Lisa Gutt
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Einleitung
Bearbeiten„Wohnst du noch oder lebst du schon?“ – mit diesem Werbeslogan präsentiert sich das schwedische Möbelhaus Ikea. Du? Ich habe doch irgendwann in der Kindheit gelernt, dass man fremde Menschen nicht mit „Du“ ansprechen soll. Heißt das, dass ich und das Möbelhaus uns so vertraut sind, dass wir uns duzen können? Und steht vor dem „Du“ nicht, dass man jemandem das „Du“ anbietet?
Das „Du-Anbieten“ ist nach Axel Michael ein Ritual. Folgende Bedingungen müssen gegeben sein, damit – nach seiner Vorstellung - eine rituelle Handlung vorliegt: ein Ritual beinhaltet immer einen Wandel, der sich zwischen dem ursprünglichen Zustand und dem postrituellen Zustand vollzieht. Bei diesem Angebot verändert sich neben der Anspracheform auch die Distanz zwischen den Gesprächspartnern. Des Weiteren umfasst ein Ritual auch grundlegend einen „formale[n] Beschluss (ein Schwur, ein Versprechen, ein Gelübde); kein Ritual ist spontan, zufällig oder willkürlich“(Caduff 8). Im Fall des Du-Angebots ist dies das Angebot an sich. „Rituale zeichnen sich im weiteren [sic!] durch formale Handlungskriterien wie Wiederholungen, Öffentlichkeit und Unwiderruflichkeit aus“ (Caduff 8). Auch diese Kriterien treffen in unserem Fall zu: Wer würde auf die Idee kommen, das Du zurückzuziehen? „Hinzu kommen modale Handlungskriterien: Vergemeinschaftung, Transzendenz und subjektive Wirkung. Schliesslich [sic!] gibt Michaels zu bedenken, dass Rituale notwendigerweise Veränderungen von Identität, Rolle, Status, Kompetenz herbeiführen“ (Caduff 8). Besonders Letzteres ist für das Angebot, jemanden Duzen zu dürfen entscheidend, denn schließlich verändert sich die gefühlte Nähe zueinander.
Ich habe aber Ikea nicht das Du angeboten. Trotzdem werde ich geduzt. Sterben Rituale oder dieses Ritual im Besonderen also aus? Axel Michael glaubt nicht daran. Er versucht in seinen Ausführungen die Auffassung zu widerlegen, dass Rituale nicht mehr zeitgemäß sind und ihre Bedeutung verloren haben. Er weist hingegen auf „spezifische Inhalte von Ritualen [hin]“ (Caduff 8) und verfolgt die „Idee, dass Bedeutung, Sinn, Zweck und Funktion von Ritualen wesentlich in ihrer Unveränderbarkeit liegen.“ (Caduff 8)
Offensichtlich hat Ikea also auf dieses Ritual verzichtet und nutzt sofort das Du. Das ist insofern nicht völlig überraschend, da das Möbelhaus aus Schweden stammt, wo die Anredeformen anders denen im Deutschen sind. In Schweden sagen nämlich mittlerweile alle zueinander „Du“. Der Angestellte zum Chef, der Kunde zum Bankmitarbeiter und der Student zum Professor – nur der König hat eine eigene Anredeformel. Doch das war nicht immer so im Bullerbü-Land. „Bevor es in Schweden üblich wurde, sich konsequent zu duzen, war die Sprachverwirrung noch größer als beim deutschen Du- oder Sie-Prinzip“ (handelskammer.se, aufgerufen am: 10.12.2014), denn je nach Rang musste klar unterschieden werden, ob jemand geduzt oder mit dem vollen Titel angesprochen werden sollte. Das Resultat zeigte sich in umständlichen sprachlichen Ausweichmanövern und genereller Verwirrung. Erst die Protestbewegungen in den späten 60er Jahren haben zu einem allgemeinen „Du“ aufgerufen, welches dann sehr schnell den Weg in die Gesetzbücher gefunden hat und als „Du-Reform“ im ganzen Land verbreitet war. Mittlerweile ist das „Du“ aus dem schwedischen Alltag nicht mehr wegzudenken und durchdringt nicht nur das Mündliche sondern auch den Schriftverkehr.
Das Verhältnis der Deutschen zu den Anredeformen "Du" und "Sie" wurde bereits mehrfach untersucht. Zuletzt im "JACOBS Krönung Trendcheck 'Manieren'" vom Herbst 2011. Die Frage, ob sich auch die Deutschen vorstellen können, das "Sie" abzuschaffen und wie sie zu den in Deutschland gebräuchlichen Anredeformen stehen, soll im folgenden erörtert werden.
Hypothese
BearbeitenDeutsche können sich vorstellen, sich gegenseitig ausschließlich zu Duzen, wie es in Schweden der Fall ist.
Anredeformen – ein sozio-historischer Überblick
BearbeitenDie Formen der Anrede unterliegen im Laufe der Geschichte der deutschen Sprache einem kontinuierlichen Wandel. So sind unsere heutigen Pronomina "Du" und "Sie" zur Adressierung eines Gegenübers keineswegs ein altes Relikt, das mehrere hundert Jahre in die Vergangenheit zurückreicht, sondern vielmehr eine neuzeitliche Entwicklung. Das Anredeinventar, welches je nach Epoche mehr oder weniger umfangreich ausfällt und starkem Wandel unterliegt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den gesellschaftspolitischen Entwicklungen der betrachteten Epoche. Grundlegend ist zu bemerken, dass ein derartig dynamischer Sprachwandel kennzeichnend für „hierarchisch hoch ausdifferenzierte[] Gesellschaften“ (Besch 117) wie die deutsche ist.
Anredeformen im Mittelalter
BearbeitenDa wir heute über keine Tonaufnahmen der mittelalterlichen Alltagssprache verfügen, können zur Analyse der Anredepronomina ausschließlich schriftlich überlieferte Dialogsituationen herangezogen werden. Insbesondere in kirchlichen Texten, die in dieser Epoche die Mehrzahl der Schriftzeugnisse ausmachen, ist das Gebets-Du zu finden (ahd. „Gilaubistu in got fater almahtigan?“ (ca. 800 n. Chr.)). Geduzt wird desweiteren auch im Preis- und im Heldenlied, beispielsweise dem „Hildebrandslied“ zu Beginn des 9. Jahrhunderts, welches Inhalte weltlicher Natur vermitteln.
Obwohl es bereits vereinzelte, frühere Quellen für die Verwendung des pluralis reverentiae (Höflichkeitsanrede in der 2. Person Plural) gibt, so kann davon ausgegangen werden, dass das Ihrzen erst um 1200 in der Mitte der mittelalterlichen Gesellschaft angekommen ist und in der Literatur reflektiert wird. Dieses duale Modell bestehend aus "du" und "ir" stammt ursprünglich aus dem klassischen Latein und bildet in alltäglichen Gesprächssituationen den Grundstein der „europäischen Höflichkeitskultur“ (Besch 119). Hierdurch entsteht eine Hierarchie bezüglich der Anredeformen, da nun nicht mehr ein einheitliches Du im Dialog verwendet wird, sondern je nach Rang und Stand zwischen "du" und "ir" differenziert werden muss: „ir für Adel, Geistlichkeit, Regierende, überhaupt für alles Herausgehobene, du für das Volk“ (Besch 119). Es wird also „nach unten“ geduzt und „nach oben“ geihrzt.
