Projekt:Altes Dresden/E.T.A. Hoffmann in Dresden/Schlacht um Dresden 1813/Schicksal eines Fouriers
Schicksale eines Fouriers von der jungen französischen Garde.
In: Ameise, 10: Die Ameise oder Bemerkungen, Charakterzüge und Anekdoten auch Schlachtberichte vom Kriegsschauplatze im Jahr 1812 bis 15. Leipzig, Baumgärtner, 1814-1824. Hier: 1815.
Schicksale eines Fouriers von der jungen französischen Garde während und nach der Schlacht bei Dresden, im August 1813, von ihm selbst erzählt.
Im fünften Heft der Ameise befindet sich Seite 48. 49. 50 ein Aufsatz mit der Aufschrift: Mittel, wie die Franzosen Dienstvernachlässigungen wieder gut zu machen wissen. Dem Erzähler, einem Fourier von der jungen Garde, der die handelnde Person selbst war, fiel jenes Stück in Frankfurt am Main in die Hände, und veranlaßte ihn, die ganze Sache im Zusammenhange aufzusetzen, und sie dem Herausgeber mit der Bitte zuzusenden, sie in der Ameise einzurücken, und zu mehrerer Glaubwürdigkeit seinen Namen beizufügen. Da seine Erzählung über sein trauriges Schicksal vom 26. bis 28. August sehr interessante Züge enthält, und eine ziemlich lebhafte Vorstellung giebt, wie es schon damals in der französischen Armee herging, so mag sie hier fast wörtlich wohl einen Platz verdienen.
Wir mußten, -- schreibt er, -- als sich die große böhmische Armee Dresden schnell näherte, in Eilmärschen von Löwenberg nach der sächsischen Hauptstadt zurück, die sehr schwach besetzt war, und von der Armee des Fürsten Schwarzenberg bedroht wurde. Verhungert und kraftlos kamen wir dort an. Im Plaueschen Grunde donnerten die Kanonen, ungeachtet des stromweis herabstürzenden Regens, bereits fürchterlich. An den äußersten Festungswerken wurde schon wüthend gekämpft. Da bekamen wir Ordre, uns schleunig auf das blutige Schlachtfeld zu stürzen. Wir marschirten über die untere Schiffbrücke, die gerade an den großen Garten stieß, in welchem sich die Preußen mit wenigstens 40 Kanonen postirt hatten. Von uns allen war noch nie einer im Feuer gewesen, einige Offiziere und Unteroffiziere ausgenommen. Was auch die französischen Berichte über die junge Garde damals gefabelt haben, so kann ich es auf Pflicht und Gewissen versichern, daß wir sämmtlich wie Espenlaub zitterten, ein großer Theil von uns laut schrie und weinte. Mich selbst, der ich den Uebrigen mit einem guten Beispiel als Fourier vorangehen sollte, ergriff ein eiskalter Fieberfrost, da die Kanonenkugeln über meinen Kopf beständig flogen, und meine Kameraden links und rechts todt niederstürzten. Dies bemerkte mein Sergeant-Major, ein alter beherzter Soldat, ein sehr braver Mann und mein Freund. "Vorwärts, vorwärts" -- rief er --"Fourier, in der Bataille dürfen wir die Kugeln nicht fürchten!" diese Rede flößte mir Muth ein, und ich schämte mich meiner Furcht. Mit ungeheuerm Verlust kamen wir über die Brücke. Mehrere Regimenter von der Garde Flankeurs waren uns vorangegangen, die sich einzig mit dem Bajonett gegen die Feuerschlünde Platz gemacht hatten. Wir mußten dasselbe thun, und auf eine wunderbare Weise gelang es uns, das Geschütz mit dieser Waffe aus den Verschanzungen zu treiben. Bis jetzt hatte diese allein gewirkt, und eine ungeheuere Menge Menschen hatte dabei ihren Tod gefunden. Jetzt