Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil III/Vorlesung 63/latex

\setcounter{section}{63}

Wir beschäftigen uns weiter mit der Frage, welchen Teilmengen des $\R^n$ man ein sinnvolles Volumen zuordnen kann. Es wird sich herausstellen, dass diese \anfuehrung{messbaren Mengen}{} eine $\sigma$-Algebra bilden, nämlich die $\sigma$-Algebra der \stichwort {Borel-Mengen} {.} Diese ist zwar sehr groß, und zwar gehören nahezu alle irgendwie \anfuehrung{kohärent beschreibbaren}{} Teilmengen dazu, aber eben doch nicht alle. Die Borel-Mengen explizit zu beschreiben, ist nicht möglich, stattdessen gibt man ein einfaches Erzeugendensystem für diese $\sigma$-Algebra an, nämlich die Menge aller offenen Teilmengen des euklidischen Raumes. Es empfiehlt sich, diese Konstruktion sofort für topologische Räume durchzuführen.






\zwischenueberschrift{Topologische Räume}

Die Menge der offenen Teilmengen des
\mathl{\R^n}{,} oder allgemeiner eines \definitionsverweis {metrischen Raumes}{}{,} bilden ein Mengensystem, dass eine Topologie im Sinne der folgenden Definition ist.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $X$ eine Menge. Eine Familie ${\mathcal T }$ von Teilmengen von $X$ heißt \definitionswort {Topologie}{} auf $X$, wenn die folgenden Axiome erfüllt sind: \aufzaehlungdrei{Es ist \mathkor {} {\emptyset \in {\mathcal T }} {und} {X \in {\mathcal T }} {.} }{Sind \mathkor {} {U \in {\mathcal T }} {und} {V \in{\mathcal T }} {,} so ist auch
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U\cap V }
{ \in }{ {\mathcal T } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Ist $I$ eine \definitionsverweis {Indexmenge}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U_i }
{ \in }{ {\mathcal T } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ i }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} so ist auch
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \bigcup_{i \in I} U_i }
{ \in }{ {\mathcal T } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }

Ein \definitionswort {topologischer Raum}{} ist ein Paar
\mathl{(X, {\mathcal T } )}{,} wobei $X$ eine Menge und ${\mathcal T }$ eine Topologie auf $X$ ist.

}

Die Teilmengen von $X$, die zu ${\mathcal T }$ gehören, heißen \stichwort {offene Mengen} {.} Eine Teilmenge
\mathl{A \subseteq X}{} heißt \stichwort {abgeschlossen} {,} wenn ihr Komplement offen ist, also zur Topologie gehört.






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Hausdorff_space.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Hausdorff space.svg } {Toby Bartels} {Fibonacci} {Commons} {copyleft} {}




\inputdefinition
{}
{

Ein \definitionsverweis {topologischer Raum}{}{} $X$ heißt \definitionswort {hausdorffsch}{,} wenn es zu je zwei verschiedenen Punkten
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x,y }
{ \in }{X }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \definitionsverweis {offene Mengen}{}{} \mathkor {} {U} {und} {V} {} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ y }
{ \in }{ V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U \cap V }
{ = }{ \emptyset }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gibt.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mathl{(X, {\mathcal T })}{} ein \definitionsverweis {topologischer Raum}{}{.} Ein System ${\mathcal C }$ von offenen Mengen in $X$ heißt \definitionswort {Basis der Topologie}{,} wenn man jede offene Menge in ${\mathcal T }$ als Vereinigung von offenen Mengen aus ${\mathcal C }$ erhalten kann.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mathl{(X, {\mathcal T })}{} ein \definitionsverweis {topologischer Raum}{}{.} Man sagt, dass $X$ eine \definitionswort {abzählbare Basis}{} besitzt, wenn es eine \definitionsverweis {Basis}{}{} der Topologie gibt, die nur aus \definitionsverweis {abzählbar}{}{} vielen offenen Mengen besteht.

}

Im $\R^n$ gibt es \definitionsverweis {überabzählbar}{}{} viele offene Mengen, es gibt aber eine abzählbare Basis, nämlich alle offenen Bälle
\mathl{U { \left( P,r \right) }}{,} deren Mittelpunktskoordinaten und deren Radien \definitionsverweis {rationale Zahlen}{}{} sind.




