Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 24/latex

\setcounter{section}{24}






\zwischenueberschrift{Der Mittelwertsatz der Integralrechnung}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {MittelwertsatzDerIntegralrechnung-f_grad5.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { MittelwertsatzDerIntegralrechnung-f grad5.png } {Der Mathekernel} {} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}

Zu einer \definitionsverweis {Riemann-integrierbaren}{}{} \definitionsverweis {Funktion}{}{} \maabb {f} {[a,b]} {\R } {} kann man
\mathdisp {{ \frac{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }{ b-a } }} { }
als die Durchschnittshöhe der Funktion ansehen, da dieser Wert mit der Länge
\mathl{b-a}{} des Grundintervalls multipliziert den Flächeninhalt unterhalb des Graphen zu $f$ ergibt. Der \stichwort {Mittelwertsatz der Integralrechnung} {} besagt, dass für eine stetige Funktion dieser \stichwort {Durchschnittswert} {} \zusatzklammer {oder \stichwort {Mittelwert} {}} {} {} von der Funktion auch angenommen wird.





\inputfaktbeweis
{Mittelwertsatz der Integralrechnung/Riemann/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $[a,b]$ ein \definitionsverweis {kompaktes Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {[a,b]} {\R } {} eine \definitionsverweis {stetige Funktion}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann gibt es ein
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{c }
{ \in }{ [a,b] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ =} { f(c)(b-a) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Über dem \definitionsverweis {kompakten Intervall}{}{} ist die Funktion $f$ nach oben und nach unten beschränkt, es seien \mathkor {} {m} {und} {M} {} das \definitionsverweis {Minimum}{}{} bzw. das \definitionsverweis {Maximum}{}{} der Funktion, die aufgrund von Satz 16.10 angenommen werden. Dann ist insbesondere
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ m }
{ \leq }{ f(x) }
{ \leq }{ M }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ [a,b] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ m(b-a) }
{ \leq} { \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ \leq} { M(b-a) }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Daher ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ = }{ d (b-a) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit einem
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{d }
{ \in }{ [m,M] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und aufgrund des Zwischenwertsatzes gibt es ein
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ c }
{ \in }{ [a,b] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(c) }
{ = }{ d }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}

}






\zwischenueberschrift{Der Hauptsatz der Infinitesimalrechnung}

Es ist geschickt auch Integralgrenzen zuzulassen, bei denen die untere Integralgrenze die obere Intervallgrenze und die obere Integralgrenze die untere Intervallgrenze ist. Dazu definieren wir für
\mathl{a <b}{} und eine integrierbare Funktion \maabb {f} {[a,b]} {\R } {}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ b }^{ a } f ( t) \, d t }
{ \defeq} { -\int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {Riemann-integrierbare}{}{} \definitionsverweis {Funktion}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann heißt die Funktion \maabbeledisp {} {I} {\R } {x} { \int_{ a }^{ x } f ( t) \, d t } {,} die \definitionswort {Integralfunktion}{} zu $f$ zum Startpunkt $a$.

}

Man spricht auch von der \stichwort {Flächenfunktion} {} oder einem \stichwort {unbestimmten Integral} {.}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {HauptsatzDerInfinitesimalrechnung-f_grad5.gif} }
\end{center}
\bildtext {Das $x$ im Satz ist das $x_0$ in der Animation, und $x+h$ im Satz ist das wandernde $x$ in der Animation. Der wandernde Punkt $z$ in der Animation ist ein Punkt, wie er im Mittelwertsatz der Integralrechnung auftritt.} }

\bildlizenz { HauptsatzDerInfinitesimalrechnung-f grad5.gif } {DerMathekernel} {} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}


Die folgende Aussage heißt \stichwort {Hauptsatz der Infinitesimalrechnung} {.}




\inputfaktbeweis
{Hauptsatz der Infinitesimalrechnung/Riemann/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {stetige Funktion}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ F(x) }
{ \defeq} { \int_{ a }^{ x } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die zugehörige \definitionsverweis {Integralfunktion}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist $F$ \definitionsverweis {differenzierbar}{}{} und es gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ F'(x) }
{ =} { f(x) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es sei $x$ fixiert. Der \definitionsverweis {Differenzenquotient}{}{} ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\frac{F(x+h)-F(x) }{h} }
{ =} { \frac{1}{h} { \left( \int_{ a }^{ x+h } f ( t) \, d t - \int_{ a }^{ x } f ( t) \, d t \right) } }
{ =} { \frac{1}{h} \int_{ x }^{ x+h } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Wir müssen zeigen, dass für
\mathl{h \rightarrow 0}{} der \definitionsverweis {Limes}{}{} existiert und gleich
\mathl{f(x)}{} ist. Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung gibt es zu jedem $h$ ein
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{c_h }
{ \in }{ [x,x+h] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f(c_h) \cdot h }
{ =} { \int_x^{x+h} f(t)dt }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und damit ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f(c_h) }
{ =} { { \frac{ \int_x^{x+h} f(t)dt }{ h } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Für
\mathl{h \rightarrow 0}{} konvergiert $c_h$ gegen $x$ und wegen der Stetigkeit von $f$ konvergiert
\mathl{f(c_h)}{} gegen
\mathl{f(x)}{.}

