Anja N.
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1. Was ist Sachunterricht? – Definitionen des Sachunterrichts
BearbeitenDefinition nach Katzenberger
Sachunterricht befasst sich „mit der Ordnung und Strukturierung der konkreten und realen Bezüge des Grundschulkindes zu seiner Sachwelt (Sachkompetenz), zu seiner Mitwelt (Sozialkompetenz) und zu sich selbst (Selbstkompetent).“
Definition nach Köhnlein
“Als basale Weltkunde steht Sachunterricht im Dienst der grundlegenden Bildungsarbeit, die Auftrag der Grundschule ist. Seine Aufgabe ist die erklärende Erschließung der den Kindern erfahrbaren sozialen, physischen und technischen Welt unter realwissenschaftlichem (sozial- und naturwissenschaftlichem) Bezug. Er nimmt Erfahrungen und ursprüngliche Ansätze der Wirklichkeitserkundung der Kinder auf und führt sie weiter zu gesicherten Formen des Wissens und Könnens. Sein Ziel ist es, tragfähige Grundlagen zu schaffen für verantwortliches Handeln und verstehende Teilnahme an der Kultur.“
2. Geschichte des Sachunterrichts
Bearbeiten2.1 Realienunterricht (ca. 1700-1900)
Johann Amos Comenius (1592-1670)
- Grundsatz: „omnes omnia omnio“ → Alle Menschen sollen alles komplett lernen.
- Grundsatz: Direkte Sachbegegnung
- Goldene Regel: Alles soll so immer möglich den Sinnen vorgeführt werden.
- Weg der Erkenntnis: Sinne → Gedächtnis → klares, zum Allgemeinen aufsteigendes Verstehen → selbständiges Urteil
Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827)
- Pestalozzi als Wegbereiter der modernen Grundschule
- Orientierung der Erziehung an der Individuallage
- Die Familien- und Wohnstube als Ideal
- Das Elementare und der Realienunterricht
- Prinzip der konzentrischen Raumkreise
- Anschauung und Selbsttätigkeit
Adolph Diesterweg (1790-1866)
- Anschauungsunterricht als vorbereitender Elementarkurs für alle Schüler
- Anschauung, Selbsttätigkeit und Arbeit
- „Der wahre Lehrer zeigt seinem Schüler nicht das fertige Gebäude, an dem Jahrtausende gearbeitet haben, sondern er leitet ihn zur Bearbeitung der Bausteine an, führt mit ihm das, lehrt ihn das Bauen… Der schlechte Lehrer oktoyiert die Wahrheit, der gute lehrt sie finden.“
2.2 Heimatkundlicher Anschauungsunterricht (ca. 1828-1860)
Christian Wilhelm Harnisch (1787-1864)
- Heimatskunde als Fundament der Weltkunde und als integriertes Fach
- anschauungsdidaktische Grundsätze
- kosmopolitische Ziele
- Vermittlung von Kind und Sache
- Ganzheitlichkeit statt Zersplitterung
- enge Verbindung von Sachanschauung und Sprache → Verbalisierung
- aktive Sachauseinandersetzung → Selbsttätigkeit
2.3 Systemaffirmative und anit-emanzipatorische Heimatkunde im Kaiserreich
- Ziel: nationale Gesinnungsbildung → Heimat- und Vaterlandsliebe
- Frage – Antwort – Methode
- Militärischer Drill
- Verknüpfung von Märchen und Sachdarstellungen
2.4 Heimatkundlicher Gesamtunterricht in der Weimarer Grundschule
- Anschauungsprinzip
- Vom Nahem zum Entfernten
- Kalendarische Stoffplanung
- Erlebnisprinzip und Gemütsbildung
- Primat der Geographie
- Kunde
- magisch-mystische Sachdarstellungen (z.B.: Wind als beseeltes Wesen)
- Gesamtunterricht (ein Thema strahlt in alle Bereiche aus)
- Eduard Spranger (1882-1963): Heimat als Bildungsprinzip
2.5 Ideologisierung der Heimatkunde im Nationalsozialismus
- „Reichsrichtlinien für die vier unteren Jahrgänge der Volksschule“ vom 10. April 1937 gelten als reichseinheitlicher Lehrplan für das Dritte Reich.
