Kurs:Vorkurs Mathematik (Osnabrück 2009)/Vorlesung 8



Angeordnete Körper

Ein Körper heißt angeordnet, wenn es eine totale Ordnung auf gibt, die die beiden Eigenschaften

  1. Aus folgt (für beliebige ),
  2. Aus und folgt (für beliebige ),

erfüllt.

Statt schreibt man auch . Eine wichtige Beziehung in einem angeordneten Körper ist, dass äquivalent zu ist. Diese Äquivalenz ergibt sich durch beidseitiges Addieren von bzw. aus dem ersten Axiom. In einem angeordneten Körper nennt man ein Element positiv, wenn ist, und negativ,[1] wenn ist. Die ist demnach weder positiv noch negativ, und jede Zahl ist entweder positiv oder negativ oder null. Die Elemente  mit nennt man dann einfach nichtnegativ und die Elemente  mit nichtpositiv. Für die entsprechenden Mengen schreibt man

oder Ähnliches. Die wichtigsten Beispiele für angeordnete Körper sind der Körper der rationalen Zahlen und der Körper der reellen Zahlen .



In einem angeordneten Körper gelten die folgenden Eigenschaften.

  1. ,
  2. Aus und folgt ,
  3. Aus und folgt .

Beweis

Siehe Aufgabe 8.1.



Es sei ein angeordneter Körper. Zu , , nennt man

    das abgeschlossene Intervall.

    das offene Intervall.

    das linksseitig offene Intervall.

    das rechtsseitig offene Intervall.

    Für das offene Intervall wird häufig auch geschrieben. Die Zahlen und heißen die Grenzen des Intervalls, genauer spricht man von oberer und unterer Grenze. Die Bezeichnung linksseitig und rechtsseitig bei den beiden letzten Intervallen (die man auch als halboffen bezeichnet) rühren von der üblichen Repräsentierung der reellen Zahlen als Zahlengerade her, bei der rechts die positiven Zahlen stehen. Zutreffender (also weniger konventionsverhaftet) wäre es von „größerseitig offen“ und „kleinerseitig offen“ zu sprechen.

    Bemerkung

    Ein äquivalenter Zugang zum Begriff des angeordneten Körpers funktioniert so: Man hat einen Körper , bei dem eine Teilmenge (die „positive Hälfte“) ausgezeichnet ist mit den folgenden Eigenschaften

    1. Entweder oder oder .
    2. Aus folgt .
    3. Aus folgt .
    In einem angeordneten Körper erfüllen die positiven Elemente diese Bedingungen. Man kann aber umgekehrt aus einem Körper mit einer solchen positiven Teilmenge einen angeordneten Körper machen, indem man
    definiert, siehe Aufgabe 8.16.




    Der Betrag

    In einem angeordneten Körper ist der Betrag eines Elementes folgendermaßen definiert.

    Der Betrag ist also nie negativ und hat nur bei den Wert , sonst ist er immer positiv. Die Gesamtabbildung

    nennt man auch Betragsfunktion. Der Funktionsgraph setzt sich aus zwei Halbgeraden zusammen; eine solche Funktion nennt man auch stückweise linear.

    Eine Funktion wird manchmal nicht durch einen einzigen „geschlossenen Ausdruck“ definiert, sondern durch mehrere verschiedene Ausdrücke, die abhängig vom Argument zum Zuge kommen. Typischerweise wird dabei der Definitionsmenge (oder eine Teilmenge davon) in paarweise disjunkte Teilmengen , , unterteilt, auf denen dann die Funktion jeweils durch einen bestimmten funktionalen Ausdruck definiert wird. Es ist also

    Da die eine disjunkte Vereinigung der Definitionsmenge bilden, ist eine solche Funktion wohldefiniert. Zu jedem gibt es genau ein mit , sodass das und damit auch eindeutig bestimmt ist. Man spricht von einer Definition durch Fallunterscheidung, wobei die Fälle eben durch die Bedingung bestimmt sind. ist also die Indexmenge der Fallunterscheidung.

    Häufige Spezialfälle davon sind, dass in verschiedene Intervalle zerlegt ist, auf denen unterschiedliche Funktionsvorschriften gelten sollen. Wenn es eine endliche Folge von aufsteigenden Zahlen gibt, sodass auf den dadurch begrenzten Intervallen unterschiedliche Definitionen gelten sollen, so wird das häufig in der Form

    geschrieben. Dabei können auch andere Abschätzungszeichen vorkommen. Wichtig aber ist, dass die durch die Ungleichungen beschriebene Einteilung eine disjunkte Zerlegung liefert. Manchmal werden unkorrekterweise die Einteilungsbedingungen so gewählt, dass eine Intervallgrenze sowohl zum kleineren als auch zum größeren Intervall dazugenommen wird, was dann akzeptabel ist, wenn die beiden konkurrierenden Funktionswerte übereinstimmen.

