Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2014)/Vorlesung 7
- Sprachen erster Sufe
Die in der letzten Vorlesung erwähnten Konstruktionsmöglichkeiten für Aussagen sind im Wesentlichen schon erschöpfend. Mit ihnen kann man ausgehend von einer Grundtermmenge formale Sprachen aufbauen, deren Aussagekraft prinzipiell groß genug ist, um die gesamte Mathematik auszudrücken (für viele Bereiche wäre es aber künstlich, sich auf diese Sprachen zu beschränken). Diese formalen Sprachen nennt man Sprachen erster Stufe, deren syntaktischen Aufbau wir hier beschreiben. Wir beginnen mit den zugehörigen Alphabeten.
Ein Alphabet einer Sprache erster Stufe umfasst die folgenden Daten.
- Eine Grundtermmenge, also eine Menge aus Variablen, Konstanten und Funktionssymbolen.
- Zu jeder natürlichen Zahl eine Menge von -stelligen Relationssymbolen.
- Die aussagenlogischen Junktoren
- Das Gleichheitszeichen .
- Die Quantoren und .
- Klammern, also und .
Die aussagenlogischen Junktoren werden als Negation, Konjunktion (und), Disjunktion (Alteration, einschließliches Oder), Implikation (wenn, dann) und Äquivalenz (genau dann, wenn) bezeichnet. Der Quantor heißt Allquantor und heißt Existenzquantor. Diese Liste ist etwas redundant, da man, von der späteren Interpretation her gesehen, einige aussagenlogische Junktoren durch andere ersetzen kann, beispielsweise ist für zwei Aussagen und die Aussage gleichwertig mit , und so könnte man den Implikationspfeil auch weglassen. Ebenso kann man den einen Quantor mit Hilfe des anderen und der Negation ausdrücken, es ist nämlich gleichbedeutend mit . Um die Lesbarkeit der Ausdrücke zu erhöhen, ist es aber alles in allem vorteilhaft, nicht allzu minimalistisch sein zu wollen (man könnte die unnötigen Symbole auch als Abkürzungen einführen). Das Gleichheitszeichen könnte man zwar auch als ein weiteres zweistelliges Relationssymbol auffassen, allerdings sind die weiter unten einzuführenden Schlussregeln für das Gleichheitszeichen (insbesondere die Möglichkeit einzusetzen) für die Logik erster Stufe konstitutiv. Da ein Alphabet einer Sprache erster Stufe eine Termgrundmenge enthält, ist klar, was als Term in der Sprache zu gelten hat. Als nächstes erklären wir formal, was wir als einen Ausdruck (oder eine formale Aussage) in dieser Sprache ansehen.
Es sei ein Alphabet einer Sprache erster Stufe gegeben. Dann nennt man die folgenden rekursiv definierten Wörter über diesem Alphabet die Ausdrücke dieser Sprache.
- Wenn
und
Terme sind, so ist
ein Ausdruck.
- Wenn ein -stelliges Relationssymbol ist und Terme sind, so ist
ein Ausdruck.
- Wenn
und
Ausdrücke sind, so sind auch
Ausdrücke.
- Wenn ein Ausdruck und eine Variable ist, so sind auch
Ausdrücke.
Die Klammern sind hier auch nur nötig, weil wir die zweistelligen Junktoren anders als die Funktionssymbole in der Mitte schreiben. Die Menge der Konstanten, der Variablen, der Funktionssymbole und der Relationssymbole nennt man zusammen auch das Symbolalphabet der Sprache, das wir mit bezeichnen. Die anderen Symbole (Junktoren, Quantoren, Gleichheitszeichen, Klammern) sind immer gleich, sodass eine Sprache erster Stufe im Wesentlichen nur von der gewählten Symbolmenge abhängt. Für die zugehörige Sprache schreibt man .
- Semantik der Prädikatenlogik
Gelegentlich haben wir schon angedeutet, was die zuletzt eingeführten prädikatenlogischen Symbole, die wir rein formal als Zeichenreihen behandelt haben, eigentlich bedeuten sollen, was also ihr logisch-mathematischer Gehalt sein soll. Bei einer solchen Interpretation werden die Junktoren, die Quantoren und das Gleichheitszeichen stets in der gleichen Weise interpretiert (die Junktoren werden wie im aussagenlogischen Kontext interpretiert), die Variablen, Konstanten, Relations- und Funktionssymbole aber unterschiedlich. Dazu erinnern wir an einige grundlegende mathematische Begriffe. Wir setzen eine naive Mengenlehre und die natürlichen Zahlen „zum Zählen“ (wie schon weiter oben) voraus.
Es seien zwei Mengen und gegeben. Dann nennt man die Menge
die Produktmenge der beiden Mengen.
Für uns ist insbesondere das -fache Produkt einer Menge mit sich selbst, also
(mit Faktoren) wichtig.