Erweiterung des Anredeinventars in der Frühen Neuzeit
BearbeitenWar die Aufgliederung der Anredeformen im dualen System des Mittelalters noch verhältnismäßig verständlich und klar gegliedert, beginnt mit der Frühen Neuzeit ein Zeitalter, das in seiner Vielfalt an geläufigen Anredeformen nicht nur die gesellschaftliche Verteilung in der Sprache feiner strukturiert, sondern auch dezidiertere Gebrauchsregeln fordert, die einen gewissen Bildungsstand voraussetzten. So äußert sich G.P. Harsdörfer (1607-1658), „die Höfligkeit [sic!] [sei] an etlichen Orten dahin gelangt, daß [sic!] man die Menschen wie weiland die Götter ehren muß [sic!] / wann man nicht für Bäurisch wil [sic!] gehalten werden“ und beschreibt desweiteren die Verteilung der Anredepronomen. In der gesellschaftlichen Hierarchie wird weiterhin nach unten geduzt. Für die Anrede an eine standesmäßig höhere Person ist nun, neben dem nachwievor geläufigen Ihrzen, auch die Anrede in der 3. Person Singular (!) belegt. Diese Form der Ansprache mit "Er" oder "Sie" tritt in der Regel in Kombination mit dem entsprechenden Titel (Herr, Majestät, Hochwürden etc.) auf und ist für unser heutiges Sie, wohlgemerkt im Plural, noch nicht wegweisend. Mit großer Wahrscheinlichkeit geht der Gebrauch von "Er" und "Sie" im Singular und später auch im Plural auf die rückverweisende Funktion der Personalpronomen zurück. So kann auf einen zuvor genannten Titel mithilfe eines Personalpronomens der 3. Person Bezug genommen werden, ohne dass das direktere Anredepronomen "Ihr" gebraucht werden muss. Dadurch kommt es zu einer sprachlichen Vergrößerung der zwischenmenschlichen Distanz, deren Grundlage die Ständeordnung ist. Erst Ende des 17. Jahrhunderts verbreitet sich die Anredeform "Sie" (3. Person Plural), die auch heutzutage noch in der deutschen Sprache, wenn auch in einem erweiterten Anwendungsbereich gebraucht wird. Mit dieser zusätzlichen fünften Anredeform erreicht das Anredeinventar in der Frühen Neuzeit seinen Höhepunkt an Komplexität.
Sprachrevolution: Von der Französischen Revolution bis zur 1968er Studentenbewegung
BearbeitenWie stark gesellschaftliche Unruhen und politische Umbrüche Einfluss auf die Sprache nehmen können, zeigt sich zu Zeiten der Französischen Revolution. Im Kampf der Franzosen gegen die Ungleichheit wollte man flächendeckend gegenseitiges Duzen (frz. tutoyer) durchsetzen, das unabhängig von Rang und Stand sein sollte. Dies wurde 1793 auch gesetzlich im sogenannten Duz-Dekret verankert, “das alle republikanisch gesinnten Franzosen verpflichten sollte, sich ohne Unterschied zu duzen“ (Besch 127). Im 19. Jahrhundert etablierte sich dann langsam wieder ein duales System, diesmal bestehend aus "Du" und "Sie" (3. Person Plural) und einer deutlichen Reduktion in der Verwendung von Titeln in der Anrede.
Ähnlich revolutionär verfolgte auch die deutsche Studentenbewegung von 1968 eine Auflockerung der Anredekonventionen, die neben der Du-Expansion auch das Weglassen der akademischen Titel an den Universitäten proklamierte. Wenn auch nicht zur Gänze durchgesetzt, haben diese Bestrebungen auf unseren heutigen Gebrauch der Anredeformen starken Einfluss genommen und die sprachlichen Konventionen maßgeblich gelockert.
Betrachtet man die Zahl der verschiedenen Anredeformen im Verlauf ihrer Geschichte, so wird deutlich, dass zu Beginn der Sprachzeugnisse (in schriftlicher Form) ein verhältnismäßig kleines Anredeinventar vorliegt. Dieses dehnt sich durch die Epochen immer weiter aus und erreicht seinen Zenit in der Frühen Neuzeit mit fünf verschiedenen Anredeformen. In den folgenden Jahrhunderten bishin zum aktuellen Stand unterliegt die Formenvielfalt wieder einer kontinuierlichen Reduktion. In unserer heutigen Zeit gibt es wieder ein duales Sytem wie im Mittelalter und die Tendenz geht deutlich in weiter in Richtung Vereinheitlichung. Dies würde bedeuten, dass das duale System aus "Du" und "Sie" auch noch aufgelöst wird, sodass am Ende wie in Schweden nur noch eine offizielle Anredeform besteht: das "Du". Stellt man diese diachrone Entwicklung graphisch dar, so ergibt sich ein Kurvenverlauf, der den Rückgang der Anredeformenvielfalt deutlich darstellt.
Variablen für die Wahl einer Anredeform
BearbeitenWolfgang Besch fasst basierend auf seinen Recherchen vier Variablen zusammen, die er als ausschlaggebend beim Gebrauch der Anredeformen sieht. Diese umfassen das Alter der Kommunizierenden, deren Geschlecht, ihren Rang in der Gesellschaft und ihre Situation. Als Beispiel für die Variable „Alter“ führt Besch den Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter an und somit auch den Wechsel vom „Kinder-Du“ zum „Erwachsenen-Sie“, der oft in der gymnasialen Oberstufe bewusst initiiert wird. (vgl. Besch 121) Desto größer der Altersunterschied zwischen den Gesprächspartnern, desto höher ist bisher die Wahrscheinlichkeit, dass die wesentlich jüngere Person zum „Sie“ greift.
Im Gegensatz zu anderen (vor allem arabischen und ostasiatischen) Sprachen hat es im Deutschen kaum Einfluss auf die Verteilung von „Du“ und „Sie“, ob eine Person männlich oder weiblich ist. Das ist selbstverständlich auch ein Erfolg der emanzipatorischen Bewegung, die für die Gleichberechtigung beider Geschlechter auch auf der sprachlichen Ebene gekämpft hat. In der Forschung können nur sehr feine Unterschiede im Gebrauch von Anredeformen zwischen den Geschlechtern unterschieden werden. So wurde in Umfragen herausgefunden, „dass Frauen […] wesentlich zurückhaltender gegenüber einem ‘schnellen du‘ sind als Männer und dass sie in bestimmten Situationen höflicher angesprochen werden“ (Besch 121).
Einen starken Einfluss auf die Wahl der Anredeform hat der hierarchische Status, der soziale Rang, des Gegenübers im deutschsprachigen Kulturraum. So ist es trotz der zeitgenössischen Trends nachwievor sehr weit verbreitet „nach oben“ zu siezen und „nach unten“ zu duzen. Das ist besonders deutlich in der Arbeitswelt oder im Schulsystem zu beobachten, wo eine klare hierarchische Struktur vorliegt, die sich grob in Arbeitgeber und Arbeitnehmer einteilen lässt. In manchen Fällen liegt sogar eine Asymmetrie in der Anrede zweier Personen mit verschieden sozialen Rängen vor, sodass die Person höheren Rangs eine Person niederen Rangs duzt, andersherum aber gesiezt wird. Diese Strukturen haben sich diachron reduziert. Im Trend liegen heute eher Unternehmen wie Alnatura, Apple oder Ikea, in denen unabhängig der Firmenhierarchie versucht wird, das „Du“ für alle durchzusetzen.
Je nach Formalität einer Situation kann die Anredeform zudem stark variieren. Besch nennt hier als Beispiel das unangebrachte Duzen eines Staatsoberhaupts in einer öffentlichen Rede, auch wenn der Sprecher im Alltag per du mit dem hohen Politiker ist. Wesentlich zahlreichere Fälle gibt es aber für ein einheitliches Duzen in informellen Situationen, wie beispielsweise bei der Ansprache eines Toten am Grab, beim Bergsteigen, im Sport oder auf ausgelassenen Festen. (vgl. Besch 122)
Anhand dieser vier Variablen wird deutlich wie vielseitig der Gebrauch der passenden Anredeform sein kann. Möglich ist demnach auch, dass die Idee vom einheitlichen „Du“, die sich vor allem die Wirtschaft zu Nutze macht, daraus resultiert, dass die Verwirrung beim Gebrauch von „Sie“ und „Du“ zu groß geworden ist und für viele eine Hemmschwelle darstellt, die durch eine Vereinheitlichung aufgehoben werden könnte.
Aktueller Forschungsstand in Deutschland
BearbeitenDuzen oder siezen ist eine Frage der Manieren und der Umgangsformen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich der JACOBS Krönung Trendcheck "Manieren" auch mit dieser Frage beschäftigt.
Im Rahmen dieser Studie, die vom Institut für Demoskopie Allensbach ausging, wurden im September 2011 insgesamt 1802 Menschen in ganz Deutschland befragt. So kann sie als repräsentativ gelten. Für die Studie wurden die Befragten in Altersgruppen von 16 bis 29 Jahren, 30 bis 44 Jahren, 45 bis 59 Jahren und Menschen, die älter als 60 Jahre sind, eingeteilt.
