Äquivalenzrelation/Quotientenmenge/Einführung/Textabschnitt


Wir knüpfen an Beispiel und Beispiel an. Die Wäsche liegt in verschiedenen waschgangverträglichen Haufen vor. Für den weiteren Ablauf (beispielsweise in welcher Reihenfolge gewaschen wird) kommt es auf die Einzelsachen nicht mehr an, sondern nur noch auf die einzelnen Haufen. Es ist daher sinnvoll, die entstandene Situation dadurch zu erfassen, dass man die Menge der Haufen bildet. Jeder Haufen wird zu genau einem Element in dieser Haufenmenge. Das Sortieren kann man dann auffassen als eine Abbildung von der Wäschemenge in die Haufenmenge, wobei jedem Wäschestück der zugehörige Haufen zugeordnet wird. Bei diesem Übergang werden waschgangverträgliche Sachen miteinander identifiziert. Dies ist die Grundidee der Quotientenmenge und der kanonischen Abbildung.



Es sei eine Äquivalenzrelation. Dann heißt

die Quotientenmenge von .

Die Quotientenmenge ist also einfach die Menge der Äquivalenzklassen. Wenn man die Äquivalenzrelation mit bezeichnet, so schreibt man für die Quotientenmenge. Das Konzept Quotientenmenge ist nicht einfach, allein schon deshalb, da es nach Definition eine Menge von Mengen, nämlich der Äquivalenzklassen ist. Von der Handhabung und der Vorstellung her betrachtet man aber diese Äquivalenzklassen eher als neue „Punkte“ in einer neuen Menge, die eben erst durch die Konstruktion entsteht. Auch die Beziehung zu einem Repräsentantensystem ist nicht ganz einfach. Wenn man ein Repräsentantensystem für eine Äquivalenzrelation hat, so ergibt sich eine bijektive Abbildung zwischen dem Repräsentantensystem und der Quotientenmenge. Diese kann zu Verwechslungen führen. Wichtig ist, dass ein Repräsentantensystem von einer Wahl abhängt und nur selten kanonisch ist, während die Quotientenmenge nicht von Wahlen abhängt. Wenn es allerdings ein besonders einfaches Repräsentantensystem gibt, so übernimmt man die Bezeichnungen für die Elemente wiederum auch als Bezeichnungen für die Elemente der Quotientenmenge.

Man muss aber auch sagen, dass die Abstraktion, die in der Quotientenmenge zum Ausdruck kommt, in vielen Kontexten anzutreffen ist. Beispielsweise gibt es die Menge der Tiere und die Menge der Tierarten. Hinter Tierart steckt doch eine andere Idee als die Menge der zu unter diese Tierart fallenden Einzeltiere oder die Idee, aus jeder Tierart einen Vertreter auszuwählen. Die Menge aller geraden und die Menge aller ungeraden Zahlen wird durch das Eigenschaftspaar gerade oder ungerade deutlicher gemacht. Entsprechend führt die Parallelität zur Idee der „Richtung“ einer Geraden, u.s.w.

Im oben angeführten Beispiel besteht die Quotientenmenge aus den Restklassen , wobei die Bezeichnungen des einfachsten Repräsentantensystems übernommen werden. Die konzentrischen Kreise um den Punkt aus Beispiel kann man mit ihrem Radius identifizieren, d.h. die Quotientenmenge steht in einer natürlichen Korrespondenz zu . Auch dies ist eine wichtige Beobachtung, dass die Quotientenmenge häufig eine neue Struktur besitzt oder in einer natürlichen Beziehung zu einem anderen mathematischen Gebilde steht, was von der Ausgangsmenge her nicht unmittelbar ersichtlich ist. So kann man auch die Menge der Geraden durch einen Punkt , die ein Repräsentantensystem für die Parallelität ist, in einem weiteren Schritt mit den Punkten auf einem halboffenen Halbkreis um identifizieren, um eine geometrische gehaltvolle Interpretation der Quotientenmenge zu erhalten. Die Quotientenmenge zur Äquivalenzrelation des Läufers besteht nur aus den Feldfarben weiß und schwarz.


