert werden sollten, hat er sich massiv dagegen gewehrt, obwohl er krank war. Er hat das nicht verwunden, dass er hier machtlos war. Er hat dem nicht zugestimmt, aber zwei Tage nach einem Verhör bei der SS, war er dann gestorben. Das war für mich sehr bitter, ich war erst 16 Jahre alt.

Vielleicht sollte ich den Druck der Nazis bei einer anderen Gelegenheit erwähnen. Zu uns in die Schule kamen SS-Werber. Wir sollten uns freiwillig zur SS melden, zur Waffen-SS, das wäre die Elitetruppe des Reiches. Ich fand die beste Ausrede, die mir einfiel. Ich wollte doch zur Luftwaffe und fragte dann naiv, ob denn die SS auch eine Luftwaffe hätte. „Nein, die haben wir noch nicht aber die kriegen wir auch noch.“ Darauf sagte ich: „Dann gehe ich lieber zur richtigen Luftwaffe.“

Im Krieg

Dann kamen drei Jahre Krieg. Zum Glück mußte ich keinen Menschen töten und auch keine Bomben abwerfen. Am 13. Februar 1945 hatte ich meinen letzten Flug nach Dresden, genau an dem Tag, als der Angriff war. Es war deprimierend mit der kleinen Schulmaschine über das brennende Dresden zu fliegen und auf dem Flugplatz zu landen. Als ich nach der Landung versuchte, mit den Fahrrad mein Elternhaus in Moritzburg zu erreichen, da meine Mutter und meine Geschwister ja noch lebten, wurde ich von der SS aufgegriffen als vermutlicher Fallschirmjägeragent oder Deserteur. Beides wäre fast tödlich gewesen. Aber zum Glück kam ich da raus und konnte das Ende des Krieges noch als Fallschirmjäger erleben.

Forststudium und erste Umweltinitiative in Sachsen

Nach der Gefangenschaft bin ich zurück in die sächsische Heimat, nach Moritzburg bei Dresden. Hier war es unser Wunsch, etwas anderes aufzubauen, eine Gesellschaft ohne Führerprinzip, ohne diesen strikten Gehorsam, sondern wir wollten etwas gestalten und mitbestimmen. So entwickelten sich demokratische Strukturen. Ich ging im Frühjahr 1946 in die CDU dank meiner christlichen Erziehung. Mir schwebte Politik aus christlicher Verantwortung vor. Zum Glück bekam ich die Zulassung zum Hochschulstudium in Tharandt bei Dresden und habe dort Forstwirtschaft studiert, vier Jahre lang. Aber mindestens genauso wichtig wie das Fachstudium war unsere ehrenamtliche Zeit in der Evangelischen Studentengemeinde und in der Arbeitsgemeinschaft “Wald und Volk“. Wir haben da als Studenten eine Gruppe gebildet und sind zu Lehrerversammlungen hingefahren. Wir haben die Schulräte aufgesucht und gesagt, wir möchten ihnen etwas über die Bedeutung des Waldes erzählen und ob es nicht möglich wäre, vor den Lehrern zu sprechen, damit mehr Interesse für den Wald und seinen Schutz schon in die Kinder eingepflanzt wird. Diese Aktivität war ja Umweltschutz in Verbindung mit Erziehung und mit, ja Propaganda möchte ich es nicht nennen, Einführung in die ökologischen Zusammenhänge. Das ist, soviel ich weiß, nicht bekannt, daß solche Aktivitäten 1949 in der DDR bestanden haben. Wir wurden sehr ermutigt. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald schrieb uns einen freundlichen Brief aus Westdeutschland und Professor C. A. Schenk, der berühmte Dendrologe und US-Forstwissenschaftler schickte mir begeisterte Briefe und sprach von einer grünen weltumspannenden Union. Schon damals hatte ich solche Gedanken als junger Mensch aufgenommen. Die Freie Deutsche Jugend sah uns allerdings als Konkurrenz, als nicht genehmigte Aktivität. So etwas durfte nicht sein. So verbot man allen FDJ-Mitgliedern, bei uns mitzumachen, was die Zahl einschränkte. Nachdem unser Studienjahrgang 1950 die Hochschule verließ, brach diese Arbeitsgemeinschaft dann zusammen. Aber bezeichnend für die Indoktrination, die massive Ablehnung solchen selbständigen Handelns schon in der jungen DDR war die Verweigerung, uns die Zeugnisse auszuhändigen. Wir hatten unser Diplom bestanden, unsere Zeugnisse wurden uns verkündet, vorgelesen für jeden einzelnen Studenten, dann sagte der Dekan „Ich kann Ihnen Ihre Zeugnisse leider nicht aushändigen, denn Sie haben die praktische Lehrzeit noch nicht absolviert.“ Wir sollten gehindert werden, in einen Forstbetrieb einzusteigen und möglicherweise den Genossen der späteren Studienjahrgänge gute Stellen wegzuschnappen.

Wir haben uns das nicht gefallen lassen. Wir sind mit einer Gruppe nach Berlin gefahren in das Büro des Zentralforstmeisters und sind dort nicht rausgegangen, bis wir den Herrn selbst sprechen konnten, ähnlich hartnäckig wie die Bauarbeiter am 17. Juni 1953 aber mit besserem Ergebnis. Wir erreichten die Anweisung, dass wir die Zeugnisse bekommen sollten, aber wir mußten uns verpflichten, hinterher unsere Forstfacharbeiterprüfung nachzuholen. Die nachfolgenden Studienjahrgänge waren schon stark nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt, so dass dort unter den Studenten viele Genossen waren. Die sollten optimale Aufstiegschancen haben. Wenn wir vor ihnen fertig geworden wären und vor ihnen wichtige Schaltstellen besetzt hätten, waren wir eine sehr unerwünschte Konkurrenz. Man muß weiter sagen, dass kein einziger unseres Semesters einen Forstbetrieb leiten durfte. Der einzige, dem das gelang, verlor diesen Posten in dem Augenblick, in dem seine Schwiegermutter in den Westen ging. Das war nicht möglich.

Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau

Die Kleinstadt Tharandt war mir zu eng. Ich wollte mehr erleben und bin 1951 nach Berlin an die Humboldt-Universität gegangen. Professor Georg Pniower, ein hervorragender Autodidakt, suchte einen Forstmann für sein Institut Gartenkunst und Landschaftsgestaltung. Da wollte ich mitmachen. Nach dem Studium verschiedener Möglichkeiten entschloß ich mich, meine Dissertation über die Wiederurbarmachung im Braunkohlenbergbau zu schreiben. Das war eine tolle Sache, Neuland, wissenschaftliches Neuland. Es gab nichts darüber, nur ganz vereinzelte Arbeiten. Dort konnte man etwas bewegen als Pionier. Man muß sich vorstellen, ein junger Assistent, der 1952 mit 2.000 Mark Forschungsgeldern im Jahr anfing erhielt sieben Jahre später vom Bergbau selbst 200.000 Mark zur Rekultivierung kulturfeindlicher Böden ohne jeden Pflanzenwuchs zur Verfügung. Das war für einen Hochschulassistenten schon eine ganze Menge. Ich bin glücklich, dass heute wieder wunderbare Waldbestände wachsen, wo wir diese feindlichen Schichten mit Braunkohlenasche wieder in Kultur gebracht haben.

Der politische Druck

Aber das Problem war natürlich die allgemeine Lage in der DDR. Man wollte mit zwingen, als Reserveoffizier zur Nationalen Volksarmee zu gehen. Das habe ich glatt abgelehnt. Die Kindererziehung war schwierig. Der Älteste kam in die Schule und mein Bleiben an der Uni war nicht zu erwarten, denn ich ging zu keiner Wahl. Walter Ulbricht kandidierte in meinem Wohnbezirk Berlin-Pankow für die Volkskammer. Auf dem Wahlzettel stand dann:“ Ich bin für die Erhaltung des Friedens und wähle den Kandidaten des Volkes Walter Ulbricht.“

Das konnte ich nicht, daß wollte ich nicht und so ging ich nie zur Wahl.

Wir hatten schon drei Kinder, das 4. war unterwegs. Da haben wir uns dann 1959 entschlossen, nach dem Westen zu gehen, denn ich habe die Drohung Chrustschows ernst genommen: „Die Berlinfrage muß in einem halben Jahr gelöst werden.“ Das halbe Jahr war im Mai 1959 zu Ende. Ich fürchtete eine Besetzung Westberlins, mit der Mauer hatten wir nicht gerechnet. Das wollte ich nicht abwarten.

Neuanfang im Westen

Im Westen war es schwer. Als ich mich mit 8jähriger Berufserfahrung beim Ernährungsministerium in Nordrhein-Westfalen meldete und den Personalreferenten fragte, wie es mit der Ausbildung, d. h. der Referendarzeit aussehe, meinte er: „Herr Knabe, angerechnet wird nichts von ihrer Zeit in der DDR. Bezahlung bekommen Sie keine und bilden Sie sich bloß nicht ein, daß wir Sie einstellen, wenn sie fertig sind.“ Das war deutlich genug. Null Verständnis für einen Flüchtling.

