Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2022-2023)/Teil II/Vorlesung 49/latex

\setcounter{section}{49}

Zu einem Körper $K$ wie $\Q$ oder $\R$ und einer fixierten Variablen $X$ kann man sich fragen, welche Terme man mit dieser Variablen über diesem Körper \anfuehrung{basteln}{} kann. Dazu gehören
\mathdisp {5, \, 3X+3,\, 3(X+1),\, (2X-6)(4X+3), \, X \cdot ( X \cdot X), \,5 +3 X -6X^2+7X^3, \, X^2-4 + 5X^2 +7X -13X} { , }
wobei wir Potenzschreibweise verwendet und einige Klammern weggelassen haben. Als Terme sind \mathkor {} {3X+3} {und} {3(X+1)} {} verschieden. Bei jeder Interpretation von $X$ in einem Ring sind diese Ausdrücke aber gleich. Der Polynomring besteht aus genau diesen Termen, wobei allerdings Terme miteinander identifiziert werden, wenn sich dies aus den Rechenregeln für einen kommutativen Ring ergibt.






\zwischenueberschrift{Der Polynomring über einem Körper}




\inputdefinition
{}
{

Der \definitionswort {Polynomring}{} über einem \definitionsverweis {Körper}{}{} $K$ besteht aus allen Polynomen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{P }
{ =} { a_0 + a_1X+a_2X^2 + \cdots + a_nX^n }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a_i }
{ \in }{ K }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ n }
{ \in }{ \N }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} und mit komponentenweiser Addition und einer Multiplikation, die durch distributive Fortsetzung der Regel
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ X^n \cdot X^m }
{ \defeq} { X^{n+m} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} definiert ist.

}

Dabei nennt man $X$ die \stichwort {Variable} {} des Polynomrings. Ein Polynom
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ = }{ \sum_{ i = 0 }^{ n } a_{ i } X^{ i } }
{ = }{ a_0 + a_1X + a_2X^2 + \cdots + a_{ n } X^{ n } }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist formal gesehen nichts anderes als das Tupel
\mathl{(a_0,a_1 , \ldots , a_n )}{,} die die \stichwort {Koeffizienten} {} des Polynoms heißen. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie in allen ihren Koeffizienten übereinstimmen. Der Körper $K$ heißt in diesem Zusammenhang der \stichwort {Grundkörper} {} des Polynomrings. Aufgrund der komponentenweisen Definition der Addition liegt unmittelbar eine Gruppe vor, mit dem \stichwort {Nullpolynom} {} \zusatzklammer {bei dem alle Koeffizienten $0$ sind} {} {} als neutralem Element. Die Polynome mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a_i }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ i }
{ \geq }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} heißen \stichwort {konstante Polynome} {,} man schreibt sie einfach als $a_0$.

Die für ein einfaches Tupel zunächst ungewöhnliche Schreibweise deutet in suggestiver Weise an, wie die Multiplikation aussehen soll, das Produkt
\mathl{X^{n} \cdot X^{m}}{} ist nämlich durch die Addition der Exponenten, also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ X^{n} \cdot X^{m} }
{ \defeq }{ X^{n+m} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} gegeben. Für beliebige Polynome ergibt sich die Multiplikation aus dieser einfachen Multiplikationsbedingung durch distributive Fortsetzung gemäß der Vorschrift, \anfuehrung{alles mit allem}{} zu multiplizieren. Die Multiplikation ist also explizit durch folgende Regel gegeben:\zusatzfussnote {Wobei wir natürlich, wie auch bei der Addition oder dem Vergleichen von Polynomen verschiedener Grade, die Polynome für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ r }
{ > }{ n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} bzw.
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ k-r }
{ > }{ m }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit den Koeffizienten
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a_r }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} bzw.
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ b_{k-r} }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ergänzen können} {.} {}
\mathdisp {{ \left( \sum_{ i = 0 }^{ n } a_{ i } X^{ i } \right) } \cdot { \left( \sum_{ j = 0 }^{ m } b_{ j } X^{ j } \right) } = \sum_{ k = 0 }^{ n+m } c_{ k } X^{ k } \text{ mit } c_{ k} =\sum_{ r= 0}^{ k } a_{ r } b_{ k - r }} { . }
Beispielsweise ist
\mavergleichskettedisphandlinks
{\vergleichskettedisphandlinks
{ { \left( 4X^2-5X+6 \right) } { \left( 3X^2+2X-1 \right) } }
{ =} { 12X^4 +(4 \cdot 2 -5 \cdot 3 )X^3 +(-4 -5 \cdot 2 +6 \cdot 3 )X^2 +( 5 + 6 \cdot 2)X -6 }
{ =} { 12X^4 -7 X^3 + 4 X^2 + 17 X -6 }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}




