Benutzer:Gina Sophie Hoppe/Arbeitsseite


Der Begriff Liquid Democracy bezeichnet weder ein geschlossenes Konzept noch ein konkretes Modell, dass sich unmittelbar auf Demokratie übertragen ließe. Stattdessen handelt es sich vielmehr um ein Schlagwort, unter dem Entwicklungen, Ideen und Maßnahmen gefasst werden können, die darauf abzielen, die Grenzen von Politik, Staat und Gesellschaft mittels netzwerkbasierter Kommunikation und partizipativer Elemente zu verflüssigen. [1]

Liquid Democracy steht dabei für eine Mischform aus direkter Demokratie und repräsentativer Demokratie, die durch Elemente einer deliberativen Demokratie erweitert wird. Es ist jedoch nicht festgelegt, wo genau sich Liquid Democracy verorten lässt. Daher ist Liquid Democracy als ein Kontinuum zwischen den drei genannten Ansätzen zu verstehen. Ebenso verhält es sich mit dem Grad der Abstraktion, deren Spanne von der Theorie, über die softwaretechnische Umsetzung, bis zum konkreten Anwendungsfall reicht. Liquid Democracy bildet daher gewissermaßen ein „doppeltes Kontinuum“.[2]

Kernelemente

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Zwei wichtige Kernelemente bilden der Diskurs und die Stimmdelegation. Ersterer steht in Bezug zur deliberativen Komponente von Liquid Democracy, die darin besteht, den Austausch von Argumenten zu gewährleisten. Entsprechend der theoretischen Fundierung des deliberativen Ansatzes orientiert sich dieser Austausch am Diskursverständnis nach Habermas. Das zweite Element bezieht sich auf das, was oft auch als Delegated Voting bezeichnet wird und betrifft den Entscheidungsprozess. Komprimiert bedeutet dies, das Bürger frei entscheiden können, ob sie ihre Stimme direkt, oder durch einen Repräsentanten ihrer Wahl abgeben wollen.[2] Aufgrund der engen Verflechtung mangelt es oftmals an einer Abgrenzung zwischen den Begriffen delegated voting und Liquid Democracy – teilweise werden die Begriffe synonym verwendet.

Die Entstehung des Gedankens einer verflüssigten Demokratie steht im Zusammenhang mit dem technischen sowie gesellschaftlichen Wandel. Im Detail sind damit das Aufbrechen alter Strukturen und die Veränderung sozialer Bindung, die Individualisierung sowie die Digitalisierung gemeint. [3] Der Grundgedanke wurde erstmals 1969 von James Miller skizziert[4], eine weiterführende Auseinandersetzung fand jedoch erst Anfang der 2000er statt, als Bryan Ford die Idee einer „Delegative Democracy“ ausführte.[5] Größte Aufmerksamkeit erlangte das Konzept einige Jahre später durch die Piratenparteien.[6]

Erste Anwendung fand Liquid Democracy 2010 durch die Software Liquid Feedback, die zur innerparteilichen Meinungsbildung entwickelt wurde.[7] Die Anwendung außerhalb des politischen Rahmens, etwa in zivilgesellschaftlichen Kontexten oder Unternehmen, ist ebenso denkbar. [8]

Theoretischer und ideeller Überbau

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Die Leitidee bildet, wie auch bei anderen Demokratieformen, das Ideal der Selbstbestimmung. Hinter dem Konzept der Liquid Democracy steht die Kritik an den Mitsprachemöglichkeiten für Bürger, die zum einen durch die Zwischenschaltung von Repräsentanten, aber auch durch die größtenteils hinter verschlossenen Türen stattfindenden Entscheidungsprozesse, beschränkt werden. Der Gegenentwurf dazu lautet, einen für jeden Bürger zugänglichen Diskurs zu schaffen, der auf Chancengleichheit, Inklusion und dem Recht zur freien Meinungsäußerung aufbaut. Die Voraussetzung für einen solchen Diskurs ist ein Raum, in dem man sich gemeinschaftlich über Wünsche, Probleme und Meinungen austauschen kann. Eine solche Möglichkeit vernetzt miteinander zu kommunizieren wurde erst durch das Internet geschaffen.[9] Daher kommt diesem Aspekt auf der Ebene der Realisierung besondere Bedeutung zu.

