Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 3

Es sei eine endliche Körpererweiterung und ein Element. Dann sind die Potenzen , , linear abhängig, und das bedeutet, dass es Koeffizienten  mit mit gibt. Mit diesen Koeffizienten können wir das (von verschiedene) Polynom

bilden. Wenn man in dieses Polynom einsetzt, d.h. überall die Variable durch ersetzt, so ergibt sich . Das Ergebnis dieses Einsetzens bezeichnet man mit , es ist also . Man sagt, dass das Element annulliert. Wir betrachten die Menge

also die Menge aller Polynome, die bei Einsetzung von zu werden.[1] Es ergeben sich dabei folgende Fragen.

  1. Welche Struktur besitzt ?
  2. Gibt es unter den Elementen besonders einfache Polynome, mit denen man einfach beschreiben kann?
  3. Kann man mit Hilfe von Eigenschaften von beschreiben?

Zu all diesen Fragen gibt es überzeugende Antworten. Zur ersten Frage können wir folgende Beobachtung machen: Das Nullpolynom gehört zu . Wenn zwei Polynome zu gehören, so gehört auch ihre Summe zu , es ist ja . Für und ein beliebiges Polynom ist auch , wegen .



Ideale

Die soeben formulierten Eigenschaften der Menge von annullierenden Polynomen führt zur folgenden Definition.


Eine Teilmenge eines kommutativen Ringes heißt Ideal, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. .
  2. Für alle ist auch .
  3. Für alle und ist auch .

Ein Ideal ist eine Untergruppe der additiven Gruppe von , die zusätzlich die zweite oben angeführte Eigenschaft erfüllt. Die einfachsten Ideale sind das Nullideal und das Einheitsideal .

Für den Ring der ganzen Zahlen sind Untergruppen und Ideale identische Begriffe. Dies folgt einerseits aus der Gestalt für jede Untergruppe von (die ihrerseits aus der Division mit Rest folgt), aber ebenso direkt aus der Tatsache, dass für und beliebiges gilt ( Summanden) und entsprechend für negatives . Die Skalarmultiplikation mit einem beliebigen Ringelement lässt sich also bei auf die Addition zurückführen.


Ein Ideal in einem kommutativen Ring der Form

heißt Hauptideal.



Zu einer Familie von Elementen , , in einem kommutativen Ring bezeichnet das von den erzeugte Ideal. Es besteht aus allen (endlichen) Linearkombinationen

wobei eine endliche Teilmenge und ist.

Es handelt sich dabei um das kleinste Ideal in , das alle , , enthält. Dass ein solches Ideal existiert ist auch deshalb klar, weil der Durchschnitt von einer beliebigen Familie von Idealen wieder ein Ideal ist. Ein Hauptideal ist demnach ein Ideal, das von einem Element erzeugt wird.



Einige ringtheoretische Konzepte

In einem Körper folgt aus , dass ein Faktor sein muss. Diese Eigenschaft gilt nicht für beliebige Ringe. Ein Element in einem kommutativen Ring heißt Nichtnullteiler, wenn aus stets folgt. Man nennt einen Ring nullteilerfrei, wenn der einzige Nullteiler ist.


Ein kommutativer, nullteilerfreier, von verschiedener Ring heißt Integritätsbereich.

Der Ring der ganzen Zahlen und die Polynomringe über einem Körper sind Integritätsbereiche. Das sind für uns besonders wichtigste Beispiele. Ein Unterring eines Körpers ist ein Integritätsbereich.


Ein Element in einem kommutativen Ring heißt Einheit, wenn es ein Element mit gibt.

Ein kommutativer Ring ist genau dann ein Körper, wenn in ihm jedes von verschiedene Element eine Einheit ist (der Nullring ist kein Körper, da in ihm sogar die eine Einheit ist).


Es sei ein kommutativer Ring, und Elemente in . Man sagt, dass das Element teilt (oder dass von geteilt wird, oder dass ein Vielfaches von ist), wenn es ein derart gibt, dass ist. Man schreibt dafür auch .

Eine Einheit kann man als einen Teiler der auffassen. Idealtheoretisch kann man die Eigenschaft, dass das Element teilt, als Zugehörigkeit auffassen.


Es sei ein kommutativer Ring. Man sagt, dass zwei Elemente teilerfremd sind, wenn jedes Element , das sowohl als auch teilt, eine Einheit ist.


Eine Nichteinheit in einem kommutativen Ring heißt irreduzibel (oder unzerlegbar), wenn eine Faktorisierung nur dann möglich ist, wenn einer der Faktoren eine Einheit ist.

Diese Begriffsbildung orientiert sich offenbar an den Primzahlen. Dagegen taucht das Wort „prim“ in der folgenden Definition auf.


Eine Nichteinheit in einem kommutativen Ring heißt prim (oder ein Primelement), wenn folgendes gilt: Teilt ein Produkt  mit , so teilt einen der Faktoren.

Eine Einheit ist also nach Definition nie ein Primelement. Dies ist eine Verallgemeinerung des Standpunktes, dass keine Primzahl ist. Dabei ist die nicht deshalb keine Primzahl, weil sie „zu schlecht“ ist, sondern weil sie „zu gut“ ist. Für die ganzen Zahlen und für viele weitere Ringe fallen die beiden Begriffe prim und irreduzibel zusammen. Im Allgemeinen ist irreduzibel einfacher nachzuweisen, und prim ist der stärkere Begriff, jedenfalls für Integritätsbereiche.