- Grundschule wurde zur Volksschulunterstufe
- Heimatkunde als zentrales Fach mit der Hauptaufgabe, die nationalsozialistische Weltanschauung zu transportieren
- Leitthema „Verwurzelung“ → Gebiete Heimatkunde, Sippe, Stamm, Volk, Führer
- In der 3. und 4. Klasse: Behandlung von geschichtlichen, erdkundlichen, naturkundlichen und volkskundlichen Themen. (Beispiele: Schicksals-, Blut-, Notgemeinschaft, Deutsch-, Bauern-, Germanentum und Rasseneigenschaften)
- Auch Themen konkreter politischer Erziehung wurden im Unterricht behandelt. (Beispiele: „Der Reichsparteitag“ und „9. November 1923“)
- Ideologisierung der Heimatkunde → Zurückdrängen der Sachbezüge
- Arbeitsweisen: Reduktion auf das Beobachten
3. Konzeptionen des Sachunterrichts
Bearbeiten3.1 Was ist eine Konzeption?
Konzeptionen sind grundlegende Vorstellungen über Ziele, Aufgaben, Schwerpunkte und über die Gestaltung des Sachunterrichts. Diese Aufgaben sollen des Weiteren systematisiert, begründet, von anderen Auffassungen hinreichend unterscheidbar und konkret sein.
3.2 Fachorientierter Ansatz
- Entwicklung ab den 1970er Jahren
- 1969 Frankfurter Grundschulkongress
- Wissenschaftsorientierung = methodisch und inhaltliche Fachorientierung
- Der Unterricht in der Grundschule sollte bereits anspruchsvoll gestaltet werden, um die Kinder nicht in ihrer kognitiven Entwicklung zurückzuhalten.
- neue Inhalte: Natur- und Sozialwissenschaften
- Probleme des fachorientierten Ansatzes:
- er verlor sich in Einzeldisziplinen - er wurde schon in der Grundschule „Mini-Fachunterricht“ bezeichnet - Kindorientierung und Lebensweltbezug gingen verloren - einseitige Fachorientierung kann nur unzureichend die Anforderungen einer grundlegenden Bildung realisieren
- Trotzdem hat der fachorientierte Ansatz auch positive Seiten:
- Der Fachbezug im SU hat eine unhintergehbare Bedeutung - Die fachliche Perspektive kann dem Kind beim Erkennen der Welt behilflich sein. - Er vermittelt Kategorien, die die kindlichen Erfahrungen ordnen und helfen, die Welt systematisch durchschaubar zu machen.
3.3 Der Struktur- bzw. konzeptorientierte Ansatz: Der Lehrgang "Physiaklischer/ chemischer Lernbereich" von Spreckelsen als Adaption von SCIS
3.3.1 Kennzeichnung:
- Orientierung an Grundkopnzepten, Schlüsselideen und tragenden Begriffen, d.h. an Kategorien der Wissenschaften
- Reaktion auf die Wissensexplosion
- Reduktion der Stofffülle
- Vorbereitung auf den Fachunterricht späterer Jahrgangsstufen durch die Vermittlung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
3.3.2 Grundlage: das begriffsorientierte Curriculim "Science Curriculum Improvement Study"
- begriffsorientiertes naturwissenschaftliches Elementarcurriculum aus Kalifornien
- es wurde ab 1962 unter der Leitung von Karplus (Professor für theoretische Physik)entwickelt
- es wurde an 19.000 Grundschülern erprobt
3.3.3 Theoretische Basis: Forschungsergebnisse des Psychologen Bruner
- Schlüsselbegriffe ermöglichen den Zugang zum Verständnis einer Wissenschaft
- Schlüsselbegriffe wirken erfahrungserschließend und machen das Gelernte besser übertragungs- und speicherfähig
- Dies führt zur Ordnung des isolierten Detailwissens, das normalerweise in der Schule vermittelt wird.
