Schopenhauer Aphorismen zur Lebensweisheit


Exzerpt aus dem Urtext 1851, textkritisch typographiert von H.- P. Haack. Mitarbeit Carmen Haack. Gebracht werden pointierte Sentenzen, aber auch Kuriosa. Deren Auswahl läuft durch die zugrunde liegende Gewichtung auf eine verdeckte Interpretation hinaus. Der vollständige Text von 1851 findet sich auf dem Archivserver der Deutschen Nationabibliothek: http://d-nb.info/1041219032/34

Titelblatt des Erstdrucks 1851
(125 x 210 mm)


Der Fluch

In Schopenhauers Nachlass findet sich die Notiz: «Mein Fluch über Jeden, der, bei künftigen Drucken meiner Werke, irgend etwas daran wissentlich ändert, sei es eine Periode, oder auch nur ein Wort, eine Silbe, ein Buchstabe, ein Interpunktionszeichen.» Leider haben spätere Herausgeber in den «Aphorismen zur Lebensweisheit» dergleichen Eingriffe vorgenommen, sei es um nachgelassene Notizen Schopenhauers posthum einzufügen, sei es um die Orthographie zu aktualisieren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde auch die Seitengestaltung modernisiert.

Akzente

Verfasst wurden die «Aphorismen» für eine geglückte Lebensbewältigung. Durchgehend, in allen Punkten tauglich, dürften sich die Ratschläge wohl nur für freiwillige Außenseiter erweisen. Die nun wieder finden hier eine Rechtfertigung ihrer intuitiv gewählten Eigenständigkeit. Doch bei der individualistischen Glückslehre ist es nicht geblieben. Sie überbietend hat Schopenhauer zugleich ein Werk der psychologischen Anthropologie verfasst, kulturelle Eigenheiten des 19. Jahrhunderts festgehalten (darunter Umgangsformen aus dem Ehrenkodex der Oberschicht von A wie Anspucken bis Z wie Zweikampf) und Anachronismen seiner Epoche aufs Korn genommen, z. B. das Duell-Unwesen, dessen Stupidität er entlarvt. In einer fünften Lesart schließlich kann der Text als Schopenhauers Lebensbilanz aufgefasst werden.

Ton

Der Ton wirkt misanthrop, das Fazit fällt pessimistisch aus. Mitunter entsteht der Eindruck, als rechne Schopenhauer hier verbittert mit der Menschheit ab. Immerhin stand während der Arbeit am Manuskript sein Ruhm als Philosoph und Denker noch aus. Der Verleger Brockhaus in Leipzig hatte sich entschieden, die Erstausgabe von «Die Welt als Wille und Vorstellung» (1819) um wenigstens einigen Nutzen daraus zu ziehen, größtenteils zu Makulatur zu machen», da das Werk sich nur schwer verkaufen ließ. Die Mitteilung über die Buchvernichtung erreichte Schopenhauer 1835.

Schopenhauers Naturell

Schopenhauer war im Umgang schwierig. So richtete er sich z. B. bei der Wahl seiner Gesprächsthemen mehr nach eigenen Bedürfnissen und als nach denen seines Gegenübers. Potentielle Gesprächspartner trachteten danach, sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. Sogar von seiner Mutter Johanna Schopenhauer wurde er als Zumutung empfunden. Sie führte in Weimar einen literarischen Salon, den auch Goethe besuchte. Doch den 19-jährigen Sohn hatte die Mutter aus ihrem Haus gewiesen. Er musste sich anderswo Zimmer mieten. «Deine finstern Gesichter, deine bizarren Urteile», «dein leidiges Disputieren, deine Lamentationen über die dumme Welt» – so lauteten ihre Vorwürfe in einem Brief, der erhalten ist – konnte sie nicht ertragen. In vorgerückten Jahren nun lobt der unfreiwillige Außenseiter, seine eigene Lebensführung rechtfertigend, die Besinnung auf sich selbst als Halt und Orientierung sowie Einsamkeit als Schutz vor den Mitmenschen. Die nun wieder entlarvt er so pointiert, dass man ihm nur selten widersprechen kann.

Wirkung

Der psychologisch-anthropologische Beitrag von 1851 war es, der auf Schopenhauer aufmerksam machte und seinen Ruhm, wenn nicht begründete, so doch einleitete. Die «Lebensweisheiten» avancierten zu seiner meist gedruckten Schrift. In vorgerückten Jahren lobt Schopenhauer in ihr, seine Lebensführung rechtfertigend, die intellektuelle Besinnung auf sich selbst als Orientierung sowie Einsamkeit als Schutz vor der Menge. Nietzsche wird sie später «die Herdentiere» nennen. Die nun wieder entlarvt Schopenhauer so pointiert, dass man ihm nur selten widersprechen kann. - Der menschenkundliche Anteil der «Aphorismen» mit seinen zeitlosen Wahrheiten - das darf durchaus behauptet werden - gehört zum deutschsprachigen Bildungskanon. Vor allem Kreativen und Individualisten bietet die Schrift Trost und Bestärkung.

Quelle

Die Exzerpte wurden aus dem Erst- und Urdruck aus Band I von «Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften von Arthur Schopenhauer», S. 297 - 265; Berlin: A. W. Hayn 1851 entnommen. Die Innenseiten dort messen 125 x 210 mm, das Textfeld 95 x 165 mm bei 38 Zeilen pro Seite, gesetzt überwiegend in Breitkopffraktur, vereinzelt in Book Antiqua und Altgriechisch. Nur dieser Druck ist von Schopenhauer autorisiert, die erweiterte zweite Auflage von 1862 nicht. Sie wurde posthum ergänzt, indem der damalige Herausgeber Schopenhauers Notizen aus dessen mit Leerseiten durchschossenem Handexemplar eingefügt hat, teils in den Fließtext, teils als Fußnoten. [1]

Typographie

In diesem Beitrag ist der Original-Text in Arial Bold typographiert, die Kommentare in kursiv. Beibehalten wurden die zeitgenössische Orthographie und die Interpunktion des von Schopenhauer autorisierten Erstdrucks. Die Ziffern in eckigen Klammern geben die Seitenzahl des Erstdrucks an.

Emendation

Den Schriftsetzern von 1851 waren kleinere Fehler unterlaufen, die Schopenhauer vermutlich beim Lesen der Korrekturabzüge übersehen hat (z. B. «Leibnitz» statt «Leibniz»). Sie wurden kenntlich korrigiert.

Authentizität

Im Urdruck ist die Orthographie nicht durchgehend identisch. So finden sich «seyn», vereinzelt aber auch «sein», oder «unsrer» und «unserer» oder «edler» und «edeler» sowie analoge Variationen. Sie wurden unverändert aus dem Urdruck übernommen.

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Inhalt


  1. Folpi, F.: Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Stuttgart: Kröner 2007, S. XXI