Unter einer -stelligen Relation auf einer Menge versteht man eine Teilmenge der -fachen Produktmenge .
Ein, zwei- und dreistellige Relationen haben wir in der letzten Vorlesung erwähnt ( ist eine Primzahl, , bilden ein gleichseitiges Dreieck)
Es seien und Mengen. Eine Abbildung von nach ist dadurch gegeben, dass jedem Element der Menge genau ein Element der Menge zugeordnet wird. Das zu eindeutig bestimmte Element wird mit bezeichnet. Die Abbildung drückt man als Ganzes häufig durch
aus.
Es sei eine Menge. Unter einer -stelligen Abbildung auf versteht man eine Abbildung
vom - fachen Produkt von mit sich selbst nach .
Eine -stellige Funktion kann auch als eine -stellige Relation aufgefasst werden, bei der es zu jedem -Tupel genau ein gibt derart, dass zur Relation gehört. Dieses ist dann der Funktionswert der zugehörigen Funktion an der Stelle .
- Interpretationen
Es sei das Symbolalphabet einer Sprache erster Stufe. Unter einer -Struktur versteht man eine nichtleere Menge mit den folgenden Festlegungen.
- Für jede Konstante ist ein Element festgelegt.
- Zu jedem -stelligen Funktionssymbol
(aus )
ist eine -stellige Funktion
festgelegt.
- Zu jedem -stelligen Relationssymbol
(aus )
ist eine -stellige Relation
festgelegt.
Unter einer -(Variablen)belegung in versteht man eine Festlegung für jede Variable .
Unter einer -Interpretation versteht man eine -Struktur zusammen mit einer -Belegung.
Die Menge heißt auch Grundmenge der -Struktur bzw. der -Interpretation. Die Festlegung für die Konstanten und die Variablen ist einfach eine Abbildung von bzw. von der Variablenmenge in die Menge . Statt schreibt man auch , wobei eine Interpretation bezeichnet. Die Strukturen sind die üblichen Gegenstände der Mathematik (die Belegung von freien Variablen ist der mathematischen Praxis eigentlich fremd; durch sie wird sichergestellt, dass bei einer Interpretation jeder Ausdruck wahr oder falsch wird).
Es sei ein Symbolalphabet, das außer einer Variablenmenge aus einem einzigen einstelligen Funktionssymbol bestehe (die Konstantenmenge und die Relationssymbolmengen seien also leer). Eine - Struktur besteht dann aus einer nichtleeren Menge zusammen mit einer Abbildung
Beispiele sind mit der Nachfolgerfunktion, mit dem Quadrieren oder der Sinusfunktion oder der Exponentialfunktion, oder eine beliebige Menge mit der Identität, eine endliche Menge mit einer Permutation, u.s.w.
Es sei ein Symbolalphabet, das außer einer Variablenmenge aus einem einzigen zweistelligen Funktionssymbol bestehe (die Konstantenmenge und die Relationssymbolmengen seien also leer). Eine - Struktur besteht dann aus einer nichtleeren Menge zusammen mit einer Abbildung
Eine solche Abbildung nennt man auch eine Verknüpfung auf ; sie ordnet (einem geordneten Paar aus) zwei Elementen der Menge ein weiteres Element der Menge zu. Die Addition oder die Multiplikation auf den natürlichen Zahlen sind jeweils eine solche Verknüpfung. Weitere Beispiele sind die Verknüpfung in einer Gruppe, die Vektorraumaddition, das Maximum von zwei reellen Zahlen, u.s.w.
Es sei ein Symbolalphabet, das außer einer Variablenmenge aus einem einzigen einstelligen Relationssymbol bestehe (die Konstantenmenge und die Funktionssymbolmengen seien also leer). Eine - Struktur besteht dann aus einer nichtleeren Menge zusammen mit einer fixierten Teilmenge . Beispiele sind mit der Teilmenge der Primzahlen, oder der Teilmenge der Quadratzahlen, oder mit der Teilmenge der positiven Zahlen, oder der Teilmenge der rationalen Zahlen, u.s.w.
- Interpretation von Termen
Mit einer solchen Interpretation wird das Symbolalphabet, das neben den Junktoren, Quantoren, dem Gleichheitszeichen und den Klammern das Alphabet der Sprache bildet, interpretiert. Man möchte aber die gesamte Sprache in , ausgehend von der Interpretation dieser Symbole, interpretieren. Der erste Schritt dazu ist die Interpretation der Terme. Die Wohldefiniertheit der folgenden Festlegung ergibt sich durch einen Beweis über den Aufbau der Terme.
Zu einem Symbolalphabet erster Stufe und einer - Interpretation in einer Menge wird induktiv über den Aufbau der Terme für jeden - Term eine Interpretation in definiert.
- Für jede Konstante und jede Variable ist die Terminterpretation durch die Interpretation bzw. die Belegung direkt gegeben, also und .