3.3.4 Wichtige Personen:
- Professor Karplus (Professor für theoretische Physik)
- Psychologe Bruner
- Kay Spreckelsen => deutsche Weiterentwicklung mit dem Lehrgang "Physikalischer/ chemischer Lernbereich"
3.3.5 Ziele
- naturwissenschaftliche Bildung
- intellektuelle Bildung
- rationale Entscheidungsfähigkeit
- positive Einstellung gegenüber den Naturwissenschaften
3.3.6 Aufbau des Unterrichts
- Jede Unterrichtssequenz gliedert sich in drei Lernphasen: Exploration, Invention, Discovery
3.3.7 Drei Basiskonzepte für den konzeptorientierten Ansatz
- Teilchenstruktur
- Wechselwirkungs- oder Interaktionskonzept
- Erhaltungskonzept
Die Vermittlung der Inhalte soll mit Hilfe des Spiralcurriculums stattfinden.
3.3.8 Kritik am Ansatz von Spreckelsen
- fehlende Kindorientierung
- Lehrerzentrierung
- keine Rücksicht auf Erfahrungen und Interessen der Kinder
- starke Auffächerung des Unterrichts
- geschlossenes Konzept: vorgeschriebene Lehr- und Lerninhalte sowie Unmöglichkeit, auf aktuelle Anlässe oder Schülerfragen zu reagieren.
3.4 Der verfahrensorientierte Ansatz
3.4.1 Entstehung
- Entwicklung einer Göttinger Arbeitsgruppe um Tütken
- Adaption des US-amerikanischen Elementarschulcurriculums SAPA ( Science a Process Approach (1971))
3.4.2 Ziele
- Angesichts der Wissensexplosion sollen die Kindern lernen, wie sie sich selbständig Informationen einholen können.
- Lernziele
1) Beobachten 2) Raum-Zeit-Beziehungen gebrauchen 3) Zahlen gebrauchen 4) Messen 5) Klassifizieren 6) Kommunizieren 7) Vorhersagen 8) Schlüsse ziehen 9) Daten interpretieren 10) Hypothesen formulieren 11) Variablen konstruieren 12) Operational definieren 13) Experimentieren
3.4.3 Charakteristika
- lehrerzentrierter Unterricht
- Kinder sollten schnell zu bereits vorher festgelegten Erkenntniszielen geführt werden.
- weiter wissenschaftlicher Anspruch
- sehr starres und festgelegtes Konzept
- keine Orientierung an den kindlichen Bedürfnissen und Erfahrungen
- künstliches und abstraktes Konzept → kein Bezug zur kindlichen Wirklichkeit
- Es geht hier nur um die Reproduktion von schon vorhandenem Wissen, nicht um Neuschöpfungen.
- Es fehlt den Kindern die persönlich berührende Forscherfrage, die sie antreibt, Versuche durchzuführen und zu Erkenntnissen zu kommen.
3.5 Das situationsorientierte Curriculum im Sachunterricht
3.5.1 Entstehung
- Bis in die 1960er Jahre gab es nur naturwissenschaftliche Entwürfe und keine Beiträge zu den Sozialwissenschaften, zur Sozialkunde und zum sozialen Lernen.
- Jürgen Zimmermann entwickelt ein situationsorientiertes Curriculum.
3.5.2 Ziele
- Vermittlung von einer konkreten, auf Lebenssituationen bezogenen Handlungsfähigkeit
- Anstrebung einer funktionalen Selbständigkeit
3.5.3 Merkmale
- Dreischnitt:
1. Identifikation und Analyse relevanter Lebenssituationen 2. Bestimmungen von Qualifikationen zur Bewältigung der jeweiligen Situation 3. Konstruktion von Curriculumelementen
- Auswahl von konkreten, aus der kindlichen Lebenswelt stammende Situationen
- Methoden: Projekt, Spiel, didaktische Schleife
3.5.4 Wissenschaftsverständnis
- Scharfe Abgrenzung zu naturwissenschaftlichen Curricula
- wissenschaftsskeptisch
3.5.5 Kritik
- Die besprochenen Situationen werden sich mit anderen nicht decken.