kam uns unsere Artillerie zu Hülfe, und verschaffte uns einige Augenblicke Ruhe. Wir waren in großer Unordnung, und konnten uns jetzt wieder sammeln, und in Schlachtlinie aufstellen. Wir machten eine Wand aus, die bloß dem feindlichen Geschütz zum Zielpunkt diesen zu sollen schien, wenigstens wüthete dieses fürchterlich und riß ganze Glieder unserer schönen Tirailleurs weg. Ich und mein Sergeantmajor hatten viel dabei die traurige Verrichtung die Namen der Gefallenen aufzuzeichnen, damit, wenn wir nicht ins Treffen kämen, doch wüßten, wer ungefähr geblieben wäre. Eben hatten die Kugeln drei Rotten von uns niedergerissen, und eine davon drei Mann die linken Beide zerschmettert, als wir sogleich zuliefen, um zu sehen, wer sie wären? Ich fand in gebückter Stellung und fühlte plötzlich einen fürchterlichen Schlag im Rücken. Der Sergeant erschrak entsetzlich, als er eine Granate in meinen Tornister schlagen sah. Mit unglaublicher Geistesgegenwart und Schnelligkeit riß er mir denselben vom Rücken und schleuderte ihn weit weg. Ich hatte noch drei Pakete Patronen darinne gehabt und wäre ohne die Besonnenheit meines Freundes in Stücken zerrissen worden. In wenig Augenblicken flogen die Fetzen unter fürchterlichem Krachen in die Luft, ohne daß wir beschädigt wurden. Wir eilten nun, uns wieder in Ordnung zu stellen, und waren kaum auf unserm Posten, als eine Kanonenkugel dem Sergeanten den Kopf wegriß, und hoch über mich hinschleuderte. Welch ein schmerzliches Gefühl für mich, meinen besten Freund, einen der edelsten unter den wenigen guten Franzosen, der die Teutschen so innig liebte, in die Arme des Todes sinken zu sehen! –
Alles dieses war indessen nur ein Vorspiel zu den Schrecknissen jenes denkwürdigen 26. Augusts. Während der eiserne Hagel mörderisch in unsern Reihen wüthete, wurde mein Regiment zur Formirung eines Quarrées kommandirt. Dieses geschahe mit unglaublicher Geschwindigkeit. Bald sahen wir die Ursache. Der Boden dröhnte, und die zitternde Erde kündigte unter unsern Füssen an, daß große Kavalleriemassen auf uns anstürmten. Wegen des dichten Regens konnte man nur wenig Schritte vor sich hinsehen. Jetzt zeigte sich eine ungeheuere Reitermasse, wie eine schwarze Wolke unsern Augen. Ich hielt sie für ungarische Husaren. Kein Gewehr ging mehr los, also mußte hier bloß unser Bajonet, beim Feinde der Säbel entscheiden, überdieses standen wir bis an die Knie im Morast, und waren bis auf die Haut durchnäßt. So sahen wir unsern fürchterlichen Feinden in die Augen, sie prallten an, wendeten sich schnell und jagten im vollsten Karriere um das Quarrée, um sich die zum Niederhauen auszusuchen, welche nicht Stand hielten. Es fehlte nicht an solchen, welche bei dem Anblick der fürchterlichen Reuter die Gewehre wegwarfen und wie Kinder weinten. Unser Quarrée war daher im Nu gesprengt. Alles ergriff die Flucht, und viele, unter denen auch ich war, blieben im Kothe stecken. Indessen behielt ich meine Besonnenheit, ohne welche ich verloren gewesen wäre. Ein Husar hatte mich nämlich ins Auge gefaßt, und arbeitete sich durch den ungeheuern Schlamm mir nach. Entkommen konnte ich nicht, ich blieb daher geradezu stehen, und hielt ihm mein Bajonet entgegen. Er warf sein Pferd bald links, bald