}






\zwischenueberschrift{Stammfunktionen}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.} Eine Funktion \maabbdisp {F} {I} {\R } {} heißt \definitionswort {Stammfunktion}{} zu $f$, wenn $F$ auf $I$ \definitionsverweis {differenzierbar}{}{} ist und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ F'(x) }
{ = }{ f(x) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt.

}

Den Hauptsatz der Infinitesimalrechnung kann man zusammen mit Satz 23.14 als einen Existenzsatz für Stammfunktionen interpretieren.





\inputfaktbeweis
{Stetige Funktion/Stammfunktion existiert/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {stetige Funktion}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann besitzt $f$ eine \definitionsverweis {Stammfunktion}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein beliebiger Punkt. Aufgrund von Satz 23.14 existiert das \definitionsverweis {Riemann-Integral}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{F(x) }
{ =} { \int_{ a }^{ x } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} und aufgrund des Hauptsatzes ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ F'(x) }
{ = }{ f(x) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} d.h. $F$ ist eine Stammfunktion von $f$.

}





\inputfaktbeweis
{Intervall/Stammfunktion/Konstante Differenz/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.}}
\faktvoraussetzung {Es seien \mathkor {} {F} {und} {G} {} zwei \definitionsverweis {Stammfunktionen}{}{} von $f$.}
\faktfolgerung {Dann ist
\mathl{F-G}{} eine \definitionsverweis {konstante Funktion}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ (F-G)' }
{ =} { F'-G' }
{ =} { f-f }
{ =} { 0 }
{ } { }
} {}{}{.} Daher ist nach Korollar 20.6 die Differenz
\mathl{F-G}{} konstant.

}







\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {GodfreyKneller-IsaacNewton-1689.jpg } }
\end{center}
\bildtext {Isaac Newton (1643-1727)} }

\bildlizenz { GodfreyKneller-IsaacNewton-1689.jpg } {Godfrey Kneller} {} {Commons} {PD} {}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Gottfried_Wilhelm_Leibniz_c1700.jpg} }
\end{center}
\bildtext {Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)} }

\bildlizenz { Gottfried Wilhelm Leibniz c1700.jpg } {Johann Friedrich Wentzel d. Ä.} {AndreasPraefcke} {Commons} {PD} {http://archiv.bbaw.de/archiv/archivbestaende/abteilung-sammlungen/gesamtbestand-des-kunstbesitzes/gelehrtengemaelde/gelehrtengemalde-seiten/VZLOBO-0031.html}

Die folgende Aussage ist ebenfalls eine Version des Hauptsatzes, der darin ausgedrückte Zusammenhang heißt auch \stichwort {Newton-Leibniz-Formel} {.}





\inputfaktbeweis
{Riemann-Integral/Hauptsatz/Newton-Leibniz/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {stetige Funktion}{}{,}}
\faktvoraussetzung {für die $F$ eine \definitionsverweis {Stammfunktion}{}{} sei.}
\faktfolgerung {Dann gilt für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a,b }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Gleichheit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ =} { F(b)- F(a) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Aufgrund von Satz 23.14 existiert das Integral. Mit der \definitionsverweis {Integralfunktion}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ G(x) }
{ \defeq} { \int_{ a }^{ x } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gilt die Beziehung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ =} { G(b) }
{ =} { G(b) - G(a) }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Aufgrund von Satz 24.3 ist $G$ \definitionsverweis {differenzierbar}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ G'(x) }
{ =} { f(x) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} d.h. $G$ ist eine Stammfunktion von $f$. Wegen Lemma 24.6 ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{F(x) }
{ = }{ G(x)+c }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Daher ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ =} { G(b) - G(a) }
{ =} { F(b) - c - F(a) + c }
{ =} { F(b) -F(a) }
{ } { }
} {}{}{.}

}


Da eine Stammfunktion nur bis auf eine additive Konstante bestimmt ist, schreibt man manchmal
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ }^{ } f ( t) \, d t }
{ =} { F+c }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} und nennt $c$ eine \stichwort {Integrationskonstante} {.} In gewissen Situationen, insbesondere im Zusammenhang mit \stichwort {Differentialgleichungen} {,} wird diese Konstante durch zusätzliche Bedingungen festgelegt.