- Generalisierende didaktische Überlieferungen
- Inhaltliche Missgriffe → Probleme der Angstauslösung
3.6 Der exemplarisch-genetisch-sokratische Sachunterricht (Martin Wagenschein)
3.6.1 Ziele
- weniger Stofffülle
- vertieftes Lernen an ausgewählten, exemplarischen Inhalten
3.6.2 Übergreifende Funktionsziele
- Die Kinder sollen lernen, durch bestimmte Methoden und Verfahren sich Wissen anzueignen und Probleme zu lösen.
- Ausdenken, Ausführen und Auswertung von Versuchen
- Die Kinder erfahren, dass durch geeignete Methoden Sachverhalte intersubjektiv feststellbar sind.
3.6.3 Merkmale
- Rolle der Kinder: Kinder sollen weitgehend selbständig lernen und nicht auf Belehrung angewiesen sein → Kind als Forscher
- Rolle des Lehrers: Lehrer hat Helferfunktion
- Methoden: Entdecken, Handeln, Gespräche – „sokratisch“
- Wissenschaftsverständnis: unelitär, aspekthaft-naturwissenschaftlich, pädagogisch-didaktisch, kontinuitätsoptimistisch
- gesellschaftlicher Kontext, pädagogisch-curriculare Aspekte: gute Voraussetzungen für naturwissenschaftlichen SU, deutliche Abgrenzung von lernzielorientierten Konzepten
3.7 Der mehrperspektivische Unterricht (MPU)
3.7.1 Entstehungsgeschichte
- 1971 – 1975 an der pädagogischen Hochschule in Reutlingen entstanden
- entwickelt durch die CIEL-Forschungsgruppe unter der Leitung von Klaus Giel und Gotthilf G. Hiller
- Integration von naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Inhalten
3.7.2 Ein integratives Konzept
- Nicht die Systematik der Fachdisziplinen, sondern die Alltagswirklichkeit ist Ausgangspunkt des MPU.
- Es wird versucht, die Alltagswirklichkeit unter verschiedenen Perspektiven zu betrachten und die Perspektiven der Weltsicht jenseits der Fächer in den Unterricht einzubringen.
3.7.3 Die Faktoren Kind – Gesellschaft – Wissenschaft
- Gesellschaft: besondere Beachtung der gesellschaftlichen Dimension
- Kind: Alltagswirklichkeit der Kinder ist Ausgangspunkt und Gegenstand des Unterrichts
- Wissenschaft: verliert ihren Absolutheitsanspruch
3.7.4 Ziele
- Aufklärung der Alltagswirklichkeit der Kinder
- Integration und Emanzipation
- Allgemeine Handlungsfähigkeit
3.7.5 Inhalte
- Handlungsbereiche: Wohnen, Erziehung, Freizeit, Handel und Gewerbe, Politik, Dienstleitung/ Verwaltung, Produktion, Verkehr, Kommunikation, Feier
- Die Handlungsbereiche werden in allen Jahrgangsstufen an Hand unterschiedlicher Beispiele thematisiert.
3.7.6 Methode
- Rekonstruktion der Wirklichkeit unter verschiedenen Perspektiven
- Rekonstruktionstypen: scientische, erlebnis- und erfahrungsbezogene, politisch-öffentliche und szenische Rekonstruktion
- Organisationsformen: Projektunterricht, Kursunterricht, Metaunterricht
3.8 Der vielperspektivische Sachunterricht
Der vielperspektivische Sachunterricht geht auf Arbeiten von Walter Köhnlein (1990) zurück.