Duzen hat etwas mit Vertrautheit zu tun. Dieser Meinung sind 71 Prozent der Befragten. Auffallend ist, dass Frauen häufiger dieser Meinung sind, als Männer (76 Prozent bei den Frauen zu 66 Prozent bei den Männern). Dieser Aussage stimmen mit zunehmenden Alter immer mehr Befragte zu. In der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen sind doppelt so viele der Meinung, dass es nicht notwendig sei, sich näher zu kennen um sich gegenseitig zu duzen als in der durchschnittlichen Gesamtbevölkerung.
Generell ergab die Befragung, dass jüngere Menschen schneller duzen als mit zunehmenden Alter. So gaben 47 Prozent der unter 30-jährigen an, schnell zum „Du“ überzugehen. Auch bei den 30 bis 59 Jahre alten Befragten gehen etwa ein Drittel schnell zum „Du“ über. Nur die Probanden, die älter als 60 Jahre alt sind, gehen eher zurückhaltend mit dem Duzen um: nur 8 Prozent würden auch nach kurzer Bekanntschaft das „Du“ verwenden. Sehr auffällig ist, dass etwa die Hälfte der Befragten die Entscheidung, ob sie ihr Gegenüber duzen oder siezen, von der Situation abhängig machen. Dies zeigt sich an allen Altersgruppen.
Während sich die Daten bei den Befragten bis 59 Jahren stetig verändern, stechen die der Befragten ab 60 Jahren besonders hervor: Fast die Hälfte von ihnen geben an, dass sie erst nach längerer Zeit duzen. Das sind mehr als doppelt so viele wie in der Altersgruppe von 45 bis 59 Jahren.
Allgemein scheint der Trend nicht zum schnelleren Duzen zu gehen (etwa 26 Prozent, wobei es seit 1974 kaum Veränderungen gab), auch wenn das häufig behauptet wird. Deutlich ist, dass man immer weiter davon abrückt, lange mit dem Gegenüber bekannt zu sein, bevor man ihn duzt (1974 gaben 41 Prozent an, dass es lange dauert, bevor sie jemanden duzen, während es 2011 durchschnittlich nur noch 26 Prozent sind). Dafür steigt die Zahl derer, die diese Entscheidung vom Einzelfall abhängig machen, stetig zu steigen. Gaben dies 1974 noch 34 Prozent an, so sind es 2011 schon 48 Prozent.
Das schnelle Duzen wird 2011 eher akzeptiert als noch 1986. Allerdings ist auch das altersabhängig: die 16- bis 59-Jährigen sehen dies nur zu 29 bis 34 Prozent als schlechtes Benehmen an (mit zunehmendem Alter steigend), während die Befragten ab 60 Jahren das schnelle „Du“ zu 63 Prozent als schlechtes Benehmen empfinden würden. Zentral für die Ablehnung ist vor allem, dass das „Du“ eine Nähe vortäuscht, die häufig nicht vorhanden ist. Rund Dreiviertel derer, die dem schnellen Duzen kritisch gegenüber stehen, sehen dies unter Altersgleichen aber nicht als Respektlosigkeit an.
Ob ein schnelles „Du“ akzeptiert wird, liegt besonders am Alter des Gesprächspartners. Ist dieser etwa gleichaltrig, fänden 76 Prozent der unter 45-Jährigen das Duzen in Ordnung. Auch bei den Befragten ab 45 Jahren ist die die Akzeptanz in diesem Fall größer (39 Prozent). Haben die Gesprächspartner einen deutlichen Altersunterschied, so stößt man eher auf Ablehnung des schnellen „Dus“. Werden Jüngere von Älteren geduzt ist dies ein Anzeichen von Hierarchie und wird kritischer betrachtet. 61 Prozent der Befragten fänden es in Ordnung, von Älteren geduzt zu werden. Wenn jüngere Menschen ältere duzen, so kann das als Respektlosigkeit aufgefasst werden. Daher ist verständlich, dass nur 27 Prozent der über 45- Jährigen es in Ordnung fänden, wenn sie von jüngeren geduzt würden.
Während die Ablehnung unter Altersgleichen häufig nicht mit Respektlosigkeit begründet wurde, trifft dies beim Duzen über Altersgrenzen hinweg häufig zu. Ein Drittel aller Befragten würden es als respektlos empfinden, wenn deutlich Ältere oder Jüngere sie schnell duzen würden.
Einer Abschaffung des Siezens stehen die meisten Befragten kritisch gegenüber: 61 Prozent wollen diese Differenzierung behalten. Auch hier zeigt sich, dass besonders die jüngeren Menschen dem Duzen positiver gegenüberstehen. In den Altersgruppen von 16 bis 29 und 30 bis 44 Jahren befürworten 37 bzw. 31 Prozent der Befragten die Abschaffung der verschiedenen Anspracheformen, während es in den älteren Gruppen nur noch 21 bzw. 13 Prozent sind.
(Vgl. jacobs-studie.de November 2011, aufgerufen am 10.12.2014)
Erhebung
BearbeitenUm die aktuellen Tendenzen zum Umgang mit den Anredeformen "Du" und "Sie" und die Wichtigkeit, die die Menschen ihrer Differenzierung zumessen, erfassen zu können, wurde angelehnt an den "JACOBS Krönung Trendcheck 'Manieren'" eine Umfrage unter Bewohnern der Stadt Augsburg im Dezember 2014 durchgefürht. Dazu wurden 4 Personen, verschiedenen Alters und Geschlechts mit Hilfe eines Leitfaden-Interviews befragt. Es wurde jeweils eine repräsentative Person der Altersgruppen von 16-29, 30-44, 45-59 und über 60 Jahren sowie Vertreter beider Geschlechter ausgewählt.
Die Fragen unterliegen einer Kategorisierung nach den Schwerpunkten: Aktuelle Tendenzen, Respekt/Höflichkeit, Verhalten gegenüber Gleichaltrigen und Duzen und Siezen am Arbeitsplatz.
Interview 16-29 Jahre/ weiblich
Bearbeiten1. Gehst du gerne zu Ikea einkaufen? Magst du die persönliche Atmosphäre dort?
A1 Ja, eigentlich schon. Ich mag die Möbel. Aber mir ist dort manchmal zu viel los und die Menschen um einen herum sind immer so gestresst.
Und die Mitarbeiter?
A2 Ich hab da noch nicht so viel mit den Mitarbeitern zu tun gehabt. Aber die an der Selbstbezahlkasse sind immer sehr freundlich.
IKEA ist ja ein schwedisches Unternehmen und ihrer Unternehmensphilosophie steht, dass sich alle gegenseitig duzen, wie im Ursprungsland Schweden. In der schwedischen Sprache gibt es nämlich keine Unterscheidung zwischen ‘Du’ und ‘Sie’. Nun ist vorgeschlagen worden, auch in Deutschland diese Unterscheidung aufzuheben und in Zukunft nur noch das ‘Du’ zu verwenden. Fändest du es gut, wenn auch in der deutschen Sprache auf das ‘Sie’ verzichtet wird und nur das ‘Du’ verwendet würde, oder fändest du das nicht gut?
A3 Ah, deshalb die IKEA-Frage [lacht]. Ich mag das „Sie“ nicht so gerne. Vielleicht mag ich deshalb Ikea.
A4 Ich fände es gut, wenn das „Sie“ abgeschafft werden würde. Dann wäre der Umgang untereinander vielleicht mehr freundschaftlicher. In Schweden ist das doch bestimmt so.
Hast du den Eindruck, dass wir uns momentan in einer Umbruchsphase vom Sie zum Du befinden?
A5 Manchmal schon. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, beispielsweise Dozenten zu duzen. Bei uns am Musikdidaktik-Lehrstuhl ist das aber so.
A6 Wenn man schon Dozenten mit „Du“ ansprechen soll, dann muss es ja so eine Umbruchphase geben.
Die einen sagen, wenn sie neue Leute kennenlernen, ziemlich schnell, schon nach kurzer Bekanntschaft ‘Du’ zueinander. Bei anderen dauert es lange, bis sie zum ‘Du’ übergehen. Wie geht es Dir in dieser Hinsicht? Duzt du andere Menschen schnell?
A7 Ich denke, dass ich da ziemlich schnell bin. Wie schon gesagt: ich mag das „Sie“ nicht so gerne, deshalb duze ich andere Menschen recht schnell.