Zum Glück fand ich Anstellung im Institut für Weltforstwirtschaft in Hamburg. Dort war ein begeisternder Professor, Johannes Weck, der in der Welt herumgekommen war und der uns etwas davon vermittelte.

[Einschub: Hans-Jürgen von Maydell - Forstwissenschaftler. Er war Direktor und Professor am Institut für Weltforstwirtschaft der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) in Hamburg - vgl. Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft - Vorläufer der Bundesanstalt war das 1930 in Tharandt bei Dresden von dem Forstwissenschaftler Franz Heske gegründete Institut für ausländische und koloniale Forstwirtschaft. Auf Weisung des Reichsforstmeisters Hermann Göring wurde das Institut 1939 mit der Universität Hamburg verbunden und nach Reinbek in das dortige Schloss Reinbek verlegt. In den 1950er-Jahren fand – immer noch unter der Leitung Heskes – die Umwandlung in die Bundesforschungsanstalt statt.]

Wir sind entsprechend auch herausgefahren. Diese weltweite Sicht der Forstwirtschaft, der Wälder und was man zu ihrer Erhaltung und Nutzung tun muß oder kann, das war prägend. Ich bin dann in Amerika gewesen, habe versucht, die Rekultivierung im Steinkohlenbergbau zu unterstützen. Die Umweltlobby hatte mich eingeladen. So gab es heftige Konflikte mit Bergbaubossen, aber auch großes Interesse von amerikanischen Wissenschaftlern und Behörden. Einer der führenden Leute, der das Buch „Benchmark papers on energy“ geschrieben hat, eine ganze Serie über Energiefragen, hat meinen damaligen Beitrag in seine Sammlung aufgenommen als einzigen über Rekultivierung mit dem Hinweis, wir hätten in Deutschland einiges getan, was für die Amerikaner wichtig sei. Das waren Erfahrungen aus der DDR und aus dem Rheinland, weil ich aus Westdeutschland natürlich auch schon die Erfahrungen aus dem Rheinland mitbrachte.

Vom Immissionsschutz zur Bürgerinitiative

Nachdem ich mich weltweit mit Fragen der Rekultivierung von Industrieödland befaßt hatte, ging es nach Deutschland zurück, und zwar zum Thema Luftreinhaltung. In Essen wurde in der Landesanstalt für Immissionsschutz ein Forstmann gebraucht. So fing ich dort an und blieb zehn Jahre, um die Einflüsse der Luftverunreinigungen auf Wälder zu untersuchen. In diese Periode fiel die Zeit der Bürgerinitiativen und der Versuche von Bürgern, ihre Umwelt freundlicher zu gestalten. Es gab keine Partei, die da hätte mitziehen wollen. Ich habe damals geschrieben an Herrn Biedenkopf von der CDU, an die SPD, an Herrn Eppler, an die FDP, also an alle Parteien geschrieben. „Wir haben in Essen eine aktive Umweltgruppe. Wir wollen etwas tun und wir können sie in diesen Fragen beraten.“ Ich bekam höfliche Antworten zurück, aber nicht die Spur von Interesse. Das war im Jahr 1976.

1978 beim Kongreß in Troisdorf, wo über Verkehrsfragen und Umwelt gesprochen wurde, kamen ganz verschiedene Leute zusammen. So gab es in Essen die Aktion gegen Umweltzerstörung! Viele kannten sich von den Bürgerinitiativen her, die gegen die Autobahn A 31 gekämpft hatten. So gab es ein gewisses Netzwerk von politisch interessierten Leuten. Als dann der zündende Funke kam, man müßte eine neue Partei gründen, habe ich gehorcht wo, wo, wo? Als ich die Meldung bekam in Düsseldorf, in den Bahnhofsgaststätten, bin ich hingefahren, war einfach da und war mit bei den Gründern dabei. Das waren vielleicht 15, 16 Leute damals. Das war die Grüne Liste Umweltschutz (GLU). Die hat dann ein Jahr existiert und ist später in den Grünen aufgegangen.

Die Gründung der Grünen in NRW

Die Gründung der Grünen in Nordrhein-Westfalen war von anderem Kaliber als die der GLU. Das war die große Halle in Hersel bei Bonn. Von allen Initiativen, von allen grünen Gruppierungen, die es gab, kamen die Menschen zusammen und wollten zusammen etwas anreißen. Es gab ja Rechte und Linke und so gab es unterschiedliche Ansichten, was diese Partei machen sollte. In dem Augenblick, als ein Teil der Leute herausziehen wollte und sagten, da machen wir nicht mit, das ist uns zu weit links, bin ich zum Mikrofon, ich war als Sprecher der GLU mit oben auf dem Podium und holte einen Zollstock heraus, hielt den quer vor mich hin: „Hier, das ist die Links-Rechts-Elle, damit wird jeder gemessen, bist Du links, bist Du rechts oder bist Du in der Mitte?“ Dann habe ich den Zollstock umgedreht und hoch gehalten und gesagt: „Das ist unser Maßstab, der ökologische Maßstab, oben ist ökologisch und unten ist unökologisch. Danach wollen wir uns richten. Wenn wir das tun, dann können auch Rechte und Linke zusammenarbeiten.“ Das überzeugte. Es zog niemand aus. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen sind dadurch eine sehr breit gemischte Partei geworden mit einer breiten Basis, was immer wieder zu Schwierigkeiten führte, denn links/rechts war eben leider nicht vergessen und wurde nicht überwunden, sondern nur zurückgestellt hinter den vier Säulen „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“.

Die Grüne Liste Umweltschutz war ja keine Konkurrenz für eine der vorhandenen Parteien. Aber als sich 1979 die ersten Wahlerfolge einstellten, als wir in der Europawahl 3 % erhielten und die Grünen bei den Kommunalwahlen im Trassengebiet der Autobahn in einzelnen Stimmbezirken teilweise 10 % erreichten, wurden diese hellwach. Da wurde Druck ausgeübt. Man konnte mir mein Umweltengagement nicht absprechen, ganz offiziell wollte man ja auch die Umwelt schützen, aber man machte mir das Leben sehr schwer. Da gab es Schwierigkeiten und auch innere Konflikte als Landesbeamter. Ich habe versucht, dem Land bestmöglich zu dienen, indem ich für den Umweltschutz eintrat, aber das war politisch manchmal nicht so genehm. Schon Jahre vorher hatte mich der Präsident der Landesanstalt für Immissionsschutz in Essen aufgefordert, aus der Bürgerinitiative gegen die A 31 auszutreten. Das würde der Neutralität der Institution schaden. Da habe ich geantwortet: „Das ist mein Recht als Bürger, das lasse ich mir nicht nehmen.“

Mobbing gegen Grüne

In der Landesanstalt für Ökologie gab es später bürokratische Behinderungen. Ich wurde 1982 zum Sprecher der grünen Bundespartei gewählt, als einer der drei gleichberechtigten Sprecher. Da gab es natürlich Verpflichtungen, aber es wurde kein Sonderurlaub dafür gewährt, es gab normalen Erholungsurlaub, eine Woche zusätzlich für gesellschaftliche Tätigkeit, wie es andere auch bekamen und nicht mehr. Eine Pressekonferenz in Bonn hieß dann für mich langes Nacharbeiten oder Vorarbeiten, um so etwas durchführen zu können. Das fand ich ungerecht, denn in vielen Institutionen saßen Leute nur auf Ämtern, um Parteiarbeit zu machen. Eine Freistellung wäre vielleicht möglich gewesen, nur die Grünen hatten kein Geld. Ich bekam ganze 100 Mark Telefonauslagen im Monat und sonst nichts, keine Entschädigungen irgend einer Art. Also konnte ich nicht aus dem Beruf aussteigen, und außerdem war mir die Waldschadensforschung wirklich sehr wichtig.

Hart hat mich eine Entscheidung getroffen, als die Waldschäden ausbrachen. Das war 1982/83, da wurden Geld und neue Stellen bewilligt. Doch man gab das Personal einer anderen Abteilung, der Abteilung 5, die eigentlich für Wasser zuständig war und mein Aufgabenbereich „Belastung von Ökosystemen“, der seit 15 Jahren in diesem Feld gearbeitet hatte, ging leer aus. Der Präsident erklärte mir später „Ich kann ja nicht zulassen, daß Sie jeden Tag im Fernsehen erscheinen“. Das war Präsident Albert Schmidt der Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung. Im kleinen Dienstweg konnte man trotzdem viel gemeinsam machen, aber es war eine aktive Behinderung, eine Bestrafung für grüne Aktivitäten.