3.8.1 Vorläuferkonzeptionen
1) Komponentenmodell nach Hartwig Fiege (1967): Ziel: Stärkung der Inhalte des Sachunterrichts und Überwindung der Vorherrschaft der erdkundlich-lebensweltlichen und volkstümlich-historisierenden Themen 2) integrativ-mehrperspektivischer Unterricht (MPU)(1975)
3.8.2 Anregungsfelder
1) 13 Grundsätze zur Gestaltung des alltäglichen Lebens: schulpädagogisch zugeschnittene Grundsätze, vorgeschlagen von Hartmut von Hentig 2) Epochaltypische Schlüsselprobleme von Wolfgang Klafki für den Sachunterricht: Beispiele: Frage nach Krieg und Frieden, die ökologische Frage 3) Funktionsziele des Sachunterrichts, formuliert von Walter Köhnlein: „Unter Funktionszielen sind demnach Einsichten zu verstehen, die (…) übergreifende Einstellungen und Haltungen bei den Kindern grundlegen und anbahnen.“ 4) Inhaltliche Dimensionen - Kernstück des vielperspektivischen Sachunterrichts: Lebensweltliche Bezüge Dimensionen Kind und Heimat die lebensweltliche Dimension Kind und Geschichte die historische Dimension Kind und Landschaft die geographische Dimension Kind und Wirtschaft die ökonomische Dimension Kind und soziales Umfeld die gesellschaftliche und politische Dimension Kind und physische Welt die physikalische und chemische Dimension Kind und konstruierte Welt die technische Dimension Kind und lebendige Welt die biologische Dimension Kind und Umwelt die ökologische Dimension Die Dimensionen verweisen sowohl auf fachliche Bezüge und auf den Anspruch der Sache, als auch auf die Berücksichtigung der lebensweltlichen Umstände der Kinder. → kein Bruch zwischen Kind und Sache → Vermeiden eines „abgehobenen Fachegoismus“ und einer Verfachlichung → Förderung einer multidimensionalen Sicht der Dinge → Entfaltung der ganzen inhaltlichen Vielfalt eines Themas im Sachunterricht
3.8.3 Didaktische Funktionen der Dimensionen
Die Dimensionen tragen zur vielperspektivischen Gestaltung des Sachunterrichts bei, denn
1) sie eröffnen vielfältige Bezüge eines Inhalts, 2) sie erschließen unterschiedliche Sichtweisen auf ein Ganzes, 3) sie helfen bei der Auswahl von Zielen und Inhalten des Sachunterrichts, 4) sie verhelfen zu einer bewussten Schwerpunktsetzung für die sachunterrichtliche Arbeit, 5) sie können (inhaltliche) Einseitigkeiten vermeiden → Keine Bevorzugung eines Faches, 6) sie vermeiden die Eindimensionalität des Sachunterrichts, 7) sie müssen nicht immer alle an einem Thema abgearbeitet werden, 8) sie verweisen auf eine curriculare Perspektive → es können Aspekte angesprochen werden, die auch in späteren Jahrgangsstufen von Bedeutung sind, 9) sie meinen auf keinen Fall eine interne fachliche Aufgliederung des Sachunterrichts, 10) sie entfalten die Vielperspektivität eines Inhalts und verweisen auf dessen Ergiebigkeit, 11) sie bringen Kind und Sache in ein produktives Verhältnis.
3.8.4 Weitere Ausprägungen des vielperspektivischen Sachunterrichts
1. Die didaktischen Netze von Joachim Kahlert (1994)
- Begriff „Dimension“: Bezug zur lebensweltlichen Orientierung, Beschreibung von Grundakten menschlichen Zusammenlebens (Mit anderen Zusammenleben, Kaufen,…) - Diesen Dimensionen werden fachlich orientierte Perspektiven zugeordnet. ABER: keine Eins-zu-eins-Zuordnung - Dadurch können übergreifende Wissensbestände beim Kind aufgebaut werden. → Lebensweltbezogene Dimensionen und fachlich ausgerichtete Perspektiven werden in Beziehung gesetzt → didaktische Netze → Gewinn von vielfältigen Inhalten für den Sachunterricht
2. Das Philosophieren mit Kindern von Helmut Schreier (1999)
- Schlüsselbegriffe: Pluralismus: Haltung des Menschen, die der Vielperspektivität entspricht Vielperspektivität: Betrachtung eines Problems, Phänomens oder Ereignisses unter vielfältigen Blickwinkeln; Entwicklung von Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen - Philosophieren mit Kindern: vier Schritte für das philosophische Gespräch: 1. Präsentieren von Gegenständen/ Vorlesen einer Geschichte (Hinführung zum Thema) 2. Sammeln von Fragen der Schüler 3. Gemeinsames und begründetes Auswählen einer Frage und deren Besprechung 4. Zusammenfassung im Sinne einer nochmaligen Vergegenwärtigung der Problemlage
3. Der Perspektivrahmen der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) (2001)
- Der Perspektivrahmen kam aufgrund eines bundesweiten Diskurses zustande. - Er nennt fünf fachlich bezogene Perspektiven: sozial- und kulturwissenschaftliches, raumbezogenes, naturbezogenes, technisches und historisches Lernen. - Diese fünf Bezüge müssen miteinander verzahnt und vernetzt werden. - An einem Lernzusammenhang können mit den Schülern viele Perspektiven erarbeitet werden.