Basismodell der Liquid Democracy

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Prinzip von Liquid Democracy

Auf Entscheidungsebene lassen sich vier Komponenten von Liquid Democracy identifizieren:[10]

  1. direkte Wahl in allen politischen Belangen (direktdemokratische Komponente)
  2. Übertragung der eigenen Stimme auf einen Repräsentanten zu: (a) einem spezifischen Thema, (b) allen Themen eines oder mehrerer Politikbereiche (c) allen politischen Themen (Komponente der flexiblen Stimmübertragung)
  3. Übertragung von kumulierten Stimmen auf einen anderen Repräsentanten (Meta-Komponente der Stimmübertragung)
  4. zu jeder Zeit möglicher Entzug der Bevollmächtigung zur Stimmabgabe (Komponente der Widerrufbarkeit)

Obwohl die Idee der Liquid Democracy repräsentative Elemente enthält, ist ein deutlicher Unterschied zum traditionellen Verständnis der repräsentativen Demokratie erkennbar. So ist die Stimmübertragung nicht auf bestimmte Kandidaten beschränkt. Potentiell kann jeder Bürger mit dem Stimmrecht anderer bevollmächtigt werden. Des Weiteren können Stimmen akkumuliert werden und wahlweise im Zuge einer Sammelübertragung an wiederum andere weitergegeben werden. Auch die thematisch divergierende Stimmübertragung und die Möglichkeit des sofortigen Stimmentzuges spiegeln ein verändertes Verständnis von Repräsentativität wider (Dobusch 5). Da jede dieser Komponenten unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, spannen sie eher einen „Möglichkeitsraum“ auf, als dass sie starre Voraussetzungen für Liquid Democracy verkörpern.[11]

Die Ziele von Liquid Democracy lassen sich in drei Ebenen gliedern. Auf der ersten Ebene geht es darum, einen fließenden Übergang zwischen repräsentativer und direkter Demokratie zu schaffen. Dadurch sollen es Bürgern ermöglicht werden, sich flexibel und mit variablen Beteiligungsintensivitäten einzubringen. Diese Möglichkeit soll nicht allein auf die finale Abstimmung beschränkt sein, sondern sich auch durch den gesamten Meinungsbildungsprozess ziehen. In direktem Zusammenhang damit steht das Ziel, einen fließenden Übergang zwischen Bottom-Up und Top-Down Verfahren zu schaffen. Liquid Democracy ist ein Verfahren, das darauf aus ist, das vertikal-hierarchische Verständnis zu überwinden, indem es alle Akteure zu einem Netzwerk verbindet, innerhalb dieses sie abhängig von ihren Interessen und Kompetenzen handeln können.

Zuletzt geht es auch darum, einen fließenden Übergang zwischen Politik und Gesellschaft zu gestalten, indem man ein Demokratieverständnis fördert, das Demokratie nicht bloß als Staats- sondern vielmehr als Gesellschaftsprinzip versteht. Das beinhaltet auch, das demokratische Prinzip der Zusammenarbeit auf unterschiedlichste Bereiche der Gesellschaft, wie Schulen, Vereine, Organisationen auszuweiten. Bürgerbeteiligung wird dadurch gegenständlicher, als dass man versucht ein gesellschaftliches Engagement für etwas unmittelbarer in die politische Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.[12]

Einsatz in der Praxis

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Die Non-Profit Organisation Liquid Democracy e.V. wurde 2009 in Berlin gegründet. Das Leitbild der Organisation ist stark auf Bürgerbeteiligung ausgerichtet. Die Tätigkeitsfelder bestehen neben der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Institutionen vor allem in der Entwicklung von Methoden und Technologien zur verstärkten Bürgerbeteiligung. Die fundamentalste Aufgabe besteht darin, die Software Adhocracy zu verwalten und weiterzuentwickeln.[13]

Enquetebeteiligung

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Eine damit in Zusammenhang stehende Innovation war die Verwendung von Adhocracy durch die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages. In diesem Rahmen wurde die Software 2010-2013 dazu genutzt, Bürger als sogenannten „18. Sachverständigen“ in den Diskurs mit einzubeziehen.[14] Konkret konnten im Sinne eines Agenda-Setting-Prozesses Themenvorschläge eingebracht werden, Handlungsempfehlungen ausgepsrochen werden sowie Änderungsanträge formuliert werden. Als Ergebnis wurden zwar zahlreicher Input tatsächlich in die Empfehlungen an den Deutschen Bundestag aufgenommen, genau genommen handelte es sich jedoch eher um ein Konsultations- als ein Mitbestimmungsverfahren.[15]

OffeneKommune

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Ist eine Internettplattform, die gesellschaftlichen Akteuren auf kommunaler Ebene eine politisch neutrale Infrastruktur zur Verfügung stellt. Sie ist ebenfalls Projekt des Liquid Democracy e.V. Ziel ist es, so einen öffentlichen Dialog zu schaffen, in dem zum einen Bürger ihre Wünsche und Interessen zur Sprache bringen können und zum anderen kommunale Institutionen über Pläne und Neuerungen informieren können.[16]

Kritiker befürchten, der Einsatz von Liquid Democracy Verfahren könne zur Benachteiligung von bestimmten Bevölkerungsgruppen führen. In dieser Sache ist zuerst die digitale Spaltung zu nennen, da Liquid Democracy stark softwarebasiert ist. Daneben wird aber auch eine Spaltung zwischen Normalbürgern und denen die besonders viel Zeit, Muße und finanzielle Mittel besitzen sich einzubringen, diskutiert.[17] In diesem Kontext bewegt sich auch das Problem der ungleich verteiltes Stimmgewicht, die durch Stimmdelegation hervorgerufen wird.[18]