rechts herum und hieb beständig auf mich los. Da sein Pferd aber beständig in die Höhe bäumte, erreicht mich sein Säbel nicht. Endlich zog er das Pferd mit Gewalt nieder, und der rüstige Reuter versetzte mir, jedoch nur mit der Säbelspitze, einen leichten Hieb über das linke Auge. In dem Augenblick stieß ich mit dem Bajonet zu, und traf ihn in den Unterleib. Ich hatte beständig teutsch auf ihn geschimpft, und als er vom Pferde sank, rief er mir die Worte zu: "half mer a weng of de Seit!" -- Welcher Provinz der Mann gehören mochte, konnte ich daraus nicht errathen. Froh, den gefährlichen Gegner los zu seyn, stützte ich mich auf mein Gewehr, und half mir aus dem grundlosen Boden, ohne ans Beutemachen zu denken. Den barbarischen Schnautzbart schleppte ich an der Hand mit fort, und brachte ihn an den wenig Schritte entfernten Wald, wo ich ihn seinem Schicksale überließ. Ich hörte den Trommelwirbel, der unser Regiment wieder sammeln sollte, und kam mit blutendem Gesicht bei meinen Kameraden an. Ein Chirurg legte mir ein Heftpflaster auf. Ich würde meine Wunde, wäre sie auch schwerer gewesen, gern ertragen haben. Sie war indessen unter den Uebeln, die mich damals trafen, das schlimmste bei weitem nicht. Das schreckliche Wetter und der Hunger plagten mich weit mehr. Aber wir waren Soldaten. -- "Quarrée!" schallte das Kommando, und es wurde stracks formirt. Feindliche Kavallerie wollte es vergebens durchbrechen, und versuchte auf uns einzuhauen. Wir wichen keinen Schritt. Bis an den Abend dauerde dieser mörderische Kampf fort. Das schwere Geschütz donnerte ununterbrochen durch die Regenströme und die weit umher brennenden Dörfer erhellten die Wasserstralen. Die Nacht machte endlich dem Blutvergießen ein Ende, hier und da hörte man noch einen dumpfen Kanonenschuß.
Mit Tagesanbruch wurden neue Kolonnen gebildet, die sogleich gegen die feindlichen Massen geführt wurden. Unsre Gardeflankeurs, welche ihre Gewehre wieder getrocknet hatten, wurden sogleich ins Feuer gejagt. Zwölf Regimenter, der ganze Bestand derselben, rückte an. Fürchterlich wüthete der Tod in ihre Reihen, und ich kann es auf Treue und Gewissen versichern, daß der Rest, welcher nicht tod auf dem Schlachtfelde lag, kein volles Regiment ausmachte. Die Gardeflankeurs waren nach der Schlacht so gut als nicht vorhanden. Dafür hatte aber auch Bonaparte den Angriff selbst geleitet. Der Tod hatte nicht länger als etwa 3 Stunden gebraucht, viele schöne Truppen zu vernichten. Der grausame Mensch hatte dessen ungeachtet viel zu wenig Blut gesehen; jetzt kam die Reihe an uns Tirailleurs. Bald standen wir auf der heißen Stelle, zu der wir über hohe Leichenhügel gelangt waren. Nur hier und da ging ein Gewehr los, wir standen auf lauter Leichnamen. Der Anblick war über alle Beschreibung gräßlich, wo das Auge sich hinwendete, traf es auf Verstümmelte, welche sich brüllend und ächzend herumwälzten, oder mit halb abgerissenen Gliedern sich fortschleppten, während die Kanonenkugeln häufig den Schwerverwundeten nochmals tödtlich trafen. So kam der Mittag heran, wir konnten nichts ausrichten und schienen bloß hierher gestellt zu seyn, um abgeschlachtet zu werden. Wir erhielten Befehl, uns endlich zurückzuziehen und nun kam die alte Garde dran.