\inputfaktbeweis
{Polynomring/1/Körper/Kommutativer Ring/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Der \definitionsverweis {Polynomring}{}{}
\mathl{K[X]}{} über einem \definitionsverweis {Körper}{}{} $K$}
\faktfolgerung {ist ein \definitionsverweis {kommutativer Ring}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Lediglich die Gültigkeit des Assoziativgesetzes für die Multiplikation und des Distributivgesetzes sind nicht unmittelbar klar. Zum Nachweis dieser Eigenschaften schreiben wir abkürzend die beteiligten Polynome als
\mathdisp {\sum_{i} a_i X^{i} , \, \sum_{j } b_j X^{j} \text{ und } \sum_{k} c_k X^k} { . }
Mit diesen Bezeichnungen ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ { \left( { \left( \sum_{i} a_i X^{i} \right) } { \left( \sum_{j } b_j X^{j} \right) } \right) } { \left( \sum_{k} c_k X^k \right) } }
{ =} { { \left( \sum_{r } { \left( \sum_{i+ j = r} a_i b_{j} \right) } X^{r} \right) } { \left( \sum_{k} c_k X^k \right) } }
{ =} { { \left( \sum_{s } { \left( \sum_{i+ j +k = s} a_i b_{j}c_k \right) } X^{s} \right) } }
{ } { }
{ } {}
} {} {}{,} woraus wegen der Symmetrie des Ausdrucks die Assoziativität ablesbar ist. Ferner ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ { \left( \sum_{i} a_i X^{i} \right) } { \left( { \left( \sum_{j } b_j X^{j} \right) } + { \left( \sum_{j} c_j X^j \right) } \right) } }
{ =} { { \left( \sum_{i} a_i X^{i} \right) } { \left( \sum_{j } { \left( b_j +c_j \right) } X^{j} \right) } }
{ =} { \sum_{r } { \left( \sum_{i+ j = r} a_i { \left( b_j + c_{j} \right) } \right) } X^{r} }
{ =} { \sum_{r } { \left( \sum_{i+ j = r} a_i b_j + a_i c_{j} \right) } X^{r} }
{ =} { \sum_{r } { \left( \sum_{i+ j = r} a_i b_{j} \right) } X^{r} + \sum_{r } { \left( \sum_{i+ j = r} a_i c_{j} \right) } X^{r} }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ =} { { \left( \sum_{i} a_i X^{i} \right) } { \left( \sum_{j } b_j X^{j} \right) } + { \left( \sum_{i} a_i X^{i} \right) } { \left( \sum_{j} c_j X^j \right) } }
{ } {}
{ } {}
{ } {}
} {}{,} was die Distributivität bedeutet.

}


Der Polynomring ist kein Körper, beispielsweise gibt es zur Variablen $X$ kein inverses Element.




\inputdefinition
{}
{

Der \definitionswort {Grad}{} eines von $0$ verschiedenen Polynoms
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{P }
{ =} {a_0 + a_1X+a_2X^2 + \cdots + a_nX^n }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_n }
{ \neq }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist $n$.

}

Das Nullpolynom bekommt keinen Grad. Der Koeffizient $a_n$, der zum Grad $n$ des Polynoms gehört, heißt \stichwort {Leitkoeffizient} {} des Polynoms. Der Ausdruck
\mathl{a_nX^n}{} heißt \stichwort {Leitterm} {.} Ein Polynom mit Leitkoeffizient $1$ heißt \stichwort {normiert} {.}