Findest du, es ist schlechtes Benehmen einen kaum Bekannten zu duzen?
A8 Nö, dann müsste ich ja mein eigenes Verhalten als schlechtes Verhalten abstempeln. Außerdem wird man ja heute in manchen Geschäften und so auch geduzt.
A9 Du hattest doch vorher das Beispiel IKEA. Dann würden die sich ja ihren Kunden gegenüber respektlos verhalten, wenn ihre Firmenphilosophie von ihnen verlangt, alle zu mit „Du“ anzusprechen.
Also bist du nicht der Meinung, dass man sich näher kennen sollte, bevor man sich duzt?
A10 Genau. Ob man sich jetzt besser oder schlechter kennt, spielt da keine Rolle.
Wenn man in Schweden in die Bank geht, wird man geduzt und mit dem Vornamen angesprochen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen? Tut das der Seriösität Abbruch?
A11 Das ist irgendwie eine seltsame Vorstellung. Aber das ist vielleicht persönlicher. Dann fühlt man sich als Kunde möglicherweise besser betreut.
A12 Also nein, ich finde das täte der Seriösität keinen Abbruch.
Wen würdest du siezen und wen duzen? Ist das altersabhängig? Oder vom Bildungsstand?
A13 Puh, darauf habe ich bis jetzt noch nie wirklich geachtet. Im Großen und Ganzen halte ich mich da an die Konventionen und sieze alle, die eine Autorität ausstrahlen.
A14 Dann ist das vielleicht auch etwas vom Alter abhängig: Also Ältere siezt man eher, als Jüngere.
A15 Ob das vom Bildungsstand abhängig ist, weiß ich nicht. Aber eigentlich sieht man seinem Gegenüber ja nicht an, was der für einen Schulabschluss hat.
A16 Also denke ich mal, ich würde das nicht davon abhängig machen.
Sagst du schneller ‘Du‘, wenn du eine gleichaltrige fremde Person kennenlernst?
A17 Ich denke, Gleichaltrige würde ich schneller duzen als Ältere. Aber auch nicht immer. Allerdings ist das bei mir nochmal etwas anders,
A18 weil meine Eltern ja relativ alt sind und ihre Freunde damit auch. Ich würde nie auf die Idee kommen, Freunde meiner Eltern zu siezen.
Möchtest du selbst von Gleichaltrigen lieber geduzt oder gesiezt werden?
A19 Geduzt! Also bitte, stell dir mal vor, du musst in der Uni eine Gruppenarbeit machen und alle sprechen sich mit „Sie“ an. Am besten noch mit dem Nachnamen… Das fände ich ganz schrecklich.
In Schweden ist es üblich, den Chef mit „Hej Björn! Wie geht’s dir?“ zu begrüßen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen?
A20 Ja, schon. In der Firma, wo ich in den Semesterferien immer arbeite, sprechen sich auch alle mit „Du“ an. Aber da fragt niemand den Chef wie es ihm geht.
Ist es deiner Meinung nach wichtig „nach oben“ zu duzen und „nach unten“ zu siezen, um die hierarchischen Strukturen in Deutschland zu sichern?
A21 Nein, ich finde das ist Quatsch. Wir brauchen in Deutschland keine hierarchischen Strukturen! Da muss man auch nicht in bestimmte Richtungen duzen oder siezen.
Interview 30-44 Jahre/ männlich
BearbeitenGehst du gerne zu Ikea einkaufen? Magst du die persönliche Atmosphäre dort?
B1 Ja doch, da geh ich schon gerne hin. Die Atmosphäre ist schon anders als in anderen Läden. Zwischenmenschlichkeit scheint ihnen besonders wichtig zu sein bei Ikea.
B2 Ich find die Atmosphäre angenehm - wohl weil sie von der Firma künstlich erzeugt wird.
IKEA ist ja ein schwedisches Unternehmen und ihrer Unternehmensphilosophie steht, dass sich alle gegenseitig duzen sollen, wie im Ursprungsland Schweden. Meinst du, das ist mitunter ausschlaggebend dafür, dass du die Atmosphäre hier in Deutschland künstlich findest?
B3 Das kann schon sein. Gewöhnlich ist das ja nicht in Deutschland, dass alle in einem Unternehmen „Du“ zueinander sagen.
In der schwedischen Sprache gibt es keine Unterscheidung zwischen ‘Du’ und ‘Sie’. Nun ist vorgeschlagen worden, auch in Deutschland diese Unterscheidung aufzuheben und in Zukunft nur noch das ‘Du’ zu verwenden. Fändest du es gut, wenn auch in der deutschen Sprache auf das ‘Sie’ verzichtet und nur das ‘Du’ verwendet würde, oder fändest du das nicht gut?
B4 Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in allen Lebensbereichen durchgesetzt werden kann. Das „Sie“ ist in Deutschland schon sehr etabliert.
B5 An der Schule lernt man ja auch die Lehrer, den Schulleiter und fremde Erwachsene zu siezen. In der Grundschule finde ich es ok,
B6 wenn die Kinder noch jeden duzen, aber später wird es dann wichtig mit der Anredeform „Sie“ umzugehen.
Hast du den Eindruck, dass wir uns momentan in einer Umbruchsphase vom Sie zum Du befinden?
B7 Ja, die Gesellschaft wird auf jeden Fall lockerer. In den 70er Jahren hat man ja teilweise die Nachbarn noch gesiezt. Die Umgangsformen werden generell lockerer und informeller.
Findest du, dass das Du-Anbieten seltener wird?
B8 Ja auf jeden Fall. Man duzt ja von vornherein schon viel mehr Leute, da übergeht man den Schritt einfach.
Die einen sagen, wenn sie neue Leute kennenlernen, ziemlich schnell, schon nach kurzer Bekanntschaft ‘Du’ zueinander. Bei anderen dauert es lange, bis sie zum ‘Du’ übergehen. Wie geht es Dir in dieser Hinsicht? Duzt du andere Menschen schnell?
B9 Ja, doch. Ich finde das angenehm, weil es den Umgang miteinander deutlich erleichtert. Eine Sie-Schranke ist oft eine Blockade.
Findest du es ist schlechtes Benehmen, einen kaum Bekannten zu duzen?
B10 Ja, gegenüber Älteren schon. Wenn Jüngere einen über 60-Jährigen duzen, finde ich das unpassend. Das hat etwas mit Ehrbezeugung im Alter zu tun.
B11 Dabei ist es eher peinlich für die jüngere Person als verletzend für die ältere Person.
Bist du grundsätzlich der Meinung, man sollte sich näher kennen, bevor man sich duzt. Oder findest du das ist nicht notwendig?
B12 Nein, das finde ich grundlegend nicht notwendig. Je nach Situation duze ich die meisten sieze ich ein paar Personen und dabei bleibt es dann meistens auch.
Wenn man in Schweden in die Bank geht, wird man geduzt und mit dem Vornamen angesprochen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen? Oder meinst du darunter würde die Seriosität leiden?
B13 Weiß nicht, ich glaub eher nicht. De facto würde die Seriosität nicht abnehmen, aber gefühlt schon. In der Bank schafft das „Sie“ schon eine professionelle Distanz.
Wen würdest du siezen und wen duzen? Ist das altersabhängig? Oder vom Bildungsstand ?
B14 Altersabhängig auf jeden Fall. Eine Person über 60 würde ich immer siezen. Was den Bildungsstand betrifft mache ich das gefühlsmäßig.
B15 Ist mein Gegenüber ein Schulleiter oder Professor, sage ich immer „Sie“, auch wenn die Person so alt ist wie ich. Da unterstreicht ein „Sie“ dann doch eine hierarchische Struktur.
Sagst du schneller ‘Du‘, wenn du eine gleichaltrige fremde Person kennenlernst?
B16 Ja, auf jeden Fall, wenn jemand gleichaltrig oder jünger ist als ich. Aber manchmal auch irgendwie intuitiv. Wenn sich jemand in meinem Alter so gebiert,
B17 als ob er lieber gesiezt werden möchte, dann sage ich auch „Sie“. Außerdem ist das auch abhängig von der Sympathie und Empathie, die ich der Person gegenüber aufbringe.
Möchtest du selbst von Gleichaltrigen lieber geduzt oder gesiezt werden?