\inputnotation{}{

Es sei $I$ ein \definitionsverweis {reelles Intervall}{}{} und \maabb {F} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {Stammfunktion}{}{} zu \maabb {f} {I} {\R } {.} Es seien
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a,b }
{ \in }{ I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann setzt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ F | _{ a } ^{ b } }
{ \defeq} { F(b) -F(a) }
{ =} { \int_{ a }^{ b } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}

}

Diese Notation wird hauptsächlich bei Rechnungen verwendet, vor allem beim Ermitteln von bestimmten Integralen.

Mit den früher bestimmten Ableitungen von differenzierbaren Funktionen erhält man sofort eine Liste von Stammfunktionen zu einigen wichtigen Funktionen. In der nächsten Vorlesung werden wir weitere Regeln zum Auffinden von Stammfunktionen kennenlernen, die auf Ableitungsregeln beruhen. Im Allgemeinen ist das Auffinden von Stammfunktionen schwierig.

Die Stammfunktion zu
\mathl{x^a}{,} wobei
\mathl{x \in \R_+}{} und
\mathbed {a \in \R} {}
{a \neq -1} {}
{} {} {} {,} ist, ist
\mathl{{ \frac{ 1 }{ a+1 } }x^{a+1}}{.}




\inputbeispiel{}
{

Zwischen zwei \zusatzklammer {punktförmig gedachten} {} {} Massen \mathkor {} {M} {und} {m} {} bestehe der Abstand $R_0$. Aufgrund der Gravitation besitzt dieses System eine gewisse Lageenergie. Wie ändert sich die Lageenergie, wenn die beiden Massen auf einen Abstand von
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ R_1 }
{ \geq }{ R_0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} auseinander gezogen werden?

Die aufzubringende Energie ist Anziehungskraft mal Weg, wobei die Anziehungskraft allerdings selbst vom Abstand der Massen abhängt. Nach dem Gravitationsgesetz ist die Kraft beim Abstand $r$ gleich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ F(r) }
{ =} { \gamma { \frac{ Mm }{ r^2 } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei $\gamma$ die Gravitationskonstante bezeichnet. Daher ist die Energie \zusatzklammer {oder Arbeit} {} {,} die man aufbringen muss, um den Abstand von $R_0$ auf $R_1$ zu erhöhen, gleich
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{E }
{ =} { \int_{ R_0 }^{ R_1 } \gamma { \frac{ Mm }{ r^2 } } \, d r }
{ =} { \gamma M m \int_{ R_0 }^{ R_1 } { \frac{ 1 }{ r^2 } } \, d r }
{ =} { \gamma M m { \left( - { \frac{ 1 }{ r } } | _{ R_0 } ^{ R_1 } \right) } }
{ =} { \gamma M m { \left( { \frac{ 1 }{ R_0 } } - { \frac{ 1 }{ R_1 } } \right) } }
} {} {}{.} Damit kann man der Differenz der Lageenergien zum Abstand \mathkor {} {R_0} {bzw.} {R_1} {} einen sinnvollen Wert zuweisen, nicht aber den Lageenergien selbst.


}

Die Stammfunktion der Funktion
\mathl{{ \frac{ 1 }{ x } }}{} ist der natürliche Logarithmus.

Die Stammfunktion der Exponentialfunktion ist die Exponentialfunktion selbst.

Die Stammfunktion von
\mathl{\sin x}{} ist
\mathl{-\cos x}{,} die Stammfunktion von
\mathl{\cos x}{} ist $\sin x$.

Die Stammfunktion von
\mathl{{ \frac{ 1 }{ 1+x^2 } }}{} ist
\mathl{\arctan x}{,} es ist ja Stammfunktion/1 durch 1+x^2/Fakt/Beweis

Die Stammfunktion von
\mathl{{ \frac{ 1 }{ 1-x^2 } }}{} \zusatzklammer {für \mathlk{x \in {]{-1},1[}}{}} {} {} ist
\mathl{{ \frac{ 1 }{ 2 } } \ln { \frac{ 1+x }{ 1-x } }}{,} es ist ja


\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{ { \left( { \frac{ 1 }{ 2 } } \cdot \ln { \frac{ 1+x }{ 1-x } } \right) }^\prime }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 } } \cdot { \frac{ 1-x }{ 1+x } } \cdot { \frac{ (1-x)+ (1+x) }{ (1-x)^2 } } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 } } \cdot { \frac{ 2 }{ (1+x)(1-x) } } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ (1-x^2) } } }
{ } { }
} {} {}{.}


In der übernächsten Vorlesung werden wir eine Verfahren angeben, wie man zu einer beliebigen rationalen Funktion \zusatzklammer {also einem Quotienten aus zwei Polynomen} {} {} eine Stammfunktion finden kann.