\inputfaktbeweis
{Polynomring/Körper/Grad/Einfache_Regeln/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {}
\faktvoraussetzung {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P,Q }
{ \in }{ K[X] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Polynome über $K$.}
\faktfolgerung {Dann gelten für den \definitionsverweis {Grad}{}{} folgende Aussagen. \aufzaehlungzwei {Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{grad} \, (P+Q) }
{ \leq }{ \max \{ \operatorname{grad} \, (P),\, \operatorname{grad} \, (Q)\} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} } {Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{grad} \, (P \cdot Q) }
{ = }{ \operatorname{grad} \, (P) + \operatorname{grad} \, (Q) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es seien
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{P }
{ =} { a_nX^n +a_{n-1} X^{n-1} + \cdots + a_2X^2 + a_1X+a_0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{Q }
{ =} { b_mX^m +b_{m-1} X^{m-1} + \cdots + b_2X^2 + b_1X+b_0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_n,b_m }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} also \mathkor {} {n = \operatorname{grad} \, (P)} {und} {m = \operatorname{grad} \, (Q)} {.} Bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{m }
{ \neq }{n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist
\mathl{\operatorname{max} (m,n)}{} der Grad der Summe, bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{m }
{ = }{n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_n }
{ \neq }{-b_n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} dies auch der Grad des Summenpolynoms, im andern Fall wird der Grad kleiner \zusatzklammer {die Summe kann $0$ sein, dann ist die Aussage als erfüllt zu interpretieren} {} {.} Wegen Lemma 23.11 ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a_nb_m }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und somit ist
\mathl{a_nb_mX^{n+m}}{} der Leitterm des Produktpolynoms $PQ$, dessen Grad somit gleich
\mathl{n+m}{} ist.

}


Polynome vom Grad $0$ sind die konstanten Polynome, Polynome vom Grad $1$ nennt man auch lineare Polynome.






\zwischenueberschrift{Quadratische Polynome}

Ein Polynom vom Grad zwei nennt man auch ein \stichwort {quadratisches Polynom} {.} Wir schreiben es in der Form
\mathdisp {aX^2 +bX+c \text{ mit } a \neq 0} { . }
Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, so fällt der vordere Term weg und es liegt ein lineares, kein quadratisches Polynom vor. Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{b }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, so spricht man von einem rein-quadratischen Polynom.

Es sei ein quadratisches Polynom über $\R$ gegeben. Wir interessieren uns für die Frage, ob das Polynom Nullstellen\zusatzfussnote {Dieses Konzept werden wir in der nächsten Vorlesung allgemeiner besprechen} {.} {} besitzt und wie diese zu ermitteln sind. Es geht also um Lösungen einer Gleichung der Form
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{aX^2 +bX+c }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Dabei sind
\mathl{a,b,c}{} vorgegeben mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und gesucht ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ \R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart, dass wenn man die Zahl $x$ für die Variable $X$ einsetzt, sich der Wert $0$ ergibt. Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{b }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, also eine Gleichung der Form
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{aX^2+c }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} vorliegt, so geht es einfach um das ziehen einer Quadratwurzel. Die Gleichung ist ja äquivalent zu
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{X^2 }
{ =} { - { \frac{ c }{ a } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Wenn die Zahl rechts negativ ist, so gibt es keine Lösung. Wenn die Zahl rechts $0$ ist \zusatzklammer {was bei
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ c }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} der Fall ist} {} {,} so gibt es die einzige Lösung $\{0\}$. Wenn die Zahl rechts positiv ist, so gibt es zwei Lösungen, nämlich
\mathl{\{ \sqrt{ - { \frac{ c }{ a } } }, - \sqrt{ - { \frac{ c }{ a } } } \}}{.} In einem beliebigen Körper geht es um die Frage, ob $- { \frac{ c }{ a } }$ eine Quadratwurzel besitzt oder nicht.

Für die Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{aX^2 +bX }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wo also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{c }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist, kann man sofort die Lösungen angeben, nämlich
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x_1 }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x_2 }
{ = }{ - { \frac{ b }{ a } } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}