Zum ersten Male nach drei und einem halben Tage wurden die Fouriers gesammelt. Ich nahm sogleich einige meiner Soldaten und lief mit Säcken und einem Gefäß zum Schnaps nach der Stelle, wo der Tambour schlug, und war, so wie alle hoch erfreut, als es hieß, es werde Brod und Schnaps ausgetheilt. Ich erhielt sehr reichlichen Vorrath an Brod, da meine Kompagnie größtentheils tod auf dem Schlachtfelde lag, und so kamen die Lebenden über alle Erwartung gut weg. Branntwein erhielt ich jedoch sehr wenig, und ich konnte dem Mann kaum einen Finhut voll reichen. Die Farbe desselben kam mir sehr ungewöhnlich vor, sie war nämlich dunkelbraun. Da ich den Branntwein nie geliebt, und nur im Nothfall getrunken habe, so achtete ich auf die geringe Quantität eben nicht und wollte meinen Antheil allenfalls drein gehen lassen. Da ich zur Kompagnie zurückkam, rief mich der Kapitain sogleich zu sich. -- "Apportés moi la goutte!" (bring mir den Branntwein) sagte er. Ich beschwerte mich, daß man mir zu wenig gegeben hätte. Er erwiederte darauf nichts weiter, als: "cest assez!" (es ist genug) und seine Miene schien mit sehr geheimnißvoll. Er vertheilte das Getränks selbst in einem blechernen Becherchen, welches einen reichlichen Fingerhut fassen mochte. Mir reichte er zuerst meine Portion, deren Tropfen leicht zu zählen waren. Es war der Trank der Hölle. Gott mag es wissen, welches teuflische Gift der korsische Branntweinbrenner mochte gefunden und hinein gemischt haben. Ich hatte den Hexentrank kaum in meinen Eingeweiden, als mich sogleich eine Art von rasender Begeisterung packte. Meinen Kameraden ging es eben so. Wir tobten wie eine Schaar Barchanten, da wir kurz vorher vor Mattigkeit und Muthlosigkeit dem Umsinken nahe gewesen waren. Ein nie gefühltes Feuer stürmte durch unsere Adern. Alles brüllte wie toll: "Vorwärts, vorwärts, der Feind muß geschlagen werden!" So wollte man uns haben. Man benutzte den Wahnsinn auf der Stelle. Keiner achtete des Kugelregens mehr, der Feind wurde geworfen. Schwerlich haben je auf einem Schlachtfelde Soldaten so wüthend gefochten, als wir hier. Keiner dachte mehr an Tod und Wunden, wer verwundet war fühlte keinen Schmerz. Ich selbst sahe einen teutschen Soldaten, von meiner Kompagnie, dem der linke Arm dermaßen zerschmettert war, daß er nur noch ein einer einzigen Flechse hing. -- "Fort mit dir," -- brüllte er, riß mit unglaublicher Anstrengung, ohne eine Miene zu verziehen, die Flechse entzwei, und stürmte wieder vorwärts.
Dieser fürchterliche Taumel, in welchen uns der korsische Tarantelstich versetzt hatte, dauerte ziemlich eine Stunde lang. Viele waren mit ihm aus der Welt gegangen. Ihm folgte sogleich eine völlige Abspannung. Keiner konnte sich vor Müdigkeit und Schlaf auf den Beinen erhalten. Viele starben vor Mattigkeit, mancher fiel gerade mit dem Gesichte in den ellentiefen Koth und erstickte jämmerlich. Auch mein höllischer Rausch war vorüber. So müde und schläfrig ich war, so hielt ich mich doch bis gegen Abend aufrecht, wo es ruhiger wurde, und der Regen nachließ. Dessenungeachtet mußten wir Quarrée formiren, und die Nacht unterm Gewehre bleiben.