Als Grüner im Deutschen Bundestag und Freunde in Ostberlin Interessant war die Zeit im Deutschen Bundestag. Ich wurde 1987 als Abgeordneter gewählt und habe dort versucht, in den Umweltausschuß zu kommen. Als das anfangs nicht klappte, kam ich in den Innerdeutschen Ausschuß und habe mich deshalb intensiv um die DDR gekümmert und die unabhängigen Gruppen, wobei unsere Politik immer so war. Wir wollten durchaus Gespräche mit Regierungsstellen aber unbedingt auch mit den vorhandenen Umweltgruppen oder Friedensgruppen, die vom Staat nicht nur ungern gesehen, sondern auch verfolgt wurden. Diese Leute wurden zum Teil eingesperrt. Denen zu helfen, das war mir ein echtes Anliegen. Als Bundestagsabgeordneter mit Diplomatenstatus konnte man ohne Kontrolle des Autos in den Osten einreisen. Einmal hatte ich von Roland Jahn, einem guten Freund und ehemaligen DDR-Flüchtling, eine Druckmaschine bekommen, die zur Umweltbibliothek sollte. Die Umweltbibliothek war im Bezirk Prenzlauer Berg, in der Griebenowstraße und war die Zentrale der Umweltgruppen in der DDR. Sie versuchte eine Vernetzung nicht als befehlsgebende Zentrale, sondern als Vernetzungszentrale, daß die Gruppen sich dort Material abholen konnten und eigenes Material hinbringen konnten, damit ein Austausch innerhalb der DDR geschehen konnte. Insofern war die Unterstützung dieser Gruppe ganz besonders wichtig. Ich hoffte, die Druckmaschine auf offiziellem Wege über das Diakonische Werk hinbringen zu können und hatte mit denen schon telefoniert. Aber die Zeit war wie üblich knapp und ich hatte ja Termine, ich wollte ja um 11.00 Uhr in der Umweltbibliothek sein. Also habe ich mich ins Auto gesetzt und bin mit der Druckmaschine im Kofferraum herübergefahren. Der Kontrolleur an der Grenze fragte: „Was haben Sie da drin?“ Ich antwortete: „Ja, Bücher und ...“ „Darf ich das mal sehen?“ „Ich glaube nicht, dass das zu den diplomatischen Gepflogenheiten gehört, fragen Sie mal Ihren Vorgesetzen.“ Er kam dann zurück und ließ mich zähneknirschend fahren. In der Umweltbibliothek bin ich dann in den Hof hineingefahren und haben wir mit Wolfgang Rüddenklau die Maschine ausgeladen und dann konnte gedruckt werden.

Die Besetzung der Umweltbibliothek im November 1987, der Sturm kirchlicher Räume und die Beschlagnahmung von Geräten war ausgelöst durch diese Druckmaschine, die ich herübergeschmuggelt hatte. Das hatte die Stasi durch ihren Spitzel in der Gruppe erfahren. Die sollten erwischt werden, wenn sie illegales Material drucken. Sie druckten aber ein kirchlich genehmigtes Papier, nämlich die Umweltblätter für den innerkirchlichen Dienstgebrauch. Trotzdem wurden sie verhaftet, die Maschine wurde konfisziert und tauchte nie wieder auf. Ich erfuhr das in Helsinki bei einer Umwelttagung der Ostseeanrainerstaaten und bin dort zum Podium hin und habe massiv dagegen demonstriert und gesagt: “So geht es das nicht! Es ist unmöglich, hier über Umwelt zu verhandeln und gleichzeitig werden in der DDR Leute verhaftet, die sich für die Umwelt einsetzen.“ Das wurde von anderen Deutschen leider nicht so unterstützt. Ich hätte mir ein paar Leute mehr gewünscht, die ins gleiche Horn gestoßen hätten.

Nachspann der Redaktion:

Ein Dunkelgrüner. In erlebte Geschichten erzählte heute Wilhelm Knabe, Forstmeister und Mitbegründer der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Wilhelm Knabe wird am Mittwoch 80 Jahre alt.

Aufgezeichnet von Ingo Zander, Redaktion Mark vom Hofe.

https://web.archive.org/web/20131202234719/http://www.gruene-mh.de/politik/wdr-knabe.htm

DLF 2021

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https://www.deutschlandfunk.de/gruenen-mitbegruender-wilhelm-knabe-das-ist-eine-notwehr-100.html

Grünen-Mitbegründer Wilhelm Knabe

„Das ist eine Notwehr des Planeten gegen Überlastung“ Wilhelm Knabe war Mitbegründer der Grünen. Als studierter Forstwirt erhob er seine Stimme für den Umwelt- und Klimaschutz. In diesem Dlf-Gespräch aus 2020 sagte Knabe, die Häufung der Umweltkatastrophen sei eine Notwehr des Planeten, die Pandemie eine Folge. Knabe starb am 30. Januar 2021 mit 97 Jahren. Das teilte seine Partei auf Twitter mit.

Wilhelm Knabe im Gespräch mit Moritz Küpper | 30.01.2021

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Wilhelm Knabe während der außerordentlichen Bundesversammlung der Grünen in Oldenburg 1987

Wilhelm Knabe, Mitbegründer der Grünen, beim Sonderparteitag von Bündnis 90/ Die Grünen im Jahr 2011. Knabe starb mit 97 Jahren. (imago / Joker) Er war einer der ersten Grünen Deutschlands – in Ost wie West: Wilhelm Knabe, 1923 geboren, wirkte als Ökologe erst in der frühen DDR und dann in Nordrhein-Westfalen. Er gehörte zu den Gründern der Grünen Partei, kämpfte als Bundestagsmitglied aber gleichermaßen für die ökologisch gesonnenen Bürgerrechtler in Ostberlin. Er war ein sehr früher Schwarzgrüner und schmiedete die erste Großstadt-Koalition aus CDU und Grünen: in Mülheim an der Ruhr.

Wilhelm Knabe wuchs in Moritzburg bei Dresden auf, als siebtes von neun Kindern in einem christlichen Haushalt. Sein Vater, evangelischer Theologe, war Leiter einer „Anstalt“ von Kindern, die als behindert oder schwer erziehbar galten. Er starb, kurz nachdem er versucht hatte, diese Kinder vor Adolf Hitlers Euthanasie-Programmen zu retten. Wilhelm war damals 16 Jahre alt. Nach dem Abitur ging er zur Luftwaffe. Die drei Jahre im Krieg überlebte er, ohne dass er Bomben abwerfen musste. Auf einem seiner letzten Flüge blickte er von oben auf das brennende Dresden.

Wilhelm Knabe trat der CDU bei

Direkt nach dem Krieg trat Wilhelm Knabe aus christlicher Überzeugung der CDU bei. Wald und Natur, das waren seine Themen. Als Student der Forstwirtschaft engagierte er sich dafür, das Bewusstsein über ökologische Zusammenhänge auch unter Jüngeren zu verbreiten; die SED sah die Aktivitäten der Studentengruppe evangelischer Naturliebhaber nicht gern. Knabes Schwerpunkt als Hochschulassistent an der Humboldt-Universität in Berlin wurde die Rekultivierung: Seine Forschung dazu, wie ehemalige Bergbaugebiete wieder zu Natur-Arealen umgestaltet werden könnten, wurde vom ostdeutschen Staat ernst genommen und gefördert – aber nicht umgesetzt.

Wilhelm Knabe während der außerordentlichen Bundesversammlung der Grünen in Oldenburg 1987 (imago / Joker)

1959 floh Knabe mit seiner Frau und den Kindern – das vierte war unterwegs – in den Westen, nach Nordrhein-Westfalen. „Im Westen war es schwer!“, erzählte er vor Jahren. Man habe dem Flüchtling „null Verständnis“ entgegengebracht, seine Qualifikationen geringgeschätzt. Bald jedoch bekam er eine Chance bei der Bundesanstalt für Forstwirtschaft, die ihn in die ganze Welt schickte, um über Rekultivierung von industriellem und Bergbau-Ödland zu sprechen – und zu forschen. Als Knabe ab Mitte der 70er Jahre die Parteien anschrieb, um sie auf die Bedrohung gerade auch der Wälder hinzuweisen, erntete er erneut „null Verständnis“. Umso größer war sein Interesse, als er hörte, dass Umweltschutz-Initiativen die Gründung einer eigenen, einer grünen Partei erwogen.

1982 wurde er Sprecher der Grünen

Knabe, inzwischen Beamter an der Landesanstalt für Ökologie, war dabei. 1982 wurde er Sprecher der noch jungen Grünen und zog 1987 für sie in den Bundestag ein. Nach der Grünen-Niederlage 1990 aus dem Bundestag ausgeschieden, machte Knabe Kommunalpolitik, wurde in den 90er-Jahren Bürgermeister von Mülheim an der Ruhr – und regierte mit der CDU. Im Streit, ob die Grünen mit der CDU zusammen glaubwürdig Politik machen könnten, zückte Knabe gern seinen Zollstock, hielt ihn waagerecht: So messe man Politik auf einer Rechts-Links-Achse.