Für die allgemeine quadratische Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{aX^2 +bX+c }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gibt es einen wichtigen Trick, sie auf eine rein-quadratische Form zurückzuführen und sie damit durch Wurzelziehen zu lösen, das sogenannte \stichwort {quadratische Ergänzen} {.} Zunächst dividiert man durch $a$ und erhält die äquivalente Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{X^2 + { \frac{ b }{ a } } X + { \frac{ c }{ a } } }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Das nennt man auch eine normierte Gleichung, da links ein normiertes Polynom steht. Wir schreiben diese Gleichung mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{p }
{ =} { { \frac{ b }{ a } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{q }
{ =} { { \frac{ c }{ a } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{X^2 +pX+q }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Dieses Polynom schreiben wir nun scheinbar komplizierter als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ X^2 +pX+q }
{ =} { { \left( X + { \frac{ p }{ 2 } } \right) }^2 - { \frac{ p^2 }{ 4 } } +q }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Durch Ausmultiplizieren der rechten Seite mit Hilfe der ersten binomischen Formel sieht man, dass die Terme links und rechts übereinstimmen. Der Gewinn ist dabei, dass
\mathl{X + { \frac{ p }{ 2 } }}{} eine \anfuehrung{verschobene Variable}{} ist, die wie eine Variable behandelt werden kann, und dass
\mathl{- { \frac{ p^2 }{ 4 } } +q}{} eine reelle Zahl ist. Es liegt also im Wesentlichen eine rein-quadratische Gleichung vor. Mit einer Umstellung erhält man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \left( X + { \frac{ p }{ 2 } } \right) }^2 }
{ =} { { \frac{ p^2 }{ 4 } } - q }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und somit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ X + { \frac{ p }{ 2 } } }
{ =} { \pm \sqrt{ { \frac{ p^2 }{ 4 } } - q } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} vorausgesetzt, dass der Ausdruck unter dem Wurzelzeichen nichtnegativ ist. Als Lösung erhält man dann
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{X }
{ =} { \pm \sqrt{ { \frac{ p^2 }{ 4 } } - q } - { \frac{ p }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ \pm \sqrt{ p^2-4q } -p }{ 2 } } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}





\inputfaktbeweis
{Quadratische Gleichung/R/Lösungsformel/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{aX^2+bX+c }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} eine reelle quadratische Gleichung.}
\faktfolgerung {Dann gilt folgendes Lösungsverhalten\zusatzfussnote {Den Ausdruck $b^2-4ac$ nennt man auch die \stichwort {Diskriminante} {} der quadratischen Gleichung} {.} {.} \aufzaehlungdrei{Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ b^2 -4ac }
{ <} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gibt es keine reelle Lösung. }{Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ b^2 -4ac }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gibt es die eine Lösung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x }
{ =} { { \frac{ -b }{ 2a } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} }{Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ b^2 -4ac }
{ >} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gibt es die beiden Lösungen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ x_{1,2} }
{ =} { { \frac{ \pm \sqrt{ b^2 -4ac } -b }{ 2a } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die Lösung in (2) ist ein Spezialfall von (3), in dem die beiden Lösungen zusammenfallen. Wir zeigen explizit, dass in der Tat Lösungen vorliegen. Es ist
\mavergleichskettealigndrucklinks
{\vergleichskettealigndrucklinks
{ a { \left( { \frac{ \pm \sqrt{ b^2 -4ac } -b }{ 2a } } \right) }^2 +b { \left( { \frac{ \pm \sqrt{ b^2 -4ac } -b }{ 2a } } \right) } + c }
{ =} {a { \frac{ b^2-4ac + \mp 2b \sqrt{ b^2 -4ac } + b^2 }{ 4a^2 } } + { \frac{ \pm b \sqrt{ b^2 -4ac } -b^2 }{ 2a } } +c }
{ =} { { \frac{ b^2-4ac + \mp 2b \sqrt{ b^2 -4ac } + b^2 \pm 2b \sqrt{ b^2 -4ac } - 2 b^2 +4ac }{ 4a } } }
{ =} { 0 }
{ } { }
} {}{}{.} Da eine quadratische Gleichung nur maximal zwei Lösungen besitzt, sind wir im dritten Fall fertig.

Im Allgemeinen schreiben wir
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{aX^2+bX+c }
{ =} { a { \left( X^2 + { \frac{ b }{ a } } X+ { \frac{ c }{ a } } \right) } }
{ =} { a { \left( { \left( X + { \frac{ b }{ 2a } } \right) }^2 - { \frac{ b^2 }{ 4a^2 } } + { \frac{ c }{ a } } \right) } }
{ =} { a { \left( { \left( X + { \frac{ b }{ 2a } } \right) }^2 - { \frac{ b^2-4ac }{ 4a^2 } } \right) } }
{ } { }
} {} {}{.} Der rechte Term ist bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{b^2 -4ac }
{ <} {0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} stets positiv und so hat das Polynom in diesem Fall keine Nullstelle, bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{b^2 -4ac }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} hat es genau die eine angegebene Nullstelle.