B18 Auf jeden Fall geduzt, sonst fühl ich mich alt. Aber in bestimmten Situationen vielleicht schon. Wenn ich jemandem vorgesetzt bin,
B19 fände ich es schon komisch, wenn mich diese Person von vornherein duzen würde, auch wenn wir gleich alt sind.
B20 Ein weiteres Beispiel wären Gespräche mit Eltern an der Schule. Die sind auch häufig so alt wie ich,
B21 aber da ist ein „Sie“ für beide Seiten bestimmt besser, um eine emotionale Distanz zu wahren.
In Schweden ist es üblich, den Chef mit „Hej Björn! Wie geht’s dir?“ zu begrüßen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen?
B22 Das ist in Deutschland von heute auf morgen nicht denkbar. Ich kann da nur von meiner eigenen Arbeit in der Schule reden.
B23 Vielleicht ist das an nicht-staatlichen Schulen eher möglich, an Montessori- oder Waldorf-Schulen zum Beispiel.
B24 Sprachliche Hierarchie gibt meiner Meinung nach vielen Sicherheit und Orientierung.
Könntest du dir vorstellen in einem Unternehmen wie IKEA zu arbeiten, indem du die Chefetage, die Kollegen und die Kundschaft gleichermaßen duzt – und andersherum?
B25 Das wäre zwar ein große Umstellung, aber ja, grundsätzlich könnte ich mir das schon vorstellen. Sobald der Wandel zum „Du“ vollzogen ist,
B26 ist es bestimmt gut. Aber der Weg dahin ist nicht so einfach. Wenn meine Oma, die immerhin 2 Weltkriege überlebt hat, bei IKEA einkauft
B27 und von den Mitarbeitern geduzt wird, fände ich das doch grenzüberschreitend und sie bestimmt auch.
Ist es deiner Meinung nach wichtig „nach oben“ zu duzen und „nach unten“ zu siezen um die hierarchischen Strukturen in Deutschland zu sichern?
B28 Nein, es ist nur ein Ausdruck davon. Notwendig zum Erhalt der Hierarchie ist das aber nicht. Die Strukturen sind so fest,
B29 die würden durch einen Wandel vom „Sie“ zum „Du“ nicht aufbrechen.
Interview 45-59 Jahre/ männlich
BearbeitenGehst du gerne zu Ikea einkaufen? Magst du die persönliche Atmosphäre dort?
C1 Ich komme nicht so oft in die Verlegenheit, bei IKEA einkaufen zu gehen. Aber wenn, dann finde ich es immer sehr amüsant.
C2 Die Verkäufer haben zwar häufig keine Ahnung, aber sind trotzdem eigentlich immer sehr freundlich und hilfsbereit. Das mag ich dort schon.
IKEA ist ja ein schwedisches Unternehmen und in ihrer Unternehmensphilosophie steht, dass sich alle gegenseitig duzen, wie im Ursprungsland Schweden. In der schwedischen Sprache gibt es nämlich keine Unterscheidung zwischen ‘Du’ und ‘Sie’. Nun ist vorgeschlagen worden, auch in Deutschland diese Unterscheidung aufzuheben und in Zukunft nur noch das ‘Du’ zu verwenden. Fändest du es gut, wenn auch in der deutschen Sprache auf das ‘Sie’ verzichtet wird und nur das ‘Du’ verwendet würde, oder fändest du das nicht gut?
C3 Nein, ich finde es schon gut, dass es diese Unterscheidung gibt. Es wäre seltsam, wenn es anders wäre. Wobei ich es bei IKEA immer schön finde,
C4 wenn man im Geschäft selbst mit „Du“ angesprochen wird, aber in der Werbung finde ich es immer sehr komisch.
Hast du den Eindruck, dass wir uns momentan in einer Umbruchsphase vom Sie zum Du befinden?
C5 Nein, ich denke, dass immer noch genau so oft gesiezt wird, wie früher. Nur weil man bei Apple und bei IKEA mit „Du“ angesprochen wird,
C6 heißt das noch lange nicht, dass das „Sie“ ausstirbt.
Die einen sagen, wenn sie neue Leute kennenlernen, ziemlich schnell, schon nach kurzer Bekanntschaft ‘Du’ zueinander. Bei anderen dauert es lange, bis sie zum ‘Du’ übergehen. Wie geht es Dir in dieser Hinsicht? Duzt du andere Menschen schnell?
C7 Das kommt auf mein Gegenüber an. Manche Menschen möchte ich einfach nicht duzen. Mit denen kann ich schon lange jeden Tag zusammen arbeiten
C8 und spreche sie immer noch mit „Sie“ und „Herr Weber“ an. Bei anderen Menschen geht es viel schneller, dass ich sie duze.
C9 Das hängt, denke ich, mit der Sympathie zusammen.
Findest du es ist schlechtes Benehmen einen kaum Bekannten zu duzen?
C10 Nur in manchen Fällen. Mein Handy war neulich kaputt und ich musste zum Apple-Store. Dort wurde ich mit Handschlag von dem Typen begrüßt,
C11 der mein Handy richten sollte. Er stellte sich als Lukas vor. In dieser Situation fand ich es überhaupt nicht verwerflich,
C12 dass er mich geduzt und mit dem Vornamen angesprochen hat. Das war schon überraschend für mich.
C13 Vielleicht hätte es mich in einer anderen Situation echt gestört und ich hätte mein Gegenüber auf das „Sie“ hingewiesen.
Also bist du nicht der Meinung, dass man sich näher kennen sollte, bevor man sich duzt?
C14 Naja, wie gesagt: bei dem Lukas war das so schon ok. Aber grundsätzlich denke ich schon, dass man sich besser kennen sollte, bevor man sich duzt.
Wenn man in Schweden in die Bank geht, wird man geduzt und mit dem Vornamen angesprochen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen? Tut das der Seriösität Abbruch?
C15 In der Bank würde ich schon gerne gesiezt werden. Da du aber vorher schon gesagt hast, dass es in Schweden kein „Sie“ in dem Sinne gibt,
C16 ist das dann dort akzeptabel und wäre auch für die Seriösität kein Problem. In Deutschland stelle ich mir das aber schwierig vor.
Wen würdest du siezen und wen duzen? Ist das altersabhängig? Oder vom Bildungsstand?
C17 Leute, die ich gut kenne, würde ich immer duzen. Das ist nicht unbedingt altersabhängig, außer bei Kindern. Ich kann mich daran erinnern,
C18 dass ich es als Kind bzw. als Jugendlicher seltsam fand, wenn ich gesiezt wurde.
C19 Vom Bildungsstand ist das vollkommen unabhängig. Ich muss ja mein Studium nicht raushängen lassen oder einem Hochschulprofessor,
C20 mit dem ich befreundet bin, anders begegnen, als einem Schweißer in unserer Firma.
Sagst du schneller ‘Du‘, wenn du eine gleichaltrige fremde Person kennenlernst?
C21 Das hat meiner Meinung nach nichts mit dem Alter zu tun. Mein Alter sieht man mir ja auch nicht an. Wenn ich jemanden mag,
C22 dann greife ich eher auf das „Du“ zurück, als bei anderen. Mit was anderem hat das denke ich nicht wirklich zu tun.
Möchtest du selbst von Gleichaltrigen lieber geduzt oder gesiezt werden?
C23 Das kommt auf meinen Gesprächspartner drauf an. Eigentlich möchte ich lieber geduzt werden, aber ich habe beispielsweise einen Kollegen,
C24 den ich überhaupt nicht mag. Der ist aber genauso alt wie ich. Wenn der mich duzen würde, würde ich dem was erzählen.
In Schweden ist es üblich, den Chef mit „Hej Björn! Wie geht’s dir?“ zu begrüßen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen?
C25 Ich mache das mit meinen Chefs so. Aber ich glaube, dass das für viele nicht vorstellbar ist. Stell dir mal Stefan vor,
C26 wie er auf Arbeit geduzt wird [Stefan ist ein gemeinsamer Bekannter, der auf Arbeit immer eine Fliege trägt und damit sehr distanziert wirkt]. Das wäre absolut unmöglich.
Ist es deiner Meinung nach wichtig „nach oben“ zu duzen und „nach unten“ zu siezen um die hierarchischen Strukturen in Deutschland zu sichern?