- Wenn Terme mit den Interpretationen sind und wenn ein -stelliges Funktionssymbol ist, so wird der Term als interpretiert.
Damit werden alle Terme in der Grundmenge interpretiert. In vielen Situationen bleibt die Grundmenge und die Interpretation der Konstanten und der Relations- und Funktionssymbole gleich, während man die Variablenbelegung ändern möchte. Insbesondere möchte man Interpretationen für eine einzelne Variable abändern.
Es sei ein Symbolalphabet erster Stufe und eine - Interpretation in einer Menge gegeben. Es sei eine Variable und ein Element der Grundmenge. Dann versteht man unter der Uminterpretation diejenige Interpretation von in , die strukturgleich zu ist und für deren Variablenbelegung
gilt.
Entsprechend schreibt man für , wobei es bei verschiedenen Variablen nicht auf die Reihenfolge ankommt.
- Interpretation von Ausdrücken
Nachdem wir alle Terme bei einer gegebenen -Interpretation interpretieren können, wenden wir uns nun den Ausdrücken zu. Es ist das Ziel, jedem -Ausdruck eine Aussage (unter Bezug auf die Grundmenge und die Interpretation des Symbolalphabets) zuzuordnen, die wahr oder falsch ist.
Zu einem Symbolalphabet erster Stufe und einer - Interpretation in einer Menge werden die - Ausdrücke folgendermaßen (induktiv über den Aufbau der Ausdrücke) interpretiert und als gültig (oder ungültig) charakterisiert (die Gültigkeit einer Aussage unter der Interpretation wird dabei als geschrieben). Es seien Terme, ein -stelliges Relationssymbol und Ausdrücke.
- , wenn .
- , wenn .
- , wenn nicht gilt.
- , wenn und gilt.
- , wenn die Gültigkeit die Gültigkeit impliziert.
- , wenn es ein mit gibt.
- , wenn für alle die Beziehung gilt.
Dabei ist, wie bei jeder Definition, „wenn“ als „genau dann, wenn“ zu lesen. Auf der linken Seite stehen die formalen Ausdrücke zusammen mit der Erklärung, ob sie in der Interpretation gelten, und auf der rechten Seite steht eine logisch-mathematische Bedingung. Diese ist im Sinne des üblichen Gebrauchs in der Mathematik zu verstehen. Für die Gültigkeitsbeziehung sagt man auch, dass die Interpretation ein Modell für den Ausdruck ist oder den Ausdruck erfüllt.
Da bei dieser Zuordnung alle möglichen Konstruktionsweisen für Ausdrücke auftauchen, ergibt sich eine Erklärung für jeden Ausdruck durch deren induktiven Aufbau. Für jeden Ausdruck gilt in einer Interpretation entweder oder nicht, wobei die Nichtgültigkeit zur Gültigkeit von äquivalent ist. Eine Interpretation liefert also insbesondere eine vollständige Aufteilung der -Ausdrücke in wahre und falsche Ausdrücke.
- Beispiele
Es sei ein Symbolalphabet, das außer einer Variablenmenge aus einem einzigen einstelligen Funktionssymbol bestehe (die Konstantenmenge und die Relationssymbolmengen seien also leer), sodass eine - Struktur aus einer Menge zusammen mit einer Abbildung
besteht. In einer solchen Interpretation wird jeder -Ausdruck interpretiert. Der Ausdruck
besagt die Surjektivität von . D.h. in einer -Interpretation gilt
genau dann, wenn die durch die Interpretation festgelegte Abbildung surjektiv ist. Der Ausdruck
besagt die Injektivität von . D.h. in einer -Interpretation gilt
genau dann, wenn die durch die Interpretation festgelegte Abbildung injektiv ist.
Es sei das Symbolalphabet für einen angeordneten Körper, d.h. es gebe eine zweielementige Konstantenmenge , eine zweielementige Menge für die zweistelligen Funktionssymbole und eine einelementige Menge für ein zweistelliges Relationssymbol Wir betrachten die Interpretation mit der Grundmenge und die Interpretation mit der Grundmenge , wobei Konstanten, Funktionssymbole und das Relationssymbol in natürlicher Weise interpretiert werden (und die Variablenbelegung irgendwie festgelegt sei).
Der - Ausdruck (also der Ausdruck in vorgestellter Notation) wird unter den Interpretationen als bzw. als interpretiert und daher gelten und . Dagegen ist der Ausdruck unter falsch und unter richtig, also
Das vorstehende Beispiel zeigt, dass die Gültigkeit von Ausdrücken unter einer bestimmten Interpretation von Eigenschaften der Grundmenge abhängt und durch eine mathematische Argumentation erwiesen oder zurückgewiesen werden muss. Diese kann beliebig kompliziert sein. Insbesondere bedeutet die Modellbeziehung nicht, dass man für jeden Ausdruck entscheiden kann, ob er in einer Interpretation wahr oder falsch ist.
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