Es sei eine Äquivalenzrelation und die Quotientenmenge. Die Abbildung

heißt kanonische Projektion von .

Man spricht auch von der Identifizierungsabbildung, da unter dieser Abbildung äquivalente Elemente auf das gleiche Element, ihre Klasse, abgebildet werden.



Es sei eine Menge und eine Äquivalenzrelation auf mit den Äquivalenzklassen und der Quotientenmenge . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es ist genau dann, wenn ist, und dies gilt genau dann, wenn .
  2. ist eine disjunkte Vereinigung.
  3. Die kanonische Projektion

    ist surjektiv.

  4. Es ist .
  1. Seien und äquivalent und . Dann ist und nach der Transitivität auch , also . Damit stimmen die Äquivalenzklassen überein. Die Implikation von der Mitte nach rechts ist klar, da wegen Äquivalenzklassen nicht leer sind. Es sei nun , und sei ein Element im Durchschnitt. Dann ist und und wegen der Transitivität ist .
  2. Wegen der Reflexivität ist und daher ist . Wegen Teil (1) ist die Vereinigung disjunkt.
  3. Die Surjektivität ist klar aufgrund der Definition der Quotientenmenge, und da auf die Klasse geschickt wird.
  4. Es ist


Bei der Eigenschaft (2) sagt man auch, dass die Äquivalenzrelation eine Partition der Menge bewirkt. Die Eigenschaft (4) bedeutet insbesondere, dass man zu jeder Äquivalenzrelation eine Abbildung, nämlich die kanonische Abbildung in die Quotientenmenge, angeben kann, derart, dass Elemente genau dann äquivalent sind, wenn sie unter der Abbildung den gleichen Wert besitzen. Damit ist gezeigt, dass man jede Äquivalenzrelation als eine Äquivalenzrelation zu einer Abbildung im Sinne von Fakt erhalten kann.

Die folgende Aussage beschreibt die universelle Eigenschaft der Quotientenmenge.


Es sei eine Menge und eine Äquivalenzrelation auf mit der Quotientenmenge . Es sei eine Abbildung mit für alle mit .

Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Abbildung mit .

Sei gegeben. Die einzige Möglichkeit für ist zu setzen. Es muss aber gezeigt werden, dass diese Abbildung überhaupt wohldefiniert ist, also unabhängig von der Wahl des Repräsentanten ist. Es sei hierzu , also . Dann ist nach der Voraussetzung an aber .


Zu einer Abbildung und der zugehörigen Äquivalenzrelation im Sinne von Fakt gibt es nach Fakt eine eindeutig bestimmte Abbildung

mit

Diese ist sogar injektiv.



Es sei und ein Körper. Wir setzen . Der ist ein Vektorraum, wobei die Skalarmultiplikation von und mit bezeichnet wird. Es sei weiter

Zwei Punkte werden also als äquivalent erklärt, wenn sie durch Skalarmultiplikation mit einem Skalar ineinander überführt werden können. Ebenso könnte man sagen, dass zwei Punkte als äquivalent gelten, wenn sie dieselbe Gerade durch den Nullpunkt definieren.

Dass wirklich eine Äquivalenzrelation vorliegt, sieht man so. Die Reflexivität folgt aus für jedes . Zum Nachweis der Symmetrie sei , d.h. es gibt ein mit . Dann gilt aber auch , da ja ein Inverses besitzt. Zum Nachweis der Transitivität sei und angenommen, d.h. es gibt mit und . Dann ist insgesamt mit . Die Äquivalenzklassen zu dieser Äquivalenzrelation sind die einzelnen Geraden durch den Nullpunkt (aber ohne den Nullpunkt). Die Quotientenmenge heißt projektiver Raum über (der Dimension ) und wird mit bezeichnet.