Kurs:Einführung in die Algebra (Osnabrück 2009)/Vorlesung 1
- Beispiele zu Symmetrien
Wir beginnen diese Vorlesung, indem wir am Beispiel der Symmetrien an einem Würfel den Gruppenbegriff in Erinnerung rufen.
Wir betrachten einen Würfel mit der Seitenlänge und dem Nullpunkt als Mittelpunkt. Die Eckpunkte sind also
Wir fragen uns, welche Möglichkeiten es gibt, den Würfel in sich selbst zu überführen. Dabei soll der Würfel nicht in irgendeiner Form deformiert werden, es ist nur erlaubt, ihn als Ganzes zu bewegen, und zwar soll die Bewegung wirklich physikalisch durchführbar sein. Man spricht auch von einer (eigentlichen) Bewegung des Würfels. Bei einer solchen Bewegung verändert der Würfelmittelpunkt seine Lage nicht, und es werden Seiten auf Seiten, Kanten auf Kanten und Ecken auf Ecken abgebildet. Ebenso werden Seitenmittelpunkte auf Seitenmittelpunkte abgebildet, und gegenüberliegende Seitenmittelpunkte werden auf gegenüberliegende Seitenmittelpunkte abgebildet. Die Seitenmittelpunkte sind die sechs Punkte
Wenn der Punkt auf den Seitenmittelpunkt abgebildet wird, so wird auf den gegenüberliegenden Punkt, also , abgebildet. Hierbei ist jede Vorgabe von erlaubt, doch dadurch ist die Bewegung noch nicht eindeutig bestimmt. Für den Seitenmittelpunkt gibt es dann noch vier mögliche Bildpunkte (nur und sind ausgeschlossen), da man den Würfel um die durch gegebene Achse um ein Vielfaches von Grad drehen kann. Diese Drehungen entsprechen genau den Möglichkeiten, den Punkt auf einen der vier verbliebenen Seitenmittelpunkte abzubilden. Durch die Wahl des zweiten Seitenmittelpunktes ist die Bewegung dann eindeutig festgelegt. Ist das völlig klar?
Um sich das klar zu machen, sind folgende Beobachtungen sinnvoll.
- Bewegungen lassen sich hintereinander ausführen, d.h. wenn man zwei Würfelbewegungen und hat, so ist auch die Hintereinanderausführung , die zuerst und dann durchführt, sinnvoll definiert.
- Die identische Bewegung, die nichts bewegt, ist eine Bewegung. Wenn man zu einer beliebigen Bewegung die identische Bewegung davor oder danach durchführt, so ändert das die Bewegung nicht.
- Zu einer Bewegung gibt es die entgegengesetzte Bewegung (oder „Rückwärtsbewegung“) , die die Eigenschaft besitzt, dass die Hintereinanderausführungen und einfach die Identität sind.
Mit diesen Beobachtungen kann man sich das oben erwähnte Prinzip folgendermaßen klar machen: angenommen, es gibt zwei Bewegungen und , die beide auf und auf abbilden. Es sei die umgekehrte Bewegung zu . Dann betrachtet man die Gesamtbewegung
Diese Bewegung hat die Eigenschaft, dass auf und dass auf abgebildet wird, da ja den Punkt auf schickt und den Punkt auf zurückschickt (und entsprechend für ). hat also die Eigenschaft, dass sowohl als auch auf sich selbst abgebildet werden, d.h., es handelt sich um Fixpunkte der Bewegung. Dann ist aber bereits die gesamte -Ebene fix. Die einzige physikalisch durchführbare Bewegung des Würfels, die diese Ebene unbewegt lässt, ist aber die identische Bewegung. Daher ist und damit . Man beachte, dass die Spiegelung an der -Ebene die Punkte und vertauscht, doch ist dies eine sogenannte uneigentliche Bewegung, da sie nicht physikalisch durchführbar ist.
Damit ergibt sich, dass es für den Basisvektor sechs mögliche Bildvektoren gibt, für den zweiten Basisvektor noch jeweils vier und dass dadurch die Abbildung eindeutig festgelegt ist. Insgesamt gibt es also Transformationen des Würfels. Am einfachsten beschreibt man die Bewegungen durch eine -Matrix, wobei in den Spalten die Bildvektoren der Basisvektoren stehen. Wenn der erste Basisvektor festgehalten wird, so sind die vier möglichen Bewegungen durch die Matrizen
gegeben. Dies sieht man so: wenn eine Seitenmitte auf sich selbst abgebildet wird, so gilt das auch für die gegenüberliegende Seitenmitte und dann wird die dadurch definierte Achse nicht bewegt. Eine Bewegung, die eine solche Seitenmittelpunktachse fest hält, muss eine Drehung um diese Achse sein, und zwar eine um ein Vielfaches von Grad. Eine solche Drehung ist eine Bewegung in der Ebene (nämlich in der zur festen Achse senkrechten Ebene), und diese Beobachtung führt zu den angegebenen Matrizen.