Dann hielt er den Zollstock senkrecht: Das müsse das Maß einer grünen Partei sein, das ökologische Maß. Ob rechts oder links: Es gebe nur mehr oder weniger ökologische Politik. Mit Wilhelm Knabe – Corona-bedingt in seinem Garten mit ausreichend Abstand – sprach Moritz Küpper zuletzt im Juni 2020.

Coronavirus

Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Der Traum von der Natur, den Vögeln und vom Fliegen – Aufwachsen in Sachsen

Moritz Küpper: Herr Knabe, wir sitzen hier im Schatten oder im Schutz Ihres großen Mammutbaumes, den Sie 1967 gepflanzt haben vor Ihrem Haus, über zwölf Meter hoch ist er, und sprechen auf Ihrer Terrasse über Ihr bewegtes Leben. Sie haben den Zusammenbruch von zwei deutschen Staaten miterlebt, die Grünen mitbegründet, das erste schwarz-grüne Bündnis auf kommunaler Ebene hier in Mülheim an der Ruhr gestaltet. Heute unterstützen Sie, gehen mit bei Fridays for Future, doch begonnen hat alles in Arnsdorf, im Landkreis Bautzen, nahe Dresden. Dort sind Sie am 8. Oktober 1923, vor gut 97 Jahren, geboren. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diesen Ort, an diese Kindheit? Wilhelm Knabe: Die eigentliche Kindheit war in der Nähe von Leipzig, dort konnten wir über den Feldern und den grünen Flächen, die da großflächig vorhanden waren, die Tiere und besonders die Vögel beobachten. Ich habe dann also begeistert den Turmfalken zugeschaut, wenn die rüttelten und mit ihren Flügeln schlugen, die konnten an der Stelle stillstehen, und dann fuhren die wie ein Blitz herunter und fingen sich kurz vor dem Boden wieder ab und gingen wieder hoch.

Daran kann ich mich deutlich erinnern. Und noch an eine zweite Sache: Wenn ein Mäusebussard, der konnte Kreise ziehen, aber in die Nähe der Krähenbäume kam, da wurden die ganzen Krähen alarmiert und es kamen gleich mehrere auf den Mäusebussard zu. Und was machte der? Ich dachte, dieser Mäusebussard ist ja ein kräftiger und starker Vogel, der kann doch so eine Krähe packen – kein Stück, der sah, dass er wegkam. Und da habe ich gemerkt, dass also nicht nur die Stärke zählt, sondern eben auch der Zusammenhalt, dass dieser Krähenschwarm in der Lage war, einen Stärkeren zu verjagen.

Ein erwachsener Wanderfalke (Falco Peregrinus) fliegt am 16.05.2013 über der City von Leipzig (Sachsen)

Wilhelm Knabe hat in jungen Jahren begeistert Falken beobachtet (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)

Küpper: Die Faszination für die Natur hat Sie schon früh gepackt, hat am Ende auch Ihr Leben mitbestimmt, kann man, glaube ich, sagen. Woran lag das, dass Sie sich damals so dafür schon begeistert haben?

Knabe: Es gab einfach viel zu sehen. Ich bin in der Moritzburger Teichlandschaft nördlich von Dresden aufgewachsen, da gab es eine ganze Menge von Enten, Vögeln und Tauchern, Haubentaucher und Zwergentaucher und Rothalstaucher. Und dann gab es Enten, die Löffelente und die – und eine Fülle von verschiedenen Tieren, die heute fast alle nicht mehr vorhanden sind, weil die Teiche überdüngt sind und in diesen überdüngten Gewässern setzen sich die Allerweltsvögel durch. Und die raren, die an besondere Standorte angepassten Vögel sind nicht mehr da. Und einmal die Schönheit des Fliegens, ich bin ja nicht umsonst dann auch Flieger geworden, und dieses Fliegen hat mich nicht losgelassen. Ich habe mich während der Militärzeit von der Luftwaffeneinheit Flugplatzbewachung an der Kanalküste dann getrennt und habe mich wegbeworben zum fliegenden Personal. Und ich hatte wirklich Glück, dass ich dahin kam. „Die Kinder wurden weggeschafft … und zum Tode befördert“

Küpper: Das war eine spätere, prägende Zeit Ihres Lebens, der Zweite Weltkrieg.

Knabe: Das war 1945, ja.

Küpper: Vorher noch, Sie haben es gerade geschildert: Es klingt fast wie nach einer unbeschwerten Kindheit in der Natur. Sie waren das siebte von neun Kindern, wenn wir noch mal in der Kindheit sind. Ab wann trat die Politik sozusagen in Ihr Leben, diese größeren gesellschaftlichen Umbrüche, die ja dann da bevorstehen? Wir haben ja Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre dann in Deutschland, der Aufstieg der Nationalsozialisten parallel. Ab wann haben Sie das als junger Mensch realisiert?

Knabe: Das habe ich früh realisiert bei der Heilanstalt für behinderte Menschen. Die Kinder wurden weggeschafft mit Bussen zu einer anderen Klinik in Pirna, und in dieser Klinik Sonnenstein (**) wurden die Kinder dann einer nach dem anderen mit Giftspritze zum Tode befördert. Und man merkte, dass die Kinder, mit denen man vorher gespielt hatte, dass die dann nicht mehr da waren. 40 Jahre – Die Grünen feiern ihre Gründung

Die Grünen begannen als „Antipartei-Partei“ und als Zumutung für die etablierte Politik. Am Anfang ihrer Geschichte stand der Protest. Die Frage einer Regierungsbeteiligung war lange Zeit hoch umstritten.

Küpper: Ihr Vater war Direktor dieser Anstalt.

Knabe: Er war Direktor dieser Heilanstalt. Er ist damals nach Berlin gefahren, ohne angemeldet zu sein, um Adolf Hitler vorzuschlagen, doch eine humane Lösung für die Behinderten zu erreichen, aber er wurde nicht vorgelassen von seinem Chef des Hauses, und er fuhr dann enttäuscht und mit dem Wissen, dass die ihm anbetrauten Menschen umgebracht wurden.

Küpper: Und was geschah mit Ihrem Vater dann im Nachgang zu dieser Fahrt?

Knabe: Er fuhr zurück und hatte sich dabei erkältet, und zwei Tage später war er gestorben. Ich habe ihn nicht mehr sprechen können, sondern ich bekam nur einen Anruf, der Vater ist schwer krank, und ich sollte sofort nach Hause kommen, vom Internat in Meißen wurde ich dann dahingeschickt.

„Ich habe in Internaten grausamen Penalismus kennengelernt“

Küpper: Sie waren auf dem Internat in Meißen und haben dort 1942 Abitur gemacht.

Knabe: Ja, ich habe 1942 Abitur gemacht. Und ich kam 1936 erst hin, ich bin nicht freiwillig erst hingegangen, sondern ich war ja 1936 erst 13 Jahre. Wir wohnten in Moritzburg , und Moritzburg (**) – hätte ich als Fahrschüler immer mit dem Bus dann nach Dresden fahren müssen. Und das wollte meine Mutter nicht, hatte meine Mutter vermeiden wollen. Ich sah nicht so stabil aus, und ich habe selbst das Internat verlassen mit dem deutlichen Gefühl, dass keines meiner Kinder in ein Internat kommt, weil ich in den Schulen diesen grausamen Penalismus kennengelernt habe, also Mobbing, dass der Stärkere den Jüngeren und Schwächeren mobbt oder direkt körperlich angreift. Also bitte stellt euch vor, wenn ihr hier zuhört – ihr kennt doch diese Papierkörbe, diese rechteckigen Papierkörbe, die sich nach unten verjüngen, dann kam der Bulle von gegenüber, der ein paar Jahre älter als ich war und viel stärker, und packte mich und setze mich in diesen Papierkorb rein. Dann kamen noch zwei andere dazu, dann wurde ich hochgehoben, auf den Schrank gestellt, ich war mit dem Gesicht voran, ich konnte also nicht sehen, wohin ich falle. Und dann wurde gezogen, gezogen, gezogen, bis der rückwärts runterfiel. Und ich wusste nicht, ob die mich auffangen. Die haben mich aufgefangen, sonst lebte ich ja heute nicht, aber das so etwas möglich war! Keine Aufsicht, die das hätte unterbinden können. Und ich konnte mich nicht beschweren, das war gegen den Geist eines Internats, dass man alle diese Torturen überstehen muss. Und das habe ich als extrem schädlich angesehen.

Wolken ziehen am 11.09.2017 über die Elbe und die Altstadt von Meißen (Sachsen).

Wilhelm Knabe war im sächsischen Meißen im Internat – doch er hat keine guten Erinnerungen an die Zeit dort (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska) „Die lateinischen Gedichte haben verhindert, dass ich verblödet bin“ Küpper: Herr Knabe, 1942 haben Sie dann Abitur gemacht und sind dann eingezogen worden zur Luftwaffe. Welche prägenden Erinnerungen haben Sie an diese Kriegszeit?