C27 Hierarchische Strukturen sind nicht sonderlich förderlich für eine vernünftige Zusammenarbeit.
C28 Also sollte die Tradition abgeschafft werden und dafür ein System entwickelt werden, was auf Zusammenarbeit ausgelegt ist
C29 und nicht auf eine Hierarchie, die meistens ja auch mit Angst verbunden ist.
Interview 60+/ weiblich
BearbeitenGehst du gerne zu Ikea einkaufen? Magst du die persönliche Atmosphäre dort?
D1 Inzwischen nicht mehr so gerne, weil ich mir denke das die Produktionsbedingungen nicht so ideal sind. Die korrespondieren nicht wirklich mit der Atmosphäre, die vermittelt soll.
Aber die Atmosphäre an sich findest du angenehm oder?
D2 Naja, die Mitarbeiter wirken nicht so entlastet und sind nicht sehr kooperativ. Aber trotzdem um freundliche Bedienung bemüht.
IKEA ist ja ein schwedisches Unternehmen und ihrer Unternehmensphilosophie steht, dass sich alle gegenseitig duzen, wie im Ursprungsland Schweden. In der schwedischen Sprache gibt es nämlich keine Unterscheidung zwischen ‘Du’ und ‘Sie’. Nun ist vorgeschlagen worden, auch in Deutschland diese Unterscheidung aufzuheben und in Zukunft nur noch das ‘Du’ zu verwenden. Fändest du es gut, wenn auch in der deutschen Sprache auf das ‘Sie’ verzichtet wird und nur das ‘Du’ verwendet würde, oder fändest du das nicht gut?
D3 Ich finde, das kann nicht von oben vermittelt werden, sondern muss aus der Gesellschaft heraus entstehen.
Hast du den Eindruck, dass wir uns momentan in einer Umbruchsphase vom Sie zum Du befinden?
D4 Ja, schon. Vor allem die jüngere Generation, von der werde ich zunehmend geduzt. Vielleicht hängt das auch mit meiner Art zusammen,
D5 weil ich nicht so distanziert wirke und vielleicht signalisier ich auch mit meiner Art, dass ich mit einem ‚Du‘ einverstanden wär.
D6 Ich erzähl einfach mal ein wenig von meinen Erfahrungen. Ich arbeite jetzt in einer Grundschule und gehöre da zu den älteren Lehrkräften
D7 und da gibt es jüngere Kollegen die mich von vornherein duzen und ältere die auf die Sie-Form bestehen. Ich differenziere da mittlerweile,
D8 weil ich auch niemandem das Du aufzwingen möchte sondern respektier das, wenn jemand nicht die persönliche,
D9 freundschaftliche Form von Beginn an wählen möchte – aus welchem Grund auch immer. Ich gebe auch Asylbewerbern Unterricht
D10 und da hat man mir in einer Fortbildung gesagt, ich soll den Lernenden beibringen unter anderem auch mich als Lehrkraft zu siezen,
D11 damit sie sich auch bei Behörden und Ämtern respektvoll äußern können, um auch dementsprechend andersherum respektvoll behandelt zu werden.
D12 Im Unterricht bin ich aber auf ein gegenseitiges Du übergegangen, weil durch die Sie-Form viel zu viel Distanz zwischen uns war
D13 und man sich ja doch automatisch besser kennenlernt in einer kleinen Gruppe. Mit Vornamen und ‚Du‘ ist das wesentlich angenehmer.
D14 Dem Respekt tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil.
Die einen sagen, wenn sie neue Leute kennenlernen, ziemlich schnell, schon nach kurzer Bekanntschaft ‘Du’ zueinander. Bei anderen dauert es lange, bis sie zum ‘Du’ übergehen. Wie geht es Dir in dieser Hinsicht? Duzt du andere Menschen schnell?
D15 Das kommt auf die Begegnung an. Manchmal warte ich drauf wie mich jemand anredet, wenn ich mir selbst unsicher bin.
D16 Also, grundsätzlich sag ich anfangs eher Sie, auch zu jüngeren Leuten, weil ich nicht das Gefühl vermitteln will, mich bei Jüngeren anbiedern zu wollen.
Findest du es ist schlechtes Benehmen einen kaum Bekannten zu duzen?
D17 Das ist abhängig von der Person.
Hast du dafür ein Beispiel?
D18 Wenn ich das Gefühl hab, jemand möchte mit mir plump Kontakt aufnehmen, dann finde ich das unangenehm. Wenn mich in der Schule,
D19 in der ich ein paar Stunden die Woche in einer Kleingruppe DaZ unterrichte, ein jüngerer Lehrer duzt freut mich das,
D20 dann hab ich das Gefühl als gleichwertig angesehen zu werden.
Bist du grundsätzlich der Meinung, man sollte sich näher kennen, bevor man sich duzt, oder ist das nicht notwendig?
D21 Unterschiedlich je nach Situation. Manchmal stimmt einfach die Chemie und man weiß, dass man mit jemand auf der ‚Du‘-Ebene kommunizieren möchte
D22 und manchmal muss es sich erst entwickeln.
Wenn man in Schweden in die Bank geht, wird man geduzt und mit dem Vornamen angesprochen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen? Tut das der Seriösität Abbruch?
D23 Die Seriösität würde es meiner Meinung nach nicht einschränken. Das kann ich mir an sich schon vorstellen,
D24 aber das muss die Gesellschaft tatsächlich so wollen und es muss sich innerhalb der Gesellschaft entwickeln.
Meinst du davon sind wir noch weit weg?
D25 Ja, gerade bei Banken. Die achten doch sehr auf ihren Habitus und ihr formelles Erscheinungsbild.
Wen würdest du siezen und wen duzen? Ist das altersabhängig? Oder vom Bildungsstand?
D26 Vom Bildungsstand abhängig auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil. Jemand mit geringerer Bildung hat das gleiche Recht auf eine respektvolle Behandlung.
D27 Altersabhängig in manchen Fällen schon. Bei Älteren sag ich eher ‚Sie‘, weil ich bei ihnen eher erwarte, dass sie noch so sozialisiert sind,
D28 dass sie ein ‚Sie‘ von mir verlangen. Und es ist für mich ein gutes Mittel gegenüber einer Person Distanz zu wahren, wenn ich das möchte.
Sagst du schneller ‘Du‘, wenn du eine gleichaltrige fremde Person kennenlernst?
D29 Als ich jünger war schon, aber jetzt da ich über 60 bin, denke ich, dass viele in meinem Alter eher mit ‚Sie‘ angeredet werden wollen. Aber das merk ich dann ja.
Möchtest du selbst von Gleichaltrigen lieber geduzt oder gesiezt werden?
D30 Ich würde mich in den meisten Fällen wundern geduzt zu werden, wobei es mir in einigen Fällen bestimmt angenehm - in anderen wiederum unangenehm wäre.
D31 Die Menschen in Schweden sind ja ganz anders sozialisiert, da ist es gang und gäbe. Wenn ich in Schweden bin und ein Schwede deutsch mit mir spricht
D32 und mich gleich duzt, würde ich das überhaupt nicht unangenehm finden, weil ich weiß dass es landestypisch ist und würde mich anpassen,
D33 um die Leute dort nicht zu irritieren.
In Schweden ist es üblich, den Chef mit „Hej Björn! Wie geht’s dir?“ zu begrüßen. Könntest du dir das auch in Deutschland vorstellen?
D34 Kann ich mir schon vorstellen, wenn es sich entwickelt. Das gibt es ja auch zum Teil schon.
Ja genau, zum Beispiel bei Apple, Alnatura und eben IKEA.
D35 Bei mir an der Schule ist es zudem auch so, dass Lehrer aus dem Kollegium plötzlich zum Vorgesetzten werden
D36 und dann siezt man die Person ja auch nicht plötzlich.
Könntest du dir vorstellen in einem Unternehmen wie IKEA zu arbeiten, indem du die Chefetage, die Kollegen und die Kundschaft gleichermaßen duzt – und andersherum?
D37 Mit den Mitarbeitern und Vorgesetzten, ja, da weiß ich ja, dass es einvernehmlich so gewollt ist. Bei den Kunden weiß ich das aber nicht,
D38 auch nicht ob die alle die Geschäftsphilosophie kennen. Das würde ich dann nur ungern machen, um anderen nichts aufzuzwingen,
D39 was sie eigentlich gar nicht wollen. Das hat für mich dann auch was mit Respekt zu tun.