In einem Integritätsbereich ist ein Primelement stets irreduzibel.

Angenommen, wir haben eine Zerlegung . Wegen der Primeigenschaft teilt einen Faktor, sagen wir . Dann ist bzw. . Da kein Nullteiler ist, folgt , sodass also eine Einheit ist.



Irreduzible Polynome

Ein nichtkonstantes Polynom , wobei einen Körper bezeichne, ist genau dann irreduzibel, wenn es keine Produktdarstellung gibt, die die Gradbedingung

erfüllt.


Die irreduziblen Polynome sind gerade die irreduziblen Elemente im Polynomring im Sinne der obigen allgemeinen ringtheoretischen Definition. Nach der weiter unten zu beweisenden Aussage könnte man auch von Primelementen bzw. Primpolynomen sprechen. Eine weitere wichtige Charakterisierung ist die Restklassencharakterisierung, die wir in Korollar 7.7 kennenlernen werden.


Die Irreduzibilität eines Polynoms hängt wesentlich vom Grundkörper ab. Zum Beispiel ist das reelle Polynom irreduzibel, dagegen zerfällt es als Polynom in als

Ebenso ist das Polynom irreduzibel, aber über hat es die Zerlegung

Übrigens kann die Zerlegung über einem größeren Körper manchmal dazu benutzt werden um zu zeigen, dass ein Polynom über dem gegebenen Körper irreduzibel ist.


Die Existenz der Faktorzerlegung in der folgenden Aussage folgt unmittelbar aus der Definition von irreduzibel, für die Eindeutigkeit muss man aber wissen, dass in einem Polynomring die irreduziblen Polynome auch Primpolynome sind (siehe unten).


Es sei ein Körper und sei ein von verschiedenes Polynom.

Dann gibt es eine (bis auf die Reihenfolge der Faktoren) eindeutige Produktdarstellung

mit und irreduziblen normierten Polynomen , .

Beweis

Siehe Aufgabe 3.19.




Hauptidealbereiche

Ein Integritätsbereich, in dem jedes Ideal ein Hauptideal ist, heißt Hauptidealbereich.



Ein Polynomring über einem Körper

ist ein Hauptidealbereich.

Es sei ein von verschiedenes Ideal in . Betrachte die nichtleere Menge

Diese Menge hat ein Minimum , das von einem Element , , herrührt, sagen wir . Wir behaupten, dass ist. Die Inklusion ist klar. Zum Beweis von sei gegeben. Aufgrund von Satz 19.4 (Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)) gilt

Wegen und der Minimalität von kann der erste Fall nicht eintreten. Also ist und ist ein Vielfaches von .


In der eingangs besprochenen Situation eines Elements einer Körpererweiterung und des zugehörigen Annullationsideals bedeutet dieser Satz, dass es ein Polynom geben muss, das dieses Ideal erzeugt. Dieses Polynom besitzt unter sämtlichen annullierenden Polynomen minimalen Grad, und man kann es als normiert ansetzen, wodurch es eindeutig festgelegt wird. Man spricht vom Minimalpolynom zu .

Mit einem ähnlichen Argument wie im Beweis der letzten Aussage verwendet kann man zeigen, dass ebenfalls ein Hauptidealbereich ist. Die folgenden Aussagen gelten also auch für .

Die beiden folgenden Aussagen nennt man Lemma von Bezout bzw. Lemma von Euklid.


Es sei ein Hauptidealbereich und seien teilerfremde Elemente.

Dann kann man die als Linearkombination von und darstellen, d.h. es gibt Elemente mit .

Wir betrachten das von und erzeugte Ideal . Da ein Hauptidealbereich ist, gibt es ein mit . Daher ist ein Teiler von und von . Die Teilerfremdheit impliziert, dass eine Einheit ist. Wegen gibt es eine Darstellung . Multiplikation mit ergibt die Darstellung der .



Es sei ein Hauptidealbereich und . Es seien und teilerfremd und teile das Produkt . Dann teilt den Faktor .

Da und teilerfremd sind, gibt es nach dem Lemma von Bezout Elemente mit . Die Voraussetzung, dass das Produkt teilt, schreiben wir als . Damit gilt

was zeigt, dass ein Vielfaches von ist.



Es sei ein Hauptidealbereich. Dann ist ein Element genau dann prim,

wenn es irreduzibel ist.

Ein Primelement in einem Integritätsbereich ist nach Lemma 3.10 stets irreduzibel. Es sei also umgekehrt irreduzibel, und nehmen wir an, dass das Produkt teilt, sagen wir . Nehmen wir an, dass kein Vielfaches von ist. Dann sind aber und teilerfremd, da eine echte Inklusionskette der Irreduzibilität von widerspricht. Damit teilt nach dem Lemma von Euklid den anderen Faktor .



Fußnoten
  1. In der letzten Vorlesung haben wir gesehen, dass eine Einheitswurzel nach Definition von annulliert wird, bei aber auch von . Gibt es noch weitere annullierende Polynome? Gibt es noch weitere annullierende Polynome von kleinerem Grad?


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