Knabe: In der Kriegszeit waren die Möglichkeiten, etwas Sinnvolles zu tun, waren praktisch alle abgeschnitten. Die stumpfsinnigen Wachen, jede Nacht nur zwei Stunden Schlaf, zwei Stunden Wache, zwei Stunden Schlaf, zwei Stunden Wache. Aber, es gab die Möglichkeit, dass ich mir alle Gedichte, die ich mal gelernt hatte, mir aufsagen konnte. Und so kann ich heute noch, also Horaz, Latein hatte mir sehr gut gefallen. „Ode profano vulgus et arceo“, also ich hasse das gemeine Volk und halte sie von mir fern. Oder wenn er auch Liebesgedichte dort gemacht hat, „Tu ne quaesieris – scire nefas –, quem mihi“, also wo er seine Freundin davor warnt, sich auf Wahrsagerei einzulassen und auf den Glückswürfel. Aber die lateinischen Dichtungen, gerade von Horaz, die haben verhindert, dass ich verblödet bin in dieser Wach- und Schießgesellschaft. Knabe: Dann kommt der nächste Wald, und dann sagen die Kameraden: „Der Krieg ist verloren, seht zu, dass ihr irgendwie wegkommt.“

Der Soldat am Ende des Krieges: eine merkwürdige Begegnung mit einem Amerikaner, der noch berühmt wird

Küpper: Der 8. Mai 1945 hat sich in diesem Jahr zum 75. Mal gejährt. Wie haben Sie damals das Kriegsende erlebt?

Knabe: Ich war ja kurz vor Kriegsende an der Oderfront und die sollten wir verteidigen, als die Russen aber nördlich und südlich von unserem Bereich eingedrungen waren, begann dort eine Flucht. Und als Gefechtsvorposten waren wir eingesetzt und sollten zurückmelden, wenn der Russe vorwärtskam und am Ende angreifen würde. Und dann kam jemand und rief uns zu, ‚komm, ihr könnt zurück, die sind alle schon abgehauen‘.

Prof. Dr. Michael Stürmer, Historiker und Journalist bei der Buchvorstellung: Manfred Lütz und Paulus van Husen: Als der Wagen nicht kam - Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand

Kriegsende in Deutschland – „Es war Befreiung und Zerstörung“

Das Kriegsende 1945 sei in Deutschland ein sehr ambivalenter Tag gewesen, sagte der Historiker Michael Stürmer im Deutschlandfunk. Er sei nämlich zugleich „Befreiung und Zerstörung“ gewesen.

Und das war also der Zusammenbruch der Wehrmacht als Kampfeinheit. Und dann kamen einige deutsche Panzer von der Division Hermann Göring und da haben wir Anhalter gespielt. Und die Panzer haben also gewartet, uns aufsteigen lassen, weil die ganz froh waren, noch ein paar Infanteristen dabeizuhaben als Abwehr von Bodenkämpfern. Dann begann der Rückzug und dann unterwegs Richtung Westen, das war irgendwie am 2. Mai, wir kamen auf der Straße entlang, dort war aber eine SS-Sperre von der Waffen-SS, und alle Soldaten, die da zurückkamen, wurden dort neu einrangiert in die neue Verteidigungseinheit, die dann jetzt aktiv werden wollte.

Dann war ein Leutnant von der Luftwaffe, der sagte, Luftwaffe zuhören, Luftwaffe kämpft nicht unter SS. Und dann meldete er sich bei diesem SS-Offizier ab, wir gehen Richtung Front zu unserer Einheit, wir können hier nicht bleiben. Und dann sind wir weg und dann kam der nächste Wald, und dann sagt er, Kameraden, der Krieg ist verloren, seht zu, dass ihr irgendwie wegkommt. Und da konnte dann jeder gehen, wohin er wollte. Dann kamen wir in das Dorf, da standen dann Trupps von Soldaten da. Da stellte sich heraus, das sind Amerikaner. Und wir wollten dran vorbeigehen und so tun, als wären wir schon registriert oder sonst wie, aber nichts dergleichen, sondern wir wurden als Militärgefangene genommen.

„Da war ein Bild von ihm und da stand drin: Henry Kissinger“

Küpper: Sie waren damals 23 Jahre alt bei Kriegsende und kamen dann mit den Alliierten in Kontakt. Ein junger US-amerikanischer Soldat hat Sie dann damals verhört.

Knabe: Ja, ich konnte meine Angaben machen, zu welcher Einheit ich gehörte, und die hatten eine Übersicht über die Einheiten, die eingesetzt waren gegen sie. Und die Amerikaner hatten offensichtlich neueste Informationen über die Bergen-Belsen, dass die keinerlei Mitleid mit uns Soldaten hatten. Und wir mussten dann auf den Knien im Lastwagen sitzen und am Anfang sogar noch die Arme hoch, hinter dem Kopf verschränken, aber dann wurden wir in ein Verhörzimmer reingeholt, dort hat dann dieser amerikanische Soldat, ich schätze mal, dass er Feldwebelrang hatte, der sollte uns befragen.

Und mit dem konnte man ganz normal reden. Und ich hatte ihn gefragt, woher er so gut deutsch kann, er sagte, ja, ich bin 1934 aus der Nähe von Nürnberg ausgewandert in die USA. Und so wurde er zur amerikanischen Armee eingezogen und war eben auf der anderen Seite. Und dann ging es weiter, was ich dann gelernt habe noch, er hatte uns informiert, wo wollen Sie denn hin? Und ich sage, ich wollte nach Sachsen, da sagt er, Sachsen, da kommt doch der Russe. Nein, in Leipzig sind noch keine Russen. Da sagt er, das wurde in Jalta alles so verabredet, dass ganz Thüringen und Sachsen dem Russen zugeschlagen wird. Und so ist es ja auch gelaufen. Davon hatten wir auch nichts gehört.

Küpper: Jahre später haben Sie diesen jungen Mann wiedergesehen.

Knabe: Ja, ich hatte in der Zeitung gesehen erst mal, da war ein Bild von ihm und da stand drin: Henry Kissinger. Der war damals dann Außenminister vom US-Präsidenten. Und er kam einmal nach Essen, um einen Vortrag zu halten dort, und ich war natürlich begierig, das zu erleben, ich wusste ja jetzt, wer das jetzt war. Ich habe darum gebeten, ob wir uns sprechen könnten, aber er hatte natürlich andere Sachen zu tun, als sich um Soldaten da zu kümmern. Aber ich habe mich noch kurz bei ihm bedanken können, dass er uns den guten Ratschlag gegeben hätte, es hätte so

Henry Kissinger – Doch ein Idealist?

Henry A. Kissinger gilt als Paradebeispiel eines Realpolitikers ohne Skrupel. Dem will Niall Fergusons mit einer Biografie „Kissinger. Der Idealist“ entgegen treten – genau das ist aber die Schwäche des Buches, der Versuch wirkt sehr bemüht.

Knabe: Das müssen Sie nehmen, das hat Zukunft, das wird gebraucht. Ein studierter Forstwirt entdeckt sein Thema: aus zerstörten Landschaften wieder Natur machen – Rekultivierung

Küpper: Herr Knabe, der Krieg ist vorbei, sie kehren zurück in die Heimat und nehmen dann 1946 ein Studium auf, Forstwirtschaft. Das war Ihr Wunsch. Knabe: Das war mein Wunsch, denn ich hatte mich eben immer in der Natur draußen rumgetrieben und meine anderen Geschwister waren nicht so interessiert an Tieren und Vögeln, und ich konnte eben stundenlang am Teich liegen und beobachten, was alles hier … Schellenten oder so, die da oben im Baum nistet, wer weiß denn das schon.

Küpper: War das damals einfach möglich zu studieren? Und Forstwirtschaft, ist das damals eher ein exotisches Fach gewesen?

Knabe: Es waren 100 Bewerber und es gab 25 Plätze im Studium. Ich hatte halt Glück, dass ich die besten Abi-Noten wohl hatte und dadurch … Jedenfalls wurde ich zugelassen zum Studium. Ich hatte zwei Pluspunkte, einmal gute Zensuren, das andere war, dass ich vorher schon gesellschaftlich tätig gewesen war. Ich hatte inzwischen als Neulehrer oder Leihlehrer, um die Wartezeit auf den Studienplatz, dass ich die Zeit sinnvoll genutzt habe. Das hat mir viel genutzt.

Küpper: Sie haben dann das Studium abgeschlossen Anfang der 50er-Jahre als Diplom-Forstwirt, aber das Zeugnis erst bekommen, als Sie sich verpflichtet haben, die Forstfacharbeiterprüfung abzulegen. Waren das schon so Auswirkungen politischer Natur, ideologischer Natur?