\inputdefinition
{}
{

Eine Abbildung \maabbdisp {\varphi} {X} {Y } {} zwischen \definitionsverweis {topologischen Räumen}{}{} $X$ und $Y$ heißt \definitionswort {stetig}{,} wenn Urbilder von offenen Mengen wieder offen sind.

} Diese Definition stimmt wegen Satz 20.3 mit der Definition für metrische Räume überein.




\inputdefinition
{}
{

Zwei \definitionsverweis {topologische Räume}{}{} \mathkor {} {X} {und} {Y} {} heißen \definitionswort {homöomorph}{,} wenn es eine \definitionsverweis {bijektive}{}{} \definitionsverweis {stetige Abbildung}{}{} \maabbdisp {\varphi} {X} {Y } {} gibt, deren \definitionsverweis {Umkehrabbildung}{}{} $\varphi^{-1}$ ebenfalls stetig ist.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mathl{(X, {\mathcal T } )}{} ein \definitionsverweis {topologischer Raum}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Y }
{ \subseteq }{ X }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine Teilmenge. Folgende Vorschrift definiert eine Topologie ${\mathcal T } _Y$ auf $Y$

Für eine Teilmenge


\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ Y }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \in }{ {\mathcal T }_Y }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} genau dann, wenn es eine in $X$ offene Menge
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V }
{ \in }{ {\mathcal T } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart gibt, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V \cap Y }
{ = }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt.

}






\zwischenueberschrift{Borel-Mengen}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mathl{(M, {\mathcal T })}{} ein \definitionsverweis {topologischer Raum}{}{.} Dann nennt man die von ${\mathcal T }$ \definitionsverweis {erzeugte}{}{} $\sigma$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} die \definitionswort {Menge der Borel-Mengen}{} von $M$.

}

Insbesondere nennt man im $\R^n$ die durch die Topologie zur euklidischen Metrik definierte $\sigma$-Algebra die \stichwort {Menge der Borel-Mengen} {.} Dies ist ein extrem reichhaltiger Begriff; es ist nämlich gar nicht einfach, eine Teilmenge des $\R^n$ anzugeben, die keine Borel-Menge ist. Da es auf jedem endlichdimensionalen Vektorraum $V$ zwar keine natürliche Metrik, aber doch nach Lemma 40.1 eine natürliche Topologie gibt, gibt es auf diesen Räumen ein wohldefiniertes Konzept von Borel-Mengen.





\inputfaktbeweis
{R^n/Borel-Mengen/Was gehört dazu/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {}
\faktvoraussetzung {Die folgenden Teilmengen des $\R^n$ sind \definitionsverweis {Borel-Mengen}{}{.}}
\faktfolgerung {\aufzaehlungfuenf{Alle offenen Teilmengen des $\R^n$. }{Alle abgeschlossenen Teilmengen des $\R^n$. }{Alle \definitionsverweis {abzählbaren Teilmengen}{}{} des $\R^n$. }{Alle \definitionsverweis {abgeschlossenen Kugeln}{}{}
\mathl{B \left( x,\epsilon \right)}{} und alle \definitionsverweis {offenen Kugeln}{}{}
\mathl{U { \left( x,\epsilon \right) }}{.} }{Alle \definitionsverweis {abgeschlossenen Quader}{}{}
\mathl{[a_1,b_1] \times \cdots \times [a_n,b_n]}{} und alle \definitionsverweis {offenen Quader}{}{}
\mathl{{]a_1,b_1[} \times \cdots \times {]a_n,b_n[}}{.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

(1) folgt aus der Definition der \definitionsverweis {Borel-Mengen}{}{.} (2) folgt aus (1), da eine $\sigma$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} mit einer Menge auch stets deren Komplement enthält, und die abgeschlossenen Mengen die Komplemente der offenen Mengen sind. (3). Einpunktige Mengen im $\R^n$ sind abgeschlossen und daher Borel-Mengen. Damit ist auch jede abzählbare Punktmenge als eine abzählbare Vereinigung von einpunktigen Teilmengen eine Borel-Menge. (4) und (5) sind Spezialfälle von (1) und (2).

