Ideler, Karl Wilhelm (1835)


Ideler, K. W.: Grundriß der Seelenheilkunde oder der Seelenstörungen und ihrer Behandlung. Erster Theil Berlin: Enslin 1835, X S., 809 S.; Zweiter Theil Berlin: Enslin 1838, VI S., 975 S.

Karl Wilhelm Ideler (1795 – 1860) war Leiter der Irrenabteilung der Charité (1828), ab 1840 Professor der Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Berlin. Er gilt mit diesem Lehrbuch neben Heinroth (1818) als Hauptvertreter der „Psychiker “, d. h. der Irrenärzte, die psychische Erkrankungen als ein innerseelisches Geschehen auffassten, nicht unbedingt an Gehirnerkrankungen gebunden. Zu ihren Antipoden, den naturwissenschaftlich orientierten „Somatikern“, zählen Reil (1803), Esquirol (1827) und Griesinger (1861).

20,5 x 12,5 cm

Siehe auch

 Wikisource: Karl Wilhelm Ideler – Quellen und Volltexte



Idelers ätiologisches Konzept aus psychodynamischer Sicht

Ideler hielt Geisteskrankheiten für die Folge ungezügelter Leidenschaften, für die so gut wie jeder allein verantwortlich sei. Dieses ätiologische Konstrukt ist der Auffassung Heinroths verwandt, die Sünde bahne die Entstehung von Seelenstörungen. Der wirkungsmächtigste Vertreter der Psychogenese psychiatrischer Erkrankungen wurde Sigmund Freud. Er führte den Begriff Psychodynamik ein. In einem zentralen Teil seines Gedankengebäudes, dem Ödipuskomplex, setzte er für Sünde und Leidenschaften unbewusst imaginierte sexuelle Tabubrüche und Mordimpulse. Aussicht auf Heilung bietet die Psychoanalyse. Die psychoanalytische Kur zieht sich in der Regel über Monate (bis Jahre) hin. Durch freies Assoziieren - unter Kontrolle des Analytikers - werden die Analysanten ihres inzestuösen Verlangens zum gegengeschlechtlichen Elternteil gewahr und ihrer Mordimpulse gegenüber dem gleichgeschlechtlichen. Nach dieser Erkenntnis bringen Verzicht und Entsagung des Analysanten psychische Gesundung.

Damit schließt sich der Kreis zu Heinroth und Ideler: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzt der Atheist Freud für Sünde den Konflikt zwischen Es und Über-Ich und für nicht bewältigten Leidenschaften die Triebdynamik. Freuds Kunstgriff bestand darin, das zuvor von Carl Gustav Carus beschriebene Unbewusste ins Zentrum der Psychoanalyse zu setzten. Und er tabuisierte die Sexualität nicht mehr. Die Epoche, in der Freud seine Innovationen der Welt vorlegte, das Fin de siècle mit der literarischen Décadence und dem Symbolismus in der bildenden Kunst, lies dieses Wagnis durchgehen. Auch das Postulat des Ödipuskonflikts als natürliche Entwicklungsstufe stieß nach der Psychologisierung des Mythos durch Erwin Rohde und Friedrich Nietzsche auf gebildetes Interesse.

In seinem Roman «Doktor Faustus» (1947) lässt Thomas Mann einen Theologiestudenten über die Psychoanalyse urteilen: Das ist es ja gerade, daß heute sogar schon mit den Trieben Propaganda für allerlei Bindungsangebote gemacht wird, indem man nämlich auch sie noch mit einbezieht und den alten Idealismus mit Triebpsychologie aufputzt, damit der bestechende Eindruck einer größeren Wirklichkeitsdichte entsteht. Deswegen kann das Angebot doch noch Schwindel sein. (Schlafstroh-Gespräche)

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