Eine wichtige Eigenschaft dieser Bewegungen ist, dass es sich um Drehungen des Raumes um eine fixierte Achse handelt. Diese Eigenschaft zeichnet Raumbewegungen sogar aus, wie wir später noch sehen werden. Da die eben besprochenen Drehungen Vielfache einer Vierteldrehung sind, folgt, dass wenn man sie jeweils viermal hintereinander durchführt, dann wieder die Identität vorliegt. Bei der Halbdrehung führt natürlich schon die zweifache Ausführung zur Identität. Dies wird später mit dem Begriff der Ordnung einer Bewegung (eines Gruppenelementes) präzisiert.
Wir betrachten nun im Würfelbeispiel die Raumdiagonale , die durch und durch geht. Auch um diese Achse kann man den Würfel drehen, und zwar um Vielfache von Grad. Man mache sich hierzu klar, wie der Würfel aussieht, wenn diese Achse zu einem Punkt im Gesichtsfeld wird. Die Dritteldrehung, die auf schickt, muss auf schicken. Die beiden Dritteldrehungen um diese Raumdiagonale sind daher in Matrixdarstellung durch
gegeben (die natürlich invers zueinander sind). Die Bewegungen am Würfel kann man dadurch verstehen, indem man untersucht, was eine Bewegung mit den Seitenmittelpunkten macht, wie sie also diese sechs Punkte ineinander überführt, welche sie fest lässt, etc. Eine Bewegung bestimmt dabei stets eine Bijektion dieser Punktmenge in sich selbst. Eine solche Bijektion nennt man auch eine Permutation. Es gibt aber auch andere charakteristische Punkte bzw. allgemeiner geometrische Teilobjekte des Würfels, die bei einer Würfelbewegung ineinander überführt werden, z.B. die Menge der Eckpunkte, die Menge der Kantenmittelpunkte, die Menge der Kanten, die Menge der Seiten, die Menge aller Raumdiagonalen, etc. Jede Bewegung hat auf diesen Objekten eine für sie charakteristische (Aus-)wirkung. Die mathematische Präzisierung dieser Beobachtung führt zum Begriff der Gruppenwirkung und des Gruppenhomomorphismus. Wenn man die Bezeichnung der Ecken vom obigen Bild übernimmt, so haben die oben an zweiter Stelle angeführte Vierteldrehung und die erste Dritteldrehung folgende Wirkung auf den Eckpunkten.
Vierteldrehung um Seitenmittelachse.
Punkt | ||||||||
Bildpunkt |
Dritteldrehung um Raumdiagonale
Punkt | ||||||||
Bildpunkt |
Wenn man eine Drehachse für eine Raumbewegung gefunden hat, so ist die Bewegung dadurch charakterisiert, wie sie auf der zur Achse senkrechten Ebene wirkt. Von daher ist es zuerst wichtig, die Bewegungen der Ebene mit einem fixierten Punkt zu verstehen.
Wir betrachten den Einheitskreis
Dieser wird bekanntlich durch die trigonometrischen Funktionen parametrisiert. Diese ordnen einem Winkel (bezüglich der -Achse, gegen den Uhrzeigersinn) den zugehörigen Punkt
auf dem Kreisbogen zu. Eine gleichmäßige Unterteilung des Intervalls in gleichgroße Stücke, die durch die Grenzen
gegeben sind, führt zu einer gleichmäßigen Unterteilung des Kreises mit den Eckpunkten
Diese Punkte sind die Eckpunkte eines regelmäßigen -Ecks. Das regelmäßige „Zweieck“ besitzt die Ecken und , das regelmäßige (gleichseitige) Dreieck besitzt die Ecken
das regelmäßige Viereck (Quadrat) besitzt die Ecken
usw. Wir fassen ein solches reguläres -Eck als ein in sich starres Gebilde auf und interessieren uns dafür, wie man es in sich selbst überführen kann. Der Nullpunkt ist der Mittelpunkt (Schwerpunkt) des -Eckes, und bleibt bei einer Bewegung des -Eckes auf sich selbst unverändert. Da eine solche Bewegung die Längen nicht ändert, muss der Punkt auf einen der Eckpunkte abgebildet werden, da nur diese Punkte des -Eckes vom Nullpunkt den Abstand eins besitzen. Da eine Bewegung auch die Winkel nicht verändert, muss der Nachbarpunkt auf einen Nachbarpunkt des Bildpunktes von abgebildet werden. Bei einer eigentlichen (physikalisch in der Ebene!) durchführbaren Bewegung bleibt auch die Reihenfolge (die „Orientierung“) der Ecken erhalten, sodass die einzigen eigentlichen Bewegungen eines regulären -Eckes die Drehungen um ein Vielfaches von sind.