}


Wie gesagt, Borel-Mengen sind ein recht umfassender Begriff. Andererseits wird die $\sigma$-Algebra der Borel-Mengen bereits durch die Menge aller Quader erzeugt, also durch diejenigen Teilmengen, für die unmittelbar ein sinnvoller Volumenbegriff existiert.






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Ortoedro.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Ortoedro.png } {} {Tomruen} {Commons} {PD} {}





\inputfaktbeweis
{R^n/Borel-Mengen/Durch Quader erzeugt/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {}
\faktfolgerung {Die Menge der \definitionsverweis {Borel-Mengen}{}{} im $\R^n$ stimmt mit der von der Menge aller offenen Quader \definitionsverweis {erzeugten}{}{} $\sigma$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} überein.}
\faktzusatz {Dabei kann man sich sogar auf die Menge der offenen achsenparallelen Quader mit \definitionsverweis {rationalen}{}{} Eckpunkten beschränken.}
\faktzusatz {}

}
{

Wir beweisen den Zusatz. Es genügt zu zeigen, dass jede \definitionsverweis {offene Menge}{}{} im $\R^n$ sich als eine \definitionsverweis {abzählbare}{}{} \definitionsverweis {Vereinigung}{}{} von achsenparallelen \definitionsverweis {offenen Quadern}{}{} mit rationalen Eckpunkten schreiben lässt. Da die Menge der rationalen Zahlen abzählbar ist, ist auch die Menge aller Quader mit rationalen Ecken abzählbar. Wir müssen daher nur zeigen, dass jede offene Menge eine Vereinigung von offenen achsenparallelen Quadern mit rationalen Ecken ist. Es sei dazu
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} offen und sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt. Daher gibt es ein
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \epsilon }
{ > }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} das wir rational wählen können, mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ x }
{ =} { (x_1 , \ldots , x_n) }
{ \in} { U { \left( x,\epsilon \right) } }
{ \subseteq} { U }
{ } { }
} {}{}{.} Jede Koordinate $x_i$ ist eine reelle Zahl, und damit der Limes einer Folge von rationalen Zahlen. Sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ y }
{ =} { (y_1 , \ldots , y_n) }
{ \in} { \Q^n }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ d(x_i,y_i) }
{ <} {{ \frac{ \epsilon }{ 3n } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ i }
{ = }{ 1 , \ldots , n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Damit ist einerseits
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ x }
{ \in} { Q }
{ =} { {]y_1- { \frac{ \epsilon }{ 3n } },y_1 + { \frac{ \epsilon }{ 3n } } [} \times \cdots \times {]y_n- { \frac{ \epsilon }{ 3n } },y_n + { \frac{ \epsilon }{ 3n } } [} }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und andererseits gilt für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ z }
{ \in }{ Q }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Beziehung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ d(x,z) }
{ \leq} { d(x,y) + d(y,z) }
{ \leq} { { \frac{ \epsilon }{ 3 } } + { \frac{ \epsilon }{ 3 } } }
{ <} { \epsilon }
{ } { }
} {}{}{,} also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ z }
{ \in }{ U { \left( x,\epsilon \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Damit ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ Q }
{ \subseteq }{ U { \left( x,\epsilon \right) } }
{ \subseteq }{ U }
{ }{ }
} {}{}{.} Die Vereinigung dieser so konstruierten Quader ist genau $U$.

}





\inputfaktbeweis
{Stetige Abbildungen/Borel-messbar/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es seien \mathkor {} {X} {und} {Y} {} \definitionsverweis {topologische Räume}{}{,} die wir als \definitionsverweis {Messräume}{}{} mit den zugehörigen $\sigma$-\definitionsverweis {Algebren}{}{} der \definitionsverweis {Borelmengen}{}{} auffassen.}
\faktfolgerung {Dann ist jede \definitionsverweis {stetige Abbildung}{}{} \maabbdisp {\varphi} {X} {Y } {} \definitionsverweis {messbar}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Nach Definition bedeutet die \definitionsverweis {Stetigkeit}{}{,} dass das \definitionsverweis {Urbild}{}{}
\mathl{\varphi^{-1}(V)}{} von jeder \definitionsverweis {offenen Menge}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V }
{ \subseteq }{ Y }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} offen in $X$ ist. Nach Definition ist das Mengensystem der offenen Mengen einer Topologie ein \definitionsverweis {Erzeugendensystem}{}{} für die \definitionsverweis {Algebra}{}{} der \definitionsverweis {Borelmengen}{}{.} Nach Lemma 62.15 ist somit $\varphi$ \definitionsverweis {messbar}{}{.}