Knabe: Das waren politische…die nach uns folgenden Studenten, die überwiegend dann schon der SED oder der FDJ angehörten, die hatten Sorge, dass wir Ihnen vielleicht die guten Stellen wegschnappen könnten. Und dann wurde vom Land aus dann eine Sperrfrist eingelegt: Ihr müsst erst alle auf diese Forstarbeiterschule.

„Das Thema der Rekultivierung hat Zukunft“

Küpper: Sie sind dann nach Berlin gegangen, haben dort Ihre erste Stelle sozusagen angetreten und parallel auch Ihre Dissertation begonnen über Rekultivierung von Braunkohletagebauen, ein bis heute hochaktuelles Thema. Wie sind Sie damals auf dieses Thema, auf diese Fragestellung gestoßen? Knabe: Professor Pniower – ein aus Ungarn stammender Wissenschaftler, und ich habe ihm drei Themen vorgeschlagen: Einmal die Robinie, eine amerikanische Baumart, dann der Einfluss des Waldes auf die landwirtschaftlichen Erträge, ob das jetzt eine Steigerung der Erträge bewirkt, weil die Windgeschwindigkeit reduziert wird, also bei Mischung aus Wald und Ackerland, und das dritte Thema war das Thema der Rekultivierung. Und dann hat er gesagt: Das Thema von der Rekultivierung, das hat Zukunft, das wird gebraucht. Und er hatte da völlig recht und hat mich in die richtige Spur gesetzt. Als junger Mann: Man brennt dafür, was zu tun. Und ich habe also modernste Vorfahren der Versuchstechnik, wie die Engländer sie gerade eingeführt hatten, mit Fehlerrechnung, mit Kontrollen, … und das zu vergleichen, ob das auch wirklich eine Leistungssteigerung ist oder nicht.

Dann: Welche Bäume wachsen da am Besten, was sollte man denn anbauen? Dann habe ich eben dann das benutzt. Aber noch vor den ganzen einzelnen Nutzungen der fertigen Kippen war eine Zeit, wo ich die Folgen des Bergbaus untersucht habe, was man heute unter Öko-Audit vielleicht versteht, nämlich, dass jeder einzelne Schritt eines Prozesses überprüft wird: Welchen Einfluss hat es auf die spätere Landnutzung? Ich hatte rausgefunden, dass Giftstoffe in dem aus der Tiefe geholten Abraum das Pflanzenwachstum behindern oder ganz verhindern. Also jeder einzelne Schritt wird auf seine Wirkung für die spätere Landnutzung untersucht. Und das war das Thema der Dissertation. Und das war neu, das hatte noch niemand gemacht, und das hat mir viel genutzt später. Ich bin dann in den USA gewesen, habe dort in den östlichen Staaten vier Monate gearbeitet und habe dort eben gesehen, wie die Rekultivierung machen.

Knabe: Dagegen sprach die Verformung der Kinder, dieses Zwiedenken, was denen beigebracht wurde, dass sie als zu Hause anders reden müssen oder dürfen als in der Schule.

Fachliche Anerkennung ersetzt keine Anerkennung als freier Bürger – Flucht in den Westen, Ökologie kommt mit

Küpper: Es war damals die Nachkriegszeit in der Besatzungszone.

Knabe: Das war die Nachkriegszeit.

Küpper: Wie groß war das Interesse angesichts ja vieler Sorgen, Nöte, Aufbauarbeiten an einem solchen Thema, Rekultivierung? Knabe: Ja, das war was Neues. Die Idee war: Mit dem Abbauplan für die Kohle sollte ein Aufbauplan für die Landschaft hinkommen.

Küpper: Hand in Hand gehen.

Knabe: Hand in Hand gehen und dass man das vorausplant: Wie kann man das am besten machen? Und das waren auch staatliche Leistungen. Das war ein Durchbruch. Das gab es vorher nicht.

Küpper: Hatten Sie das Gefühl, dass damals auf Sie gehört wurde, auf die Wissenschaft gehört wurde von der politischen Führung?

Knabe: Ja. Also in der DDR wurde meine Empfehlung, was zu machen ist, damit solche kulturfeindlichen Flächen nicht entstehen, das wurde in das Gesetz oder Verordnungsblatt aufgenommen. Und in den späteren Jahren ist das wieder alles rückgängig gemacht worden, da hat man wieder nur Produktion, Produktion, Produktion, also Kohleförderung, weil die Russen kein billiges Öl und Gas mehr lieferten. Und die DDR war zu klamm mit Devisen, die konnte kein Öl kaufen und haben das denen überlassen, und die Betriebe hatten zwar angesetzt, was sie beachten sollten, aber das konnten sie nicht.

Die Flucht aus der DDR „wurde generalstabsmäßig vorbereitet“

Küpper : Parallel zu dieser beruflichen Tätigkeit ist bei Ihnen, Sie haben eine Familie gegründet, aber auch der Gedanke gewachsen, zu fliehen, weil Sie immer wieder mit dem System aneinandergeraten sind.

Knabe: Ja. Ich war ja als Fachmann anerkannt in der DDR und ich hätte da gut unter diesem Gesichtspunkt sicher bleiben können, aber dagegen sprach die Verformung der Kinder, dieses Zwiedenken, was denen beigebracht wurde, dass sie also zu Hause anders reden müssen oder dürfen als in der Schule, dass sie eine innere Zensur schon sich einbauen, dass sie nicht was ausplaudern, und dass die Söhne des Pfarrers in Würzburg, dass die unterrichtet wurden, und die Schulleiterin gab den Lehrern den Auftrag, die müssen alle eine Note schlechter bekommen, als der Leistung entsprochen hätte, weil man verhindern wollte, dass Akademiker aus vielleicht kritischen Kreisen in die Hierarchie einrücken.

Die Familie Strelzyk mit einem Heißluftballon 1979, mit dem sie eine Flucht aus der DDR unternommen hatte. (16.09.79)

Flucht aus der DDR vor 40 Jahren – Mit dem Heißluftballon in den Westen Im September 1979 wagten zwei Familien aus Thüringen eine spektakuläre Flucht aus der DDR – mit Erfolg. Mit ihrem selbstgebauten Heißluftballon ließen sie sich vom Wind über die Grenze hinweg in den Westen tragen.

Küpper: Wie verlief Ihre Flucht damals? Sie waren eine Familie mit drei Kindern.

Knabe: Ja. Wir haben das generalstabsmäßig vorbereitet, meine Frau und ich. Es galt, dass man die Wertsachen versucht, nach Westberlin rüberzubringen, und zwar überwiegend mit dem Kinderwagen meiner Frau, dass sie dann von Ostberlin aus mit dem Kinderwagen über die Grenze rübergingen, und die hatte vorher aber Verschiedenes untergestopft. Unter dem Kinderbettchen waren eben dann Bücher oder was einem wichtig war, und dann von Westberlin aus geschickt mit einem Paket zu Verwandten nach Nordrhein-Westfalen.

Also, wir haben mit Unterstützung der Familie Wäsche und andere Sachen mitnehmen können. Wir hatten kein Westgeld: Silbergeschirr, was ich bekommen hatte zur Taufe, das mussten wir dann zum Altmetall-Laden mitbringen, aber man bekam nur das reine Geld, den Wert des Silbers bezahlt, nicht also die Kunstfertigkeit dieses Gedecks. Da hat er sicher sehr viel dran verdient. Und dann hatte ich vorbereitet durch Kontakte über Westberlin, eine Stelle zu bekommen als Geschäftsführer des Deutschen Pappelvereins Nordrhein-Westfalen. Knabe: Also in der Zeit, als die grüne Partei verkündete, alle reden über Deutschland, wir reden vom Wetter – das war ja eine Verhöhnung der Wünsche der Leute, die im Osten waren, die sich gerne ein anderes Deutschland vorgestellt hatten.

Das Versagen der Grünen zur deutsch-deutschen Wende

Küpper: Sie schlagen Wurzeln in Nordrhein-Westfalen, verüben verschiedenste Positionen hier in diesem Bundesland, vor allem mit dem Thema Ökologie, das Thema Luftreinhalte. Wenn wir einen kleinen Sprung machen: 1991, nach der Wiedervereinigung, bekommen Sie unter anderem einen Lehrauftrag an der Technischen Universität in Dresden, kehren sozusagen in die Heimat noch mal, in die alte Heimat zurück, obwohl Sie immer den Kontakt, wie Sie es gerade geschildert haben, gehalten haben. Wie war das damals, zurückzukehren in die Heimat?

Knabe: Das war ein sehr gutes Gefühl. Ich war ja in Bezug auf Deutschlandpolitik ein Fremdling bei den Grünen. Die waren überwiegend westdeutsch geprägt, hatten ein Gesamtdeutschland nie erlebt. Insofern: Bei den Linken war das eine große Zurückhaltung gegenüber jeder gesamtdeutschen Zukunft.