Mit Tagesanbruch am 28. begann das Morden und der Regen von neuem. Wir kamen an diesem Tage in kein Feuer, sondern hatten bloß einige Kavallerieangriffe abzuweisen, die auf uns gemacht wurden. Der Abend machte auch diesmal dem Mordfest ein Ende. Unser Bataillonschef -- der Oberste war verwundet -- machte uns bekannt, daß wir uns nun in ein Dorf einquartieren könnten, welches vielleicht in der Nähe sey. Die Nacht war rabenschwarz, die Felder grundlos, wir alle bis auf die Haut durchnäßt, verhungert und abgemattet. Indessen suchte sich jeder durch die dicke Finsterniß zu arbeiten. Die wenigsten konnten ihr Regiment finden. Tausend Stimmen schallten von allen Seiten durch die schauerliche Nacht. "Quatrième Regiment, 6me Regiment!" hörte man überall die Verirrten rufen. Ich fand nach langem Herumtappen endlich mit meinen Leuten ein Dorf, daß, wenn ich nicht irre, Blasewitz hieß. Hier wimmelte alles von französischer Gardekavallerie, Gensd'armes d'Elite, Mamelukken u. dgl. An ein Unterkommen war nicht zu denken. Unser Kommandant bedeutete uns, daß uns nun nichts übrig sey, als im nassen Grase vor dem Dorfe zu bivouakiren. So hart uns dieses ankam, so mußten wir uns doch dazu bequemen. Nie habe ich ein traurigeres Lager gehabt, als hier. Lange hielt ich es nicht aus, ich machte mich auf, um ein besseres, sollte es selbst mit dem Säbel in der Faust seyn, zu erkämpfen. In jedem Hause wurde ich aber von alten bärtigen Reutern abgewiesen, die sich an mein Schimpfen, Schreien und Lärmen nirgends kehrten. Leider trug es mir nichts als eine Menge tüchtiger Rippenstöße ein, an deren kleinern Hälfte ich genug gehabt hätte. Am Ende des Dorfes sahe ich endlich an einem kleinen Häuschen ein großes Wachtfeuer. Ich ging sogleich darauf los. Alles wimmelte dort von kaiserlichen Mamelucken. Non bist du doch endlich unter den Türken, dachte ich, die vielleicht gastfreundlicher als deine getauften Kameraden seyn werden. Ein Mameluck begegnete mir in der Hausthür. Ich redete ihn herzhaft an: -- "Est de que je pourrais trouver und place pour un pauvre tirailleur?" (kann hier ein armer Tirailleur ein Plätzchen haben) fragte ich. Der Türke sahe mich starr an. -- "Versteh nit!" -- war seine Antwort. -- "Was verstehst Du denn?" -- rief ich ihm teutsch zu. -- "Ah," -- erwiederte er -- "nun begreife ich Dich wohl. Der Mensch war ein muhamedisirter Teutscher vom rechten Rheinufer, der so wenig türkisch als französische verstand. -- "Geh, geh, Kamerad" flüsterte er leise die Treppe hinauf, dort sind viele von deinen Leuten!" Ich gelangte bald an eine Thür die ich öffnen wollte. -- "Doucement, doucement!" -- riefen mehrere Stimmen im Innern. Die ganze Stube war mit Tirailleurs angefüllt, die auf den Boden und in Betten lagen. Aller Widerstand half nichts mur den Eingang zu verwehren. Ich war so glücklich, ein noch offenes Plätzchen und was mir vorzüglich zu Statten kam, ein warme Decke zu finden. Nicht ohne große Mühe zog ich meine durchnässten eng anliegenden Kleider vom Leibe, bis ich völlig nackend war. So wickelte ich mich in die Decke mit dem festen Vorsatz, hier wenigstens einen Tag auszuruhen. Die Wohlthat des Schlafes habe ich nie in so hohem Grade genossen als hier. Ich erwachte spät. Die Feuerschlünde donnerten abermals in der Nähe und Brandkugeln fielen bereits in das Dorf. Meine Kameraden waren längst aufgebrochen und standen in zänkischen Gesprächen unten. Alles machte sich ängstlich fort, ihn allein blieb ruhig. Man rief, man ermahnte, daß ich doch ebenfalls aufbrechen möchte, aber ich ließ mich in meiner Ruhe nicht stören. Das enge Stübchen war leer geworden, und wo hätte ich mich unter den jetzigen Umständen besser befinden können? Da kam ein Adjutant von meinem Corps herauf, um alles, was noch im Hause war, fortzujagen. Er fuhr mich mit großem Ungestüm an, und ich entschloß mich, aufzustehen, nicht um zu gehorchen, sondern mich herzhaft zu widersetzen. Ich stand völlig nackend vor ihm. Eine tragisch komischere Scene gab es schwerlich jemals als hier. Er zog den Degen und ich fuhr wüthend nach meinem Säbel um mich zu vertheidigen. Dies machte ihn etwas gelassener. "N'entendez vous pas les coups de canons?" (Hörst du nicht das Kanonenfeuer?) fragte er. "Ei," -- erwiederte ich, "ich habe es lange gehört, aber zum Teufel, wie kann ich mich anziehen. meine Kleider triefen noch von Wasser, ich kann nicht einmal hinein." Er selbst war wie aus dem Wasser gezogen, ließ sich aber bedeuten. Er verließ mich mit der Aeußerung, daß er mir einige Minuten Bedenkzeit lassen wollte, daß es mir aber schlimm ergehen sollte, wenn er mich dann noch hier träfe.