}







\zwischenueberschrift{Maße und Maßräume}

In der Praxis gibt man einen Flächeninhalt in Quadratmeter $m^2$ und ein Volumen in Kubikmeter $m^3$ an. Diese Einheiten legen die Skala fest, auf der dann mit nichtnegativen reellen Zahlen gemessen wird. Als Wertemenge für ein Maß bieten sich demnach die nichtnegativen reellen Zahlen an. Besitzt der Gesamtraum $\R^3$ ein Volumen? Sicherlich keines, das durch eine reelle Zahl ausgedrückt werden könnte. Daher erlaubt man bei einem Maß auch den Wert $\infty$, und setzt
\mathdisp {\overline{ \R }_{\geq} = \R_{\geq 0} \cup \{ \infty\} \text{ und } \overline{ \R } = \R \cup \{ \infty\} \cup \{ - \infty\}} { . }
Das bedeutet nicht, dass wir die reellen Zahlen ändern, sondern dass wir im maßtheoretischen Kontext mit einer bestimmten Mengenerweiterung der reellen Zahlen arbeiten. Einen Teil der Rechenoperationen dehnen wir auf die zusätzlichen Symbole aus, aber nicht alles, wobei man sich von der maßtheoretischen Zweckmäßigkeit leiten lässt. Die Ordnungsrelation wird durch
\mathdisp {- \infty < r < \infty} { }
für jede reelle Zahl $r$ ausgedehnt. Wir setzen
\mathdisp {r+ \infty = \infty \text{ und } r - \infty = - \infty} { }
für
\mathl{r \in \R}{.} Der Ausdruck
\mathl{\infty + (- \infty)}{} ist nicht definiert. Für positive reelle Zahlen ist
\mathl{r \cdot \infty = \infty}{,} und wir setzen
\mathl{0 \cdot \infty = 0}{.}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Measure_illustration.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Measure illustration.png } {} {Oleg Alexandrov} {Commons} {PD} {}





\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine Menge und ${\mathcal P }$ ein \definitionsverweis {Mengen-Präring}{}{} auf $M$. Dann heißt eine \definitionsverweis {Abbildung}{}{} \maabbeledisp {\mu} {{\mathcal P }} { \overline{\R}_{\geq 0} } {T} {\mu(T) } {,} ein \definitionswort {Prämaß}{} auf $M$, wenn folgende Bedingung erfüllt ist.

Für jede \definitionsverweis {abzählbare Familie}{}{} von \definitionsverweis {paarweise disjunkten}{}{} Teilmengen
\mathbed {T_i} {}
{i \in I} {}
{} {} {} {,} aus ${\mathcal P }$, für die
\mathl{\bigcup_{i \in I} T_i}{} ebenfalls zu ${\mathcal P }$ gehört, gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \mu { \left( \bigcup_{i \in I} T_i \right) } }
{ =} { \sum_{i \in I} \mu(T_i) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}

}

Wenn man die leere Indexmenge betrachtet, so folgt aus der Definition die Eigenschaft
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \mu (\emptyset) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} da die leere Summe als $0$ angesetzt wird. Wenn man diese Interpretation zu spitzfindig findet, so muss man diese Eigenschaft explizit fordern.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine Menge und ${\mathcal A }$ eine $\sigma$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} auf $M$. Ein \definitionsverweis {Prämaß}{}{} auf $M$ nennt man ein \definitionswort {Maß}{.}

} Ein Maß unterscheidet sich also von einem Prämaß nicht durch die strukturellen Eigenschaften, sondern lediglich durch Eigenschaften des Definitionsbereiches. Letztlich ist man an Maßen interessiert, doch Prämaße sind für deren Konstruktion wichtige Zwischenschritte.