}


Diese Lösungsformel heißt auch \stichwort {Mitternachtsformel} {.} Wenn man zuerst durch $a$ durchdividiert und die quadratische Gleichung in der Form
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ X^2+pX+q }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} vorliegt, so vereinfachen sich die Lösungen zu
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_{1,2} }
{ =} { { \frac{ \pm \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Dazu sagt man auch \stichwort {p-q-Formel} {.} Diese Formeln gelten in jedem Körper, in dem
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{2 }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist. Die Lösbarkeit hängt dann allein davon ab, ob die Diskriminante
\mathl{b^2-4ac}{} eine Quadratwurzel besitzt oder nicht.




\inputbeispiel{}
{

Wir betrachten die quadratische Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x^2+4x-3 }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Nach Satz 49.5 sind
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_1 }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ 16+12} -4 }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ 28} -4 }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ 2 \sqrt{ 7} -4 }{ 2 } } }
{ =} { \sqrt{ 7} -2 }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_2 }
{ =} { { \frac{ -\sqrt{ 16+12} -4 }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ -\sqrt{ 28} -4 }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ -2 \sqrt{ 7} -4 }{ 2 } } }
{ =} { - \sqrt{ 7} -2 }
} {}{}{} die Lösungen.


}




\inputbeispiel{}
{

Bauer Ernst möchte ein neues quadratisches Beet für Melonen anlegen. Die Anlage des Beetes kostet pro Quadratmeter $20$ Euro. Das Beet muss mit einem Schneckenzaun rundum versehen werden, der pro Meter $8$ Euro koste. Ernst möchte
\mathl{300}{} Euro insgesamt investieren. Wie groß wird das Beet?

Es sei $x$ die Seitenlänge des Beetes. Die Kosten sind dann
\mathl{20 x^2 +4\cdot 8 x}{,} was zur Gleichung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{20 x^2 +32 x }
{ =} {300 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} bzw.
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ 20 x^2 +32 x -300 }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} führt. Nach Satz 49.5 führt dies auf
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ x }
{ =} { { \frac{ \sqrt{1024 + 24 000 } - 32 }{ 40 } } }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ 25 024 } - 32 }{ 40 } } }
{ \sim} {{ \frac{ 158,19 - 32 }{ 40 } } }
{ \sim} {3,155 }
} {}{}{.} Die Seitenlänge des Beetes ist also ungefähr
\mathl{3,155}{} Meter.


}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Francois Viete.jpeg} }
\end{center}
\bildtext {François Viète (1540-1603)} }

\bildlizenz { Francois Viete.jpeg } {} {} {Commons} {gemeinfrei} {}

Der folgende \stichwort {Satz von Vieta} {} ermöglicht eine sinnvolle Probe für das Ergebnis. Wenn man weiß, dass es ganzzahlige Lösungen geben muss, kann man damit auch häufig die Lösungen der quadratischen Gleichung erraten.




\inputfaktbeweis
{Quadratische Gleichung/Satz von Vieta/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei eine quadratische Gleichung in der Form
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x^2+px+q }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gegeben und es seien \mathkor {} {x_1} {und} {x_2} {} die Lösungen.}
\faktfolgerung {Dann gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_1 +x_2 }
{ =} {- p }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_1 \cdot x_2 }
{ =} {q }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Aufgrund von Satz 49.5 ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_1 }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{x_2 }
{ =} { { \frac{ - \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Daher ist
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{x_1+x_2 }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } + { \frac{ - \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ p^2 -4q }-p - \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ - 2p }{ 2 } } }
{ =} { -p }
} {} {}{} und
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{x_1 \cdot x_2 }
{ =} { { \frac{ \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } \cdot { \frac{ - \sqrt{ p^2 -4q }-p }{ 2 } } }
{ =} { { \frac{ { \left( \sqrt{ p^2 -4q }-p \right) } { \left( - \sqrt{ p^2 -4q }-p \right) } }{ 4 } } }
{ =} { { \frac{ - p^2+4 q +p^2 }{ 4 } } }
{ =} { { \frac{ 4 q }{ 4 } } }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ =} { q }
{ } {}
{ } {}
{ } {}
} {}{.}

}


Von dieser Aussage gilt auch die Umkehrung, siehe Aufgabe 49.25. Wenn man beispielsweise die Zusatzinformation kennt, dass
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{X^2 -7X+6 }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ganzzahlige Lösungen besitzt, so kommen dafür nur die Teiler von $6$ in Frage, und in der Tat sind \mathkor {} {1} {und} {6} {} die beiden Lösungen.