Ebenso zeigte sich in der Vergangenheit, dass es zu einer Unterrepräsentation an Gegenstimmen gab, was im Spiegel von Konsenszwang beleuchtet werden muss. Abseits davon berührt das Thema auch Fragen der Anonymität, Nachvollziehbarkeit und Sicherheit.[17] Darüber hinaus gibt es Stimmen, die behaupten, Liquid Democracy führe zu Inkonsistenz politischer Entscheidungen, da sich die Stimmgewalt in den verschiedenen Bereichen jeweils anders verteilt und Stimmen zusätzlich jederzeit widerrufbar sind.[19]

Literatur

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  • Adler, Anja: Liquid Democracy als Social Software für Parteien In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen Nr. 26(2), 2013
  • Bieber, Christoph: Von der Computer-Demokratie zur Liquid Democracy. Zur Modernisierung politischer Beteiligung im Kontext technologischer Entwicklung In: Mai, Manfred (Hrsg.): Handbuch Innovationen. Wiesbaden, Springer VS 2014, ISBN 978-3-658-02316-4
  • Blum Christian/ Zuber, Christina Isabel: Liquid Democracy – Potentials, Problems, and Perspectives In: The Journal of Political Philosophy Nr. 24(2), 2016
  • Harraß, Sven: Liquid Democracy im Feldversuch – Beteiligungsmöglichkeiten in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages In: Friedrichsen, Mike/ Kohn, Roland A.(Hrsg.): Digitale Politikvermittlung. Chancen und Risiken Digitaler Medien. Wiesbaden, Springer VS 2013, 2015, ISBN 978-3-658-06570-6
  • Miller James: A programm for direct and proxy voting in the legislative process In: Public Choice Nr. 7(1), 1969
  • Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0

Einzelnachweise

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  1. Vgl. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S.309
  2. 2,0 2,1 Adler, Anja: Liquid Democracy als Social Software für Parteien In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen. Nr. 26(2), 2013, S. 72
  3. Vgl. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S. 299f.
  4. Miller James: A programm for direct and proxy voting in the legislative process In: Public Choice Nr. 7(1), 1969
  5. Vgl. Dobusch, Leonhard/ Pick, Yussi: Alles fließt. Liquid Democracy in Theorie und Praxis, S.4, abgerufen am 19.06.2017
  6. Vgl. Bieber, Christoph: Von der Computer-Demokratie zur Liquid Democracy. Zur Modernisierung politischer Beteiligung im Kontext technologischer Entwicklung In: Mai, Manfred (Hrsg.): Handbuch Innovationen. Wiesbaden, Springer VS 2014, ISBN 978-3-658-02316-4, S.189-207
  7. Pressemitteilung der Berliner Piratenpartei, abgerufen am 19.06.2017
  8. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S.308
  9. Vgl. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S.308
  10. Vgl. Blum Christian/ Zuber, Christina Isabel: Liquid Democracy – Potentials, Problems, and Perspectives In: The Journal of Political Philosophy Nr. 24(2), 2016, S.165
  11. Dobusch, Leonhard/ Pick, Yussi: ‘'Alles fließt. Liquid Democracy in Theorie und Praxis, S. 5, abgerufen am 19.06.2017
  12. Vgl. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S.303-308
  13. Vgl. Website Liquid Democracy e.V., abgerufen am 20. Juni 2017
  14. Vgl. Harraß, Sven: Liquid Democracy im Feldversuch – Beteiligungsmöglichkeiten in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages In: Friedrichsen, Mike/ Kohn, Roland A.(Hrsg.): Digitale Politikvermittlung. Chancen und Risiken Digitaler Medien. Wiesbaden, Springer VS 2013, 2015, ISBN 978-3-658-06570-6, S.485f.
  15. Vgl. Reichert, Daniel/ Panek, Eva: Alles ist im Fluss – die fließenden Ebenen einer Liquid Democracy In: Voss, Kathrin (Hrsg.): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet . Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-01027-0, S.308f.
  16. Vgl. Website OffeneKommune, abgerufen am 20. Juni 2017
  17. 17,0 17,1 Leonhard Dobusch und Yussi Pick: Alles fließt. Liquid Democracy in Theorie und Praxis. S. 10-12, abgerufen am 19. Juni 2017
  18. Blum Christian und Christina Isabel Zuber: Liquid Democracy – Potentials, Problems, and Perspectives In: The Journal of Political Philosophy. Nr. 24(2), 2016, S.77f.
  19. Vgl. Blum Christian/ Zuber, Christina Isabel: Liquid Democracy – Potentials, Problems, and Perspectives In: The Journal of Political Philosophy Nr. 24(2), 2016, S.178f.
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