Ist es deiner Meinung nach wichtig „nach oben“ zu duzen und „nach unten“ zu siezen um die hierarchischen Strukturen in Deutschland zu sichern?
D40 Nein, da brauch ich eigentlich gar nicht mehr dazu sagen. Das habe ich zu oft erlebt, dass es nicht notwendig ist, um respektvoll miteinander umzugehen.
Resümees der Einzelbefragungen
BearbeitenIm Folgenden sollen die grundlegenden Ansichten der befragten Personen kurz auf die wesentlichen Inhalte zusammengesfasst werden. Des Weiteren werden die Ergebnisse der Einzelpersonen je nach Altersgruppe mit den Trends aus dem „JACOBS Krönung Trendcheck ‚Manieren‘“ verglichen.
Probandin 16-29 Jahre
BearbeitenDie für die Altersgruppe von 16 bis 29 Jahren befragte Augsburgerin stimmt in einigen Punkten mit den Ergebnissen des „JACOBS Krönung Trendcheck ‚Manieren‘“ überein. Allerdings positioniert sie sich sehr deutlich zugunsten der Abschaffung des Siezens und des schnellen Übergangs zum „Du“. Dabei stimmt sie bei der Abschaffung der Sie-Form nur mit 37 Prozent der Befragten ihrer Altersgruppe des JACOBS Studie überein. Dabei kann sie sich auch vorstellen, im öffentlichen Raum auf die persönlichere Du-Form zurück zu greifen. Beim schnellen Übergang zum „Du" liegt sie aber im allgemeinen Trend. Knapp die Hälfte der Befragten in ihrer Altersgruppe antworten ähnlich wie sie.
Die Befragte verbindet das „Du“ nicht direkt mit Vertrautheit. Dies gaben auch 40 Prozent der Befragten im „JACOBS Krönung Trendcheck ‚Manieren‘“ im Alter von 16 bis 29 Jahren an. Sie würde die Auswahl der Anredeform am ehestens noch vom Alter des Gesprächspartners abhängig machen.
Zudem ist sie nicht der Meinung, dass die Anredeform etwas mit Manieren oder Respektlosigkeit zu tun hat. Auch in dieser Einschätzung repräsentiert sie die Meinung ihrer Altersgruppe.
Proband 30-44 Jahre
BearbeitenInsgesamt teilt der Proband weitestgehend die Meinung der in seiner Altersgruppe (30-44 Jahre) Befragten aus dem JACOBS Trendcheck „Manieren“. Er greift somit entsprechend schnell zum „Du“ und braucht kein längeres Kennenlernen um einer Person das „Du“ erst anzubieten. Einen gravierenden Unterschied macht hingegen das Alter eines Gegenübers auf seine Wahl. Handelt es sich um eine gleichaltrige Person, so ist es ihm angenehmer zu duzen beziehungsweise geduzt zu werden. Ebenso geht es in letzterem Fall auch 67% der unter 45-Jährigen in der JACOBS Studie. Sollte die andere Person aber über 60 sein, so ist ein „Sie“ für den Probanden unumgänglich. Diese Auffassung begründet er in der Ehrbezeugung und dem Respekt gegenüber dem Alter. Wenn dies nicht eingehalten wird, so sieht der Befragte das durchaus als schlechtes Benehmen. Die Frage, ob es in Deutschland denkbar wäre, das „Sie“ komplett abzuschaffen, verneint der Proband und reiht sich in die 54% seiner Altersgruppe ein, die eine Abschaffung lauf der JACOBS Studie auch nicht gut heißen können. Als Gründe für den Erhalt der Anredeform „Sie“ führt der Befragte an, dass diese in der Arbeitswelt professionelle Distanz schaffe, für den Erhalt der hierarchischen Strukturen aber nicht zwingend notwendig sei. Trotzdem gibt ein einheitliches Siezen von Vorgesetzten seiner Meinung nach Orientierung und Sicherheit in der deutschen Gesellschaftsstruktur. Den Wechsel zu einem flächendeckenden „Du“ kann sich der Proband grundlegend kaum vorstellen, aber da er einen klaren Trend zum vermehrten Duzen erkennt, schließt er ihn auch nicht grundlegend aus. Die schrittweise Verdrängung des „Sies“ wird aber seiner Meinung nach viel Zeit brauchen und demnach auch nicht von heute auf morgen eintreten.
Proband 45-59 Jahre
BearbeitenDer für die Altersgruppe von 45 bis 59 Jahren befragte Augsburger stimmt in nahezu allen Punkten mit den Ergebnissen des „JACOBS Krönung Trendcheck ‚Manieren‘“ überein. Häufig repräsentiert er auch die durchschnittliche Meinung der Deutschen.
Wie die Mehrheit seiner Altersgruppe ist er der Meinung, dass es von der Situation abhängt, ob er jemanden duzt oder sich gerne duzen lässt. Dabei ist es für den Befragten relevant, wer ihn mit „Du“ ansprechen darf. Das Alter oder der Bildungsstand des Gesprächspartners ist dafür allerdings nicht entscheidend. Dementsprechend begrüßt er auch, dass es im Deutschen die Möglichkeit der Differenzierung zwischen „Du“ und „Sie“ gibt. Auch hier geht er mit der Mehrheit der gleichaltrigen Befragten des „JACOBS Krönung Trendcheck ‚Manieren‘“ konform. Trotzdem möchte er die mit den verschiedenen Anspracheformen verbundenen hierarchischen Strukturen nicht beibehalten.
Der Befragte empfindet es als eine Frage des Anstandes, wie jemanden ihn anspricht. Im Allgemeinen bevorzugt er es in der Öffentlichkeit gesiezt zu werden, während er allerdings auch gut mit Ausnahmen leben kann.
Probandin 60+ Jahre
BearbeitenAuch die Probandin der Altersgruppe 60+ vertritt die Meinung, dass es einen klaren gesellschaftlichen Trend hin zum „Du“ gibt. Sie steht diesem positiv entgegen und findet es in den meisten Fällen angenehm vom Gegenüber geduzt zu werden, insofern eine grundsätzliche Sympathie vorliegt. Dabei spielt das Alter eine vermeintlich geringe Rolle, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, von einer gleichaltrigen Person geduzt zu werden, konventionsbedingt eher gering ausfällt. Gegensätzlich zu den 90% der JACOBS Studie sieht es die Probandin nicht unbedingt als notwendig an, das Gegenüber besser zu kennen, bevor ein „Du“ angeboten wird. Dies sieht sie als stark abhängig von der Situation. Zu einem „Sie“ greift sie vor allem bei älteren Personen, bei denen sie erwartet, dass sie noch mehr Wert auf die formale Ansprache legen und wenn sie gegenüber einer Person gezielt aus persönlichen Gründen distanz wahren möchte. In vielen anderen Situationen in denen der soziale Rang ihr gegenüber ein „Sie“ fordern würde, beispielsweise in ihrer Lehrtätigkeit mit Asylsuchenden, legt die Probandin bewusst keinen Wert auf die formale Anredeform, da diese lediglich Distanz aufbringt und nicht ausschlaggebend für die Respektsbezeugung von Seiten der Schüler für sie ist. Eine Entwicklung hin zum flächendeckenden „Du“ kann sich die Probandin durchaus vorstellen und würde diese auch befürworten, aber nur unter der Bedingung, dass der Trend in der Gesellschaft wächst und nicht durch einen Gesetzesentscheid aufgezwungen wird. Mit dieser Offenheit gegenüber einem Wechsel zum „Du“ steht die Probandin den 72% der Befragten aus der JACOBS Studie gegenüber, die sich in ihrer Altersgruppe gegen eine Entwicklung hin zum einheitlichen „Du“ aussprechen.
Fazit
BearbeitenAuch nach 3 Jahren verliert der „JACOBS Krönung Trendcheck 'Manieren'“ kaum an Gültigkeit. Die Befragten befinden sich, mit Ausnahme der ältesten Probandin in der Altersgruppe 60+, alle weitestgehend im Rahmen der damaligen Ergebnisse. Hierbei ist selbstverständlich zu beachten, dass es sich bei der verhältnismäßig kleinen Erhebung um eine qualitative und keine quantitative Studie handelt. Dementsprechend soll kein zahlenschwerer Trend abgezeichnet werden, sondern eine individuellere, tiefgehendere Analyse mit jeweils einem Probanden als Repräsentant der im Trendcheck gewählten Altersgruppen durchgeführt.