\inputdefinition
{}
{

Eine Menge $M$, auf der eine $\sigma$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} ${\mathcal A }$ und ein \definitionsverweis {Maß}{}{} \maabbeledisp {\mu} {{\mathcal A } } { \overline{\R}_{\geq 0} } {T} {\mu(T) } {,} erklärt ist, heißt ein \definitionswort {Maßraum}{.} Man schreibt dafür kurz
\mathl{(M, {\mathcal A },\mu)}{.}

}

Mit der folgenden Definition ist die Wahrscheinlichkeitstheorie ein Spezialfall der Maßtheorie.


\inputdefinition
{}
{

Ein \definitionswort {Wahrscheinlichkeitsraum}{} ist ein \definitionsverweis {Maßraum}{}{}
\mathl{(M, {\mathcal A },\mu)}{} mit
\mathl{\mu(M)=1}{.}

}






\zwischenueberschrift{Beispiele für diskrete Maße}

Wir besprechen kurz einige \anfuehrung{diskrete Maße}{.} Das für uns wichtigste Maß, das \stichwort {Borel-Lebesgue-Maß} {} auf dem $\R^n$, ist kein diskretes Maß, sondern ein \anfuehrung{stetiges Maß}{.}




\inputbeispiel{}
{

Es sei $M$ eine Menge und es sei \maabbeledisp {b} {M} {\R_{\geq 0} } {x} {b_x } {,} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{,} die wir \stichwort {Belegungsfunktion} {} nennen. Dann wird für jede Teilmenge
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ T }
{ \subseteq }{ M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} durch die Zuordnung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \beta (T) }
{ \defeq} { \sum_{ x \in T} b_x }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {Maß}{}{} auf
\mathl{(M, \mathfrak {P} \, (M ))}{} definiert. Dabei ist die Summe als der Grenzwert zu interpretieren, falls die Familie
\mathbed {b_x} {}
{x \in T} {}
{} {} {} {,} \definitionsverweis {summierbar}{}{} ist, und andernfalls als $\infty$. Dass es sich dabei um ein Maß handelt folgt aus dem großen Umordnungssatz, und zwar gilt die Summationseigenschaft sogar für beliebige disjunkte Vereinigungen, nicht nur für abzählbare. Man spricht von einem \stichwort {Summationsmaß} {.}

Wenn die Belegungsfunktion für jedes $x$ einen positiven Wert annimmt, so folgt aus Aufgabe 61.11, dass das Maß jeder überabzählbaren Menge den Wert $\infty$ zuweist. Wenn andererseits die Belegungsfunktion für jedes $x$ den Wert $0$ annimmt, so liegt das \stichwort {Nullmaß} {} vor, d.h. jede Menge hat das Maß $0$. Insbesondere kann man über diesen Weg kein Maß auf $\R$ gewinnen, das zugleich dem Einheitsintervall den Wert $1$ und jedem einzelnen Punkt das gleiche Maß zuweist.


}

Von diesen \stichwort {Summationsmaßen} {} bekommen wiederum einige einen eigenen Namen.


\inputdefinition
{}
{

Auf einer Menge $M$ nennt man das auf
\mathl{(M, \mathfrak {P} \, (M ))}{} durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ z(T) }
{ =} { \begin{cases} { \# \left( T \right) }\, , \text{ falls } T \text{ endlich}\, , \\ \infty \text{ sonst}\, ,\end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} definierte \definitionsverweis {Maß}{}{} das \definitionswort {Zählmaß}{} auf $M$.

} Das Zählmaß ist das Summationsmaß zur konstanten Belegungsfunktion
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ b }
{ = }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}


\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine Menge und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ M }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt. Das auf
\mathl{(M, \mathfrak {P} \, (M ))}{} durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \delta_x (T) }
{ =} { \begin{cases}1 \, , \text{ falls } x \in T \, , \\ 0 \text{ sonst}\, ,\end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} definierte \definitionsverweis {Maß}{}{} heißt das im Punkt $x$ konzentrierte \definitionswort {Dirac-Maß}{} auf $M$.

}


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