Er hatte sich kaum entfernt, als ich die Thür hinter ihm verschloß und nun im Zimmer eine Haussuchung anzustellen anfing. Einige Wandschränke wurden erbrochen, um Wäsche und Kleider zu finden. Leider war nichts darinne, als eine ungeheure lange rothe Sammetweste, die ich sogleich auf den bloßen Lein zog, in einem Tornister fand ich noch ein Paar halbdurchnässte Pantalons, die ich mit vieler Mühe an die Beine brachte. So weit war mein Anzug vollendet, als heftig an die Thür geschlagen wurde. "Kamerad, Kamerad!" rief eine Stimme beständig dabei. Da das Rufen kläglich klang, so öffnete ich die Thür, und erblickte einen Trainsoldaten, der eine große Speckseite trug. Nie konnte sie mir gelegener kommen. -- "Allons," -- redete ich ihn an, -- "partagons!" -- (Halt, due mußt mit mir theilen.) -- "Ach Herr," -- antwortete der erschrockene Soldat, -- "das versteh ich nicht!" -- "Nun denn, -- fuhr ich fort, "gieb her, wir wollen halbiren." Das war er sehr gern zufrieden, und die Theilung wurde mit dem Säbel bald gemacht. -- "Hast du etwa noch etwas?" fragte ich, da ich so viel guten Willen fand. -- Er deutete mit wichtiger Miene nach dem obersten Stockwerke und ging. Bald kam er mit einer ungeheuern gläsernen Flasche zurück, die mit einer dunkeln Flüssigkeit angefüllt war. Sie war sorgfältig zugebunden und ich risse die Decke hastig ab. Ich tauchte den Finger hinein und kostete. Es war vortrefflicher Kirschbranntwein. Diesen herrlichen Vorrath suchte ich ganz an mich zu ziehen. -- "Pfuy," -- schrie ich, "was willst du mit dem Zeuge, es ist je Schusterschwärze, womit das Leder gefärbt wird, und wo man den Tod davon hat!" -- "Je nun," -- sagte der einfältige Mensch, -- "so lassen wir es stehen, ich mag nichts davon." Zufrieden mit seinem Speck eilte er davon. Ich durchsuchte nun das ganze Haus, um kleinere Flaschen zu finden, die ich denn auch endlich entdeckte. Ich füllte sie sämmtlich mit der angeblichen Schusterschwärze voll und packte die noch auf dem Grunde befindlichen Kirschen in meinen Tornister. Ueber meine sonderbare Kleidung zog ich meinen Kapot und verließ mit meiner Beute das schon brennende Dorf. Aus jeder Tasche ragte eine Flasche hervor und das große Speckstück stand weit aus dem Tornister. Die geräumigen Schubsäcke in der Sammetweste leisteten mit vorzügliche Dienste. Meine groteske Figur hätte verdient gemalt zu werden.