Bezüglich der gesellschaftlichen Umbruchsstimmung beobachten die Probanden einen Trend, der klar hin zum „Du“ strebt (A6, B7, D4) und sind der Meinung, dass im Gegensatz zu früheren Zeiten gerade am Arbeitsplatz wesentlich schneller und weitestgehend unabhängig der hierarchischen Strukturen geduzt wird – sei es an der Schule, an der Universität oder in der Firma (A20, C25, D34). Die traditionelle sprachliche Handlung des Du-Anbietens tritt dabei immer mehr in den Hintergrund, da häufig bereits von vornherein geduzt wird und somit kein formeller Übergang vom „Sie“ zum „Du“ stattfindet (B8). Als grundlegend für ein schnelles „Du“ geben die Probanden über 30 Jahre an, dass dies von Situation zu Situation verschieden ist und stark von der Sympathie abhängt, die sie dem Gesprächspartner gegenüber aufbringen können (B17, C9-14, D21).
Nur das hohe Alter eines Gegenübers und in manchen Fällen ein höherer sozialer Rang veranlassen alle Probanden zu einem „Sie“. Vor allem das Duzen einer Person die bereits im Rentenalter ist, wird von den Probanden der Altersgruppen 30-44 und 60+ als Höflichkeitsbruch gehandelt, einerseits aus Respektlosigkeit gegenüber dem Alter und andererseits aus konventionellen Gründen (B10). So gibt die Probandin der Altersgruppe 60+ an, Personen, die älter sind als sie, eher zu siezen, um sie nicht zu übergehen oder zu verunsichern (D27). Dieser Wandel innerhalb der Altersgruppe 60+ kann damit begründet werden, dass Jahr für Jahr immer mehr Angehörige der „68er-Generation“, die in ihrer Jugend die Studentenbewegung und die alternativen Ströme aktiv oder passiv miterlebt haben, nun in eben diese Altersgruppe aufgenommen werden. Dadurch wird dort mit großer Wahrscheinlichkeit die Toleranz für ein vermehrtes Duzen auch mit jedem Jahr größer.
Begegnen die Probanden Gleichaltrigen, so zeigt sich, dass die beiden jüngeren Probanden einstimmig für ein gegenseitiges Duzen plädieren, außer in Ausnahmefällen, in denen das sehr formelle Auftreten des Gesprächspartners oder die Beabsichtigung einer professionellen und emotionalen Distanz, beispielsweise in Beratungsgesprächen, ein „Sie“ als die bessere Wahl erscheinen lassen (A19, B18-21). Bei den beiden älteren Probanden ist das unerfragte Duzen einer Person nicht mehr so erwünscht oder geläufig. Beiden ist das „Du“ in vielen Fällen angenehmer, aber sie legen auch Wert darauf, das „Sie“ gegenüber Menschen zu nutzen, zu denen sie Distanz wahren wollen (C23-24, D30).
Was sich durch die Befragungen aller Probanden deutlich zeigt, ist der positive Bezug zum Duzen am Arbeitsplatz gegenüber den (meisten) Kollegen und oft auch gegenüber den Vorgesetzten. Diese nicht nur sprachliche sondern auch emotionale und respektvolle Nähe bewerten alle Befragten als positiv, da dadurch, wie es scheint, das Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt wird. So empfinden es die Probanden als angenehm oder zumindest als nicht störend, im Apple-Store oder bei Ikea geduzt zu werden. Überträgt man das Duzen, dann aber in ein stark konventionalisiertes und formelles Umfeld, in unserer Frage das Gespräch mit einem deutschen Bankangestellten, fällt es den Befragten deutlich schwerer sich in diesem Kontext ein gegenseitiges „Du“ vorzustellen (A11, B13, C15).
Abschließend ist demnach zu bemerken, dass alle Probanden dem vermehrten Duzen in ihrem Alltag begegnen und dieses auch in den meisten Fällen gutheißen und weiterverbreiten. Trotzdem verwenden sie aber alle in bestimmten Situationen bewusst das „Sie“ und vor allem die Befragten über 30 legen auf die Möglichkeit des Siezens durchaus Wert (C8, D28). Überzeugt davon, dass sich das Sie wie in Schweden per Gesetzesentscheid auch in Deutschland durchsetzen könnte, wird stark bezweifelt und ist meist auch nicht zu hundert Prozent erwünscht (B22, C16, D3). Auch wenn sich das „Du“ immer weiter im alltäglichen Leben und in der Arbeitswelt verbreitet und die Regeln für den Einsatz einer der beiden Anredeformen immer mehr aufweichen, so wird das „Sie“ wohl noch lange seinen Platz innerhalb der deutschen Gesellschaft haben.
Literaturverzeichnis
Bearbeitenhttp://www.handelskammer.se/de/news/warum-duzt-man-sich-schweden , 14.11.2013 (zuletzt aufgerufen am 10.12.2014).
http://www.jacobs-studie.de/archiv, Trendcheck Manieren, November 2011 (zuletzt aufgerufen am 10.12.2014).
Belliger, Andréa/ Krieger, David J. (2008): Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Besch, Werner/ Wolf, Norbert Richard (2009): Geschichte der deutschen Sprache. Längsschnitte - Zeitstufen - Linguistische Studien. Berlin: Erich Franke.
Caduff, Corinna/ Pfaff-Czarnecka, Joanna (Hg.) (1999): Rituale heute. Theorien – Kontroversen – Entwürfe. Berlin: Reimer.
Maas, Utz (2014): Was ist Deutsch? Die Entwicklungen der sprachlichen Verhältnisse in Deutschland. München: Fink.
IPK im WS 14/15
BearbeitenName | Studiengang | vhb | Wiki | Thema | Forschungsland | Homepage | Video | abgeschlossen |
Kursleiterin Eva Sondershaus, M.A. | Eva Sondershaus | |||||||
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Mo zhou | BA, DaF/DaZ | Mo zhou | ||||||
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Lisa Gutt | BA, DaF/DaZ | Lisa Gutt | Anredeformen in Deutschland | |||||
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Dorothee Schmid | LA GS DaF/DaZ | Dorothee Schmid | ||||||
Verena Büchler | LA GS DaF/DaZ | Verena Büchler | ||||||
Ece Uygun | BA DaF/DaZ | Ece Uygun | ||||||
Sophia Habermehl | BA DaF/DaZ | Sophia Habermehl | ||||||
Max Wittmann | LA GS DaZ/DaF | Max Wittmann | ||||||
Carlotta Mörz | BA DaF/DaZ | Carlotta Mörz | ||||||
Stefanie Maier | LA GS DaF/DaZ | Stefanie Maier | ||||||
Guixiu Liu | BA DaF/DaZ | Guixiu liu | ||||||
Carolin Dönhuber | LA GS DaF/DaZ | Carolin Dönhuber | ||||||
Verena Dillitz | LA GS DaF/DaZ | Verena Dillitz | ||||||
Sarah Dreyer | LA GS DaF/DaZ | Sarah Dreyer | ||||||
Magdalena Spachmann | BA Iberoromanistik, DaF/DaZ | Lena Spachmann | ||||||
Aylin Sunkar | BA DaF/DaZ | Aylin Sunkar | ||||||
Heeju Lee | BA DaF/DaZ | Heeju Lee | ||||||
Wen Jian | BA DaF/DaZ | Wen Jian | ||||||
Lisa Wagner | LA GS DaF/DaZ | Lisa Wagner | ||||||
Lisa Miller | BA DaZ/DaF | Lisa Miller | ||||||
Xinyue Ma | BA DaF/DaZ | Xinyue Ma | ||||||
Zhou Yue | BA DaF/DaZ | Zhou Yue | ||||||
Mengzhu Qie | BA DaF/DaZ | Mengzhu Qie | ||||||
Zhang Xiaoyan | BA,DAF /DAZ | Zhang Xiaoyan | ||||||
Anna Olesch | LA,DaF/DaZ | Anna Olesch | ||||||
Olena Vlasiuk | BC Angelistik | Olena |