Wenn man auch noch uneigentliche Bewegungen zulässt, so gibt es noch die Spiegelungen an einer Achse, und zwar geht bei gerade die Achse durch zwei gegenüberliegende Eckpunkte oder zwei gegenüberliegende Seitenmittelpunkte, und bei ungerade durch einen Eckpunkt und einen gegenüberliegenden Seitenmittelpunkt.
Es sei fixiert, und setze und sei die Drehung des -Eckes um gegen den Uhrzeigersinn. Dann kann man jede Drehung am -Eck schreiben als mit einem eindeutig bestimmten zwischen und . Dabei ist die Nulldrehung (die identische Bewegung), bei der nichts bewegt wird. Wenn man -mal ausführt, so hat man physikalisch gesehen eine volle Umdrehung durchgeführt. Vom Ergebnis her stimmt das aber mit der Nulldrehung überein. Allgemeiner gilt, dass wenn man -mal ausführt, dass dann das Endergebnis (also die effektive Bewegung) nur vom Rest abhängt. Die inverse Bewegung zu ist , also -mal wieder zurück, oder gleichbedeutend .
Es sei nun eine bestimmte Drehung am -Eck, also mit einem eindeutig bestimmten , . Dann kann man sich überlegen, welche Drehungen sich als Hintereinanderausführung von schreiben lassen, also zur Menge
gehören. Da die Menge der Drehungen endlich ist, muss es eine Wiederholung geben. Wie sieht diese aus, wann durchlaufen die Hintereinanderausführungen von sämtliche Drehungen am -Eck? Dafür gibt es recht einfache Antworten im Rahmen der elementaren Gruppentheorie.
Wir betrachten einen Tetraeder, also eine Pyramide mit vier gleichseitigen Dreiecken als Flächen. Das einfachste Modell dafür ergibt sich, wenn man bei einem Würfel jeden „zweiten“ Punkt nimmt, also beispielsweise die Eckpunkte
Der Abstand der Eckpunkte zum Nullpunkt ist dann und die Kantenlängen sind . Eine eigentliche Bewegung des Tetraeders ist auch eine eigentliche Bewegung des zugehörigen Würfels (in den der Tetraeder eingeschrieben werden kann)
- Der Gruppenbegriff
In den angeführten Beispielen haben wir gesehen, dass man die Bewegungen an einem der geometrischen Objekte hintereinander ausführen kann und wieder eine Bewegung erhält, dass es die identische Bewegung gibt, und dass es zu einer gegebenen Bewegung die umgekehrte Bewegung gibt, die sie neutralisiert. Diese Eigenschaften werden durch den Begriff der Gruppe mathematisch präzisiert.
Eine Verknüpfung auf einer Menge ist eine Abbildung
Statt schreibt man oder oder einfach .
Wenn ein geometrisches Objekt ist, und die Menge der Bewegungen auf (also die bijektiven Abbildungen von nach , die die geometrische Struktur von respektieren), so ist die Hintereinanderschaltung von Bewegungen, also
eine Verknüpfung.
Ein Monoid ist eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung
und einem ausgezeichneten Element derart, dass folgende beiden Bedingungen erfüllt sind.
- Die Verknüpfung ist assoziativ, d.h. es gilt
für alle .
- ist neutrales Element der Verknüpfung, d.h. es gilt
für alle .
Die Hintereinanderausführung von Bewegungen ist assoziativ, da es allgemeiner bei der Hintereinanderausführung von Abbildungen nicht auf die Klammerung ankommt. Die identische Bewegung ist die neutrale Bewegung. In einem Monoid ist das neutrale Element eindeutig bestimmt. Wenn es nämlich zwei Elemente und gibt mit der neutralen Eigenschaft, so folgt sofort
Ein Monoid heißt Gruppe, wenn jedes Element ein inverses Element besitzt, d.h. wenn es zu jedem ein mit gibt.
Die Menge aller Abbildungen auf einer Menge in sich selbst ist mit der Hintereinanderschaltung ein Monoid; die nicht bijektiven Abbildungen sind aber nicht umkehrbar, sodass sie kein Inverses besitzen und daher keine Gruppe vorliegt. Die Menge der bijektiven Selbstabbildungen einer Menge und die Menge der Bewegungen eines geometrischen Objektes sind hingegen eine Gruppe.
Es sei
und
Dann ist
Daher schreibt man das zu einem Gruppenelement
eindeutig bestimmte inverse Element als
Eine Gruppe heißt kommutativ (oder abelsch), wenn die Verknüpfung kommutativ ist, wenn also für alle gilt.