3.8.5 Wissenschaftsverständnis des vielperspektivischen Sachunterrichts
- Das Wissenschaftsverständnis ist integrativ, multidimensional und wissenschaftsfreundlich. - Es werden vorwiegend Themen aus den sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen bearbeitet. → Vermeidung eines Zerfalls des Sachunterrichts in zwei Kulturen, in einen sozial- und naturwissenschaftlichen Zweig, sondern Förderung der Integration beider Bereiche - Die aneignungstheoretische Grundauffassung stellt der moderate Konstruktivismus dar: - Hier wird der Eigenanteil des Individuums am Lernprozess betont. - Neben der eigentätigen Konstruktion wird auch die angeleitete Instruktion in sozialen Zusammenhängen zugelassen. Damit sind didaktische Fragestellungen erst möglich.
→ Der vielperspektivische Sachunterricht will unter Betonung des selbstgesteuerten Lernens instruktive und konstruktive Anteile in ein ausgewogenes Verhältnis bringen, wobei es gilt, die Kinder zunehmend zur Eigentätigkeit zu befähigen.
4. Prinzipien eines modernen Sachunterrichts
Bearbeiten4.1 Kindorientierung
- „... Schule und Unterricht so zu gestalten, dass sie vom Kinde aus gedacht werden.“ (Fölling-Albers)
- „Die Kinder sollten nicht durch ungeeignete didaktische Maßnahmen überfordert und entmutigt werden.“ (Fölling-Albers)
- Die Grundschule soll nicht nur alle körperlichen und geistigen Kräfte der Kinder wecken und schulen, sondern soll vielmehr dafür sorgen, dass die Wissensstoffe und Fertigkeiten (nicht bloß) äußerlich angeeignet, sondern möglichst alles, was die Kinder lernen von ihnen innerlich erlebt und selbsttätig erworben wird. (Neuhaus)
- „Das Kind bzw. der Schüler wird zum Subjekt und Bestimmungsfaktor des Unterrichts (Zielauswahl, Inhaltsbestimmung, Methodengestaltung) bezüglich seiner Individualität (Einmaligkeit, Einzigartigkeit) sowie seiner Personalität (Eigenwert, personale Würde).“ (Kammerl/Ragaller)
- „Das Kind in der Schule wird wieder stärker als Schüler gesehen, doch was es als Schüler lernt, soll es als Kind nutzen (können).“ (Fölling-Albers)
- „Unterrichtsgrundsatz, der die Forderung enthält, dass in Planung und Durchführung des Unterrichts die Situation des Kindes zum Ausgangspunkt der Überlegungen und des Tuns genommen wird.“ (Maras)
- Schülergemäßheit
- Schülerorientierung
- Kindgemäßheit
4.2 Sachorientierung
- Wissenschaftsorientierung
- Sachgemäßheit
- Sachgerechtigkeit
- Fachorientierung
- Unterrichtsinhalte werden in ihrer Bedingtheit und Bestimmtheit durch die Wissenschaften erkannt und entsprechend vermittelt. Wissenschaft soll durchschaubar gemacht werden, um sie auf diese Weise kritisch in den eigenen Lebensvollzug aufzunehmen. (Deutscher Bildungsrat)
- „Mit dem Kind von der Sache aus, die für das Kind die Sache ist.“ (Wagenschein)
- „... sachangemessene Erkenntnisgewinnung, Urteilsbildung und Umgangsweise.“ (Kammerl/Ragaller)
- „Der Lerninhalt soll vom Lehrer dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion entsprechend aufbereitet werden.“ (Kammerl/Ragaller)
- „Der Lerninhalt soll von den Schülern mit sachgemäßen Methoden bearbeitet werden.“ (Kammerl/Ragaller)
- „Gesamtheit didaktischer Forderungen, die sich aus dem Anspruch der Sache ergeben“ (Maras)