    Wenn man mit einer durch eine Fallunterscheidung gegebenen Funktion arbeitet, wenn man beispielsweise etwas darüber beweisen möchte, muss man die Fallunterscheidung stets „mitschleppen“, d.h. man muss stets mit der gültigen Funktionsdefinition arbeiten. Wenn nicht klar ist, in welchem Intervall sich ein Argument befindet, über das man eine Aussage machen möchte, so muss man eben die möglichen Fälle getrennt abarbeiten.




    Es sei ein angeordneter Körper.

    Dann erfüllt die Betragsfunktion

    folgende Eigenschaften (dabei seien beliebige Elemente in ).
    1. Es ist .
    2. Es ist genau dann, wenn ist.
    3. Es ist genau dann, wenn oder ist.
    4. Es ist .
    5. Es ist .
    6. Für ist .
    7. Es ist (Dreiecksungleichung für den Betrag).
    8. Es ist .

    Beweis

    Siehe Aufgabe 8.17.




    Bernoulli'sche Ungleichung


    In der folgenden Aussage verwenden wir für ein Element in einem Körper und einer natürlichen Zahl die Schreibweisen



    Es sei ein angeordneter Körper und eine natürliche Zahl. Dann gilt für jedes  mit die Abschätzung

    Wir führen Induktion über . Bei steht beidseitig , sodass die Aussage gilt. Es sei nun die Aussage für bereits bewiesen. Dann ist

    da Quadrate (und positive Vielfache davon) in einem angeordneten Körper nichtnegativ sind.




    Archimedisch angeordnete Körper

    Wenn man sich wie üblich die reellen Zahlen als Zahlengerade vorstellt, so ist das nächste Axiom selbstverständlich. Es gibt aber auch sehr interessante angeordnete Körper, in denen dieses Axiom nicht gilt; es gilt auch nicht im Rahmen der sogenannten Nichtstandardanalysis. Zur Formulierung dieses Axioms muss man jede natürliche Zahl in einem Körper interpretieren können. Dies geschieht, indem man einer natürlichen Zahl das Körperelement

    zuordnet.



    Es sei ein angeordneter Körper. Dann heißt archimedisch angeordnet, wenn das folgende Archimedische Axiom gilt, d.h. wenn es zu jedem eine natürliche Zahl mit

    gibt.

    Diese Eigenschaft ist für negative Elemente stets erfüllt, für positive Elemente handelt es sich aber um eine echte neue Bedingung, die nicht jeder angeordnete Körper erfüllt.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.

    Dann gibt es zu mit stets ein mit .

    Wir betrachten . Aufgrund des Archimedes-Axioms gibt es ein mit . Da positiv ist, gilt nach Lemma 8.2  (6) auch .



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper. Es sei .

    Dann gibt es eine natürliche Zahl mit .

    Es ist eine nach Fakt *****  (1) positive Zahl und daher gibt es eine natürliche Zahl mit . Dies ist nach Fakt *****  (4) äquivalent zu


    In der folgenden Aufgabe verwenden wir, dass man zunächst die ganzen Zahlen in einem angeordneten Körper wiederfindet und dass man dann auch die rationalen Zahlen in wiederfindet. Die rationale Zahl ist als das Element zu interpretieren, siehe auch Aufgabe 8.11.


    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.

    Dann gibt es zwischen je zwei Elementen auch eine rationale Zahl (mit ) mit

    Wegen ist und daher gibt es nach Lemma 8.11 ein mit . Nach Lemma 8.10 gibt es auch ein mit

    und ein mit

    Daher gibt es auch ein derart, dass

    ist. Damit ist einerseits

    und andererseits

    wie gewünscht.


    In einem archimedisch angeordneten Körper bilden die ganzzahligen Intervalle , , eine disjunkte Überdeckung. Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und . Die Gaußklammer von ist durch

    definiert.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und .

    Dann gibt es zu jedem eine natürliche Zahl mit

    Wir schreiben  mit . Aufgrund von Lemma 8.10 gibt es eine natürliche Zahl mit . Damit gilt unter Verwendung der Bernoulli-Ungleichung die Abschätzung




    Fußnoten
    1. Man beachte, dass hier negativ in einem neuen Sinn auftritt. In jedem Körper gibt zu jedem Element das negative Element , also das Inverse von bzgl. der Addition. Das Element ist aber nicht in einem absoluten Sinn negativ, sondern nur in Bezug auf . Dagegen gibt es in einem angeordneten Körper wirklich negative und positive Elemente.


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