Achtung! Integrationsregeln sind nur anwendbar auf Funktionen, die im gesamten Intervall definiert sind. Z.B. gilt
\betonung{nicht}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ -a }^{ a } \frac{dt}{t^2} \, d }
{ =} { - \frac{1}{x} | _{ -a } ^{ a } }
{ =} {- \frac{1}{a}- \frac{1}{a} }
{ =} {- \frac{2}{a} }
{ } { }
} {}{}{,} da hier über eine Definitionslücke hinweg integriert wird.




\inputbeispiel{}
{

Wir betrachten die Funktion \maabbeledisp {f} {\R} {\R } {t} {f(t) } {,} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f(t) }
{ \defeq} { \begin{cases} 0 \text{ für } t = 0, \\ \frac{1}{t} \sin \frac{1}{t^2} \text{ für } t \neq 0 \, .\end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} Diese Funktion ist nicht \definitionsverweis {Riemann-integrierbar}{}{,} da sie weder nach oben noch nach unten \definitionsverweis {beschränkt}{}{} ist. Es existieren also weder untere noch \definitionsverweis {obere Treppenfunktionen}{}{} für $f$. Trotzdem besitzt $f$ eine \definitionsverweis {Stammfunktion}{}{.} Dazu betrachten wir die Funktion
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ H(t) }
{ \defeq} { \begin{cases} 0 \text{ für } t = 0, \\ \frac{ t^2}{2} \cos \frac{1}{t^2} \text{ für } t \neq 0 \, .\end{cases} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} Diese Funktion ist \definitionsverweis {differenzierbar}{}{.} Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ergibt sich die Ableitung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ H'(t) }
{ =} {t \cos \frac{1}{t^2} + \frac{1}{t} \sin \frac{1}{t^2} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist der \definitionsverweis {Differenzenquotient}{}{} gleich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \frac{ \frac{h^2}{2} \cos \frac{1}{h^2} }{h} }
{ =} { \frac{h}{2} \cos \frac{1}{h^2} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Für
\mathl{h \mapsto 0}{} existiert der \definitionsverweis {Grenzwert}{}{} und ist gleich $0$, sodass $H$ überall differenzierbar ist \zusatzklammer {aber nicht stetig differenzierbar} {} {.} Der erste Summand in $H'$ ist \definitionsverweis {stetig}{}{} und besitzt daher nach Korollar 24.5 eine Stammfunktion $G$. Daher ist
\mathl{H - G}{} eine Stammfunktion von $f$. Dies ergibt sich für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} aus der expliziten Ableitung und für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} aus
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{H'(0)-G'(0) }
{ =} { 0-0 }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}


}






\zwischenueberschrift{Stammfunktionen zu Potenzreihen}

Wir erinnern daran, dass die Ableitung einer konvergenten Potenzreihe gliedweise gewonnen werden kann.


\inputfaktbeweis
{Konvergente Potenzreihe/R/Stammfunktion/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f }
{ = }{ \sum_{n = 0}^\infty a_n x^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine auf
\mathl{]-r,r[}{} \definitionsverweis {konvergente}{}{} \definitionsverweis {Potenzreihe}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist die Potenzreihe
\mathdisp {\sum_{n=1}^\infty \frac{a_{n-1} }{n} x^n} { }
ebenfalls auf
\mathl{]-r,r[}{} konvergent und stellt dort eine \definitionsverweis {Stammfunktion}{}{} für $f$ dar.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{ Der Beweis beruht auf der Theorie der Potenzreihen. }


Mit dieser Aussage kann man manchmal die Taylor-Polynome \zusatzklammer {bzw. die Taylor-Reihe} {} {} einer Funktion bestimmen, indem man die Taylor-Polynome der Ableitung verwendet. Wir geben dazu ein typisches Beispiel.


\inputbeispiel{}
{

Wir wollen die Taylor-Reihe des \definitionsverweis {natürlichen Logarithmus}{}{} im Entwicklungspunkt $1$ bestimmen. Die \definitionsverweis {Ableitung}{}{} des natürlichen Logarithmus ist nach Korollar 21.3 gleich
\mathl{1/x}{.} Diese Funktion besitzt nach Satz 14.13 die Potenzreihenentwicklung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ 1 }{ x } } }
{ =} { \sum_{k = 0}^\infty (-1)^k (x-1)^k }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} im Entwicklungspunkt $1$ \zusatzklammer {die für
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ \betrag { x-1 } }
{ < }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} konvergiert} {} {.} Daher besitzt nach Lemma 24.11 der natürliche Logarithmus die Potenzreihe
\mathdisp {\sum_{k=1}^\infty { \frac{ (-1)^{k-1} }{ k } } (x-1)^k} { . }
Mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{z }
{ = }{ x-1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist dies die Reihe
\mathdisp {z- { \frac{ z^2 }{ 2 } } + { \frac{ z^3 }{ 3 } } - { \frac{ z^4 }{ 4 } } + { \frac{ z^5 }{ 5 } } - \ldots} { . }


}



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