4.3 Handlungsorientierung
- „Anspruchsvolle geistige Operationen gelingen besser, wenn Gegenstände, auf die sich die geistigen Operationen beziehen, anwesend sind oder wenn konkrete, zuvor im Handeln erworbene Vorstellungen vorhanden sind.“ (Siegler)
- "Projektunterricht, mit dem emanzipatorische und politische Zielsetzungen verfolgt werden, als Idealform“ (Möller/Tenberge)
- Neben der Förderung praktischer Fähigkeiten geht es um die Förderung des Behaltens und Erinnerns, um den Aufbau kognitiver Strukturen, um die Entwicklung von Handlungskompetenz und Selbstvertrauen, sowie um die Entwicklung von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten. (Möller/ Tenberge)
- Unterricht bietet Lernenden die Möglichkeit, bereichsspezifisches Wissen aktiv zu konstruieren.(Möller)
- „Das Ordnen, Vergleichen, Kontrastieren, Strukturieren, Auf-den-Begriff-bringen, Generalisieren und die kritische Reflexion und Einordnung in übergreifende Zusammenhänge und Strukturen.“ (Popp)
- „Die Erfahrung eigener Ausdauer und Kompetenz, individueller Vorlieben und Schwächen.“ (Popp)
4.4 Projektorientierung
Definition (gemäß bayerischem Lehrplan von 2000)
Projektorientiertes Lernen ist eine wichtige Lernform des Heimat- und Sachunterrichts, die insbesondere die Erziehung zur Selbständigkeit unterstützt. Lehrer und Schüler planen und realisieren eine Unterrichtseinheit, bei der in Gruppen und häufig mit fächerübergreifender Perspektive ein gemeinsames Projekt entsteht.
Intentionen des Projektunterrichts
- Förderung von selbständigem und selbstbestimmtem Lernen
- Mitbestimmung und Solidarität
- Sozialkommunikative Kompetenz
- Praktische Erkundung, Aufklärung und Veröffentlichung von erlebter Wirklichkeit
4.5 Selbststeuerung
Definition
In offenen Unterrichtskonzeptionen hat der Schüler die Chance zu selbstgesteuertem Lernen, zur Eigensteuerung in einer längeren Unterrichtsphase, in der er sich kreativ und produktiv handelnd mit dem Lerngegenstand auseinander setzt.
Kennzeichen
- Der Schüler bestimmt sein Lernen weitgehend selbst, der Lehrer nimmt sich dagegen zurück.
- Förderung eines aktiven Lernens der Kinder → eigenständige Wissenskonstruktion
Lern- und Unterrichtsformen
- Wochenplanarbeit
- Freiarbeit
- Projektunterricht
- Lernen an Stationen
4.6 Entdeckendes Lernen
Definition (gemäß bayerischem Lehrplan von 2000)
Das „forschend-entdeckende Lernen“ ist eine wichtige Lernform im Heimat- und Sachunterricht, die die Erziehung zur Selbstständigkeit unterstützt. Die Schüler entwickeln Annahmen, überprüfen sie und finden möglichst selbstständig die angestrebten Kenntnisse heraus.
Kennzeichen
- Die Schüler dürfen selbst durch Auseinandersetzung mit Sachverhalten diese Sachen entdecken.
- Form handelndes Lernens
- enge Verbindung zum Problemlösen
4.7 Problemorientiertes Lernen
Definition (gemäß bayerischem Lehrplan von 2000)
Problemorientiertes Lernen ist eine Lernform, die von Fragen ausgeht und über Lösungsplanungen zu Ergebnissen, Schlussfolgerungen sowie Anwendungen führt. → Kernformel: „Von der Sache aus, die Sache des Kindes ist.“
Ziele
- Förderung der kindlichen Selbständigkeit
- Lernen motivieren
- Hilfen zur Problemlösung gezielt nutzen lernen
- Vertrauen in eigene Problemlösefähigkeit aufbauen