Küpper: Haben Sie persönlich den Glauben, die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung je aufgegeben?

Knabe: Also ich habe nach dem Grundsatz gehandelt: Immer daran denken, nie davon sprechen. Also in der Zeit, als die grüne Partei verkündete, „alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“ – das war ja eine Verhöhnung der Wünsche der Leute, die im Osten waren, die sich gerne ein anderes Deutschland vorgestellt hatten.

Küpper: Das war der Wahlkampfslogan in der Wendezeit.

Knabe: In der Wendezeit, ja. Und das war eine törichte Fehlentwicklung, die heute zugegeben wird. Nur mich hat es damals den Bundestagssitz gekostet. Dann habe ich eben in dieser Ersatzzeit die Vorlesungen in Dresden gehalten, und das hat mir großen Spaß gemacht.

Knabe: Da kamen die Notschreie der Waldbesitzer, die wussten: Wir können nur gemeinsam was erreichen, sonst nimmt uns der Landtag oder Bundestag nicht ernst.

Die CDU reagiert nicht auf die Umweltfrage, die anderen auch nicht: Ein Landesbeamter in NRW wird Mitbegründer einer neuen Partei Küpper: Herr Knabe, 1967 ziehen Sie dann ins Ruhrgebiet, auch Ihre heutige Heimat. Es ist damals der Industriestandort Deutschlands. Sie selbst sind aber geprägt durch die Natur, durch ökologische Fragen, durch die Luftreinhaltung, auch alles Themen, die heute ja sehr bekannt sind, die damals eher exotisch waren. Wann haben Sie gemerkt, dass es in der Gesellschaft ein Problem gibt im Hinblick auf Ökologie, auch auf Klima schon?

Knabe: Ja, ich hatte den Eindruck – und der hat sich ja nicht getäuscht –, dass man gar nicht merkt, wie man das Land zerstört. Also ich habe damals als Sprecher einer Umweltinitiative die Parteien angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Also entweder, wenn eine Antwort überhaupt kam, dann war das eine höfliche Umschreibung, ja, das wäre ja ganz schön, aber jetzt stünden andere Dinge im Vordergrund. Ich war ja in der Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz, die war zuständig für den Schutz des Bodens, für den Zustand der Wälder.

Da kamen die Notschreie der Waldbesitzer, die wussten: Wir können nur gemeinsam was erreichen, sonst nimmt uns der Landtag oder Bundestag nicht ernst. Und ich habe damals mit dem CDU-Abgeordneten für den Wahlkreis Mülheim auch gesprochen, aber der wollte natürlich seinen Posten selber behalten und hatte kein Interesse daran, da in Konkurrenz zu kommen. Und die Leute, die ich von der CDU her kannte, die sagten, das hat keinen Zweck, da kannst du nichts erreichen. Da war ich eben ein Fremdling.

Wilhelm Knabe (Grünen) im Bundestagswahlkampf in Saarbrücken

Wilhelm Knabe beim Klimazug der Grünen im Bundestagswahlkampf in Saarbrücken (imago / Werek)

Es begann in der Bahnhofsgaststätte in Düsseldorf

Küpper: Sie haben dann auf kommunaler Ebene eine grüne Liste gegründet, die Umweltbewegungen fügten sich zusammen. Sie gelten heute als einer der Mitbegründer der Grünen. Wie muss ich mir das damals vorstellen, wie hat sich das entwickelt von einzelnen Initiativen, Organisationen hin zu dieser jetzt großen bundesdeutschen Partei?

Knabe: Das war schon spannend. Ich hörte davon, dass irgendeine Gruppe versuchen wollte, eine grüne Partei zu gründen. In der Bahnhofsgaststätte von Düsseldorf war der Termin. Und da bin ich hingefahren mit Norbert Mann, der war Familienrichter in Duisburg, der ähnlich wie ich dachte, jedenfalls hat er mich mitgenommen und ich wurde dann so auch zugelassen als Fachmann, war für die ja auch nützlich, jemanden zu haben, der davon was versteht. Und dann wurde dort gesprochen über, wir brauchen eine Partei, ja, das brauchen wir, aber die Basis hier in Nordrhein-Westfalen war zu schwach, um gleich zu dominieren. In Süddeutschland war der Naturschutz ein gesellschaftlich wichtigeres Moment. Küpper: Herr Knabe, die Grünen feiern in diesem Jahr ihr 40. Bestehen, sie haben sich als politische Kraft durchgesetzt. Waren Sie damals auch so zuversichtlich und hoffnungsfroh, dass das klappen würde, oder wie war Ihre Stimmungslage damals, als Sie sich sehr engagiert haben in der Gründung dieser Partei?

Knabe: Nein, mir war völlig klar, dass die Chancen äußerst schlecht waren, aber nicht zu 100 Prozent schlecht, sondern die Gründer waren sich darüber klar, dass das eine Fehlinvestition ist, dass der Einsatz dafür nicht lohnt, dass das wieder auseinanderläuft. Aber es gab eben einige, die sagten, nein, das ist ein wichtiges Ackerfeld, was zu bestellen ist – und das machen wir.

Küpper: Warum hat es geklappt, was würden Sie sagen?

Knabe: Warum? Ich sage mal so, die Zeit war reif. Es gab eine Sehnsucht vieler Menschen, sich einzubringen in die Entwicklung, dass man die Entwicklung nicht nur beobachtet, sondern die Entwicklung beeinflusst, und diese Hoffnung, dass man das schafft. Aber man wusste natürlich nie, ob das wirklich gelänge. Küpper: Sie selbst wurden dann auch Berufspolitiker, also Sie waren Sprecher der Partei, wurden dann Bundestagsabgeordneter. Parallel gab es auch hier in Mülheim Wandel. Mülheim ist die Stadt, in der es das erste schwarz-grüne Bündnis gab, in einer deutschen Großstadt, an dem Sie auch maßgeblich mitgewirkt haben.

Knabe: Ja, die SPD war noch eine Beton- und Stahl- und Eisen-SPD. Die Großbetriebe wie Mannesmann oder Siemens, Kraftwerk Union und diese großen Einheiten hatten in ihren Gewerkschaftsstrukturen sich nichts davon versprochen, sondern sie sahen das als Gefährdung ihrer eigenen gut versorgten Positionen. Die Gewerkschafter haben damals nicht mitgespielt. Es gab eine kleine Gruppe in der Gewerkschaft, die das gesehen haben: Die waren eine echte Minderheit.

Bildnummer: 52889991 Datum: 10.02.2009 Copyright: imago/Xinhua Rauch und Feuer der Buschbrände bei Tonimbuk, Australien, PUBLICATIONxNOTxINxCHN, Landschaft; 2009, Tonimbuk, Brand, Katastrophe, Waldbrände, Waldbrand; , quer, Kbdig, Totale, , , Ozeanien o0 Feuer

Bildnummer 52889991 Date 10 02 2009 Copyright Imago XINHUA Smoke and Fire the Bush fires at Australia PUBLICATIONxNOTxINxCHN Landscape 2009 Brand Disaster Forest fires Forest fire horizontal Kbdig long shot Oceania o0 Fire Umweltkatastrophen wie die Brände in Australien seien eine Notwehr des Planeten, sagte Knabe im Dlf. (imago stock&people)

„Nach den Berechnungen ist der Kampf nicht zu gewinnen“

Küpper: Sie wurden dann Bürgermeister hier in Mülheim an der Ruhr, konnten dann doch auch noch mal in exekutiver Funktion sozusagen etwas gestalten.

Knabe: Ja, richtig. Das war damals möglich. Und mit dem Oberbürgermeister Specht, der war CDU, konnte man gut zusammenarbeiten, weil er also nicht die Partei als unbedingt zu befolgende Autorität ansah. Er hat also sich erlaubt, unabhängig zu denken.

Küpper: Sie haben ein Leben voller Engagement geführt in dieser Sache, Sie haben für diesen Planeten, für die ökologische Frage gekämpft und sagen jetzt selber, dass es ein Kampf ist, der wahrscheinlich nicht zu gewinnen ist.

Knabe: Nach den Berechnungen nicht zu gewinnen, aber nach dem in der Natur auch immer wieder vorkommenden Wunder, so kann man das nennen, Konstellation, kann plötzlich möglich werden, was vorher als unmöglich angesehen wurde. Man kann aber auch sagen, dass die jetzige Häufung von Umweltkatastrophen und die Zunahme der Wüstenbildung in Spanien, diese Waldbrände in Australien oder Neuseeland oder hier bei uns, man kann den Eindruck gewinnen, die Lebenskräfte des Planeten sind eine Notwehr des Planeten, die Griechen sagen „Gaia“, das ist kein Zufall, das ist eine Notwehr des Planeten gegen Überlastung, wie sie heute ja erfolgt. Die Pandemie ist eine dieser Folgen.