An einem der brennenden Häuser begegnete mir ein Colonel von einem Garde-Tirailleurs Regiment, der mich gewaltig anschnaubte und mir eine lange Lektion zu halten im Begriff war. Da erblickte er die Flaschenhälse, die ihm aus meinen Taschen entgegenstarrten. "Was ist das in den Taschen?" fragte er in einem sanftmüthigen Tone. -- "Es sind einige Flaschen des herrlichsten Branntwein," war die Antwort, und sogleich zog ich eine hervor. Der Colonel ergriff sie begierig und leerte sie in tüchtigen Zügen fast ganz. -- "Une excellente goutte, fourrier!" -- sagte er schmunzelnd, und zeigte mir, da ich ihn fragte), wo ich mein Regiment finden würde? ein großes Quarrée. "Das Regiment tiraillirt so eben!" sagte er und verließ mich sehr freundlich. Jetzt eilte ich mit großen Schritten über Leichenhaufen auf das Quarrée los. Dort fand ich bald das Regiment, welches nicht im Feuer stand. Während ich im Gallopp um das Viereck lief, rannten mir Offiziere nach, die mich meiner Bürde entledigen wollte, gegen die ich mich aber tapfer vertheidigte. Im Laufen schug der Mantel zurück und die rothe Sammetweste schlotterte um die Beine. So übel gelaunt hier alles war, so fingen die Soldaten, wo sie mich erblickten, doch hell auf an, über den possirlichen Aufzug zu lachen. Endlich gelangte ich zu meinem Regimente, wo alles aus vollem Halse schrieb: -- "Voila notre Fourrier!" (da ist unser Fourier.) Die Offiziere eilten auf mich zu und schienen nicht übel Willens, mich wegen meines langen Außenbleibens durchzusuchteln. Jetzt brachte ich meinen köstlichen Vorrath zum Vorscheine und entwaffnete sie augenblicklich damit. Mit offenem Munde sahen sie mich verwundert an. -- "O," -- riefen mehrere, -- "c'est une chose bien acceptable!" (die Sache ist gar nicht zu verachten) und wollten sogleich zugreifen. -- "Nein," -- rief ich gebieterisch, -- "keinen Tropfen, wenn nicht alle Unterofficiere meiner Kompagnie mittrinken sollen!" Diese wurden dann herbeigerufen und ich hatte die Ehre außer ihnen zwei Bataillonschefs, vier Kapitains und zehn Ober- und Unterlieutenants mit Schnaps zu traktiren. Dabei mußte ich die ganze Geschichte zum Besten geben, wie ich zu dem Fund gekommen war. Von meinem Außenbleiben war nicht mehr die Rede, alle Offiziere lachten über das Abentheuer. Einer derselben wurde am Ende meinen Speck gewahr und rief freudig. "Regardez, regardez le sacré fourrier, a-t-aussi du lard!" (Sehen sie, sehen sie einmal, da hat der Tausendelementer vom Fourier auch Speck.) Er war nun ohne Rettung verloren, alles fiele darüber her; ich gab ihn aber nicht eher zum Besten, bis mir jeder Offizier ein Stück Brod gegeben hatte.
Noch tobten die Kanonen in der Ferne nach Pirna hin. Uns gegenüber standen Kosaken, die sich über einen Berg nach Böhmen hineinzogen und verschwanden. Nach und nach verstummte das Geschütz und der Himmel wurde heiterer. Das Quarrée wurde aufgelöst und formirte sich wieder in Bataillons, um nach Böhmen zu folgen. Meine Kompagnie hatte von 203 Mann nach der Schlacht noch 96 Mann übrig. Die Leser mögen übrigens über die Wahrheit des französischen Schlachtberichtes urtheilen, der den französischen Verlust gering angiebt, wenn sie hier aus dem Munde eines glaubwürdigen Augenzeugen erfahren, daß 12 Regimenter Garde Flankeurs fast ganz aufgerieben wurden, von 12 Regimentern Garde Tiraillieurs die Hälfte, von eben so viel Garde Voltigeurs, nicht weniger von der alten Garde, so wie von den Linientruppen ein großer Theil in jenen Tagen geblieben ist.
Meine fernern Schicksale werde ich, da ich bis jetzt der einzige französische Soldat bin, welcher über die schrecklichen Schicksale der französischen Armee in dem verheerenden Feldzuge im Jahr 1813 einige unpartheiische und zuverlässige Auskunft in die Ameise einrücken ließ, in den folgenden Heften treu und gewissenhaft erzählen. Sie sind insofern nicht unwichtig, als sie die Umrisse von dem Zustande erhalten, in welchem sich das ganze französische Heer befand. Geschrieben zu Frankfurt am Main, im März 1815.
Christian Hahn, ehemals Fourier, zuletzt Sergeantmajor bei dem fünften Regiment der Tirailleurs Grenadiers der jungen Garden.