Küpper: Herr Knabe, zum Abschluss des Gesprächs: Als ein Mensch, der fast 100 Jahre jetzt auf diesem Planeten lebt, der sich viel darum bemüht hat, viel Wissenschaft betrieben hat, sich damit auskennt und auch engagiert hat: Schauen Sie optimistisch oder eher pessimistisch in die Zukunft dieses Planeten?

Knabe: Ich halte das wie Martin Luther und sage, wenn ich wüsste, morgen geht die Welt unter, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Ich gebe das nicht auf. Das wäre ja töricht. Wir haben zu viel schon erreicht. Nur: Es muss aufhören mit dem Glauben, wir schaffen das schon alles, das ist ja kein Problem. So einfach ist das nicht.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Grünen Mitbegründer Wilhelm Knabe starb am 30.01.2021* mit 97 Jahren. Das teilte seine Partei auf Twitter mit. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


  • Anmerkung der Redaktion: Wir haben ein falsches Todesdatum korrigiert.
    • An diesen Stellen wurden Fehler korrigiert.

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https://www.deutschlandfunk.de/gruenen-mitbegruender-wilhelm-knabe-das-ist-eine-notwehr-100.html

Migrationsgeschichten 2024

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https://migrations-geschichten.de/die-unterstuetzung-der-opposition-in-der-ddr-durch-ddr-migranten-i/ :

Die Unterstützung der Opposition in der DDR durch DDR-Migranten I 0 4 SEITEN:BLICK 24. Mai 2024 4 Min. zum Lesen

Sind DDR-Flüchtlinge oder Ausgebürgerte aus der DDR nach Westdeutschland Migrant:innen? Wir sprechen in diesem Fall von Binnenmigration. Zwar erlebten die Migrant:innen keine sprachliche Veränderung und geografisch war die Distanz nicht groß. Dafür migrierten die Menschen in ein politisch, sozioökonomisch und kulturell völlig anderes System, das ihnen nicht vertraut war. Sie migrierten von der Diktatur in eine Demokratie.

Flucht aus der DDR

Die Menschen, die bis 1989 die DDR verließen, nahmen dafür Repressionen und teilweise lange Haftstrafen in Kauf. Flüchtlinge riskierten Leib und Leben. Zudem verließen nicht alle Migrant:innen freiwillig die DDR: Tausende wurden aus politischen Gründen inhaftiert und nach einer Zeit im Gefängnis oftmals von der Bundesrepublik freigekauft. Andere wurden ausgewiesen oder – wie der Liedermacher Wolf Biermann 1976 – nach einer Auslandsreise nicht wieder zurück in die DDR gelassen. Möglichkeiten einer legalen Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik gab es erst im Vorfeld der Wiedervereinigung 1990.

Die Gründe, weshalb Menschen die DDR verlassen wollten, waren vielfältig. Von den vor dem Berliner Mauerbau Geflüchteten gaben 56 Prozent politische Gründe an, darunter nannten sie zu 29 Prozent am häufigsten als Grund ihre „Ablehnung politischer Betätigung“, die „Ablehnung von Spitzeldiensten“ sowie „Gewissensnotstände und Einschränkung von Grundrechten“. Es folgten mit 15 Prozent persönliche oder familiäre Gründe, mit 13 Prozent wirtschaftliche Gründe, meistens waren dies „Zwangskollektivierung“ und „Verstaatlichung“. Zehn Prozent gaben den Wunsch nach besseren Einkommens- oder Wohnverhältnissen an. Diese Motive blieben bis in die letzten Jahre der DDR ähnlich.

Die Druckmaschine des Wilhelm Knabe

Für viele spielte das DDR-Regime auch nach ihrer Flucht noch eine zentrale Rolle in ihrem Leben. So spiegeln beispielsweise die Migrationsgeschichten von Wilhelm Knabe und Roland Jahn zwei Wege wider, die Demokratiebestrebungen in ihrem Herkunftsland vom Westen aus zu unterstützen.

Wilhelm Knabe auf dem Landesparteitag von „Bündnis 90/Die Grünen“ in Mülheim im Dezember 2014. Quelle: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0 DEED

Wilhelm Knabe wurde 1923 in Arnsdorf (Sachsen) geboren. Aus dem Krieg und der Gefangenschaft kehrte er 1945 als überzeugter Pazifist zurück und trat aufgrund seines christlichen Glaubens in die CDU ein. Bis 1950 studierte er Forstwirtschaft an der Technischen Hochschule Dresden, 1957 wurde er promoviert. Knabe nahm aus politischer Überzeugung an keiner Wahl in der DDR teil. Auch lehnte er aus pazifistischen Gründen ab, als Reserveoffizier zur Nationalen Volksarmee zu gehen.

1959 entschied der Familienvater sich dann, mit seiner Frau und seinen Kindern aus der DDR zu fliehen. Zu dieser Zeit war die Berliner Mauer noch nicht gebaut, die Grenzen zwischen Ost und West waren noch durchlässig. Doch eine legale Ausreise aus der DDR war nur mit langen Antragsfristen und einer Zustimmung der Behörden möglich. Die Familie ließ sich nach ihrer erfolgreichen Flucht im Ruhrgebiet nieder.

Später ging Wilhelm Knabe in die Politik und gründete unter anderem die Partei „Die Grünen“ mit. Von 1987 bis 1990 war Knabe Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Teil des Innerdeutschen Ausschusses suchte er den Kontakt zu Umwelt- und Friedensgruppen in der DDR. Er schmuggelte eine Druckmaschine zur Umweltbibliothek im Bezirk Prenzlauer Berg, der Zentrale der Umweltgruppen in der DDR. Über diese Maschine druckten die Mitglieder der Umweltbibliothek heimlich Flugblätter, Aufrufe und nicht genehmigte Texte. Sie umgingen damit die Zensur. Druckmaschinen waren in der DDR im Privatbesitz nicht erlaubt.

Zum Gehen gezwungen

Eine gänzlich andere Migrationsgeschichte erlebte Roland Jahn, der 1953 im thüringischen Jena geboren wurde. Seine Opposition gegen die Politik der DDR begann während seines Studiums in Jena. In verschiedenen Aktionen machte er auf die staatliche Zensur in der DDR und auf den Tod seines besten Freundes Matthias Domaschk in einem Gefängnis der Staatssicherheit aufmerksam.

1982 wurde er zu 22 Monaten Haft wegen „öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ und „Missachtung staatlicher Symbole“ verurteilt, kam aber nach internationalen Protesten und Berichten in bundesdeutschen Medien wieder frei. Im Jahr darauf gründete er mit anderen Oppositionellen die Friedensgemeinschaft Jena, die unter anderem politische Partizipation einforderte.

Am 8. Juni 1983 bürgerte die DDR Jahn gewaltsam aus. Unter einem Vorwand bestellte man ihn zum Wohnungsamt, wo ihn ein Stasi-Kommando festnahm, in Knebelketten zum Grenzbahnhof Probstzella brachte und in ein Abteil des Interzonenzugs nach Bayern einschloss.

Roland Jahn als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen beim Bürgertag in der Stasizentrale (2012). Quelle: Scott-Hendryk Dillan, CC BY-SA 3.0 DE DEED Die Macht des Fernsehens

In Westdeutschland begann Jahn als freier Journalist zu arbeiten und produzierte unter anderem Beiträge für das ARD-Magazin Kontraste über Menschenrechtsverletzungen und die Oppositionsbewegung in der DDR. 1989 begleitete er mit Fernsehbeiträgen in der Bundesrepublik die Friedliche Revolution in der DDR, die großenteils auch östlich der deutsch-deutschen Grenze empfangen werden konnten und für eine Öffentlichkeit der Geschehnisse sorgten. Die DDR-Medien zensierten jeglichen Bericht über die Proteste. Roland Jahn schmuggelte Videokameras in die DDR. Er erinnert sich:

Weil ich wusste: Fernsehen, das ist genau das, was wichtig ist, was bis in den Osten reinstrahlen muss, was die Massen erreicht. Und nicht nur die Untergrundpresse, die immer dieselben erreicht. Das Medium Fernsehen wurde für mich immer wichtiger. Ich habe in der Redaktion „Kontraste“ angefangen zu arbeiten, die für die ARD gesendet hat – und versucht, diese illegal gedrehten Videos aus der DDR unterzubringen. Fernsehen hat auch Mut gemacht, endlich auf die Straße zu gehen. Auch die Aufnahmen vom 9. Oktober, von der legendären Demonstration in Leipzig, sind mit einer Videokamera gemacht worden, die ich rübergeschleust habe. Die Freunde haben diese Aufnahmen dort mit viel Mut und Risiko gemacht. Sie wurden in den Westen geschmuggelt, und wir haben sie ausgestrahlt, in die Wohnzimmer der DDR hinein.

Roland Jahn

Titelfoto: Mauerverlauf Bouchéstraße / Harzer Straße in Berlin, 18. November 1989, Foto: Florian Schäffer, Wikipedia gemeinfrei

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